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Christine Wahlig (Rechtsanwältin – Redaktionelle Leitung Blog) & Alice Tanke (Marketing Managerin)

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Außerordentliche Kündigung bei Gefahr einer Corona-Infektion?

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Arbeitgeber tun in der Pandemie ihr Möglichstes, um einen Corona-Ausbruch unter den Beschäftigten zu vermeiden. Mit der Zulässigkeit von Maßnahmen wie der Einführung einer Impfpflicht für die Beschäftigten oder verpflichtende Corona-Tests vor dem Zutritt der Belegschaft zum Betrieb haben wir uns bereits an anderer Stelle beschäftigt. Welche Möglichkeiten hat aber ein Arbeitgeber, der befürchtet, dass ein Mitarbeiter die Belegschaft der Gefahr einer Infektion mit dem Corona-Virus ausgesetzt hat? Kann er diesem gegenüber eine (außerordentliche) Kündigung aussprechen? Hierüber hatte das Arbeitsgericht Bielefeld in gleich vier Fällen zu entscheiden. In zwei der Verfahren (ArbG Bielefeld, Urteil vom 02.12.2020 – 3 Ca 1733/20 und vom 17.12.2020 – 1 Ca 1741/20) liegen nun die Entscheidungsgründe vor.

Was ist passiert?

Hintergrund der Kündigungen ist in beiden Verfahren ein nicht genehmigter Nebenjob der Arbeitnehmer bei einem Fleischverarbeiter in Nordrhein-Westfalen.

Im Verfahren 1 Ca 1741/20 stellte die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Bielefeld folgenden Sachverhalt fest: Der Kläger (K) ist seit 2012 bei der Beklagten, einem Automobilzulieferer, beschäftigt. Nach seinem Arbeitsvertrag ist er verpflichtet, Nebentätigkeiten anzuzeigen und genehmigen zu lassen. Im Jahr 2019 nahm der Kläger einen Nebenjob bei einem Fleischverarbeiter an, ohne die Beklagte hierüber zu informieren. Hierbei war er Teil eines sechsköpfigen Reinigungstrupps, dem außer dem Kläger noch drei weitere Beschäftigte der Beklagten angehörten – einer davon ist der Kläger (Z) im Parallelverfahren 3 Ca 1733/20. Die Aufgabe des Reinigungstrupps war es, an Sonntagen außerhalb der Produktionszeiten eine große Halle des Fleischverarbeiters zu reinigen, in welcher Schweinehälften schockgefrostet werden. Hierbei trugen die Arbeiter Ganzkörperschutzanzüge, eine Kopfbedeckung, Stiefel, Handschuhe und zuletzt auch Atemschutzmasken. Der Reinigungstrupp kam dabei nicht in Kontakt zur Stammbelegschaft des Fleischverarbeiters. Der letzte Einsatz des Klägers und seiner Kollegen war am Sonntag, den 14.06.2020. In der folgenden Woche arbeitete der Kläger regulär im Schichtbetrieb der Beklagten.

Hiernach nahm die Pandemie ihren Lauf: Es kam bei dem Fleischverarbeiter zu einem Corona-Ausbruch unter den Beschäftigten, was einer breiten Öffentlichkeit durch Medienberichte bekannt wurde. In der Folge wurde nicht nur die Produktion des Fleischverarbeiters per behördlicher Verfügung heruntergefahren. Auch Schulen und Kindertagesstätten des betreffenden Kreises mussten schließen.

K machte sich nun Sorgen um seine Gesundheit. Über den Z – seine Kontaktperson zum Nebenarbeitgeber – erfuhr er von der Möglichkeit, einen Corona-Test auf dem Werksgelände des Nebenarbeitgebers am 19.06.2020 durchführen zu können. Da dieser Test während seiner Schicht bei der Beklagten stattfand, stempelte der Kläger vor Schichtende aus und kehrte nach Durchführung des Tests zu seiner Arbeitsstätte zurück. Am 20.06.2020 erließen der Kreis und die Heimatgemeinde des Klägers Allgemeinverfügungen, wonach für alle auf dem Betriebsgelände des Fleischverarbeiters tätigen Personen eine Absonderung zur häuslichen Quarantäne angeordnet wurde. 

Einen Tag später rief der Z seine Vorgesetzte des Hauptarbeitgebers an, und klärte diese angesichts des Corona-Ausbruchs über den Nebenjob auf. Auch der Z hatte entgegen einer entsprechenden Arbeitsvertragsklausel die Nebentätigkeit bislang nicht angezeigt. Er deckte hierbei auch die Nebentätigkeit des K auf, wie die 1. Kammer des Arbeitsgerichts feststellte.

Wiederum einen Tag später meldete sich auch der K bei seinem Vorgesetzten- er bat um eine Woche Urlaub, welcher ihm auch genehmigt wurde. Er erwähnte hierbei seinen freiwilligen Corona-Test, nicht aber die Nebentätigkeit. Wenig später wurde der Vorgesetzte aber von der Vorgesetzten des Z über die wahren Hintergründe dieses Anrufs informiert. Auf Nachfrage des Vorgesetzten räumte K schließlich den Nebenjob ein, gab jedoch an, nichts von der Genehmigungsbedürftigkeit gewusst zu haben. 

Der Sachverhalt wurde der Geschäftsführung bekannt. Sie beschloss, den vier Mitarbeitern fristlos und hilfsweise ordentlich zu kündigen. Hieran konnten auch die negativen Ergebnisse der Corona-Tests nichts ändern, welche K und Z erhalten hatten. Die Beklagte führte die Betriebsratsanhörung durch, und sprach schließlich gegenüber K und Z die Kündigung der Arbeitsverhältnisses aus.

Die Entscheidungen des Arbeitsgerichts

In dem Verfahren 1 Ca 1741/20 gestand das Gericht der Beklagten zwar zu, dass in der Nichtanzeige der Nebentätigkeit eine arbeitsvertragliche Nebenpflichtverletzung liegt. Anders als die Beklagte nahm es jedoch an, dass im Fall des K eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre. Über die Rückkehr des K in den Betrieb der Beklagten nach Durchführung des Corona-Tests zeigte sich das Gericht lediglich „befremdet“ – auch hierin sah die Kammer aber keinen Kündigungsgrund.

Ausführlicher äußerte sich die 3. Kammer im Verfahren 3 Ca 1733/20. Zur außerordentlichen Kündigung führte das Gericht aus, dass ein „an sich“ zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB berechtigender Grund nicht vorgelegen habe.

  • Die Nichtanzeige der Nebentätigkeit sei hier zwar eine Nebenpflichtverletzung. Diese habe die Kündigung aber nicht rechtfertigen können – denn im Falle einer Anzeige hätte der Z einen Anspruch auf Genehmigung dieser Nebentätigkeit gehabt.
  • Auch eine Erhöhung des Infektionsrisikos mit dem Coronavirus habe die Kündigung nicht rechtfertigen können. Das Gericht führte aus, dass eine bestehende Infektionsgefahr nur dann einen Grund zur fristlosen Kündigung darstellen könne, wenn durch die Nebentätigkeit eine konkrete, nicht nur eine abstrakte Gefahr einer Infektion mit dem Corona-Virus entstehen würde, welche in erheblichem Maße über das allgemeine Infektions-/Lebensrisiko hinausgeht. Dies sei hier nicht der Fall gewesen, der Z wurde negativ getestet. Im Übrigen habe der Z bei seiner Nebentätigkeit in Schutzkleidung gearbeitet, und mit den Mitarbeitern des Nebenarbeitgebers keinen Kontakt gehabt. Auch eine erhebliche Erhöhung der abstrakten Infektionsgefahr allein aufgrund der räumlichen Lage der Nebentätigkeit sei nicht ohne konkrete Anhaltspunkte geeignet gewesen, eine konkrete Gefährdungslage zu begründen. 
  • Auch die aus Sicht der Beklagten „eigenmächtige Entscheidung“ des Z, die Beklagte erst nach der Durchführung des Corona-Tests von der Nebentätigkeit und dem Infektionsrisiko zu unterrichten, habe die Kündigung nicht rechtfertigen können. Entscheidend sei die Gefahr, die objektiv aus dem Pflichtenverstoß hätte folgen können – der Z war negativ auf das Corona-Virus getestet worden.
  • Die Medienberichte über die Betriebsschließungen bei dem Fleischverarbeiter hätten den Z nicht zum Handeln veranlassen müssen. Er habe diese Meldungen nicht auf sich beziehen müssen, da er bei seiner Nebentätigkeit stets Schutzkleidung getragen habe, und mit der Stammbelegschaft des Fleischverarbeiters nicht in Kontakt gekommen ist.  

Auch die ordentliche Kündigung war nach Auffassung des Gerichts unwirksam. Der Vorwurf der Nichtanzeige der Nebentätigkeit habe allenfalls eine Abmahnung rechtfertigen können. Die Corona-Situation sei für alle Beteiligten neu, und der Kläger sei nunmehr für die Zukunft hinreichend sensibilisiert.

Was folgt aus der Entscheidung?

Die Entscheidung folgt hinsichtlich des nicht genehmigten Nebenjobs als Kündigungsgrund bekannten Rechtsprechungsgrundsätzen. In solchen Fällen wird ein Kündigungsgrund regelmäßig nur dann bejaht, wenn der Nebenjob (offensichtlich) nicht genehmigungsfähig ist (BAG, Urteil vom 18.9.2008 – 2 AZR 827/06).

Neu und aus Arbeitgebersicht besonders interessant ist aber die Auffassung des Gerichts zur Infektionsgefahr mit dem Corona-Virus als Kündigungsgrund. Das Gericht macht die Frage, ob wegen der Infektionsgefahr ein Kündigungsgrund vorliegt, vom Grad der Gefahr abhängig. Nur eine konkrete Infektionsgefahr soll eine Kündigung rechtfertigen können. Für Arbeitgeber stellen sich hier Abgrenzungsschwierigkeiten. Aus Sicht des Gerichts soll eine konkrete Gefahr wohl nur in Ausnahmefällen vorliegen. Auch eine nur erheblich gesteigerte abstrakte Gefahr könne keine zur Kündigung berechtigende Gefährdungslage begründen. Das Gericht äußert sich ferner nicht ausdrücklich zu der Frage, worin genau der Kündigungsgrund bei Bestehen einer konkreten Infektionsgefahr zu sehen ist. Aus unserer Sicht ist in den hier entschiedenen Fällen an eine verhaltensbedingte Kündigung wegen des Verstoßes gegen die allgemeine Schadensabwendungspflicht aus dem Arbeitsverhältnis zu denken – kommt es zu einem Corona-Ausbruch im Betrieb, droht eine behördliche Betriebsschließung.

Ferner stellt die Entscheidung die Frage nach Offenbarungspflichten von Arbeitnehmern im Zusammenhang mit einer möglichen Infektion mit dem Corona-Virus. Wann eine solche vertragliche Nebenpflicht vorliegt, wird in der Fachliteratur nicht einheitlich beantwortet. In Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht wird man auch hier mehr als nur das allgemeine Lebensrisiko einer Corona-Infektion verlangen müssen, um ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an einer Offenbarung annehmen zu können.

Es muss an dieser Stelle betont werden, dass es sich hierbei bislang um Einzelfallentscheidungen handelt. Die weitere Rechtsprechungsentwicklung zu diesem Thema bleibt abzuwarten.  

Thomas Wahlig

Thomas Wahlig ist spezialisiert auf Unternehmenskäufe und –restrukturierungen, Betriebsübergangsrecht, Tarifrecht, komplexe Gerichtsverfahren sowie auf die Einführung von Arbeitszeitmodellen und Vergütungssystemen.

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