Awareness Academy – Für ein respektvolles Miteinander ohne Geschlechterdiskriminierung in Ihrem Unternehmen!
Mehr Informationen finden Sie hier: Zur Website
Im Workplace Blog schreiben wir über Themen aus der Workplace Law und HR Welt: Wir besprechen wichtige Gerichtsentscheidungen, nehmen uns Glaubenssätze vor, geben praktische Tipps und vieles mehr…
Unser Workplace Blog lebt von Ihren Kommentaren und Feedback. In diesem Sinne freuen wir uns auf den Austausch mit Ihnen!
Die Bundesagentur für Arbeit („BAA“) hat ihre Fachlichen Weisungen („FW“) zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz („AÜG“) aktualisiert; sie sind seit dem 15. Oktober 2024 gültig und fortan für die Rechtsanwendung maßgeblich. Eine praktisch relevante Anpassung ist die Präzisierung des territorialen Geltungsbereichs des AÜG bei grenzüberschreitenden Überlassungen. Die BAA erweitert das Einzugsgebiet des AÜG unmissverständlich. Relevanz hat dies vor allem für Unternehmen der sog. new economy und für das Geschäftsmodell der Employer of Record (EoR).
I. Grenzüberschreitende Überlassung
Vor allem in der von Digitalisierung und Technologie geprägten sog. „New Economy“ (d.h. Unternehmen aus Bereichen wie IT, E-Commerce, Softwareentwicklung, Telekommunikation, Fintech etc.) hat sich im Personalmanagement das Modell des sog. “Employer of Record” (EoR) etabliert.
Bei dieser Erscheinungsform der indirekten Personalgestellung liegen das Einsatzunternehmen und der Arbeitnehmer (auch „Talent“ genannt) typischerweise räumlich über Landesgrenzen hinweg auseinander, sind sich jedoch einig, dass sie zusammenarbeiten möchten. Zur Vermeidung körperschaftssteuerrechtlicher Implikationen am Tätigkeitsort des Talents (Stichwort „steuerrechtliche Betriebsstätte“) und zum Outsourcing der Administration des Arbeitsverhältnisses nach den lokalen sozialversicherungsrechtlichen, steuerrechtlichen und arbeitsrechtlichen Bestimmungen wird ein EoR damit beauftragt, das Talent pro forma zu beschäftigen und zur Arbeitsleistung an das Einsatzunternehmen als eigentlichen Arbeitgeber zu überlassen.
Das EoR-Modell ist aus Sicht der auftraggebenden Unternehmen deshalb so attraktiv, da es einerseits Zugang zu internationalen Fachkräften ermöglicht, die im Inland ggf. fehlen und andererseits Markteintrittshürden am ausländischen Tätigkeitsort des Talents abbaut, da eine eigene ausländische Dependance nicht errichtet und unterhalten werden muss.
Der Sache nach handelt es sich dabei nach deutscher Lesart i.d.R. um Arbeitnehmerüberlassung i.S.v. § 1 Abs. 1 AÜG. Jedenfalls bei EoR mit Sitz im Ausland ist es nicht marktüblich, dass diese über eine deutsche Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung verfügen, ebensowenig werden die Parteien das Vertragsverhältnis als solches bezeichnen und es den Regelungen des deutsch AÜG unterwerfen. Es ist schließlich typischerweise auch nicht im Interesse der Parteien den Vertrag auf höchstens 18 Monate zu begrenzen.
Bei grenzüberschreitenden Fällen mit deutscher Beteiligung unter Compliance-Gesichtspunkten drängt sich daher die Frage nach der Reichweite des deutschen Regulierungsregimes auf.
Das AÜG selbst definiert seinen räumlichen Geltungsbereich nicht.
Nach den FW beschränkt sich der „Geltungsbereich der Erlaubnispflicht nach dem AÜG“ (so in der Überschrift zu Ziff. 1.1.1 und in Abs. 1 Satz 1) bzw. die „Anwendbarkeit des AÜG“ (so ab Abs. 1 Satz 2 zu Ziff. 1.1.1) räumlich auf das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem sog. Territorialitätsprinzip findet öffentliches Recht nämlich Anwendung, soweit das Hoheitsgebiet desjenigen Staates betroffen ist, der es erlassen hat.
II. Bisherige Rechtspraxis
Wer hieraus nun den Schluss zieht, das AÜG sei nur relevant, wenn sich die Arbeitnehmerüberlassung vollständig im Sinne physischer Präsenz aller Beteiligten in der Bundesrepublik vollzieht, irrt.
Bisher galt bereits gem. Ziff. 1.1.1 Abs. 2 FW a.F. bei Überlassungen mit grenzüberschreitendem Bezug Folgendes:
„Innerhalb Deutschlands gilt das AÜG für das Tätigwerden einheimischer wie ausländischer Verleiher gleichermaßen. Erfasst wird daher der Verleih in Deutschland, sowie nach Deutschland hinein und aus Deutschland heraus“ (fortgeschrieben in Ziff. 1.1.1 Abs. 2 FW n.F.).
Das bedeutet, dass bei einem Verleih ins Ausland („Outbound“, d.h. der Vertragsarbeitgeber -bspw. deutscher EoR – hat seinen Sitz in Deutschland, der Arbeitnehmer hat seinen Wohnsitz in Deutschland, der Entleiher hat seinen Sitz im Ausland) der territoriale Geltungsbereich des AÜG eröffnet ist, auch wenn der Arbeitnehmer selbst die Grenze physisch nicht überschreitet. Sofern der betreffende Arbeitnehmer von seinem Vertragsarbeitgeber im Rahmen dessen wirtschaftlicher Tätigkeit an den Kunden überlassen und dort in die Arbeitsorganisation eingegliedert wird sowie den Weisungen des Kunden unterliegt (sachlicher Anwendungsbereich), finden das AÜG und seine Regularien auf die Überlassung grds. Anwendung, insbesondere muss dem Vertragsarbeitgeber die Arbeitnehmerüberlassung behördlich erlaubt worden sein.
Auch bei einem Verleih nach Deutschland hinein („Inbound“, d.h. Vertragsarbeitgeber – bspw. ausländischer EoR – hat seinen Sitz im Ausland, der Arbeitnehmer hat seinen Wohnsitz im Ausland, nur der Kunde hat seinen Sitz in Deutschland) war bereits nach der a.F. der FW anerkannt, dass ein Inlandsbezug i.S.d. Territorialitätsprinzips durch den Sitz des Entleihers begründet wird.
Allerdings war in diesem Zusammenhang bisher noch folgende Bereichsausnahme vorgesehen: „Nicht erfasst ist der Verleih durch einen ausländischen Verleiher an einen inländischen Entleiher, wenn der Leiharbeitnehmer ausschließlich im Ausland eingesetzt wird.“ Überlegungen zum sachlichen Anwendungsbereich (s.o.) mussten daher nur angestellt werden, wenn der Arbeitnehmer sich zumindest zeitweise (bspw. für Meetings) ins Inland begeben hat.
Dies war vor allem dem Umstand geschuldet, dass die Bereichsausnahme historisch für Arbeiten gedacht war, bei denen die Arbeitsleistung in körperlicher Anwesenheit zwingend an einem bestimmten Ort im Ausland erbracht werden musste (bspw. Tätigkeiten auf einer Bohrinsel in Gewässern außerhalb des deutschen Staatsgebiets). Dass die Bereichsausnahme aufgrund einer sich wandelnden Arbeitswelt Konjunktur erfuhr und deutsche Unternehmen dazu übergegangen sind, ihren Bedarf an geistig-produktiven, nicht ortsgebunden Tätigkeiten (teils präferiert, teils notgedrungen) im Ausland zu decken, war zur Zeit der Veröffentlichung der a.F. der FW schlicht nicht vorhergesehen worden.
III. Präzisierung zum Geltungsbereich des AÜG (Ziff. 1.1.1 FW n.F.)
Vor diesem Hintergrund wurde die dargestellte Bereichsausnahme von einigen Arbeitsagenturen bereits seit einiger Zeit zunehmen kritisch gesehen. Mit den neuen Fachlichen Weisungen hat die BAA den Anwendungsbereich des AÜG nun nach eigenen Worten „präzisiert“, in der Wahrnehmung der Rechtsunterworfenen wohl eher erweitert.
1. Gesetzeszweckbezogene Herleitung?
Die BAA stellt den Sinn und Zweck des AÜG in den Mittelpunkt und leitet daraus seine Klarstellung zum territorialen Geltungsbereich unter teilweiser Aufgabe der vormaligen Bereichsausnahme ab. Die BAA stellt hierzu Folgendes fest:
„Mit dem AÜG wird das Ziel verfolgt, die Arbeitnehmerüberlassung sozial auszugestalten. Das AÜG setzt die europäische Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit um“ (Einl. Zu § 1 FW n.F.).
Ferner wird von der BAA unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zur ersten Fassung des AÜG aus dem Jahr 1972 – die dem Inkrafttreten der Leiharbeitsrichtlinie im Dezember 2008 (RL 2008/104/EG) 36 (!) Jahre vorausging und heute bereits 52 Jahre zurückliegt – ausgeführt:
„Das AÜG verfolgt in erster Linie das Ziel, für die Arbeitnehmerüberlassung rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Anforderungen eines sozialen Rechtsstaats genügen(BT-Drs. VI/2303, S. 9f.)“ (Ziff. 1.1.1 Abs. 1 FW n.F.).
Dass der Regulierungsrahmen sich seitdem, aufgrund europäischer Gesetzgebung und sich fortlaufend wandelnder Arbeitsmarktbedingungen, bereits mehrfach geändert hat, findet keine Rezeption (vgl. dementgegen zur letzten umfassenden Reform auszugsweise BT-Drs. 18/9232, S. 1: „Mit dem vorliegenden Gesetz soll die Funktion der Arbeitnehmerüberlassung als Instrument zur zeitlich begrenzten Deckung eines Arbeitskräftebedarfs geschärft, Missbrauch von Leiharbeit verhindert, die Stellung der Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer gestärkt und die Arbeit der Betriebsräte im Entleiherbetrieb erleichtert werden. Hierbei sollen die Arbeitnehmerüberlassung als eines der flexiblen Instrumente des Personaleinsatzes sowie die positiven Beschäftigungswirkungen der Arbeitnehmerüberlassung erhalten bleiben. Gleichzeitig soll die Bedeutung tarifvertraglicher Vereinbarungen als wesentliches Element einer verlässlichen Sozialpartnerschaft gestärkt werden.“).
2. Virtueller inländischer Tätigkeitsort
Nun weisen auch Tätigkeiten, die ortsunabhängig erbracht werden, einen Bezug zur Bundesrepublik auf, wenn nur die produktive Arbeitsleistung, nicht die Person, die Grenze überschreitet. Die BAA hierzu wörtlich:
„Maßgeblich für die Anwendbarkeit des AÜG ist eine Tätigkeit des Leiharbeitnehmers in Deutschland. Es ist unerheblich, ob der Verleiher einen Geschäftssitz in Deutschland hat (BT-Drs. VI/2303, S. 10). Nach dem Schutzzweck des AÜG kommt es auch nicht darauf an, ob der Entleiher einen Geschäftssitz in Deutschland hat“ (Ziff. 1.1.1 Abs. 1 FW n.F.).
Unmissverständlich klargestellt wird, dass auch eine geistige Verbindung des Arbeitnehmers mit Deutschland die Tür zum AÜG öffnen kann. Nur dort, wo der Arbeitnehmer sich bei der Arbeitsleistung physisch im Ausland aufhält, weil er dies aus Sachzwängen muss, nicht, weil er dies freiwillig wählt, bleibt sie verschlossen:
„Nicht erfasst ist der Verleih durch einen ausländischen Verleiher an einen inländischen Entleiher, wenn der Leiharbeitnehmer ausschließlich im Ausland eingesetzt wird. Diese Konstellation meint Fälle, in denen die Erbringung der Arbeitsleistung grundsätzlich eine Anwesenheit der Arbeitnehmer an einem bestimmten Ort erfordert“ (Ziff. 1.1.1 Abs. 2 FW N.F.).
Zur Begründung, warum sie dies für richtig hält, führt die BAA näher wie folgt aus:
„Um den Schutz des Teilarbeitsmarkts Arbeitnehmerüberlassung zu wahren, kann bei Arbeitsleistungen, die ortsunabhängig ausschließlich im homeoffice bzw. als ausschließliche Telearbeit erbracht werden, nicht allein darauf abgestellt werden, wo sich der Leiharbeitnehmer rein körperlich befindet. Erlaubnisrechtlich ist entscheidend, ob die Überlassung Inlandsbezug aufweist. Das ist bei ortsunabhängigen Arbeitsleistungen regelmäßig der Fall, wenn die Überlassung vom Inland aus erfolgt oder der Leiharbeitnehmer virtuell für einen inländischen Entleiher tätig wird“ (Ziff. 1.1.1 Abs. 3 FW n.F.).
Dies relativiert selbstverständlich die Aussage, dass es auf den Geschäftssitz des Entleihers nicht ankomme. Jedenfalls dort wo der Tätigkeitsort des Arbeitnehmers nur virtuell in Deutschland gelegen ist, bedarf es eines inländischen Entleihers, an den dieser anknüpfen kann. Dort wo mobiles Arbeiten besonders verbreitet ist und sich Arbeitsprodukte (bspw. eine Software) leicht exportieren lassen, drängt sich für Unternehmen im Konzernverbund der „workaround“ unmittelbar auf:
Um wiederum eine sog. Kettenüberlassung auszuschließen, ist dies allerdings wohl nur dort praktikabel, wo es im Inland ausschließlich auf die Nutzbarkeit des Arbeitsproduktes und nicht auf die fortlaufende persönliche Zusammenarbeit mit dem Talent ankommt. Zudem muss der Regulierungsrahmen des jeweiligen ausländischen Einsatzunternehmens seinerseits in Bezug auf Drittpersonaleinsatz hinreichend flexibel sein.
IV. Konsequenzen
Die Risiken von Compliance-Verstößen im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung sind mannigfaltig und gefürchtet. Für laufende Verträge auf Basis eines EoR-Modells (inbound) stellt sich für deutsche Auftraggeber nun dringlich die Frage, wie sich die Anpassung der FW auf sie auswirken.
1. Keine Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher (§§ 10 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 9 Abs. 1 Nr. 1 bis 1b. AÜG)
Die wohl einschneidendste Rechtsfolge hält das AÜG bereit, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 erforderliche Erlaubnis hat (sog. „illegale Arbeitnehmerüberlassung“, § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG), wenn die Arbeitnehmerüberlassung nicht ausdrücklich als solche bezeichnet und die Person des Leiharbeitnehmers nicht konkretisiert worden ist (sog. „verdeckte Arbeitnehmerüberlassung“, § 1 Abs. 1 Satz 5 u. 6 AÜG) oder die zulässige 18-monatige Überlassungshöchstdauer überschritten wird (§ 1 Abs. 1b AÜG). Nach §§ 10 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 9 Abs. 1 Nr. 1 bis 1b. AÜG gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer als zustande gekommen, wenn der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer – was unter den vorgenannten Umständen jeweils grds. der Fall ist – unwirksam ist. Unter dieser Voraussetzung tritt das gesetzlich begründete Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer an die Stelle des unwirksamen Vertragsverhältnisses zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer.
Die Verletzung dieser Pflichten führt allerdings nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BAG v. 26.4.2022 – 9 AZR 228/21, das einen Fall unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung aus dem Ausland zum Gegenstand hatte) dann nicht zur Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags, wenn das Leiharbeitsverhältnis – aufgrund expliziter oder konkludenter Rechtswahl – dem Recht eines anderen Staates unterliegt.
In diesem Fall ist das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nicht vom Anwendungsbereich der deutschen Unwirksamkeitsanordnung gem. §§ 9 Abs. 1 Nr. 1 bis 1b. AÜG erfasst. Dieser bestimmt sich einheitlich nach dem Statut des Arbeitsvertrages zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher. Ein Nebeneinander von fortbestehendem Leiharbeitsverhältnis und fingiertem Arbeitsverhältnis sieht § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG nicht vor.
Die §§ 9 Abs. 1 Nr. 1 bis 1b. AÜG sind auch keine zwingenden Vorschriften, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrnehmung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie auf alle in Betracht kommenden Sachverhalte angewendet werden müssen. Sie setzen sich gegen eine getroffene Rechtswahl also auch nicht unter diesem Gesichtspunkt durch.
2. Keine Subsidiärhaftung des Entleihers (§ 28e Abs. 2 SGB IV)
Unter der Prämisse, dass sich der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung ausschließlich an seinem Wohnsitz im Ausland aufhält, besteht auch kein Risiko einer Subsidiärhaftung des inländischen Entleihers für, ggf. teilweise, nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge gem. § 28 Abs. 2 SGB IV.
Ein Arbeitnehmer unterliegt grds. den Rechtsvorschriften über die Versicherungspflicht dieses Beschäftigungsstaats. Das gilt auch dann, wenn sich der Arbeitgeber in einem anderen Staat (hier: Deutschland) befindet oder dort seinen Sitz hat. Es besteht daher bereits aus diesem Grund keine Beitragspflicht in den deutschen Sozialsystemen.
3. Ordnungswidrigkeiten
Das BAG hat in seiner oben genannten Entscheidung darauf hingewiesen, dass das öffentliche Interesse an der Einhaltung von § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG im Falle unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung aus dem Ausland bereits dadurch hinreichend gesichert ist, dass § 16 Abs. 1 Nr. 1 u. Abs. 2 AÜG die Verletzung der Erlaubnispflicht als Ordnungswidrigkeit sanktioniert. Allerdings lag dieser Entscheidung ein Sachverhalt zugrunde, in dem der territoriale Geltungsbereich des AÜG fraglos Anwendung fand. Die Klägerin war aus Illkirch (Frankreich) nach Karlsruhe überlassen worden und wurde dort vor Ort im Betrieb eingesetzt.
Die FW n.F. können nun nicht anders verstanden werden, als dass eine Disziplinierung mittels Bußgeldandrohung nun auch auf die im Fokus der Regulierungsaufsicht der BAA stehenden inländischen Entleiher angewendet werden soll, sofern ihnen ein Verstoß zur Last gelegt werden kann. In EoR-Konstellationen wird dies typischerweise der Fall sein (s.o. bei I.). In Betracht kommen insbesondere der Vorwurf eines Entleihs ohne Erlaubnis (§ 16 Abs. 1 Nr. 1a AÜG), eines Verstoßes gegen die Kennzeichnungs- (§ 16 Abs. 1 Nr. 1c AÜG) bzw. die Konkretisierungspflicht (§ 16 Abs. 1 Nr. 1d AÜG). Die vorgenannten Ordnungswidrigkeiten können mit Geldbuße bis zu dreißigtausend Euro pro Verstoß geahndet werden.
Eine Bewertung, ob eine derartige faktische Erweiterung der ordnungswidrigkeitsrechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen qua behördlichen Innenrechts mit dem Vorbehalt des Gesetzes und der sog. Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts in Einklang zu bringen ist, wonach der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muss, würde den Rahmen dieses Beitrags weit überdehnen. Dies erscheint allerdings bereits fraglich, weil der Gesetzgeber hinsichtlich des Schutzes grenzüberschreitend entsandter Leiharbeitnehmer seinen gesetzgeberischen Willen in § 2 Abs. 2 AEntG dahingehend ausgeübt hat, dass die allgemeinen und zwingenden Arbeitsbedingungen auf sie (nur) dann anzuwenden sind, wenn sie in Deutschland beschäftigt werden. Diese Überlegungen bieten Entleihern allerdings ohnehin keine (unmittelbare) Hilfe, da sie zunächst gegen einen gegen sie ergangenen Bußgeldbescheid den Rechtsweg beschreiten müssen und das hiermit verbundene Prozessrisiko tragen.
Wird eine Geldbuße von EUR 200 oder mehr verhängt, droht zusätzlich ein Negativeintrag im Gewerbezentralregister.
V. Risikomanagement & Strategien
Anbieter von EoR-Dienstleistungen, die den deutschen Markt bedienen, stehen vor der Herausforderung, kreative und rechtskonforme Lösungen zu finden.
1. Direktanstellung mit Payroll-Outsourcing
Die Unternehmen mit Sitz in Deutschland können erwägen, den Arbeitnehmer direkt einzustellen und lediglich die Abrechnung des Arbeitsverhältnisses nach dem Recht des Wohnsitzstaates des Mitarbeiters einem Dienstleister zu übertragen. Dies setzt allerdings voraus, dass es die Rahmenbedingungen zulassen, dass mit der Direktanstellung keine unerwünschte steuerrechtliche Betriebsstätte errichtet wird.
2. Compliance herstellen
Grundsätzlich bestünde für in der EU oder im EWR ansässige EoR die Möglichkeit, eine deutsche Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis zu beantragen und das Vertragsverhältnis als offene Arbeitnehmerüberlassung durchzuführen. Dies wird jedoch kaum je interessengerecht sein, auch weil eine Beschränkung auf die Überlassungshöchstdauer dem Wunsch nach langfristiger Zusammenarbeit zwischen Entleiher und Talent diametral entgegenläuft. Zudem müsste der lokale EoR neben dem deutschen auch die Regulierungsvorgaben zur Leiharbeit im (europäischen) Ausland beachten. Der Aufwand ist also sehr hoch, der Ertrag gering. Hinzu kommt, dass EoR mit Sitz außerhalb der EU/EWR keine deutsche Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis erteilt werden kann.
3. Consultancy
Zu erwarten ist ein Rückzug auf die zweite Verteidigungslinie, den sachlichen Anwendungsbereich (s.o. bei II). Künftig wird darauf geachtet werden, dass das Talent beim deutschen Kunden weder organisatorisch eingegliedert ist, noch Weisungen von ihm empfängt, um die Vertragsbeziehung zwischen EoR und Talent als Werk- oder Dienstvertrag ausgestalten zu können. Obgleich auch diese Gestaltung den Interessen der Parteien nicht entspricht, kommt sie ihr einigermaßen nahe und ist gestaltbar. Besonderes Augenmerk wird hierbei darauf zu legen sein, das Risiko einer Scheinselbständigkeit nach der Rechtsordnung des Wohnsitzstaates des Arbeitnehmers (sofern dies dort relevant ist) auszuschließen.
VI. Fazit
Die Klarstellung zum Geltungsbereich in den FW n.F. scheint den arbeitsmarktpolitischen Zweck zu verfolgen, deutsche Unternehmen zu incentivieren und ihre Nachfrage nach Arbeitskräften im Inland zu bedienen. Dass dies angesichts des vielbeklagten Fachkräftemangels überwiegend nicht möglich ist, wird übersehen. Protektionismus hinsichtlich des lokalen Arbeitsmarktes kann selbstredend ein legitimes Regulierungsziel sein, allerdings überschreitet die Exekutive ihre Kompetenzen, wenn sie rechtsgestaltend tätig wird. Diese Entscheidung obliegt dem Gesetzgeber. Soweit die Klarstellung dem Schutz der (Leih-) Arbeitnehmer zu dienen bestimmt sein soll, erweist sie sich außerdem als Danaergeschenk. Bei EoR-Modellen ist bereits der, vom Gesetzgeber als besonders schutzwürdig anerkannter, Anteil geringqualifizierter Beschäftigter minimal. Hinzukommt, dass die geänderte Verwaltungspraxis die Parteien in ein Consultancy-Modell zwingt.
Die Starre der deutschen Regulierung und ihre Rechtsfolgen sind nicht zeitgemäß und verschlechtern die Standortbedingungen. Unternehmen, die zur Verwirklichung ihres arbeitstechnischen Zwecks an keinen Standort gebunden sind, insbesondere in dynamischen Branchen wie der IT oder der Start-up Szene, werden den deutschen Markt ggf. grundsätzlich meiden, wenn ihnen marktliberalere Alternativen zur Verfügung stehen.
In dem Versuch, mit der Realität einer digitalisierten Arbeitswelt umzugehen, hat die BAA ihren Verlustängsten bezüglich der eigenen Regulierungskompetenz nachgegeben und so leider die Chance verpasst, zeitgemäß für Rechtssicherheit zu sorgen. Ob ein Gericht oder der Gesetzgeber korrigierend eingreifen wird, bleibt abzuwarten.
Dr. Anna Franziska Hauer ist spezialisiert auf Arbeitnehmerüberlassung, internationale Arbeitnehmerentsendung und Ausländerrecht, insbesondere in Bezug auf den Arbeitsmarktzugang ausländischer Mitarbeiter und Führungskräfte.