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Keine Nachholung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens bei Verwendung von Vorrats-SE

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Grundsätzlich sind Arbeitnehmer bei Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea; „SE“) zu beteiligen (hierzu unser Blogbeitrag: „Beteiligung der Arbeitnehmer bei der Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea; „SE“).

Beschäftigen die Gründungsgesellschaften jedoch keine Arbeitnehmer und haben sie auch keine Tochtergesellschaften, in denen Arbeitnehmer in der EU/dem EWR beschäftigt sind, besteht Einigkeit darüber, dass bei der Gründung kein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren durchzuführen ist. In diesen Fällen kann eine SE z.B. als Vorrats-SE auch ohne Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren im Handelsregister eingetragen werden.

Nicht abschließend gerichtlich entschieden war jedoch bislang, was passiert, wenn die SE nach ihrer Gründung und Eintragung dann entweder Arbeitnehmer einstellt oder Gesellschafterin von Tochtergesellschaften wird, in denen Arbeitnehmer in der EU/dem EWR beschäftigt sind. In der Praxis wurde hier vielfach infolge der sogenannten „Aktivierung“ der SE ein nachgelagertes Beteiligungsverfahren verlangt und durchgeführt. 

Dieser Frage ist nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 16. Mai 2024 (Az.: C-706/22) nachgegangen, nachdem das Bundesarbeitsgericht („BAG“) mit Beschluss vom 17. Mai 2022 – 1 ABR 37/20 (A) ein Verfahren ausgesetzt und den EuGH angerufen hatte.

Der EuGH lehnt eine Pflicht zur Nachholung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens grundsätzlich ab, sofern kein Missbrauch vorliegt.

Doch der Reihe nach. Was war konkret in dem vom EuGH zu entscheidenden Fall geschehen?

Hintergrund

Der Entscheidung des EUGH ging ein Vorlagebeschluss des BAG vom 17. Mai 2022 – 1 ABR 37/20 (A)  voraus. 

Gegenstand des Ausgangsverfahrens war, dass im Jahr 2013 eine Holding SE („O Holding SE“) als Vorrats-SE durch eine britische Limited („O Ltd.“) und deutsche GmbH („O GmbH“) nach englischem Recht gegründet wurde. Die beteiligten Gesellschaften beschäftigten keine Arbeitnehmer und hatten auch keine Tochtergesellschaften in der EU/dem EWR. Vor der Eintragung der Holding SE wurde daher kein Verhandlungsverfahren über eine Arbeitnehmerbeteiligung durchgeführt.

In der Folge wurde die Holding-SE alleinige Gesellschafterin der deutschen O-Holding GmbH, in der 816 Arbeitnehmer beschäftigt waren und ein drittelparitätisch nach dem DrittelbG besetzter Aufsichtsrat bestand. Die O Holding GmbH hatte mehrere Tochtergesellschaften im In- und Ausland mit ca. 2.200 Arbeitnehmern. Die O-Holding GmbH wurde dann in eine KG („O KG“) umgewandelt, deren Komplementärin eine arbeitnehmerleere Tochter-SE der O Holding SE („O Management SE“) wurde. Die O Holding SE wurde Kommanditistin der O KG und verlegte in der Folge den Sitz nach Deutschland. Der Aufsichtsrat bei der O KG entfiel, weil die KG nicht der Mitbestimmung nach dem DrittelbG unterliegt. Das Konzerngefüge lässt sich nach den Umstrukturierungen vereinfacht wie folgt darstellen: 

Der Konzernbetriebsrat der KG machte nun geltend, die Leitung der Holding SE sei verpflichtet, die Bildung eines besonderen Verhandlungsgremiums einzuleiten. Die Verhandlung einer Beteiligungsvereinbarung sei nach der Aktivierung nachzuholen, da die Holding SE inzwischen in mehreren Mitgliedstaaten über Arbeitnehmer beschäftigende Tochtergesellschaften verfügte.

Die Vorinstanzen (ArbG und LAG Hamburg) wiesen den Antrag ab.

Maßgebliche Vorlagefrage an den EuGH

Das BAG setzte das Verfahren mit Beschluss vom 17. Mai 2022 – 1 ABR 37/20 (A) aus und legte die Sache dem EuGH vor. Das BAG begründete den Antrag im Wesentlichen wie folgt: 

Art. 12 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 (SE-VO) in Verbindung mit Art. 3 bis 7 der Richtlinie 2001/86/EG (SE-RL) regelten zwar nicht ausdrücklich, dass das Verhandlungsverfahren zur Beteiligung der Arbeitnehmer nachzuholen sei, wenn es zuvor nicht durchgeführt worden ist. Nach Ansicht des BAG gehe die Verordnung und Richtlinie von dem Grundsatz aus, dass die an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften oder ihre Tochtergesellschaften eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübten und Arbeitnehmer beschäftigten, so dass bereits bei der Gründung vor der Eintragung der SE ein Verhandlungsverfahren durchgeführt werden könne. 

Das BAG nahm an, die Pflicht zur Nachholung der Verhandlungen könne sich zumindest im Hinblick auf Art. 11 der SE-RL ergeben, falls ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Eintragung der SE und dem Erwerb von Tochtergesellschaften bestehe. Diese Gestaltung könne zu der Annahme Anlass geben, dass es sich um eine missbräuchliche Gestaltung handele, um den Arbeitnehmern ihre Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten.

Im Hinblick auf die vorliegende Nutzung einer Vorrats-SE ohne Beteiligungsvereinbarung legte das BAG dem EuGH die Frage vor, 

ob im Fall der Gründung einer Holding-SE, bei der keine der beteiligten Gesellschaften oder keine von deren Tochtergesellschaften Arbeitnehmer beschäftigt habe, der mit den Art. 3 bis 7 der Richtlinie 2001/86 verfolgte Zweck es erfordere, das Verhandlungsverfahren zur Beteiligung der Arbeitnehmer nachzuholen, wenn die Holding-SE zu einem Unternehmen werde, das die Kontrolle über Tochtergesellschaften ausübe, die Arbeitnehmer in mehreren Mitgliedstaaten beschäftigten.

Entscheidung und Begründung des EuGH

Der EuGH schließt sich in seiner Entscheidung vom 16. Mai 2024 den Schlussanträgen und der Begründung des Generalanwalts vom 7. Dezember 2023 an und lehnt eine Neuverhandlungspflicht für eine zunächst als Vorratsgesellschaft gegründete SE für den Fall ab, dass die Vorrats-SE nach Gründung Gesellschafterin von Tochtergesellschaften mit Arbeitnehmern wird.

Der EuGH betont in der Entscheidung, dass nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und ihre Ziele sowie gegebenenfalls die Entstehungsgeschichte der Vorschrift zu berücksichtigen sind. Der EuGH kommt vor diesem Hintergrund zu folgenden Ergebnissen:

1. Aus dem Wortlaut von Art. 12 Abs. 2 der SE-VO in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 bis 3 der SE-RL ergebe sich, dass das Verhandlungsverfahren über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE im Allgemeinen bei der Gründung der SE vor der Eintragung der SE in das Handelsregister durchgeführt werden muss. Diese Bestimmungen seien dem Wortlaut nach auf eine bereits gegründete SE nicht anwendbar, wenn die an ihrer Gründung beteiligten Gesellschaften bei Gründung keine Arbeitnehmer beschäftigten; denn vor der Eintragung der SE sei in diesem Fall keine Verhandlungen über die Arbeitnehmerbeteiligung möglich.

2. Die SE-RL sehe lediglich in drei Fallgestaltungen eine Wiederaufnahme vor, nämlich

  • frühestens zwei Jahre nach Abbruch- oder Nichtaufnahmebeschluss des besonderen Verhandlungsgremiums; 
  • bei entsprechender Vereinbarung in der Beteiligungsvereinbarung oder 
  • auf Beschluss des SE-Betriebsrats kraft Gesetzes vier Jahre nach ergebnislosem Abschluss der Verhandlungen.

Alle drei Fallgestaltungen setzen aber voraus, dass ein besonderes Verhandlungsgremium bei der Gründung der SE eingesetzt wurde. Die Konstellation der Gründung einer arbeitnehmerlosen Vorrats-SE ohne ein vorheriges Beteiligungsverfahren sei aber von keiner der drei in der SE-RL genannten Fallgestaltungen erfasst. Somit verlange der Wortlaut der SE-RL in einem solchen Fall nicht die Nachholung des Verhandlungsverfahrens über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer bereits gegründeten SE.

3. Aus dem 21. Erwägungsgrund der SE-VO sowie den Erwägungsgründen 6 bis 8 der SE-RL ergebe sich, dass sowohl die Aufrechterhaltung der Arbeitnehmer-Beteiligungsrechte als auch das Verhandlungsverfahren über die Arbeitnehmerbeteiligung an den Zeitpunkt der Gründung einer SE anknüpfe. Aus den Erwägungsgründen ergebe sich mithin keine Nachholung eines bei Gründung nicht durchzuführenden Beteiligungsverfahrens bei einer bereits gegründeten SE. 

4. Auch die Entstehungsgeschichte der SE-RL spreche gegen eine Nachholungspflicht. Die Unmöglichkeit der nachträglichen Aufnahme von Verhandlungen sei gerade nicht auf ein Versehen des Unionsgesetzgebers bei der Ausarbeitung der SE-RL zurückzuführen. Vielmehr ergebe sich aus dem sogenannten „Vorher-Nachher-Prinzip“ (Sicherung des Status Quo der Beteilung bei der Gründung der SE, die gegen Änderungen grundsätzlich immun ist), dass dem eine bewusste Gesetzgebungsentscheidung zugrunde liege, die einen Kompromiss zwischen den seinerzeit eingeflossenen Interessen darstelle. 

Vor diesem Hintergrund kommt der EuGH in der Entscheidung zu dem Ergebnis, dass in der vorliegenden Gestaltung kein Verhandlungsverfahren nachzuholen sei. 

Allerdings nimmt der EuGH sodann dazu Stellung, ob sich, wie in der Vorlagefrage angedeutet, eine Verpflichtung zur späteren Einleitung des Beteiligungsverfahrens innerhalb einer bereits gegründeten SE in Missbrauchsfällen ergeben könnte. Aus Art. 11 SE-RL ergebe sich, dass die Mitgliedstaaten im Einklang mit den unionsrechtlichen Vorschriften geeignete Maßnahmen treffen müssen, „um zu verhindern, dass eine SE dazu missbraucht wird, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten“. Art. 11 der SE-RL, der in Deutschland durch § 43 SEBG umgesetzt wurde, überlasse es aber den Mitgliedstaaten, mit welchen geeigneten Maßnahmen ein Missbrauch vermieden werden solle. Eine Verpflichtung zur späteren Einleitung eines Verhandlungsverfahrens ergebe sich daraus in dem Vorlagefall nicht. Zudem könne von einem Missbrauch i.S.d. Art. 11 SE-RL nur ausgegangen werden, wenn objektiv trotz formaler Einhaltung der in der Unionsregelung vorgesehenen Bedingungen das Ziel dieser Regelung (hier Wahrung der Beteiligungsrechte) nicht erreicht werde, und subjektiv der Anwender die Absicht verfolge, sich einen aus der Unionsregelung resultierenden Vorteil zu verschaffen, indem er die Voraussetzungen dafür künstlich geschaffen habe.

In der Folge nahm das Gericht zudem an, dass die vom BAG für den Fall der Pflicht einer nachträglichen Verhandlung gestellten Fragen zu konkreten Modalitäten der Durchführung eines Beteiligungsverfahrens nicht zu beantworten waren.

Bewertung der Entscheidung / offene Fragen / Auswirkungen auf die Praxis

Die Entscheidung, die insbesondere nach den Schlussanträgen des Generalanwalts mit Spannung erwartet wurde, überzeugt in ihrer Begründung, wenngleich sie einen Bruch mit der vielfach auch in der SE-rechtlichen Literatur geforderten nachgelagerten Verhandlungspflicht bei der Aktivierung von Vorrats-SE darstellt. Grundsätzlich wird man in Zukunft davon ausgehen können, dass ein Verhandlungsverfahren in vielen Fällen der Aktivierung einer Vorrats-SE mit dieser Begründung nicht durchzuführen ist. 

Gleichwohl ergeben sich aus der Entscheidung einige, auch in der Praxis interessante Folgefragen: 

1. Auch wenn in der entschiedenen Fallgestaltung kein Missbrauchsfall anzunehmen ist, stellt sich die Frage, wann in anderen Konstellationen ein Missbrauch vorliegen kann. 

Allein die Gründung einer SE vor dem Überschreiten der für eine Mitbestimmung relevanten Schwellenwerte dürfte dafür wohl nicht reichen; dies ist bei der „normalen“ Gründung bereits allgemein anerkannt, so dass auch die Nutzung einer Vorrats-SE daran nichts ändern wird. Rechtlich ohne weiteres bestehende Gestaltungsmöglichkeiten sind kein Missbrauch, wenn sie auch politisch unerwünscht sein mögen. 

Entscheidend für die Annahme eines Missbrauchs ist die „künstliche Schaffung“ der Voraussetzungen der Umstände, durch die das Ziel der Wahrung der Beteiligungsrechte verhindert wird. Dies kann aber nur der Fall sein, wenn sich bei den entsprechenden Aktivierungsvorgängen der Vorrats-SE ein in der Gestaltung immanentes Risiko für die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer verwirklicht, das den Arbeitnehmern andernfalls (also in anderen Gründungsvarianten oder der Nutzung vergleichbarer Gestaltungsmöglichkeiten) nicht gedroht hätte. 

Daraus ergibt sich, dass ein Missbrauch nur in seltenen Fällen anzunehmen ist:

  • Im vom EuGH entschiedenen Fall der Umwandlung der mitbestimmten Gesellschaft in eine KG und der Einführung einer nicht mitbestimmten Holding-SE wären auch andere Gestaltungen denkbar gewesen, bei denen unter Nutzung anderer Rechtformen die Unternehmensmitbestimmung entfallen wäre. 
  • Gleiches gilt auch in anderen Konstellationen, z.B. bei der erstmaligen „Befüllung“ einer Vorrats-SE mit operativem Geschäft und der Übernahme von Arbeitnehmern durch Betriebsübergang; auch hier wären die Arbeitnehmer bei der Nutzung anderer Rechtsformen oder einer zunächst nicht mitbestimmten SE nicht vor Nachteilen bei der Beteiligung geschützt, so dass sich kein in der Vorrats-SE immanentes Risiko verwirklicht. Bei der Wahl der SE-Gründungsvariante ist die Leitung frei.
  • Gleiches gilt z.B. in Anwachsungsfällen, in denen operativer Geschäftsbetrieb der SE anwächst. Wenn im vom EuGH entschiedenen Fall z.B. die O Management SE aus der KG austreten würde, würde der Geschäftsbetrieb der O Holding SE anwachsen, ohne dass neu zu verhandeln wäre. Auch im Rahmen des § 18 Abs. 3 SEBG ist insoweit anerkannt, dass die Anwachsung des Geschäftsbetriebs nicht zu einer Nachverhandlungspflicht führt. 
  • Anders ist dagegen der Fall gelagert, in dem ein mitbestimmtes Unternehmen auf die Vorrats-SE verschmolzen wird; dies aber nicht wegen eines anzunehmenden Missbrauchs, sondern wegen des Vorliegens einer wesentlichen strukturellen Änderung, die zur Minderung von Beteiligungsrechten führen kann, so dass nach § 18 Abs. 3 SEBG (und in der Vorrats-SE erstmals) zu verhandeln ist. 

2. Unklar ist ferner weiterhin, was – sollte man einen seltenen Fall des Missbrauchs durch Nutzung einer Vorrats-SE annehmen – Rechtsfolge des Missbrauchs im Einzelnen ist. Zunächst droht hier eine strafrechtliche Verfolgung gem. § 45 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 43 SEBG. Ob die Umsetzung der unternehmerischen Planung darüber hinaus nichtig ist, ein Unterlassungsanspruch der Arbeitnehmervertretungen bestehen kann oder aber das Registergericht ggf. die Eintragung von eintragungspflichtigen Maßnahmen verweigern kann, ist im Einzelnen umstritten. Dies zu klären wird Aufgabe der Gerichte sein, wenn einer der seltenen Fälle eines Missbrauchs anzunehmen ist. 

3. Unklar ist ferner, ob die Leitungen bei einer Aktivierung der Vorrats-SE zukünftig dennoch freiwillig eine Beteiligungsvereinbarung mit einem besonderen Verhandlungsgremium abschließen können und welche Rechtsqualität diese hat bzw. welche Auswirkungen das EuGH-Urteil vom 16. Mai 2024 auf bestehende Vereinbarungen hat, die bei Aktivierungen von Vorrats-SEs in der Vergangenheit ausgehandelt wurden.

  • Den Rang einer das Mitbestimmungsstatut nach § 21 SEBG gesetzlich zwingend regelnden Vereinbarung dürften diese Regelungen nicht haben. Es ist nicht auszuschließen, dass in diesen Konstellationen davon auszugehen ist, dass daher die Regelung eines Aufsichts- oder Verwaltungsrats und dessen Besetzung allein den Gesellschaftern bei Abfassung der Satzung vorbehalten ist. Eine Beteiligungsvereinbarung würde dann insoweit keine Wirksamkeit entfalten, was u.U. zur fehlerhaften Besetzung des Aufsichts- oder Verwaltungsrats und schlimmstenfalls zur Unwirksamkeit von gefassten Beschlüssen führen kann.
  • Ob ein aufgrund einer freiwilligen Vereinbarung dann gegründeter SE-Betriebsrat im Amt bleiben kann, ist ebenfalls nicht abschließend geklärt. Gesetzlich zwingend ist dies nicht, wenngleich der Arbeitgeber in seiner Vertragsfreiheit aber nicht gehindert wäre, freiwillig ein entsprechendes Gremium zu bilden. Ein SE-Betriebsrat kraft Gesetzes kann dagegen mangels wirksam durchgeführten Verfahrens u.U. nicht gewählt werden. 

4. Weiter stellt sich auch die Frage, ob durch die Nutzung einer Vorrats-SE auch die Gründung eines Gremiums zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in grenzübergreifenden Angelegenheiten dauerhaft verhindert werden kann. Ein SE-Betriebsrat ist ohne Beteiligungsverfahren nicht zu gründen. Die Bildung eines Europäischen Betriebsrats nach dem EBRG scheidet aber nach § 47 Abs. 1 SEBG ggf. ebenfalls aus. Dieses Argument scheint der einzige Schwachpunkt in der Argumentation des EuGH zu sein, weil er offenbar auf die Unterrichtung und Anhörung nicht sein Hauptaugenmerk gelegt hat. 

5. Politisch wird die Entscheidung die auch im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition verankerte Diskussion um den „Missbrauch“ von ausländischen Gesellschaften und der SE zur Vermeidung der Unternehmensmitbestimmung verschärfen. Fraglich erscheint jedoch insoweit, ob aufgrund der Herleitung der Argumentation insbesondere aus dem europarechtlichen Grundsatz des „Vorher-Nachher-Prinzips“ der nationale Gesetzgeber gehindert ist, in den vorgenannten Konstellationen eine Verhandlungspflicht nationalgesetzlich überschießend einzuführen. Gegen eine solche nationale Regelung scheinen – nicht zuletzt wegen der Auswirkungen auch auf Arbeitgeber in andern Mitgliedstaaten – erhebliche europarechtliche Bedenken zu sprechen.

Jan Rudolph

Jan Rudolph ist spezialisiert auf die Vertretung von Unternehmen in Führungskräfte-Angelegenheiten, der Beratung in betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten, Restrukturierungen und Compliance.

Johannes Wicklerer
Johannes Wickler

Johannes Wickler ist spezialisiert auf betriebliche Altersversorgung, SE-Gründungen, Mitbestimmungsmanagement, die Gestaltung von Arbeitsverträgen, Auflösungsvereinbarungen sowie auf Unternehmensumstrukturierungen.

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