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Christine Wahlig (Rechtsanwältin – Redaktionelle Leitung Blog) & Alice Tanke (Marketing Managerin)

Inside Workplace Law

Rentenbezug ist bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen

Der Rentner muss gehen, die junge Mutter darf bleiben – Sozialpolitische Bewertungen des Auswahlkriteriums „Lebensalter“.

Zwei Maenner laufen mit Aktenkoffer auf Pfeilen

Neues aus der Practice Group Restructuring

Bei der im Falle einer betriebsbedingten Kündigung nach § 1 Abs. 3 KSchG durchzuführenden Sozialauswahl ist unter anderem das Lebensalter zu berücksichtigen. Bisher konnte die Schutzbedürftigkeit linear mit dem Alter ansteigen, diesem Anstieg hat das BAG mit seiner Entscheidung vom 27. April 2017 (Az. 2 AZR 67/17) nun ein Ende gesetzt.

Der 66-jährige Kläger arbeitete seit mehr als 30 Jahren als Jurist bei dem beklagten Arbeitgeberverband. Zusammen mit fünf weiteren Kollegen war er für die Durchführung von Prozessen und die Beratung der Mitgliedsunternehmen zuständig. Mit dem Rückgang der Gerichtsverfahren, entfiel der Beschäftigungsbedarf für einen Juristen. Dem Kläger wurde daraufhin gekündigt. Unter den anderen fünf Juristen befand sich eine knapp 35-jährige verheiratete Mutter eines Kindes, die erst seit sechs Jahren bei dem Beklagten tätig war.

Das BAG erklärte, anders als noch die Vorinstanzen, die durchgeführte Sozialauswahl für ordnungsgemäß. Der Kläger sei hinsichtlich des Auswahlkriteriums „Lebensalter“ aufgrund des Bezugs der Regelaltersrente als deutlich weniger schutzbedürftig anzusehen als die vergleichbare junge Mutter. Mit dem Merkmal „Lebensalter“ habe der Gesetzgeber die Vermittlungschancen eines Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigen wollen, die mit steigendem Alter typischerweise schlechter ausfallen. Dieser Schutz sei bei einem Arbeitnehmer der bereits Rente beziehe nicht mehr notwendig, da dieser damit über ein dauerhaftes „Ersatzeinkommen“ verfüge. Der Kläger war damit im Ergebnis im Vergleich zu seinen Kollegen am wenigsten auf das Arbeitsverhältnis angewiesen.

Die Begründung des BAG ist bei der heutigen Rentnergeneration, die nach dem aktuellen Alterssicherungsbericht der Bundesregierung überwiegend gut versorgt ist, nachvollziehbar. Dem zu erwartenden Einwand, dass die Rente die Funktion eines „Ersatzeinkommens“ zukünftig immer weniger erfüllen werde, hält das BAG schon jetzt zu Recht entgegen, dass den betroffenen Rentnern im Rahmen der Sozialauswahl weitere drei Auswahlkriterien verbleiben, die ihre Schutzbedürftigkeit begründen können. Auch hat der EuGH in der Sache Hörnfeldt (C-141/11) bereits 2012 im Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei Rentenbezug darauf verwiesen, dass es auf die konkrete Höhe der Rente nicht ankomme.

Das Urteil des BAG bezieht sich ausdrücklich nur auf den Fall eines Rentners, der bereits Rente bezieht. Es spricht aber einiges dafür, dass auch Arbeitnehmer, die kurz vor der Rente stehen, im Vergleich zu jüngeren Arbeitnehmern als weniger schutzbedürftig angesehen werden können.

Alter ist ein relatives Kriterium: Entscheidend für die Sozialauswahl ist die altersbezogene soziale Schutzbedürftigkeit. Dies kann in Zeiten des demographischen Wandels dazu führen, dass ältere, sozial abgesicherte Arbeitnehmer weniger schutzbedürftig sind als jüngere Beschäftigte, deren Beschäftigungsaussichten am Arbeitsmarkt eher schlecht sind. Die weitere Entwicklung der Rechtsprechung ist mit Spannung zu erwarten, der erste Schritt ist gemacht.

Unsere Practice Group Restructuring berät Sie sehr gerne zu diesem Thema.

Thomas Wahlig

Thomas Wahlig ist spezialisiert auf Unternehmenskäufe und –restrukturierungen, Betriebsübergangsrecht, Tarifrecht, komplexe Gerichtsverfahren sowie auf die Einführung von Arbeitszeitmodellen und Vergütungssystemen.

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