Ein neues (Urlaubs-)Jahr hat begonnen – Zeit sich wieder einmal mit dem Thema Urlaub und den Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebenden zu beschäftigen. Der nachfolgende Beitrag setzt sich im Besonderen mit dem Verfall von Urlaubsansprüchen langzeiterkrankter Beschäftigter unter Berücksichtigung der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebenden auseinander. Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu in den letzten Jahren verschiedene Grundsätze herausgearbeitet.
Verfall von Urlaubsansprüchen für einen Bezugszeitraum, in dem der Beschäftigte krankheitsbedingt nicht gearbeitet hat
Bereits in seiner Entscheidung vom 20. Dezember 2022 (Az. 9 AZR 245/19 – wir berichteten auf dem Blog) stellte das Bundesarbeitsgericht auf der Grundlage der Entscheidung des EuGH vom 22. September 2022 (C-518/20 und C-727/20) für den Verfall von Urlaubsansprüchen von langzeiterkrankten Beschäftigten folgendes fest:
War der langzeiterkrankte Beschäftigte durchgehend seit Beginn des Bezugszeitraums bis zum Ablauf von 15 Monaten nach Ende des Bezugszeitraums arbeitsunfähig oder voll erwerbsgemindert, verfällt der Urlaubsanspruch für den jeweiligen Bezugszeitraum nach Ablauf von 15 Monaten. In dieser Konstellation kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgebende seiner Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen ist. Begründet wird dies damit, dass allein die Arbeitsunfähigkeit des Beschäftigten ursächlich für den Verfall des Urlaubs ist. Es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob der Arbeitgebende den Beschäftigten durch Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheit in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen, denn der Beschäftigte kann aufgrund seiner dauerhaften Erkrankung gerade nicht frei darüber entscheiden, ob er seinen Urlaub nimmt.
Verfall von Urlaubsansprüchen für einen Bezugszeitraum, in dessen Verlauf der Beschäftigte tatsächlich gearbeitet hat
Arbeitet der Beschäftigte innerhalb des Bezugszeitraums, für den er den Urlaubsanspruch erworben hat, bevor er langzeiterkrankt, verfällt der Urlaubsanspruch bei richtlinienkonformer Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG nach Ablauf von 15 Monaten nach Ende des Bezugszeitraums nur, wenn der Arbeitgebende seiner Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen ist. Ist dies nicht der Fall, tritt der am 31. Dezember noch nicht verfallene Urlaub am 01. Januar zu dem Urlaubsanspruch des Folgejahres hinzu. Für diesen Urlaubsanspruch gelten wiederum die Regelungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 und 3 BUrlG.
Der Arbeitgebende kann einem uneingeschränkten Aufsummieren von Urlaubsansprüchen dadurch entgegenwirken, dass er seiner Mitwirkungsobliegenheit auch für den Urlaub aus vergangenen Bezugszeiträumen nachkommt. Hiermit setzt er die Voraussetzung dafür, dass die Fristenregelung für den Verfall des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 1 Satz 1 und 3 BUrlG eingreift und der Urlaubsanspruch nach Ablauf des Übertragungszeitraums verfällt.
Verfall von Urlaubsansprüchen für einen Bezugszeitraum, zu dessen Beginn der Beschäftigte arbeitsunfähig erkrankt ist
Eine besondere Konstellation liegt vor, wenn der Beschäftigte so früh im Urlaubsjahr arbeitsunfähig erkrankt, dass es dem Arbeitgebenden tatsächlich nicht möglich war, seine Mitwirkungsobliegenheit zu erfüllen. In diesem Fall verfällt der Urlaubsanspruch bei fortdauernder Erkrankung des Beschäftigten ebenfalls mit Ablauf des 15-monatigen Übertragungszeitraums.
Grundsätzlich hat der Arbeitgebende ab Entstehen des vollen Urlaubsanspruchs – grundsätzlich am 01. Januar eines Kalenderjahres – seine Mitwirkungsobliegenheit gegenüber den Beschäftigten unverzüglich – d. h. ohne schuldhaftes Zögern – zu erfüllen. Hierbei ist ihm jedoch eine gewisse Zeit für die Vorbereitung und Durchführung der Mitwirkungsobliegenheit zuzugestehen. Welche Zeitspanne hierfür angemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Unter normalen Umständen ist von einer Zeitspanne von einer Woche auszugehen. Besondere Umstände, wie z. B. Betriebsferien zu Beginn des Kalenderjahres, können jedoch dazu führen, dass auch von einer Unverzüglichkeit auszugehen ist, wenn der Arbeitgebende seine Mitwirkungsobliegenheit später als eine Woche nach Entstehung des Urlaubsanspruchs erfüllt. Erst nach Ablauf der dem Arbeitgebenden zuzubilligenden Zeitspanne zur Vorbereitung und Durchführung der Mitwirkungsobliegenheit geht das Risiko, dass Urlaubsansprüche wegen einer Langzeiterkrankung (nicht) verfallen, auf den Arbeitgebenden über.
Zudem kann ein Urlaubsanspruch nur in dem Umfang erhalten bleiben, in dem der Beschäftigte ihn bis zum Eintritt seiner dauerhaften Arbeitsunfähigkeit tatsächlich hätte in Anspruch nehmen können.
Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu beispielhaft folgenden Fall entschieden (Urteil vom 31.01.2023 – 9 AZR 107/20):
Der Klägerin standen pro Urlaubsjahr 30 Urlaubstage zu. Sie war ab dem 18. Januar 2016 durchgängig arbeitsunfähig erkrankt bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 28. Februar 2019. Der Arbeitgebende war seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht nachgekommen. Zuletzt stand noch der Resturlaub für das Urlaubsjahr 2016 in Streit. Das Bundesarbeitsgericht führte hierzu aus, dass der Arbeitgebende seine Mitwirkungsobliegenheit gegenüber der Klägerin unter normalen Umständen nicht vor dem 08. Januar 2016 (fünf Arbeitstage) hätte erfüllen müssen. Diese Zeit sei dem Arbeitgebenden zur Vorbereitung und Durchführung seiner Mitwirkungsobliegenheit zuzubilligen gewesen. Bis zum Beginn der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit lagen dann nur noch fünf weitere Arbeitstage, für die Urlaub hätte gewährt und genommen werden können und die bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätten abgegolten werden müssen.
Tariflicher bzw. vertraglicher Mehrurlaub
Diese vorgenannten Grundsätze zur Mitwirkungsobliegenheit gelten auch für den tariflichen bzw. vertraglichen Mehrurlaub, soweit keine von den Vorgaben des Bundesurlaubsgesetzes abweichenden Regelungen getroffen wurden. Durch Tarifvertrag bzw. Arbeitsvertrag können jedoch eigenständige Regelungen zur Befristung der Übertragung bzw. zum Verfall des Anspruchs auf den Mehrurlaub getroffen werden. Zudem ist es auch möglich, für den Mehrurlaub abweichende Regelungen zur Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebenden zu treffen (BAG, Urteil vom 20.12.2022 – 9 AZR 401/19, Rn. 24). Für einen vom Bundesurlaubsgesetz abweichenden Regelungswillen der Vertragsparteien im Hinblick auf den Mehrurlaub müssen allerdings deutliche Anhaltspunkte vorliegen.
Fazit
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist nun der Verfall von Urlaubsansprüchen langzeiterkrankter Beschäftigter in Abhängigkeit von der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebenden umfassend geklärt. Arbeitgebende sind gut beraten, ihre Mitwirkungsobliegenheit zu erfüllen, um insbesondere bei langzeiterkrankten Beschäftigten ein Aufsummieren von Urlaubsansprüchen zu vermeiden. Unseren Praxisleitfaden für Arbeitgebende in Bezug auf die Mitwirkungsobliegenheit finden Sie hier: https://pwwl.de/verfall-von-urlaubsanspruechen-ein-praxisleitfaden-fuer-arbeitgeber/.
Zudem wurde vom Bundesarbeitsgericht auch deutlich gemacht, dass diese Grundsätze für tariflichen bzw. vertraglichen Mehrurlaub nicht gelten müssen. Es steht den Parteien vielmehr frei, abweichende Regelungen – sowohl zur Befristung der Übertragung bzw. zum Verfall des Urlaubsanspruchs als auch zur Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebenden – zu treffen.