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Christine Wahlig (Rechtsanwältin – Redaktionelle Leitung Blog) & Alice Tanke (Marketing Managerin)

Inside Workplace Law

Stärkung der Gewerkschaftsbeteiligung in der SE

Personen in Gespraechssituation mit Dokumenten und roemischen Saeulen

Am 18.10.2022 hat der Europäische Gerichtshof eine wichtige Entscheidung im SE-Recht getroffen, die erhebliche Auswirkungen auf Gestaltungsmöglichkeiten zum mitbestimmten Aufsichtsrat in Beteiligungsvereinbarungen Europäischer Gesellschaften (SE) hat (EuGH, Urteil vom 18.10.2022 – C 667/20).

Bei einer formwechselnden Umwandlung soll demnach auch die Pflicht zur Besetzung von Sitzen mit Gewerkschaftsvertretern und das Erfordernis eines gesonderten Wahl-/Bestellungsverfahrens für Gewerkschaftsvertreter aufrechterhalten und auf alle Mitgliedstaaten ausgeweitet werden.

Ausgangfall: Beteiligungsvereinbarung der SAP SE

In der Sache ging es um die Wirksamkeit der Beteiligungsvereinbarung der SAP SE, die vor der formwechselnden Umwandlung in eine SE nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) paritätisch mitbestimmt war. Zwei der insgesamt acht Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat waren vor der Umwandlung auf Gewerkschaftsvorschlag in einem gesonderten Verfahren zu wählen. Die Beteiligungsvereinbarung der SAP SE sieht die Möglichkeit der Einrichtung eines verkleinerten Aufsichtsrats vor, in den bei Besetzung der Arbeitnehmersitze zwar Gewerkschaftsvertreter gewählt werden können, wofür aber kein gesonderter Wahl- oder Bestellungsakt vorgesehen ist. Gegen diese Regelung sind die Gewerkschaften IG Metall und ver.di vorgegangen, weil sie der Ansicht sind, dass im Falle der formwechselnden Umwandlung in der Beteiligungsvereinbarung auch ein gesondertes Verfahren für die Wahl von Gewerkschaftsvertretern in den Aufsichtsrat vorgesehen werden muss.

Die Entscheidung des EuGH

Nachdem die Gewerkschaften zunächst in der ersten und zweiten Instanz erfolglos geblieben waren, hatte das Bundesarbeitsgericht dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob in einer Beteiligungsvereinbarung ein bisher gesetzlich vorgeschriebenes gesondertes Wahlverfahren für Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat auch nach einer formwechselnden Umwandlung zu gewährleisten sei (BAG, Beschluss vom 18.08.2020 – 1 ABR 43/18).

Der EuGH hat am 18.10.2022 über diese Vorlagefrage wie folgt entschieden: Wenn im Falle der formwechselnden Umwandlung vor der Umwandlung Sitze der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat durch Gewerkschaftsvertreter in einem gesonderten Verfahren zu besetzen waren, muss die Beteiligungsvereinbarung zwingend (a) Gewerkschaftssitze im Aufsichtsrat, (b) ein gesondertes Verfahren für die Wahl der Gewerkschaftsvertreter und (c) ein Vorschlagsrecht für alle in der SE und den Tochtergesellschaften der SE vertretenen Gewerkschaften im In- und Ausland vorsehen. 

Begründet wird diese Ansicht damit, dass sich – entgegen der bisher vorherrschenden Meinung in der Literatur – die in Art. 4 Abs. 4 RL 2001/86/EG (SE-RL) und in § 21 Abs. 6 SEBG vorgesehene Garantie der Aufrechterhaltung „alle[r] Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung“ im Falle der formwechselnden Umwandlung nicht nur auf die Gewährung von Arbeitnehmersitzen im Aufsichtsrat der SE beschränke, sondern auch wie im vorliegenden Fall weitere Elemente wie die Beteiligung der Gewerkschaften bei der Unternehmensmitbestimmung durch Wahl in einem gesonderten Verfahren umfasse. Zugleich hält der EuGH konsequent daran fest, dass sich etwaige Vorschlagsrechte nicht nur auf die Gewerkschaften des Sitzstaates beschränken dürfen. Vielmehr müssen nach Ansicht des Gerichts Vorschlagsrechte im Sinne der Internationalisierung der Arbeitnehmerbeteiligung in der SE allen Gewerkschaften, die im In- und Ausland in der SE oder den Tochtergesellschaften der SE vertreten sind, zugestanden werden.

Auswirkungen in der Praxis

Die Entscheidung kann weitreichende Konsequenzen für Beteiligungsvereinbarungen von Europäischen Aktiengesellschaften haben, die im Wege des Formwechsels gegründet wurden. In der Vergangenheit wurde vielfach davon ausgegangen, dass sich die Garantie der Aufrechterhaltung der Unternehmensmitbestimmung im Falle der formwechselnden Umwandlung in Art. 4 Abs. 4 SE-RL und § 21 Abs. 6 SEBG nur auf die Gewährung von Arbeitnehmersitzen und den Sitzanteil erstreckt. Infolgedessen sehen viele Beteiligungsvereinbarungen keine oder nur eine eingeschränkte Beteiligung von Gewerkschaften bei der Besetzung von Arbeitnehmersitzen im Aufsichtsrat vor. Wenn gesonderte Sitze für Gewerkschaftsvertreter vorgesehen werden, werden diese oftmals nicht in einem gesonderten Verfahren besetzt und zudem die Vorschlagsrechte vielfach auf einzelne Mitgliedstaaten beschränkt. Diese Regeln werden zukünftig als unwirksam anzusehen sein. Konsequent müsste sogar in diesen Fällen davon ausgegangen werden, dass sogar der Rückgriff auf die gesetzliche Auffanglösung in §§ 34 ff. SEBG in der Beteiligungsvereinbarung unzulässig ist, da die gesetzliche Auffangregelung in Übereinstimmung mit der SE-RL keine europaweit in einem gesonderten Verfahren zu besetzenden Gewerkschaftssitze vorsieht.

Zwar ist noch nicht abschließend absehbar, welche Auswirkungen die Unwirksamkeit von einzelnen Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung in einer Beteiligungsvereinbarung auf die Beteiligungsvereinbarung insgesamt haben wird. Eine ergänzende Auslegung der Beteiligungsvereinbarung wird in vielen Fällen nicht in Betracht kommen. Eine Gesamtnichtigkeit der Beteiligungsvereinbarung dürfte (auch im Interesse der Aufrechterhaltung wenigstens der Regelungen zur Information und Anhörung der Arbeitnehmer) ebenfalls nur im Ausnahmefall anzunehmen sein. Anbieten würde sich ggf. bis zu einer Änderung der Beteiligungsvereinbarung ein in der Literatur befürworteter ergänzender Rückgriff auf die gesetzliche Auffanglösung in §§ 34 ff. SEBG für die Unternehmensmitbestimmung. Diese führt aber ebenfalls nicht zu der vom EuGH verlangten Aufrechterhaltung der Gewerkschaftsbeteiligung.

Wie eine etwaige Neuregelung zur Unternehmensmitbestimmung – auch unter Berücksichtigung weiterer Vorgaben in der zu erwartenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Ausgangsfall – auszusehen hat, ist ebenfalls noch nicht abschließend abzusehen. So ist z.B. offen, ob auch die absolute Zahl der Sitze der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat oder auch der Anteil der Sitze für die Gewerkschaftsvertreter im Zuge der SE-Umwandlung aufrechtzuerhalten ist; dagegen sprechen auch weiterhin einige gewichtige Argumente. Zudem ist noch nicht abschließend klar, wie sich die europaweit durchzuführende Besetzung der Gewerkschaftssitze zu der Verteilung der Sitze auf die Mitgliedstaaten verhält. Nach dem Urteil des EuGH spricht insoweit einiges dafür, dass die Gewerkschaftssitze gesondert in einem für alle Mitgliedstaaten durchzuführendem Verfahren zu besetzen sind und nur getrennt davon eine Verteilung der übrigen Sitze auf die Mitgliedstaaten vorgesehen werden darf. 

Betroffene Unternehmen sollten ihre Beteiligungsvereinbarungen prüfen und ggf. zeitnah in einen Dialog mit den zuständigen Arbeitnehmervertretungen (dies ist in der Regel der SE-Betriebsrat) über eine Anpassung der Beteiligungsvereinbarung treten. Abzuwarten bleibt schließlich auch, ob die Entscheidung im Ergebnis dazu führt, dass z.B. in der oben genannten Konstellation der Umwandlung einer bislang nach dem MitbestG mitbestimmten Gesellschaft zukünftig vermehrt die Umwandlung in eine SE durch eine andere Umwandlungsform erfolgt als den Formwechsel. Denn bei anderen Umwandlungsformen, wie z.B. der grenzüberschreitenden Verschmelzung, bleibt es dabei, dass das besondere Verhandlungsgremium mit den entsprechenden Beschlussmehrheiten auch abweichenden Regelungen zustimmen kann.


Jan Rudolph

Jan Rudolph ist spezialisiert auf die Vertretung von Unternehmen in Führungskräfte-Angelegenheiten, der Beratung in betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten, Restrukturierungen und Compliance.

Meike Christine Rehner

Meike Christine Rehner ist spezialisiert auf internationales und europäisches Arbeitsrecht, Arbeitsschutz- und Arbeitssicherheitsrecht, Unternehmensrestrukturierungen und Kündigungsrechtsstreitigkeiten.

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