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Neues zum Konsultationsverfahren bei Massenentlassung oder: Wie aus der Schwerbehindertenvertretung ein “Betriebsrat” wurde!

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Neues aus der Practice Group Restructuring

Massenentlassungen im Sinne des § 17 KSchG stellen Arbeitgeber unter anderem vor zahlreiche formale Herausforderungen. Auch das sogenannte Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ist Teil des einzuhaltenden Prozederes. Bislang betraf dies jedoch ausschließlich Betriebe, in denen ein Betriebsrat besteht. Nach einer nicht rechtskräftigen Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 11. Juli 2019 – 21 Sa 2100/18 sollen künftig auch andere Arbeitnehmervertretungen, insbesondere die Schwerbehindertenvertretung, in das Konsultationsverfahren einzubeziehen sein. Damit schafft das LAG Berlin-Brandenburg neben der Vielzahl der bereits existierenden Vorgaben, die für eine ordnungsgemäße Vorbereitung und Durchführung einer Massenentlassung und damit für die Wirksamkeit der in diesem Zusammenhang ausgesprochenen Kündigungen zwingend zu berücksichtigen sind, eine weitere Hürde für Arbeitgeber.

Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 17 Abs. 2 KSchG muss der “Betriebsrat” konsultiert werden, wenn der Arbeitgeber anzeigepflichtige Entlassungen beabsichtigt. Mit diesem soll der Arbeitgeber vor Schaffung vollendeter Tatsachen über die Möglichkeiten beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern.

Nach Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg sei unter dem Begriff “Betriebsrat” jedoch jede nach nationalem Recht zu bildende Arbeitnehmervertretung zu verstehen. Zur Begründung dieser Rechtsauffassung zieht das LAG die Regelungen der MERL (RL 98/59/EG – “Massenentlassungsrichtlinie”) heran. Die nationale Regelung des § 17 Abs. 2 KSchG sei unter Berücksichtigung der MERL richtlinienkonform auszulegen. In der MERL sei – im Gegensatz zu § 17 Abs. 2 KSchG- nicht von einem zu konsultierenden Betriebsrat, sondern ganz allgemein von “Arbeitnehmervertretern” die Rede. Aus dieser Formulierung zieht das LAG Berlin-Brandenburg den Rückschluss, dass auch die Schwerbehindertenvertretung als Arbeitnehmervertretung im Sinne des Art. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 lit. b) der MERL und damit als “Betriebsrat” im Sinne des § 17 Abs. 2 KSchG anzusehen sei. Für diese Rechtsauffassung spricht nach Ansicht des LAG Berlin-Brandenburg auch der Zweck der Schwerbehindertenvertretung, die die Interessen der schwerbehinderten Menschen im Betrieb vertreten und diesen – gerade auch im Kontext von Betriebsänderungen und einem Personalabbau – beratend und helfend zur Seite stehen solle. Ferner solle die Schwerbehindertenvertretung der Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie (2000/78/EG) Geltung verschaffen, nach der der Arbeitgeber angemessene Maßnahmen gerade hinsichtlich des Zugangs von Menschen mit Behinderung zur Beschäftigung und der Ausübung des Berufs zu treffen haben. Dies erfordere eine Konsultation der Schwerbehindertenvertretung bei für die Beschäftigungssituation von schwerbehinderten Menschen oder diesen Gleichgestellten so wichtigen Fragen wie dem “ob”, dem “Umfang” und dem “Zeitpunkt” einer Massenentlassung und deren Folgen.

In dem vom LAG Berlin-Brandenburg entschiedenen Fall führte die dargestellte erweiterte Auslegung des § 17 Abs. 2 KSchG zu einer Unwirksamkeit der im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochenen Kündigung (auch) wegen fehlender Konsultation der Schwerbehindertenvertretung. Über den Einzelfall hinaus führt die  Rechtsauffassung des LAG Berlin-Brandenburg in nahezu allen Fällen einer Massenentlassung zu einer auf die Schwerbehindertenvertretung (oder Gesamt-/Konzernschwerbehindertenvertretung) erweiterten Konsultationspflicht nach § 17 Abs. 2 KSchG. Es wird in den seltensten Fällen möglich sein, rechtssicher auszuschließen, dass von einer künftigen Massenentlassung kein schwerbehinderter Mitarbeiter betroffen sein wird – zumal dem Arbeitgeber nicht immer alle bereits anerkannten Schwerbehinderungen bzw. laufenden Antragsverfahren seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekannt sind.

Der Rechtsauffassung des LAG Berlin-Brandenburg ist nicht zuzustimmen. Die vorgenommene Auslegung des § 17 Abs. 2 KSchG geht deutlich über den eindeutigen Gesetzeswortlaut hinaus und verkennt, dass die Interessen der Schwerbehinderten oder diesen Gleichgestellten bereits durch eine Teilnahme der Schwerbehindertenvertretungen an den Sitzungen des Betriebsrats gem. § 178 Abs. 4 SGB IX sowie der Unterrichtung des Betriebsrats über die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, zu denen auch eine etwaige Schwerbehinderung zählt, hinreichend berücksichtigt werden. Die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg verursacht jedoch unabhängig von der Frage ihrer inhaltlichen Richtigkeit Rechtsunsicherheit – jedenfalls bis zu einer Entscheidung des BAG über die anhängige Revision. Bis zur Entscheidung des BAG ist dringend zu empfehlen, im Rahmen des Konsultationsverfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG jedenfalls die Schwerbehindertenvertretung einzubeziehen und gleichermaßen wie den Betriebsrat vollständig zu unterrichten. Unklar ist, ob auch andere Arbeitnehmervertretungen, wie z.B. die Jungend- und Auszubildendenvertretung, konsultiert werden müssen und wie mehrere Konsultationsverfahren in der Praxis miteinander zu koordinieren sind. Es bleibt vor diesem Hintergrund zu hoffen, dass das BAG zeitnah Rechtsklarheit schafft.   

Unsere Practice Group Restructuring berät Sie sehr gerne zu diesem Thema.

Stefanie Götz
Stefanie Götz-Dertinger

Stefanie Götz-Dertinger ist spezialisiert auf Kündigungsrechtsstreitigkeiten, Gestaltung von Arbeitsverträgen und Auflösungsvereinbarungen sowie Restrukturierungen.

Meike Christine Rehner

Meike Christine Rehner ist spezialisiert auf internationales und europäisches Arbeitsrecht, Arbeitsschutz- und Arbeitssicherheitsrecht, Unternehmensrestrukturierungen und Kündigungsrechtsstreitigkeiten.

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