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Christine Wahlig (Rechtsanwältin – Redaktionelle Leitung Blog) & Alice Tanke (Marketing Managerin)

Inside Workplace Law

Der Referentenentwurf zur Arbeitszeiterfassung: Vom BMAS nichts Neues.

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Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Beschluss vom 13. September 2022 (wir berichteten hierzu: https://pwwl.de/pflicht-zur-arbeitszeiterfassung-in-deutschland/ ) entschieden, dass die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufzuzeichnen ist. Dies ergibt sich nach Ansicht des Gerichts aus einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). 

Dieser Beschluss hatte viele Namen. „Paukenschlag“ oder „Sensation“ sind nur einige davon. Unabhängig vom Vokabular bestand jedenfalls Einigkeit darin, dass gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. In der Praxis war die Unsicherheit groß: Was müssen Arbeitgeber tun und was nicht?

Der Referentenentwurf

Diesem Ruf ist der Gesetzgeber in Gestalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) nachgekommen und hat am 18. April 2023 einen Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und anderer Vorschriften veröffentlicht. Kaum ein Referentenentwurf erhielt so viel mediale Aufmerksamkeit wie dieser.

Das BMAS machte es sich dabei zur Aufgabe, das „Wie“ und nicht das „Ob“ der Arbeitszeiterfassung zu regeln, um etwaige Unsicherheiten, die sich aus dem Beschluss des BAG ergeben haben, zu beseitigen.

Die Regelungen im Überblick

Der Referentenentwurf enthält überblicksartig die folgenden Regelungen:

  • Aufzeichnungspflicht

Arbeitgeber werden verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (sowie von jugendlichen Beschäftigten) jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichnen. Diese Vorgabe schließt eine spätere Korrektur oder Nachholung einer versäumten Buchung aber nicht aus. Eine bestimmte Art der elektronischen Aufzeichnung wird nicht vorgeschrieben. Möglich sind also elektronische Geräte, aber auch Apps oder – ganz klassisch – Excel (oder wer lieber Apple benutzt: Numbers).

  • Aufzeichnung durch die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen

Es ist weiterhin möglich, die Arbeitszeiterfassung an die Mitarbeitenden selbst oder an Dritte zu delegieren. Dritte können dabei zum Beispiel die Vorgesetzen sein. Der Arbeitgeber bleibt allerdings weiterhin für die ordnungsgemäße Aufzeichnung verantwortlich. Hierbei wird empfohlen, die Mitarbeitenden vorab ausreichend über die Erfassungspflicht zu informieren und die Aufzeichnungen jedenfalls stichprobenartig zu kontrollieren.

  • Vertrauensarbeitszeit

Die Möglichkeit der Vertrauensarbeitszeit wird durch die neue Regelung nicht beschränkt, sondern nur um die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung erweitert. Vertrauensarbeitszeit in diesem Sinne bedeutet, dass die Mitarbeitenden weitgehend selbst bestimmen können, wann sie arbeiten und wann nicht. Hierbei müssen ihre Zeiten aufgezeichnet werden, dies muss der Arbeitgeber aber nicht (durchgängig) kontrollieren. Arbeitgeber müssen jedoch sicherstellen, dass ihnen Verstöße gegen die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes bekannt werden. Dies kann etwa durch die entsprechende Meldung eines elektronischen Arbeitszeiterfassungssystems erfolgen.

  • Auskunftsanspruch der Mitarbeitenden

Mitarbeitende haben außerdem einen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitgeber über die aufgezeichnete Arbeitszeit. Arbeitgeber müssen auf Verlangen eine (elektronische) Kopie zur Verfügung stellen. Dafür reicht es auch aus, dass die Mitarbeitenden selbst auf die entsprechenden elektronischen Aufzeichnungen zugreifen und Kopien fertigen können. 

Auch der Betriebsrat kann auf Verlangen die Arbeitszeitaufzeichnungen einsehen, um seinen Verpflichtungen nach § 80 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) nachzukommen.

  • Aufbewahrungspflicht

Unternehmen müssen die Arbeitszeitnachweise mindestens zwei Jahre aufbewahren

Achtung: Das soll auch bei Vertrauensarbeitszeit gelten, auch wenn die Einhaltung der Arbeitszeit nicht durchweg kontrolliert werden muss. 

Interessant für Arbeitgeber im Ausland: Die Aufzeichnungen müssen in deutscher Sprache geführt und im Inland für den Fall einer Kontrolle bereitgehalten werden. 

  • Tariföffnungsklausel

Der Gesetzgeber sieht in seinem Entwurf allerdings weitreichende Freiheiten für Tarif- und Betriebsparteien vor. Sie können vereinbaren, dass

  • die Aufzeichnung in nicht elektronischer Form erfolgt,
  • die Aufzeichnung nicht am selben Tag, spätestens aber innerhalb von sieben Tagen nach der Arbeitsleistung erfolgen muss, und
  • die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nicht bei Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gilt, bei denen die gesamte Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder im Voraus festgelegt wird oder vom Arbeitnehmer selbst festgelegt werden kann. Diese Ausnahme orientiert sich an der Arbeitszeitrichtlinie, sodass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bei der Auswahl der Personengruppen zu berücksichtigen ist. Der Entwurf nennt hier beispielhaft Führungskräfte, herausgehobene Experten und Wissenschaftler, die nicht verpflichtet sind, zu festgelegten Zeiten am Arbeitsplatz anwesend zu sein.

Besonders der letzte Punkt eröffnet Gestaltungsspielräume, zum Beispiel die Herausnahme leitender Mitarbeiter – ohne dass sie leitende Angestellte sein müssen – aus der Zeiterfassung, wenn sie souverän über ihre Arbeitszeit bestimmen können. Problematisch ist hier aber, dass eine Gestaltung durch Betriebsvereinbarung nur auf Grundlage einer tariflichen Öffnungsklausel möglich ist. Allen nicht tarifierten Branchen und Unternehmen bleibt damit diese Gestaltungsmöglichkeit verwehrt. Hier sehen wir Handlungsbedarf.

  • Übergangsfristen

Viele Unternehmen können durch die Gewährung von sehr weichen Übergangsfristen aufatmen. Diese richten sich nach der Unternehmensgröße. Im Grundsatz haben alle Arbeitgeber ein Jahr Zeit, bis sie die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeitenden elektronisch erfassen müssen. Bis dahin genügen auch händische Aufzeichnungen. Danach gilt folgende Staffelung:

  • Arbeitgeber mit weniger als 250 Mitarbeitenden: 2 Jahre
  • Arbeitgeber mit weniger als 50 Mitarbeitenden: 5 Jahre

Arbeitgeber mit bis zu zehn Mitarbeitenden sind von der Pflicht, die Arbeitszeiten elektronisch zu erfassen, vollständig befreit. Aber Achtung: Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gilt von Anfang an, nur eben nicht elektronisch.

  • Ordnungswidrigkeit

Ein Verstoß gegen die vorgenannten Regelungen soll eine Ordnungswidrigkeit darstellen, die mit einem Bußgeld von bis zu 30.000,00 EUR geahndet werden kann. Dies gilt auch für einen Verstoß gegen den Auskunftsanspruch des Arbeitnehmers. 

Gelten diese Regelungen dann auch für leitende Angestellte?

Nein. Der neue Referentenentwurf verortet die Pflicht zur elektronischen Zeiterfassung – wenig überraschend – im Arbeitszeitgesetz und nicht im Arbeitsschutzgesetz. Daher sind leitende Angestellte von der Pflicht nicht umfasst. Die Pflicht gilt allerdings unabhängig von der Betriebsgröße auch für Kleinbetriebe (mit Ausnahme der elektronischen Erfassung).

Alle Unsicherheiten beseitigt?

Der Gesetzesentwurf lässt einige Fragen offen und viele hätten sich weitergehende Regelungen gewünscht. Ein Beispiel hierfür ist der Umfang der Aufzeichnungspflicht: Machen die Mitarbeitenden Pause, wenn sie sich für fünf Minuten vor der Kaffeemaschine mit ihren Kolleginnen und Kollegen unterhalten? Müssen Pausen überhaupt aufgezeichnet werden? Sind auch die Arbeitszeiten zu erfassen, die durch eine kurze E-Mail nach Feierabend entstehen? Muss ab dann die Ruhezeit von elf Stunden erneut eingehalten werden?

Mit welchen Kosten müssen Unternehmen rechnen?

Es wird vom BMAS angenommen, dass die Kosten für die technische Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung bei 450 EUR pro Betrieb liegen. Dabei berücksichtigt das BMAS nicht die Betriebskosten einer Arbeitszeiterfassung, insbesondere, wenn diese durch einen Anbieter oder eine Software durchgeführt werden soll. Außerdem ist mit erheblichem zusätzlichen organisatorischem und bürokratischem Aufwand zu rechnen. Wir gehen davon aus, dass die Kosten für Unternehmen, die bislang keine Arbeitszeiterfassung betreiben, deutlich höher ausfallen werden. 

Bewertung und Ausblick

Der Referentenentwurf des BMAS birgt keine großen Überraschungen und setzt im Wesentlichen die Vorgaben des BAG und des EuGH um. Derzeit handelt es sich lediglich um den Referentenentwurf, sodass bis zur Verabschiedung des Gesetzes noch mit Änderungen zu rechnen ist. Fest steht allerdings, dass die elektronische Arbeitszeiterfassung kommen wird und dass Verstöße hiergegen zu hohen Bußgeldern führen können. 

Derzeit äußern sich bereits die ersten Arbeitgeberverbände und sonstige Interessengruppen zu dem Entwurf: Mit gemischtem Feedback. Viele kritisieren etwa, dass die Aufzeichnung täglich erfolgen muss und befürchten hierdurch einen hohen Aufwand. Andere Fragen sich, warum es bei der reinen Mindestumsetzung der Vorgaben der Rechtsprechung geblieben ist und nicht auch Themen wie die wöchentliche Höchstarbeitszeit behandelt wurden? Wir hatten schon in unserem Beitrag zur Entscheidung des BAG (https://pwwl.de/pflicht-zur-arbeitszeiterfassung-in-deutschland/) darauf hingewiesen, dass die europäische Arbeitszeitrichtlinie, aus der die Pflicht zur Erfassung von Arbeitszeiten maßgeblich abgeleitet wird, in Bezug auf den aufzeichnungspflichtigen Personenkreis, die tägliche und wöchentliche Höchstarbeitszeit und die Dauer der Ruhezeit viel flexiblere Möglichkeiten bereit hält, als das deutsche Arbeitszeitgesetz. Leider beschränkt sich der Entwurf auf die Umsetzung des BAG-Urteils und versäumt die aus unserer Sicht notwendige  Novellierung des Arbeitszeitgesetzes insgesamt. Es bleibt zu hoffen, dass diese Aspekte im Gesetzgebungsverfahren noch Berücksichtigung finden werden. Interessant ist auch, dass der Gesetzgeber bei der Änderung des Nachweisgesetzes im letzten Jahr bei der Schriftform (Papier!) geblieben ist und nun die elektronische Arbeitszeiterfassung verpflichtend wird. Im Arbeitsrecht scheint die Steinzeit immer mal wieder gegen die Zukunft zu konkurrieren. 

Unternehmen sollten sich zwar bereits jetzt Gedanken darum machen, wie sie zukünftig die (elektronische) Arbeitszeiterfassung umsetzen können und wollen, hierbei sollte jedoch nicht überstürzt gehandelt werden, solange das finale Gesetz noch nicht feststeht. Dennoch kann bereits jetzt vorgesorgt werden: Unternehmen sollten beispielsweise genau definieren, was überhaupt als Arbeitszeit gilt und was nicht. Vor der Einführung der Arbeitszeiterfassung sollten die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen dazu geschult werden, wie und in welchem Umfang die Arbeitszeit zu erfassen ist. 

Wichtig ist, zu betonen, dass die Arbeitszeit, die aufgrund des Arbeitszeitgesetzes zu erfassen ist, nicht automatisch auch vergütet werden muss. Dies richtet sich weiterhin nach den gesetzlichen, tariflichen und vertraglichen Regelungen. Dennoch erwarten wir, dass die Aufzeichnungspflicht und der entsprechende Auskunftsanspruch der Mitarbeitenden deren Rechtsposition im Überstundenvergütungsprozess zukünftig deutlich verbessern wird. Positiv hervorzuheben ist aus unserer Sicht, dass individuelle betriebliche Reglungen grundsätzlich möglich bleiben und auf diese Weise etwa deutlich längere Aufzeichnungsfristen vereinbart werden können. Viel diskutiert werden wird wohl die Frage, wann eine Arbeitnehmergruppe von den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes ausgenommen werden kann, weil deren Tätigkeit „besondere Merkmale“ erfüllt. 

Wir werden Sie weiterhin über die wichtigsten Entwicklungen informieren!

Thomas Wahlig

Thomas Wahlig ist spezialisiert auf Unternehmenskäufe und –restrukturierungen, Betriebsübergangsrecht, Tarifrecht, komplexe Gerichtsverfahren sowie auf die Einführung von Arbeitszeitmodellen und Vergütungssystemen.

Jacqueline Volmari

Jacqueline Volmari ist spezialisiert auf betriebsverfassungsrechtliche Fragestellungen, Kündigungsschutzfragen, Restrukturierungen und Mitbestimmungsmanagement.

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