Bereits in Teil I unseres Corona-Rechtsprechungsübersicht haben wir bereits wichtige Entscheidungen der Arbeitsgerichte zur Corona-Pandemie zusammengefasst. Hier folgt die Fortsetzung von „Hochfahren des Betriebs“ über „Kündigung wegen Anhustens“ bis zum „Urlaubsanspruch“.
Hochfahren des Betriebs ohne Beteiligung des Betriebsrats?
Das Hochfahren des Betriebs ohne Beteiligung des Betriebsrats verstößt gegen dessen Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 7 BetrVG (Arbeitszeit und Gesundheitsschutz), wie mehrere Arbeitsgerichte bereits entschieden haben (im Wege der einstweiligen Verfügung bspw. ArbG Stuttgart, Beschl. V. 28.04.2020 – 3 BVGa 7/20). Folglich darf der Arbeitgeber nach dem Lockdown nicht einseitig den Betrieb wieder öffnen und gegenüber den Mitarbeitern Arbeitszeiten anordnen. Allerdings kann der Betriebsrat auch keine Betriebsschließung erzwingen, solange keine Betriebsvereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung geschlossen ist, sodass die Öffnung des Betriebs durch Beschäftigung Dritter möglich ist, die allerdings nicht dem Direktionsrecht der Arbeitgeberin unterstehen und nicht vom Betriebsrat vertreten werden dürfen (ArbG Hamm, Beschluss vom 04.05.2020 – 2 BVGa 2/20).
Home-Office oder Einzelbüro?
Ein 63jähriger Arbeitnehmer teilte sich das Büro mit einer weiteren Mitarbeiterin. Nach Vorlage eines ärztlichen Attests im April 2020 verlangte er Arbeit im Home-Office oder im Einzelbüro. Diesem Verlangen gab das ArbG Augsburg nicht statt (Urteil vom 07.05.2020 – 3 Ga 9/20). Es bestünden weder vertragliche noch gesetzliche Ansprüche auf Arbeit im Home-Office oder in einem Einzelbüro. Bei entsprechenden Schutzvorkehrungen sei trotz Corona-Pandemie die Besetzung eines Büros mit mehreren Mitarbeitern möglich.
Kündigung beim Diebstahl von Desinfektionsmittel
Die außerordentliche Kündigung wegen Diebstahls von einem Liter Desinfektionsmittel ist rechtmäßig. Dies bestätigte das LAG Düsseldorf (Urteil vom 14.01.2021 – 5 Sa 483/20), welches darüber hinaus den Diebstahl von Desinfektionsmittel – als Mangelware zu Beginn der Pandemie – als besonders verwerflich einordnete.
Kündigung wegen Corona-Anhustens
Hustet ein Arbeitnehmer einen Kollegen absichtlich an, kann dies grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (LAG Düsseldorf, Urteil vom 27.04.2021 – 3 Sa 646/20). Der Arbeitgeber warf dem gekündigten Arbeitnehmer vor, sich mehrfach nicht an die wegen der Corona-Pandemie ergriffenen Arbeitsschutzvorschriften gehalten und einen Kollegen absichtlich angehustet zu haben. Zwar war die Kündigungsschutzklage erfolgreich, weil die Beweisaufnahme nicht hinreichend klären konnte, dass die vom Arbeitgeber geschilderten Ereignisse tatsächlich stattgefunden hatten. Nichtdestortrotz stellte das Gericht klar, dass ein absichtliches Anhusten mit der Bemerkung „Hoffentlich bekommst du Corona!“ grundsätzlich eine Kündigung rechtfertigen kann, da ein solches Verhalten die Rücksichtnahmepflichten aus dem Arbeitsverhältnis gem. § 241 Abs. 2 BGB erheblich verletze. Mache ein Arbeitnehmer deutlich, dass er nicht bereit sei die Schutzvorschriften einzuhalten, bedürfe es auch keiner vorherigen Abmahnung. Somit ist klar, dass schwerwiegende Verstöße gegen Hygiene- und Schutzvorschriften sogar auch mit einer außerordentlichen Kündigung geahndet werden können – entscheidend sind aber die Umstände des Einzelfalls!
Kündigung wegen eigenmächtigem Zuhausebleibens
Kündigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, weil dieser aufgrund einer behördlichen Quarantäneanordnung zuhause bleibt, ist die Kündigung unwirksam (ArbG Köln, Urteil vom 15.04.2021 – 8 Ca 7334/20). In dem entschiedenen Fall hatte der Arbeitnehmer keine schriftliche Anordnung des Gesundheitsamtes vorweisen können, weshalb der Arbeitgeber eine Kündigung aussprach. Hält sich der Arbeitnehmer bloß an eine behördliche Quarantäneanordnung, ist eine Kündigung sitten- und treuwidrig und somit unwirksam, auch wenn das KSchG keine Anwendung findet und dem Arbeitnehmer zunächst keine schriftliche Anordnung vorliegt.
Kurzarbeit: Bitte nicht ohne Rechtsgrundlage!
Die Einführung von Kurzarbeit ist nicht ohne Rechtsgrundlage durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag möglich. Führt der Arbeitgeber dennoch „Kurzarbeit“ ein, schuldet er seinen Arbeitnehmern trotz Verringerung der Arbeitszeit das volle Entgelt (ArbG Siegburg, Urteil vom 11.11.2020 – 4 Ca 1240/20).
Kurzarbeit: Einführung durch Änderungskündigung
Scheitert die Einführung von Kurzarbeit in einem betriebsratslosen Betrieb an der mangelnden Zustimmung durch den Arbeitnehmer, ist die Einführung von Kurzarbeit mittels außerordentlicher Änderungskündigung möglich (ArbG Stuttgart, Urteil vom 22.10.2020 – 11 Ca 2950/20). An die Änderungskündigung seien keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, aber die Verhältnismäßigkeit müsse gewahrt werden. Eine ausführliche Besprechung dieser Entscheidung auf unserem Blog finden Sie hier.
Mund-Nasen-Schutz: Befreiung durch ärztliches Attest?
Das ArbG Siegburg (Urteil vom 16.12.2020 – 4 Ga 18/20) hatte darüber zu entscheiden, inwieweit Arbeitnehmer durch ärztliches Attest vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes befreit werden können. Im Rathaus, in dem der klagende Arbeitnehmer arbeitete, war im Mai 2020 das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes angeordnet worden. Der Arbeitnehmer ließ sich durch ärztliches Attest sowohl vom Mund-Nasen-Schutz als auch von einem Gesichtsvisier befreien. Das Arbeitsgericht ließ die pauschale Befreiung durch ärztliches Attest nicht genügen und befand die Beschäftigung des Arbeitnehmers während der Pandemie ohne jegliche Gesichtsbedeckung für nicht zumutbar. Für die Befreiung von einer Maskenpflicht hätte es wenigstens der Darlegung konkreter und nachvollziehbarer Gründe bedurft. Im Übrigen erachtete das Gericht den Infektionsschutz für grundsätzlich vorrangig und stellte auch fest, dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet sei, dem Arbeitnehmer Home-Office zu ermöglichen. Dies bestätigte das LAG Köln (Urteil vom 12.04.2021 – 2 SaGa 1/21). Demnach dürfe der Arbeitgeber in einem solchen Fall die Beschäftigung verweigern. Der Arbeitnehmer sei arbeitsunfähig und daher nicht zu beschäftigen. Welche Konsequenzen dies für Folgefragen, wie z.B. nach der Entgeltfortzahlung hat, bleibt abzuwarten.
Nebentätigkeit als Intensivpfleger am Wochenende
Die Nebentätigkeit des Patientenmanagers eines Krankenhauses als Intensivpfleger am Wochenende verstößt gegen keine arbeitsvertragliche Pflicht. So entschied das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 01.09.2020 – 16 Sa 2073/19), das in diesem Fall weder eine entgegenstehende Wettbewerbssituation erkannte, noch das Ansteckungsrisiko als ausreichend erachtete, um eine solche Nebentätigkeit zu untersagen.
Personalratswahl
Das VG Köln (Beschluss vom 06.10.2020 – 33 K 1757/20.PVB) entschied zur Anfechtung einer Personalratswahl, dass diese nicht alleine deswegen zu wiederholen sei, weil die Belegschaft sich überwiegend im Home-Office befände und einzelne Mitarbeiter, bei denen eine Ansteckungsgefahr bestehe, die Dienststelle nicht betreten dürften. Dieser Rechtsgrundsatz lässt sich sicherlich auch auf Betriebsratswahlen übertragen, sodass die mit der Pandemie einhergehenden Besonderheiten einer wirksamen Betriebsratswahl grundsätzlich nicht entgegenstehen.
Präsenzarbeit in der Pandemie oder Anspruch auf Home Office?
Werden am Arbeitsplatz die anerkannten – insbesondere coronaspezifischen – Arbeitsschutzstandards eingehalten, sind Arbeitnehmer auch in der Pandemie grundsätzlich vorbehaltlich entgegenstehender vertraglicher oder gesetzlicher Regelungen zur Präsenzarbeit verpflichtet. Ein Anspruch auf Home-Office besteht nicht. Kommt ein Arbeitnehmer der Weisung des Arbeitgebers, die Arbeit im Betrieb zu verrichten, nicht nach, muss er auch die Konsequenzen tragen. Dies zeigt ein vom ArbG Kiel (Urteil vom 11.03.2021 – 6 Ca 1912 c/20) entschiedener Fall. Die Weisung des Arbeitgebers, neue Mitarbeiter im Betrieb unter Einhaltung der Hygieneregeln einzuarbeiten, kann billigem Ermessen entsprechen. Leistet der Arbeitnehmer dieser Weisung nicht Folge, hat er die Konsequenzen bis hin zur Kündigung zu tragen. Dabei bleibt aber die Einhaltung der Hygieneregeln am Arbeitsplatz von entscheidender Bedeutung.
Ein Berufsschullehrer, der während der Pandemie Förderunterricht erteilen sollte, sah das ArbG Mainz (Beschluss vom 08.06.2020 – 4 Ga 10/20) nicht in unzumutbarer Weise gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Den Schulen stünde ein Ermessensspielraum dabei zu, wie sie den Gefahren der Corona-Pandemie begegneten. Hier wurde dem Infektionsschutz ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass der Einzelunterricht in einem 25 qm großen Raum stattfand.
Quarantäne: Anordnung durch den Arbeitgeber
Ordnet der Arbeitgeber für einen Arbeitnehmer das Zuhausebleiben („Quarantäne“) an, kann er dies nicht mit dem Stundenkonto des Arbeitnehmers verrechnen. In einem vom ArbG Dortmund (Urteil vom 24.11.2020 – 5 Ca 2057/20) entschiedenen Fall blieb der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer dessen Entgelt schuldig, nachdem dieser nach einem Tirol-Urlaub nicht arbeiten sollte. Der Arbeitgeber wird einzig von seiner Entgeltpflicht frei, wenn die Gesundheitsbehörde eine Betriebsschließung oder Quarantäne anordnet. Reisen in Risikogebiete bleiben für den Arbeitnehmer ohne Konsequenzen, wenn die Einstufung erst nach Antritt der Reise erfolgte (beachte Neufassung des § 56 Abs. 1 IfSG).
Rückzahlung Corona-Bonus?
Viele Arbeitnehmer haben im Zuge der Pandemie einen sogenannten Corona-Bonus erhalten – eine abgabenfreie Sonderzahlung des Arbeitgebers. Arbeitgeber verbinden Sonderzahlungen häufig mit Rückzahlungsklauseln. Der Corona-Bonus lässt sich allerdings nicht auf Grundlage einer solchen Rückzahlungsklausel zurückfordern, wie das ArbG Oldenburg entschied (Urteil vom 15.05.2021 – 6 Ca 141/21). Die streitgegenständliche Rückzahlungsklausel sei einerseits unwirksam, weil schon eine Bindungsdauer von 12 Monaten den Arbeitnehmer unangemessen benachteilige. Zudem honoriere der Corona-Bonus bereits vergangene – während der Corona-Pandemie erbrachte – Arbeitsleistungen, sodass eine Rückforderung durch den Arbeitgeber wegen einer arbeitnehmerseitigen Kündigung nicht in Betracht komme.
Sicherheitsabstand: Videoüberwachung aus Gründen des Gesundheitsschutzes?
Zur Überwachung der Einhaltung der Sicherheitsabstände im Betrieb setzte ein Arbeitgeber auf die betriebliche Videoüberwachung. Die Daten wurden auf im Ausland gelegenen Servern anonymisiert und mittels einer Software ausgewertet. Allerdings war die Auslandsübermittlung nicht von der geltenden Betriebsvereinbarung gedeckt, sodass die Videoüberwachung im Ergebnis rechtswidrig war (ArbG Wesel, Beschluss vom 24.04.2020 – 2 BVGa 4/20).
Urlaubsanspruch bei Kurzarbeit Null
Für die Zeit, in der die Arbeitszeit durch Kurzarbeit auf null reduziert ist, erwerben Arbeitnehmer keinen Urlaubsanspruch. So hat das LAG Düsseldorf (Urteil vom 12.03.2021 – 6 Sa 824/20) entschieden, dass der Jahresurlaub für jeden vollen Monat der „Kurzarbeit Null“ um 1/12 zu kürzen ist. Näheres dazu finden Sie hier.
Fazit
Die Corona-Pandemie hat auch im Arbeitsrecht Fragen in den verschiedensten Bereichen aufgeworfen. Die wichtigsten Fragen dürften nun geklärt sein. Jedenfalls haben sich Arbeitsrecht und Arbeitsgerichte als krisenfest erwiesen und gezeigt, dass es auch in Zeiten besonders großer Herausforderungen praktikable Lösungen gibt. Nichtsdestotrotz bleiben einige (Folge-)Fragen offen, die es noch zu klären gilt. Der Gesetzgeber und die Arbeitsgerichte bleiben weiter gefragt!