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Christine Wahlig (Rechtsanwältin – Redaktionelle Leitung Blog) & Alice Tanke (Marketing Managerin)

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Corona-Rechtsprechungsübersicht: Das ABC der Arbeitsgerichte – Teil I (A-G)

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Die Pandemie hatte bundesweit auch die Arbeitsgerichte fest im Griff. Auf einmal stellten sich viele Fragen, über die sich bisher in dieser Form niemand Gedanken gemacht hatte. Dürfen Arbeitnehmer statt einer Maske auch ein Gesichtsvisier tragen? Besteht ein Anspruch auf Home-Office oder Einzelbüro? Dürfen Betriebsversammlungen aus Gründen des Infektionsschutzes untersagt werden? Die (Arbeits-)Gerichte haben über die Zeit ein Rechtsprechungs-ABC erarbeitet. Die wenigsten Entscheidungen waren wohl wirklich überraschend, aber die Gerichte haben in der ein oder anderen Frage doch für Klarheit sorgen können. Wir haben die interessantesten Corona-Entscheidungen in diesem und einem folgenden Beitrag in alphabetischer Form zusammengefasst:

Änderungskündigung: Home-Office als milderes Mittel?

Das ArbG Berlin (Urteil vom 10.08.2020 – 19 Ca 13189/19) befand eine Änderungskündigung für unwirksam, weil die Beschäftigung im Home-Office als milderes Mittel möglich gewesen wäre. Der Arbeitgeber hatte den Arbeitsort per Änderungskündigung von Berlin nach Wuppertal verlegen wollen. Da die Arbeit im Home-Office bei dem betreffenden Arbeitgeber aber möglich und üblich war, sah das Gericht dies als milderes Mittel im Vergleich zu einem Arbeitsplatzwechsel nach Wuppertal. Hierbei handelt es sich wohl um keine verallgemeinerungsfähige Entscheidung, aber auch die Arbeitsgerichte scheinen den Trend in Richtung Home-Office mitzugehen.

Anzeige wegen Verletzung von Quarantänebestimmungen

Die Kündigung eines Arbeitnehmers, der seine Vorgesetzten wegen der Verletzung von Quarantänebestimmungen anzeigte, hielt das Arbeitsgericht für unwirksam (ArbG Dessau-Roßlau, Urteil vom 12.08.2020 – 1 Ca 65/20). Der Landkreis Wittenberg hatte im März 2020 ganze Ortsteile unter Quarantäne gestellt. Der Arbeitnehmer meldete, dass der Geschäftsführer seines Betriebs und ein weiterer Vorgesetzter die Quarantänezone verlassen hatten und im Betrieb erschienen waren. Das Gericht sah keinen Kündigungsgrund. Unter Berücksichtigung allgemeiner Whistleblowing Grundsätze sah das Gericht keine Verpflichtung des Klägers zunächst innerbetrieblich auf die Vorgesetzten einzuwirken, weil es sich nicht um einen innerbetrieblichen Missstand gehandelt habe, sondern um die Verletzung einer öffentlich-rechtlichen Regelung.

Besuchskonzept im Krankenhaus

Das LAG Köln (Beschluss vom 22.01.2021 – 9 TaBV 58/20) entschied, dass ein Krankenhausbetreiber, der ein einrichtungsbezogenes Besuchskonzept einführt (System zur Dokumentation des Zutritts und Aufenthalts betriebsfremder Personen auf dem Klinikgelände), die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verletzt, wenn dieser nicht bei der Ausgestaltung beteiligt wird. Eine ausführliche Besprechung dieser Entscheidung in unserem Blog finden Sie hier.

Betriebsbedingte Kündigung „wegen Corona“?

Das ArbG Berlin stellte in mehreren Verfahren (zul. Urteil vom 05.11.2020 – 38 Ca 4569/20) fest, dass die Corona-Pandemie nicht ohne weiteres betriebsbedingte Kündigungen rechtfertige. Arbeitgeber müssten ausreichend darlegen, dass ein Beschäftigungsbedürfnis zukünftig dauerhaft wegfällt. Bloß kurzfristige Auftragsschwankungen, insbesondere solche, die mit der Corona-Pandemie in Zusammenhang stehen, rechtfertigen betriebsbedingte Kündigungen regelmäßig nicht. Insoweit ist an Kurzarbeit zu denken, wobei aufgrund der Verlängerung der maximalen Bezugsfrist eine Schnittmenge zwischen dem dauerhaften und dem vorübergehenden Arbeitsausfall verbleibt. Von einem dauerhaften Arbeitsausfall wird schon bei einer Prognose von ca. neun Monaten ausgegangen.

Betriebsratswahl: Wahl des Wahlvorstands auf dem Parkplatz

Auch die Durchführung von Betriebsratswahlen bzw. deren Vorbereitung ist in Zeiten der Pandemie nicht wie gewohnt möglich gewesen. Allerdings steht der wirksamen Bestellung eines Wahlvorstandes nicht entgegen, dass die Wahl kurzfristig und per Mundpropaganda auf den Parkplatz verlegt und per Akklamation durchgeführt wurde. Ein Arbeitgeber wollte die Nichtigkeit der Bestellung zum Wahlvorstand vom ArbG Weiden (Beschluss vom 18.12.2020 – 3 BVGa 2/20) feststellen lassen. Allerdings seien die Nichtigkeitsvoraussetzungen für eine Wahlvorstandswahl während der Pandemie noch höher als ohnehin schon. Dass die Wahlversammlung wegen des Teil-Lockdowns kurzfristig auf den Parkplatz der Brauerei verlegt worden war und die anwesenden zehn Mitarbeiter per Akklamation abstimmten, stand der wirksamen Bestellung des Wahlvorstandes demnach nicht entgegen.

Kann coronabedingt eine Betriebsversammlung nicht stattfinden, bestellt das Arbeitsgericht auf Antrag von drei wahlberechtigten Arbeitnehmern entgegen § 17 Abs. 4 BetrVG auch dann einen Wahlvorstand für eine Betriebsratswahl, wenn eine Einladung zur Betriebsversammlung zuvor nicht erfolgt ist (ArbG Lingen, Urteil vom 19.03.2021 – 1 BV 1/21).

Betriebsrisiko

Die Schließung eines Tanzclubs mittels „Corona-Verordnung“ betrifft das vom Arbeitgeber zu tragende Betriebsrisiko i.S.d. § 615 S. 3 BGB (ArbG Mannheim, Urteil vom 25.03.2021 – 8 Ca 409/20) und ist somit nicht Teil des allgemeinen Lebensrisikos des Arbeitnehmers. In der Folge ist das Entgelt trotz Schließung nach den Regeln des Annahmeverzugslohns fortzuzahlen, wenn z.B. die Voraussetzungen für das Kurzarbeitergeld nicht erfüllt sind. Gleiches gilt für die pandemiebedingte Schließung von Spielhallen (LAG Düsseldorf, Urteil vom 30.03.2021 – 8 Sa 674/20). Auch dies zählt zum vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebsrisiko, weshalb Beschäftigte grundsätzlich einen Anspruch auf Annahmeverzugslohn haben. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Schließung gesamte Branchen oder nur einzelne Betriebe betrifft.

Betriebsversammlung: Pflicht zur virtuellen Versammlung?

Der Betriebsrat einer Sportklinik wollte Ende 2020 eine Betriebsversammlung durchführen und mietete eine Stadthalle mit entsprechender Größe an, um die Versammlung unter Einhaltung der Infektionsschutzmaßnahmen durchzuführen. Das LAG Hamm (Beschluss vom 05.10.2020 – 13 TaBVGa 16/20) teilte die Ansicht des Arbeitgebers nicht, der auf eine virtuelle Durchführung der Betriebsversammlung bestand. Der Betriebsrat könne digitale Betriebsversammlungen abhalten, eine Pflicht hierzu bestünde aber nicht. Dementsprechend müsse der Arbeitgeber auch die Kosten für die Anmietung der Halle zur Durchführung der Betriebsversammlung tragen. Das LAG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 24.08.2020 – 12 TaBVGa 1015/20) entschied im Hinblick auf eine Gesamtbetriebsratssitzung, dass diese nicht generell aus Infektionsschutzgründen verboten werden könnte. Es gäbe aber in Pandemiezeiten auch keine generelle Erlaubnis für Präsenzveranstaltungen, sodass es sich stets um eine Einzelfallentscheidung handle. Grundsätzlich sind betriebliche Veranstaltungen daher als Präsenz-Versammlungen durchzuführen, wenn dies gewünscht ist und im Einklang mit den jeweils geltenden Infektionsschutzbestimmungen steht.

Betriebsrat: erforderliche Kommunikationsmittel

Entscheidet der Betriebsrat seine Sitzungen per Videokonferenz durchzuführen, hat der Arbeitgeber gem. § 40 Abs. 2 BetrVG die erforderlichen Kommunikationsmittel zur Verfügung zu stellen (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.04.2021 – 15 Ta BVGa 401/21). In Zeiten der Pandemie steht es im Ermessen des Betriebsrats zu entscheiden, ob er seine Sitzungen in Präsenzform oder per Video abhält. In dem entschiedenen Fall konnte der Betriebsrat demnach vom Arbeitgeber verlangen, zwei Lizenzen zur Durchführung von Videokonferenzen, zwei Headsets, zwei Webcams und elf Smartphones für die digitalen Betriebsratssitzungen zur Verfügung zu stellen. Werden Betriebsratsmitglieder aufgrund der Durchführung der Betriebsratssitzung per Videokonferenz abgemahnt und für die Zeit nicht vergütet, behindert der Arbeitgeber die Mandatstätigkeit in unzulässiger Weise nach § 78 BetrVG (ArbG Köln, Beschluss vom 24.03.2021 – 18 BVGa 11/21).

Corona-Bonus: Pfändbarkeit?

Eine an einen Dachdecker geleistete Corona-Sonderzahlung ist nicht von Gesetzes wegen unpfändbar gestellt und somit innerhalb der Pfändungsfreigrenzen pfändbar (ArbG Bautzen, Urteil vom 17.03.2021 – 3 Ca 3145/20). Das für Pflegekräfte geltende Pfändungsverbot fand für den Dachdecker hier keine entsprechende Anwendung. Die Corona-Sonderzahlung erhöht die monatliche Vergütung. In der Folge erhöht sich auch der pfändbare Vergütungsanteil.

Formulare für Mitarbeiter zum Thema Coronavirus

Auch beim Verteilen von Formularen zum Thema Coronavirus können Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bestehen. So hat das ArbG Köln (Beschluss vom 24.11.2020 – 8 BV 122/20) entschieden, dass das Verteilen eines vom Arbeitgeber selbst erstellten Formulars zur „Unterweisung für Mitarbeiter zum Thema Coronavirus“ mit der Anordnung von Maßnahmen, die über gesetzliche/behördliche Maßnahmen hinausgehen, mitbestimmungspflichtig ist. Mitbestimmungsfrei war hingegen die Verteilung eines Formulars der Berufsgenossenschaft, das allgemeine Verhaltensweisen und Schutzmaßnahmen bzgl. des Coronavirus ausweist. Achtung: Der Betriebsrat ist in zahlreichen pandemiebedingten Angelegenheiten zu beteiligen!

Gesichtsvisier

Eine Flugsicherheitsassistentin aus Berlin hatte sich geweigert, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen und stattdessen auf ein Gesichtsvisier bestanden. Das Arbeitsgericht Berlin (Urteil vom 15.10.2020 – 42 Ga 13034/20) erachtete ein Gesichtsvisier als nicht geeignet, die Ausbreitung und Übertragung von Tröpfchenpartikeln in gleichwertiger Weise wie ein Mund-Nasen-Schutz zu verringern. Die Arbeitnehmerin konnte dementsprechend nicht die Beschäftigung mit einem Gesichtsvisier statt eines Mund-Schutzes verlangen.

Entbrennt im Arbeitsverhältnis Streit über bestimmte Sicherheitsvorkehrungen des Arbeitgebers, wie z.B. eine FFP2-Maskenpflicht, bleibt es dem Arbeitgeber unbenommen, solche Konflikte durch eine Umsetzung aufzulösen, sofern dies von seinem Weisungsrecht gedeckt ist (zur Umsetzung einer auf der Intensivstation beschäftigen Krankenschwester: ArbG Herne, Urteil vom 06.05.2021 – 4 Ca 2437/20).

Der zweite Teil unserer Rechtsprechungsübersicht folgt demnächst…

Dr. Jochen Keilich, LL.M. (Exeter)

Dr. Jochen Keilich ist spezialisiert auf Umstrukturierungen, Personalabbaumaßnahmen, HR Compliance, Betriebsübergänge sowie Verhandlungen mit Betriebsräten und Gewerkschaften.

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