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Christine Wahlig (Rechtsanwältin – Redaktionelle Leitung Blog) & Alice Tanke (Marketing Managerin)

Inside Workplace Law

Vollständiger Ausschluss rentennaher Arbeitnehmer von Abfindungsleistungen in einem Sozialplan kann gerechtfertigt sein

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Neues aus der Practice Group Restructuring

Mit seiner Entscheidung vom 7. Mai 2019 (Az. 1 ABR 54/17) hat das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung zur Behandlung rentennaher Arbeitnehmer in Bezug auf Sozialplanleistungen fortgesetzt.  

Ausschluss einer Arbeitnehmergruppe

Das Bundesarbeitsgericht billigt den vollständigen Ausschluss dieser Arbeitnehmergruppe, wenn diese entweder direkt nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis oder nach einem möglichen Bezug von Arbeitslosengeld I eine gekürzte oder ungekürzte Altersrente in Anspruch nehmen können. Hiermit überschreite eine Einigungsstelle nicht das ihr durch § 112 Abs. 5 S. 1 BetrVG eingeräumte Regelungsermessen. Zwar bewirke der Ausschluss dieser Arbeitnehmergruppe eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gemäß § 3 Abs. 1 AGG. Diese sei jedoch gemäß § 10 S. 3 Nr. 6 i.V.m. § 10 S. 2 AGG gerechtfertigt. 

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: 

Der Arbeitgeber, der einen Terminalbetrieb für den Umschlag von Stückgut und Projektladung im Hamburger Hafen unterhielt, beschloss, seinen Betrieb zum 31. Dezember 2016 stillzulegen. Im Rahmen der Einigungsstelle wurde ein Sozialplan aufgestellt, der gestaffelt nach Altersgruppen Abfindungszahlungen mit folgenden Faktoren vorsah: 

–           Alter bis 45,99: Faktor 0,15

–           Alter 46 bis 52,99: Faktor 0,25

–           Alter 53 bis 60,99: Faktor 0,32

–           Alter ab 61: Faktor 0,25

Arbeitnehmer, die nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis oder nach einem möglichen Bezug von Arbeitslosengeld I eine gekürzte oder ungekürzte Altersrente in Anspruch nehmen konnten, wurden hingegen vollständig von Sozialplanleistungen ausgeschlossen. Dabei blieben (vorgezogene) Altersrenten für schwerbehinderte Menschen und Frauen außer Betracht. 

Ermessensüberschreitung?

Der Betriebsrat hielt den Sozialplan wegen Überschreitens des der Einigungsstelle zustehenden Ermessens u.a. wegen einer unzulässigen Altersdiskriminierung für unwirksam. 

Das BAG stellt fest, dass der vollständige Ausschluss rentennaher Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen zwar zu deren unmittelbarer Benachteiligung wegen des Alters gemäß § 3 Abs. 1 AGG führt. 

Diese Benachteiligung sei jedoch gemäß § 10 S. 3 Nr. 6 i.Vm. § 10 S. 2 AGG gerechtfertigt. Danach können die Betriebsparteien Beschäftigte von den Leistungen eines Sozialplans ausschließen, wenn diese – ggf. nach Bezug von Arbeitslosengeld I – rentenberechtigt sind. Die Regelung muss aber verhältnismäßig sein. Dies bedeutet, dass die gewählte Sozialplangestaltung (1) im Einzelfall geeignet sein muss, das mit § 10 S. 3 Nr. 6 Alt. 2 AGG verfolgte Ziel – die Sicherstellung einer gerechten Verteilung der für einen Sozialplan nur begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel auf die betroffenen Arbeitnehmer entsprechend ihren Bedürfnissen – tatsächlich zu fördern. Ferner darf die Sozialplanregelung (2) die Interessen der benachteiligten (Alters-)Gruppe nicht unverhältnismäßig stark vernachlässigen. Diese Voraussetzungen sah das Bundesarbeitsgericht in dem vorliegenden Fall als gegeben an:

Es komme allein darauf an, ob die vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmer wirtschaftlich abgesichert sind. Dies sei der Fall, wenn diese ggf. nach dem Bezug von Arbeitslosengeld rentenberechtigt sind. Dies gelte für eine gekürzte wie ungekürzte Altersrente gleichermaßen. 

Der Ausschluss der betroffenen (älteren) Arbeitnehmer sei notwendig, weil der mit dem Sozialplan verfolgte Zweck – die Milderung des wirtschaftlichen Nachteils jüngerer Arbeitnehmer infolge des Zurückfallens auf die Grundsicherung nach Auslaufen des Arbeitslosengeldbezugs – sonst nicht erreicht worden wäre und zudem die älteren Arbeitnehmer überproportional begünstigt worden wären. 

Schließlich war der Ausschluss der älteren Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen auch angemessen, weil im konkreten Fall davon auszugehen war, dass die betroffenen Arbeitnehmer auch bei einem vorzeitigen Renteneintritt und der Inanspruchnahme einer gekürzten Altersrente über eine hinreichende wirtschaftliche Absicherung verfügen würden. 

Fazit

Die vollständige Herausnahme von älteren Arbeitnehmern von Sozialplanleistungen ist möglich. Allerdings sollte bei Abschluss des Sozialplans eine sehr genaue Analyse der konkreten Verhältnisse der hiervon betroffenen Mitarbeitergruppe vorliegen. Die Entscheidung ist für die Aufstellung von Sozialplänen und die dabei anzuwendenden Grundsätze zur Aufstellung und Verteilung des Sozialplanvolumens generell von großer Bedeutung. Es ist danach möglich, bestimmte Arbeitnehmergruppen, die einen wirtschaftlichen Nachteil erleiden, vollständig von Leistungen auszuschließen, wenn nur begrenzte Mittel zur Verfügung stehen und diese Arbeitnehmer auf andere Weise – hier über den Bezug von Arbeitslosengeld und den anschließenden Bezug einer vorgezogenen Altersrente mit Abschlägen – abgesichert werden. Sehr interessant sind außerdem die Ausführungen des BAG zum Vorliegen einer substanziellen Milderung in Bezug auf die anderen Altersgruppen. Das BAG sieht dabei in der Altersgruppe unter 45,99 einen Faktor von 0,15 als ausreichend für eine substanzielle Milderung an, obgleich die Arbeitnehmer dieser Altersgruppe im Schnitt 7,5 Monate arbeitslos sind (abzüglich der auf einen Monat verkürzten Kündigungsfrist sind dies bei sofortiger Freistellung 6,5 Monate) und die durchschnittliche Abfindung nur EUR 3.592,40 beträgt. Nach unseren Berechnungen auf Nettobasis kann damit die voraussichtliche Arbeitslosigkeit nur für einen Zeitraum von 2,15 Monaten auf dem bisherigen Nettogehaltsniveau überbrückt werden. Dies entspricht einer Milderung des voraussichtlichen wirtschaftlichen Nachteils der zu erwartenden Arbeitslosigkeit um nur 33%. Dies lässt das BAG für eine substanzielle Milderung ausreichen. Damit dürfte die Untergrenze eines angemessenen Sozialplanvolumens neu definiert worden sein (siehe dazu auch unseren Beitrag “Wie funktioniert eigentlich… ein Sozialplan? Teil II: Die Untergrenze des Sozialplanvolumens”.

Unsere Practice Group Restructuring berät Sie sehr gerne zu diesem Thema.

Thomas Wahlig

Thomas Wahlig ist spezialisiert auf Unternehmenskäufe und –restrukturierungen, Betriebsübergangsrecht, Tarifrecht, komplexe Gerichtsverfahren sowie auf die Einführung von Arbeitszeitmodellen und Vergütungssystemen.

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