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„Risiken und Nebenwirkungen der Fiktionsbescheinigung“ – Die aktuelle Verwaltungspraxis von Ausländerbehörden auf dem Prüfstand

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Der seit Jahren anhaltende Fachkräfte- bzw. Arbeitskräftemangel und die damit verbundene Notwendigkeit einer hohen Fachkräfteeinwanderung zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland rückt die Frage des „Wie“ der Fachkräfteeinwanderung immer wieder in den Fokus. Mit dem am 7. Juli diesen Jahres beschlossenen Gesetz und der Verordnung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung soll diesem Anliegen nun abermals Rechnung getragen werden. Erklärtes Ziel ist eine deutliche Erleichterung und Steigerung der Einwanderung von ausländischen Fach- und Arbeitskräften. Laut dem Bericht des Haushaltsausschusses hofft man auf eine jährliche Zunahme qualifizierter Einwanderung um 60.000 Personen. Offen bleibt jedoch die Frage, wie die Vielzahl von Anträgen in Zukunft zeitnah bearbeitet werden soll?

Schon jetzt sind viele Ausländerbehörden mit dem Bearbeitungsvolumen der Anträge überfordert, sodass es nicht selten zu einer Wartezeit von bis zu sechs Monaten für das Erstgespräch zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder der Bearbeitung eines Antrags auf Verlängerung eines Titels kommt. Um den Aufenthaltsstatus bis zur Bearbeitung der Anträge nicht ungeklärt zu lassen, wird der legale Aufenthalt, sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen, von Gesetzes wegen „eingefroren“. Über das Bestehen dieser sog. „Fiktionswirkung“ ist dem Ausländer eine Bescheinigung, „Fiktionsbescheinigung“ genannt, auszustellen.

In Anbetracht der nunmehr gängigen Praxis der Erteilung von Fiktionsbescheinigungen für einen nicht unerheblichen Zeitraum von mehreren Wochen oder gar Monaten, stellt sich für Arbeitgeber die Frage, wie mit einer solchen Bescheinigung umzugehen ist und inwiefern diese zur Aufnahme der Erwerbstätigkeit berechtigt. Statt der vom Gesetzgeber bezweckten Rechtssicherheit, herrscht oft Unsicherheit wie hiermit praktisch umzugehen ist. Der nachfolgende Beitrag erörtert vor diesem Hintergrund die unterschiedlichen Erscheinungsformen einer Fiktionsbescheinigung sowie die jeweiligen rechtlichen Konsequenzen, die eine solche Fiktionsbescheinigung oder ihr Fehlen nach sich zieht.  

1. Die Fiktionsbescheinigung – Inhalt und Wirkung 

Das Gesetz sieht, je nach Ausgangslage, im Wesentlichen drei unterschiedliche Arten von Fiktionswirkungen vor: 

Die sog. „Erlaubnisfiktion“ nach § 81 Abs. 3 S. 1 AufenthG greift ein, sofern sich der Ausländer zum Zeitpunkt der erstmaligen Antragstellung rechtmäßig in Deutschland aufhält. Die Erlaubnisfiktion wird typischerweise privilegierten Staatsangehörigen (sog. Positivstaater) ausgestellt, die für Kurzaufenthalte im Bundesgebiet kein Visum benötigen. Die Staatsangehörigen der in Anhang II der Verordnung (EU) 2018/1806 aufgeführten Länder (darunter Vereinigte Staaten, Vereinigtes Königreich, Kanada u.a.) benötigen für die Einreise in die Bundesrepublik kein Visum und können sich für einen Zeitraum von 90 Tagen innerhalb von 180 Tagen in Deutschland auch visumsfrei aufhalten. Wollen diese Personen jedoch in Deutschland einer Erwerbstätigkeit nachgehen, benötigen sie einen Aufenthaltstitel, den Angehörige bestimmter Staaten auch im Bundesgebiet einholen können. Wird dieser Antrag nun rechtzeitig innerhalb des genannten 90-Tage Zeitraums im Inland gestellt, ist von der Ausländerbehörde auf Antrag eine entsprechende Fiktionsbescheinigung mit Erlaubnisfunktion auszustellen. Der Aufenthalt des Ausländers in Deutschland gilt dadurch bis zur Bescheidung des Antrags als erlaubt. 

Wesentlich anders gestaltet sich die Ausgangslage der sog. „Duldungsfiktion“ (§ 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG): Wird der Antrag zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Ablauf des 90-Tage-Zeitraums und damit verspätet gestellt, bleibt der Antragsteller bis zu einer hoffentlich positiven Entscheidung über den Aufenthalt zwar weiterhin ausreisepflichtig, die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht (Abschiebung) gilt aufgrund der Duldungsfiktion jedoch als ausgesetzt.

Die Erlaubnis- und Duldungsfiktion haben inhaltlich ihre Grenzen: Zum einen stellen die entsprechenden Fiktionsbescheinigungen kein Reisedokument dar, sodass der betroffene Ausländer in der Zeit bis zum Abschluss des Antragsverfahrens die Bundesrepublik zwar verlassen, in der Regel aber nicht wieder einreisen kann. Ist während des Antragsverfahrens eine Auslandsreise geplant, sollte daher zwingend bei dem zuständigen Sachbearbeiter Rücksprache zur Möglichkeit der Wiedereinreise durch einen entsprechenden Vermerk in der Fiktionsbescheinigung gehalten werden – ein Anspruch besteht hierauf jedoch nicht. Zum anderen – und dies stellt aus praktischer Sicht oftmals das eigentliche Problem dar – vermitteln beide Arten der Fiktionsbescheinigung grds. keine Möglichkeit, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Dies bedeutet, dass der Aufenthalt des Arbeitnehmers ab der rechtzeitigen Beantragung des Aufenthaltstitels zwar (weiterhin) als rechtmäßig gilt bzw. bei der verspäteten Antragstellung der Aufenthalt geduldet wird, bis zu der Entscheidung über den Aufenthaltstitel aber grds. kein Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt besteht. Daher ist zwingend anzuraten, während des Beantragungsprozesses bereits auf die geplante Erwerbstätigkeit hinzuweisen und den zuständigen Sachbearbeiter um die Aufnahme einer entsprechenden Erlaubnis in der Fiktionsbescheinigung zu bitten. Das Gesetz sieht in § 81 Abs. 5a AufenthG zwar nur die Möglichkeit der Gestattung der Erwerbstätigkeit zwischen der Beauftragung der Bundesdruckerei zur Ausfertigung des Aufenthaltstitels in Kartenformat (sog. elektronischer Aufenthaltstitel „eAT“) vor, in der Praxis hat es sich jedoch etabliert, dass oftmals bereits mit Beginn des Beantragungsverfahrens und mit Ausstellung der Fiktionsbescheinigung auch für die begrenzte Dauer des Antragsverfahrens die Erwerbstätigkeit erlaubt wird. Ein entsprechender Hinweis auf der Fiktionsbescheinigung ist hierzu jedoch zwingend notwendig. 

Die sog. „Fortgeltungsfiktion“ ist vorgesehen für den Fall, dass ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt (§ 81 Abs. 4 AufenthG). Rechtsfolge ist in diesem Fall, dass die Fortgeltung des bisherigen Aufenthaltstitels fingiert wird. War in dem ursprünglichen Aufenthaltstitel die Erwerbstätigkeit erlaubt, gilt dies – inklusive etwaiger Nebenbestimmungen – auch weiterhin für die Zeit der Fortgeltungsfiktion. Hierbei kommt es auch nicht darauf an, welcher Aufenthaltstitel verlängert werden soll, entscheidend ist lediglich, dass die Beantragung der Verlängerung noch während der Gültigkeitsdauer des ursprünglichen Aufenthaltstitels erfolgt. Zudem ermöglicht die Fortgeltungsfiktionsbescheinigung eine Wiedereinreise nach Deutschland und Reisen im Schengen-Raum.

Nicht unerwähnt bleiben soll die sog. beschränkte Fortgeltungsfiktionswirkung, die relevant wird, wenn eine Widerspruchs- oder Klagefrist gegen die Ablehnung der Erteilung eines Aufenthaltstitels läuft. In diesem Fall gilt der Aufenthaltstitel für Zwecke der Aufnahme oder Ausübung einer Erwerbstätigkeit als fortbestehend, solange die Frist zur Erhebung des Widerspruchs oder der Klage noch nicht abgelaufen ist (§ 84 Abs. 2 S. 2 AufenthG). Eine Bescheinigung über die beschränkte Fortgeltungsfiktion sieht das Gesetz nicht ausdrücklich vor, sie wird in der Regel aber gleichwohl von der Ausländerbehörde ausgestellt, damit der Ausländer gegenüber Dritten den Nachweis über das Bestehen der Wirkung der beschränkten Fortgeltungsfiktion führen kann. Die Bescheinigung ist daher auch kein Verwaltungsakt, da sie lediglich den bestehenden Rechtszustand dokumentiert.

2. Konsequenzen für den Arbeitgeber 

Arbeitgeber sind nach § 4a Abs. 5 S. 3 Nr. 1 AufenthG verpflichtet, einen Ausländer nur zu beschäftigen, wenn dieser einen Aufenthaltstitel besitzt und kein Verbot oder eine Beschränkung hinsichtlich der Ausübung der Erwerbstätigkeit besteht. Eine Kopie des Aufenthaltstitels ist zur Personalakte zu nehmen (§ 4a Abs. 5 S. 3 Nr. 2 AufenthG), ferner sollte unbedingt das Ablaufdatum – idealerweise ebenfalls eine angemessene Vorfrist – vermerkt werden. Bei der Vorlage einer Fiktionsbescheinigung ist zunächst sicherzustellen, dass die Fiktionsbescheinigung die Erwerbstätigkeit überhaupt erlaubt und falls dies zutrifft, ob diese Beschränkungen unterliegt. Da die Fiktionsbescheinigung mit Ausnahme ihrer konkreten Art durch den entsprechenden Hinweis auf die gesetzliche Regelung (Erlaubnis-, Duldungs- oder Fortgeltungsfiktion) keine Aussage über einen möglicherweise bestehenden oder über einen konkret beantragten Aufenthaltstitel trifft, sollte der Arbeitnehmer dazu angehalten werden, unmittelbar nach einer entsprechenden Bewilligung der Aufenthaltserlaubnis diese dem Arbeitgeber nachzuweisen und eine Kopie einzureichen. 

3. Fehlende Fiktionsbescheinigung 

Besondere Umsicht ist geboten, wenn Arbeitnehmer noch nicht einmal eine Fiktionsbescheinigung vorlegen können, sondern von der Ausländerbehörde ausschließlich eine standardisierte Eingangsbestätigung der Antragsunterlagen per Mail erhalten. Dies wird insbesondere in Ballungsräumen mit hoher Zuwanderung vermehrt als gängige Praxis gehandhabt, um dem hohen Antragsaufkommen Herr zu werden. So ist bspw. dem Internetauftritt des Landesamtes für Einwanderung Berlin (LEA) folgender Hinweis zu entnehmen: „Ihr Aufenthaltstitel war am Tag der Buchung des Termins noch gültig? Dann wird der Aufenthaltstitel im Bundesgebiet bis zum gebuchten Termin als fortbestehend betrachtet. Dies gilt auch für die Nebenbestimmungen zu Ihrem Aufenthaltstitel. Das bedeutet: Sie können bis zum Termin weiterarbeiten oder studierenIhre Buchungsbestätigung gilt zusammen mit Ihrem bisherigen Aufenthaltstitel als Nachweis über Ihren erlaubten Aufenthalt und kann bei Behörden und Arbeitgebern als entsprechender Nachweis vorgelegt werden.“ Sollte eine Terminbuchung nicht möglich sein, was aufgrund der Überlastung der Ausländerbehörde oftmals der Fall ist, wird oft mitgeteilt, dass auch ein Antrag auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels per Mail als Antrag gelte, sodass dadurch der Aufenthaltstitel als fortbestehend betrachtet wird. Auch die Fortführung der Erwerbstätigkeit soll in diesem Fall möglich sein. Eine konkrete Prüfung des Antrags und dessen Vollständigkeit erfolgt im Falle einer standardisierten Eingangsbestätigung per E-Mail freilich nicht. Eine förmliche Bescheinigung über die Fiktionswirkung stellt dies daher nicht dar. 

4. Praktische Hinweise

Da der Arbeitgeber nicht überprüfen kann, ob bei Antragstellung tatsächlich alle notwendigen Unterlagen korrekt und fristgerecht eingereicht worden sind und ob eine Terminbuchung noch während der Gültigkeit des Aufenthaltstitels erfolgte, bleibt diesem – sofern die Nichteinstellung bis zur Erstattung der Fiktionsbescheinigung bzw. des Aufenthaltstitels keine Option darstellt – oftmals nichts anderes übrig, als auf die Rechtmäßigkeit der Erwerbstätigkeit des Arbeitnehmers aufgrund der mit der Eingangsbestätigung verbunden Hinweise der Ausländerbehörde zu vertrauen. In diesem Fall sollte der Arbeitnehmer jedoch zwingend die Eingangsbestätigung an den Arbeitgeber weiterleiten, der diese dann in den Personalunterlagen hinterlegen kann

Jedenfalls durch die klaren Aussagen des LEA wird dem Arbeitgeber bei einer Zuständigkeit des LEA aber wohl kein ordnungs- oder gar strafrechtlicher Vorwurf gemacht werden können, sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass der Aufenthaltstitel nicht fortbestand, weil die gesetzlichen Voraussetzungen der Fiktionswirkung nicht wie angenommen vorlagen. Ein gewisses Restrisiko verbleibt jedoch, da es bisher noch zu keiner gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieser Verwaltungspraxis gekommen ist. 

Kann ein Arbeitnehmer mithin aufgrund von Überlastung der Ausländerbehörde weder einen aktuellen Aufenthaltstitel noch eine Fiktionsbescheinigung vorlegen, sollte mindestens die Website der zuständigen Ausländerbehörde auf entsprechende Hinweise zur Verwaltungspraxis zur Plausibilisierung überprüft werden und mit dieser – sofern möglich – Kontakt aufgenommen werden, um sich über die der standardisierten Eingangsbestätigungen als „Quasi-Fiktionsbescheinigungen“ zugedachten Rechtwirkung erkundigen zu können. 

5. Zusammenfassung

Arbeitgeber sollten bei der Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmern besondere Umsicht walten lassen, falls der Ausländer lediglich die Eingangsbestätigung einer Ausländerbehörde per E-Mail als Nachweis für eine bestehende Fiktionswirkung eines beantragten bzw. zu verlängernden Aufenthaltstitels vorlegen kann. Bei Vorlage einer Fiktionsbescheinigung ist zwingend zu überprüfen, ob die Ausübung der Erwerbstätigkeit in der Fiktionsbescheinigung explizit erlaubt ist.

Dr. Anna Franziska Hauer

Dr. Anna Franziska Hauer ist spezialisiert auf Arbeitnehmerüberlassung, internationale Arbeitnehmerentsendung und Ausländerrecht, insbesondere in Bezug auf den Arbeitsmarktzugang ausländischer Mitarbeiter und Führungskräfte.

Anja Walter, LL.M. (LSE)

Anja Walter ist spezialisiert auf Kündigungsrechtsstreitigkeiten, betriebsverfassungsrechtliche Fragestellungen und die Gestaltung von Arbeitsverträgen und Auflösungsvereinbarungen.

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