Neues aus der Practice Group Restructuring
Bei der im Falle einer betriebsbedingten Kündigung nach § 1
Abs. 3 KSchG durchzuführenden Sozialauswahl ist unter anderem das Lebensalter
zu berücksichtigen. Bisher konnte die Schutzbedürftigkeit linear mit dem Alter
ansteigen, diesem Anstieg hat das BAG mit seiner Entscheidung vom 27. April
2017 (Az. 2 AZR 67/17) nun ein Ende gesetzt.
Der 66-jährige Kläger arbeitete seit mehr als 30 Jahren als
Jurist bei dem beklagten Arbeitgeberverband. Zusammen mit fünf weiteren
Kollegen war er für die Durchführung von Prozessen und die Beratung der
Mitgliedsunternehmen zuständig. Mit dem Rückgang der Gerichtsverfahren, entfiel
der Beschäftigungsbedarf für einen Juristen. Dem Kläger wurde daraufhin
gekündigt. Unter den anderen fünf Juristen befand sich eine knapp 35-jährige
verheiratete Mutter eines Kindes, die erst seit sechs Jahren bei dem Beklagten
tätig war.
Das BAG erklärte, anders als noch die Vorinstanzen, die durchgeführte
Sozialauswahl für ordnungsgemäß. Der Kläger sei hinsichtlich des
Auswahlkriteriums „Lebensalter“ aufgrund des Bezugs der Regelaltersrente als
deutlich weniger schutzbedürftig anzusehen als die vergleichbare junge Mutter.
Mit dem Merkmal „Lebensalter“ habe der Gesetzgeber die Vermittlungschancen
eines Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigen wollen, die mit
steigendem Alter typischerweise schlechter ausfallen. Dieser Schutz sei bei
einem Arbeitnehmer der bereits Rente beziehe nicht mehr notwendig, da dieser damit
über ein dauerhaftes „Ersatzeinkommen“ verfüge. Der Kläger war damit im
Ergebnis im Vergleich zu seinen Kollegen am wenigsten auf das Arbeitsverhältnis
angewiesen.
Die Begründung des BAG ist bei der heutigen Rentnergeneration,
die nach dem aktuellen Alterssicherungsbericht der Bundesregierung überwiegend
gut versorgt ist, nachvollziehbar. Dem zu erwartenden Einwand, dass die Rente
die Funktion eines „Ersatzeinkommens“ zukünftig immer weniger erfüllen werde, hält
das BAG schon jetzt zu Recht entgegen, dass den betroffenen Rentnern im Rahmen
der Sozialauswahl weitere drei Auswahlkriterien verbleiben, die ihre
Schutzbedürftigkeit begründen können. Auch hat der EuGH in der Sache Hörnfeldt
(C-141/11) bereits 2012 im Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit der Beendigung
von Arbeitsverhältnissen bei Rentenbezug darauf verwiesen, dass es auf die konkrete
Höhe der Rente nicht ankomme.
Das Urteil des BAG bezieht sich ausdrücklich nur auf den
Fall eines Rentners, der bereits Rente bezieht. Es spricht aber einiges dafür,
dass auch Arbeitnehmer, die kurz vor der Rente stehen, im Vergleich zu jüngeren
Arbeitnehmern als weniger schutzbedürftig angesehen werden können.
Alter ist ein relatives Kriterium: Entscheidend für die Sozialauswahl ist die altersbezogene soziale Schutzbedürftigkeit. Dies kann in Zeiten des demographischen Wandels dazu führen, dass ältere, sozial abgesicherte Arbeitnehmer weniger schutzbedürftig sind als jüngere Beschäftigte, deren Beschäftigungsaussichten am Arbeitsmarkt eher schlecht sind. Die weitere Entwicklung der Rechtsprechung ist mit Spannung zu erwarten, der erste Schritt ist gemacht.
Unsere Practice Group Restructuring berät Sie sehr gerne zu diesem Thema.