Viele
Tarifverträge sehen eine Ausweitung der sachgrundlosen Befristungsmöglichkeit
vor. Das dies auch von den Tarifvertragsparteien nicht schrankenlos vereinbart
werden kann, ist wohl Konsens in Rechtsprechung und Literatur. Aber wo sind die
Grenzen zu ziehen?
In
seiner Entscheidung vom 17. April 2019 (Aktenzeichen 7 AZR 410/17) hat sich das
BAG erneut mit der den Tarifvertragsparteien eingeräumten Möglichkeit
beschäftigt, von den für die sachgrundlose Befristung in § 14 Abs. 2 Satz 1
TzBfG geregelten Grenzen abzuweichen. Trotz massiver Kritik im Schrifttum hat
das BAG seine diesbezügliche Grundsatzentscheidung vom 26. Oktober 2016
(Aktenzeichen 7 AZR 140/15) nun ausdrücklich bestätigt: Im Grundsatz sind
kumulativ mehr als eine Gesamtdauer von sechs Jahren und neun Verlängerungen
auch nicht per Tarifvertrag zu legitimieren.
In
Anwendung dieser Rechtsprechung hat das BAG nunmehr die Befristung eines
Arbeitsverhältnisses für unwirksam gehalten, das innerhalb einer Gesamtdauer
von sieben Jahre dreimal verlängert wurde, obwohl dies vom anwendbaren
Tarifvertrag gedeckt war. Die jeweilige Befristung bzw. die
Vertragsverlängerungen entsprachen § 2 des zwischen der IG BCE und dem
Unternehmensverband Steinkohlebergbau abgeschlossen Tarifvertrags über
befristete Arbeitsverträge im deutschen Steinkohlebergbau vom 29. Juni 2007 in
der Fassung vom 1. August 2010. Dort war geregelt, dass die Befristung ohne Sachgrund
bis zu maximal sieben Jahren zulässig ist und der Arbeitsvertrag während dieser
Gesamtdauer bis zu siebenmal verlängert werden kann.
Mit
dieser Regelung haben die Tarifvertragsparteien die ihnen vom Gesetzgeber in §
14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG eingeräumte Regelungsbefugnis nach Auffassung des BAG überschritten.
Zwar sei die Möglichkeit, die Höchstdauer der Befristung und die Anzahl der
Verlängerungen abweichend von § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG festzulegen, nach dem
Gesetzeswortlaut nicht eingeschränkt. Gleichwohl geböten der systematische
Gesetzeszusammenhang sowie Sinn und Zweck des Teilzeit- und
Befristungsgesetzes, sowie verfassungs- und unionsrechtliche Gründe eine
immanente Beschränkung der den Tarifvertragsparteien vorbehaltenen
Abweichungsbefugnis.
Mit
Blick auf die konkret gezogenen Grenzen bei einer Gesamtdauer von sechs Jahren
und der neunmaligen Verlängerungsmöglichkeit führte das BAG aus, dass sich
diese Grenzen u.a. an den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs
bei der Sachgrundbefristung zu orientieren hätten. Im Nachgang der
“berühmt-berüchtigten” Kücük-Entscheidung hatte das BAG die
Durchführung einer Rechtsmissbrauchskontrolle gefordert, die dann veranlasst
sei, wenn die gesetzlichen Grenzen für die sachgrundlosen Befristungen um ein
Mehrfaches überschritten wären. Ebenfalls in einer Grundsatzentscheidung des
BAG vom 26. Oktober 2016 (Aktenzeichen 7 AZR 135/15) konkretisierte das BAG
dies und bejahte eine Veranlassung zur Durchführung einer
Rechtsmissbrauchskontrolle bei einem kumulativen Überschreiten von sechs Jahren
Vertragsdauer und neun Vertragsverlängerungen; bei alternativem Überschreiten
der Vertragsdauer oder der Anzahl der Vertragsverlängerungen seien die Grenzen
bei einer Gesamtdauer von acht Jahren bzw. insgesamt 12 Vertragsverlängerungen
erreicht.
Nach
Auffassung des BAG könne eine sachgrundlose Befristung nicht mehr in Betracht
kommen, wenn bei einer Befristung mit Sachgrund bereits die Vornahme einer
Rechtsmissbrauchskontrolle veranlasst sei. Dies widerspräche der Gesamtkonzeption
von § 14 Abs. 1 und 2 TzBfG, wonach die Befristung ohne Sachgrund nur die
Ausnahme gegenüber einer solchen mit Sachgrund sein soll. Daher soll die den
Tarifvertragsparteien obliegende Gestaltungsbefugnis bereits dort ihre Grenze
erreichen, wenn nur einer der Werte für Vertragsdauer und Anzahl der
Vertragsverlängerungen mehr als das Dreifache im Vergleich zur gesetzlichen
Regelung betrage. Diese Differenzierung sei dadurch gerechtfertigt, dass § 14
Abs. 2 Satz 3 TzBfG sachgrundlose Befristungen betrifft, während die
Rechtsmissbrauchsprüfung eine Befristung mit Sachgrund voraussetzt.
Innerhalb
der Grenzen von sechs Jahren und neun Vertragsverlängerungen könnten die
Tarifvertragsparteien branchenspezifische Besonderheiten berücksichtigen; sie
verfügen über eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der tatsächlichen
Gegebenheiten und betroffenen Interessen, wobei sie nicht die sachgerechteste
oder zweckmäßigste Regelung finden müssten.
Nur
in einem kurzen Absatz geht das BAG auf die den Tarifparteien nach Art. 9 Abs.
3 GG gewährleistete Tarifautonomie ein. Diese stehe den vom BAG gezogenen
Grenzen nicht entgegen, da die Norm des § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG den
Tarifvertragsparteien einen Gestaltungsspielraum eröffne, den sie ohne diese
Vorschrift gemäß § 22 Abs. 1 TzBfG gar nicht hätten.
Die Kritik in der Literatur
an den konkret gezogenen Grenzen ist verständlich. Es erschließt sich auch auf
den zweiten Blick nicht, warum das Bedürfnis nach einer Missbrauchskontrolle
bei Sachgrundbefristungen zum generellen Dogma für die per Gesetz den
Tarifvertragsparteien obliegende Gestaltungsfreiheit in Bezug auf eine
sachgrundlose Befristung herhalten kann. Insbesondere mit Blick auf die
Vermutung der Richtigkeit und Ausgewogenheit von Tarifverträgen ist dieser
Ansatz nicht überzeugend. Es würde mehr Sinn ergeben, die vom BAG gezogenen
Grenzen nur als Untergrenze der Zulässigkeit zu verstehen und ein Überschreiten
dieser Grenzen einer Einzelfallkontrolle zu unterwerfen. Das BAG hat dies
jedoch offenkundig anders gesehen.