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Christine Wahlig (Rechtsanwältin – Redaktionelle Leitung Blog) & Alice Tanke (Marketing Managerin)

Spotlights

Neulich… in der Deutschen Bahn III

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Keine Sitzplatzreservierung zu haben, verbindet. So machte ich mich gemeinsam mit einem älteren Herrn auf die Suche nach verfügbaren Plätzen ohne Reservierungsanzeige. Mir war diese Schicksalsgemeinschaft von Anfang an nicht ganz recht, weil ich befürchtete, dass ich ihm aus Respekt und Höflichkeit den Vortritt würde lassen müssen, wenn wir nur einen Platz finden sollten.

Glücklicherweise fanden wir aber zwei nebeneinander liegende Plätze und das „Unglück“ nahm seinen Lauf:

Junger Mann, ich komme gerade von der Beerdigung meines Vetters in Köln und muss jetzt zurück nach Kiel, obwohl ich eigentlich in Siegburg lebe. Lange Geschichte. Mein Vetter war ein Stein (Name geändert) wie ich, Juden, die der Kaiser damals ins Rheinland geholt hat. Wir müssen jetzt übrigens gerade einmal mit dem Zug halb um Köln herumfahren, weil der Kaiser unbedingt die Brücke so gebaut haben wollte, dass er mit Wagen und Entourage direkt auf den Kölner Dom zufahren konnte. Verrückter Kerl sag’ ich Ihnen.

Mein Vater ist schon vor 1933 zum Katholizismus konvertiert, so dass ich im Jahre 1940 bereits katholisch getauft und erzogen wurde. Meine Frau kommt aus einer streng protestantischen Familie und meine Schwiegermutter konnte mich deshalb nie leiden. Jüdisch-katholisch, sagte sie immer zu meiner Frau, hättest Du Dir nicht was Anständiges suchen können?

Ich schwankte zwischen dem dringenden Wunsch, meiner Arbeit nachzugehen und der Höflichkeit und dem Respekt, dem ich diesem sehr netten und gesprächigen Herrn entgegenbringen wollte. Ich entschied mich für eine teilnehmende Nachfrage und wollte von ihm wissen, ob der Wechsel zum Katholizismus seinen Vater und seine Familie vor dem Zugriff der Nationalsozialisten bewahrt hätte. „Natürlich nicht, junger Mann, ein Mal Jude, immer Jude. So sah das vor allem auch meine Schwiegermutter…..“. Und er fuhr fort, mir von seiner Schwiegermutter, seiner Frau und seinen Kindern zu erzählen. Fazit dieser etwa halbstündigen Familiensaga war, dass auch seine Schwiegermutter im hohen Alter habe zugeben müssen, dass sie es mit ihm von allen Schwiegersöhnen noch am Besten getroffen habe. Dass sie dies ihm gegenüber habe zugestehen müssen, verschaffte ihm große Genugtuung. Mir kam eine Idee, wie ich ihn auf geschickte Art dazu bringen könnte, sich mit etwas anderem als mir zu beschäftigen. Ich erzählte ihm, dass mich seine Geschichte sehr an den Film „Monsieur Claude und seine Töchter“ erinnere und dass ich ihm diesen Film direkt hier im Zug auf meinem IPad mit Kopfhörern anmachen könne. Leider wollte er das nicht, Kopfhörer seien nichts für ihn. Stattdessen kam er über den Bezug zu Frankreich auf die hugenottischen Vorfahren seiner Schwiegermutter zu sprechen, die weiland vom alten Fritz nach Preußen geholt worden seien.

Als ich schon kapituliert und mich darauf eingestellt hatte, meine gesamte Arbeit zwischen Hannover und Berlin zu erledigen (in Hannover musste er nämlich umsteigen), rettete mich vermeintlich die Schaffnerin. Er hatte sich nämlich, wie bei der Fahrscheinkontrolle herauskam, in die erste Klasse verirrt und wurde höflich aber bestimmt gebeten, den Platz zu räumen und sich in die zweite Klasse zu begeben. Plötzlich durchströmte mich ein Gefühl von Solidarität mit ihm und ich wurde zu dem, was ich am Besten kann – seinem Anwalt. Ich wies die Schaffnerin darauf hin, dass der Zug doch völlig überfüllt sei und er in der zweiten Klasse ganz gewiss keinen Sitzplatz finden werde. Ob es nicht möglich sei, jetzt ein Upgrade zu kaufen und einfach sitzen zu bleiben? Sie erwiderte unnachgiebig, dass sie leider kein Upgrade mehr verkaufen dürfe, weil auch die erste Klasse überfüllt sei und andere auf einen Sitzplatz warten würden. Ich empfand das als ungerecht, sah aber nach längerer Diskussion ein, dass wir verloren hatten. Ich bedeutete ihm, sitzen zu bleiben und begab mich auf die Suche nach einem Sitzplatz. Im benachbarten Speisewagen wurden tatsächlich gerade zwei Plätze frei, die ich sofort okkupierte. Zwei Plätze? Ja, ich setzte mich tatsächlich zu ihm und lauschte weiter seinen gar nicht so uninteressanten Geschichten. Auch die mir früher immer unangenehme Bezeichnung als „junger Mann“ bereitete mir ein gewisses Behagen, sicherlich ein untrügliches Zeichen meines fortschreitenden Alters. Er bedankte sich in Hannover überschwänglich bei mir für die Hilfe und das angenehme Gespräch und ich half ihm noch mit seinem Koffer. Zwischen Hannover und Berlin ging ich dann beschwingt und mit dem bei Anwälten seltenen Gefühl, etwas wirklich und ganz und gar Gutes getan zu haben, meiner Arbeit nach.

Thomas Wahlig

Thomas Wahlig ist spezialisiert auf Unternehmenskäufe und –restrukturierungen, Betriebsübergangsrecht, Tarifrecht, komplexe Gerichtsverfahren sowie auf die Einführung von Arbeitszeitmodellen und Vergütungssystemen.

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