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Christine Wahlig (Rechtsanwältin – Redaktionelle Leitung Blog) & Alice Tanke (Marketing Managerin)

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Neue Rechtsprechung zur Begrenzung des Anspruchs auf Annahmeverzugslohn

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Das Prinzip des Annahmeverzugs ist einfach erklärt: Nimmt der Arbeitgeber ihm vom Arbeitnehmer angebotene Arbeit im laufenden Arbeitsverhältnis nicht an, muss er sie trotzdem vergüten. Das ist so auch im Gesetz festgehalten und zwar in § 615 BGB und § 11 KSchG. Dieser Grundsatz entpuppt sich für Arbeitgeber im arbeitsrechtlichen Trennungsprozess regelmäßig als echte Zwickmühle. Spricht er gegenüber einem Arbeitnehmer eine Kündigung aus, wird er in aller Regel auch davon ausgehen, dass er das Arbeitsverhältnis hierdurch mit Ablauf der Kündigungsfrist wirksam beendet hat. Dementsprechend wird er die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist auch nicht mehr annehmen. Viel schlimmer: Der Arbeitnehmer muss sie ihm in diesem Fall noch nicht einmal anbieten.

Stellt das Arbeitsgericht später aber die Unwirksamkeit der Kündigung fest, besteht das Arbeitsverhältnis fort. Da der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers aber nicht angenommen hat, muss er – dem Prinzip des Annahmeverzugs folgend – die vereinbarte Vergütung nachzahlen, ohne dass der Arbeitnehmer in der Zwischenzeit Arbeitsleistung erbracht hat. Mit Blick auf potenzielle (finanzielle) Risiken spielt die sprichwörtliche „Musik“ deshalb in erster Linie beim Annahmeverzugslohn. Das hat regelmäßig ganz erhebliche Auswirkungen auf etwaig geführte Vergleichsverhandlungen und insbesondere die Frage, ob und zu welchem Preis sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einvernehmlich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses einigen können. 

Lange Zeit mehr oder weniger in Vergessenheit geraten war allerdings eine wichtige Ausnahme von dem oben skizzierten Grundsatz. Denn nach § 615 S. 2 BGB muss sich der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs u.a. „den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er […] durch anderweitige Verwendung seiner Dienste […] zu erwerben böswillig unterlässt“. Eine ähnliche Regelung findet sich auch in § 11 KSchG. 

Der Arbeitnehmer muss sich während des Annahmeverzugs also in irgendeiner Weise redlich um eine neue Erwerbsquelle bemühen.

Dass dieser Einschränkung von Arbeitgebern und Rechtsanwälten lange Zeit nur wenig Beachtung geschenkt wurde, ist wohl auf die bis zuletzt enorm restriktive Anwendung der Norm durch die Arbeitsgerichte zurückzuführen: So wurde gemeinhin vertreten, dass den vom Arbeitnehmer verlangten redlichen Bemühungen bereits genüge getan ist, wenn er sich arbeitssuchend gemeldet hat. Ernstzunehmende Bewerbungsbemühungen wurden hingegen nicht verlangt. 

Wohl als – reichlich späte – Reaktion auf die Neuregelung des Arbeitsförderungsrechts im SGB III hat das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2020 aber eine deutliche Trendwende zugunsten der Anwendung des § 615 S. 2 BGB bzw. § 11 Nr. 2 KSchG vollzogen. 

Seitdem steht fest: Arbeitnehmer sollten ihren Kündigungsschutzprozess eben doch nicht „vom Sofa aus“ beobachten. Bemüht sich ein Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs seines Arbeitgebers nicht ausreichend um einen neuen Arbeitsplatz, kann ihn dies den Anspruch auf Annahmeverzugslohn kosten. 

Mit der richtigen Vorgehensweise können sich Arbeitgeber diese neuen Grundsätze zu Nutze machen und ihr eigenes Risiko und damit auch potenzielle Abfindungszahlungen erheblich minimieren. 

Wie sehr, zeigen zwei aktuelle Entscheidungen des LAG Berlin-Brandenburg bzw. des LAG Niedersachsen anschaulich. 

I. Hintergrund: Konkretisierung der Pflichten des Arbeitnehmers während des Annahmeverzugs durch das Bundesarbeitsgericht

Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 615 S. 2 BGB bzw. § 11 KSchG muss sich der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs seines Arbeitgebers bei der Agentur für Arbeit als arbeitsuchend melden. Darüber hinaus muss er eigene Bemühungen entfalten, um nach Beschäftigung zu suchen und eine zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Der Arbeitnehmer ist gehalten, alle Möglichkeiten zur beruflichen Eingliederung zu nutzen und sich u.a. ernsthaft auf von der Agentur für Arbeit und Dritten erhaltene Jobangebote zu bewerben. Bezieht der Arbeitnehmer diese Angebote nicht in seine Suche mit ein, riskiert er wegen des böswilligen Unterlassens anderweitigen Erwerbs den Anspruch auf Annahmeverzugslohn (siehe hierzu auch Witteler/Brune NZA 2020, 1689-1693). Diese Pflichten des Arbeitnehmers werden flankiert durch einen Auskunftsanspruch des Arbeitgebers hinsichtlich der erhaltenen Jobangebote und den vom Arbeitnehmer unternommenen Bewerbungsbemühungen. 

Damit ist das Bundesarbeitsgericht deutlich von seiner früheren Rechtsprechung abgekehrt, der zufolge es zur Vermeidung der Anrechnung nach § 615 S. 2 BGB schon genügen sollte, wenn sich der Arbeitnehmer lediglich arbeitsuchend gemeldet hat.

Dass diese Kehrtwende das Annahmeverzugsrisiko des Arbeitgebers nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis erheblich mindert, zeigt sich in zwei Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg und des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen. In diesen Entscheidungen haben die Landesarbeitsgerichte jeweils das böswillige Unterlassen anderweitigen und zumutbaren Erwerbs durch den Arbeitnehmer angenommen mit der Folge, dass diesem keinerlei Annahmeverzugslohnansprüche gegen den Arbeitgeber zugesprochen wurden. Beide Entscheidungen bestätigen damit, dass durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2020 das Annahmeverzugsrisiko deutlich zu Lasten des Arbeitnehmers verschoben worden ist.

II. LAG Berlin-Brandenburg: Anforderungen an die Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers

In einer Entscheidung vom 30.9.2022 (Az.: 6 Sa 280/22) hat sich das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg mit der Frage befasst, welche konkreten Bemühungen von einem Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs erwartet werden können.

Der klagende Arbeitnehmer machte gegen seinen Arbeitgeber im Nachgang zu einem rechtskräftig abgeschlossenen Kündigungsschutzverfahren Annahmeverzugslohnansprüche für einen Zeitraum von beinahe vier Jahren geltend. Damit blieb er jedoch erfolglos.

Denn der beklagte Arbeitgeber berief sich in Anwendung der vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Grundsätze darauf, dass der Kläger während des Annahmeverzugs böswillig anderweitigen Erwerb unterlassen hatte, den er sich auf seinen Annahmeverzugslohnanspruch anrechnen lassen muss.

Den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zufolge meldete sich der Kläger im laufenden Kündigungsschutzverfahren arbeitsuchend und schloss mit dem Jobcenter Eingliederungsvereinbarungen ab. Die Bundesagentur für Arbeit unterbreitete dem Kläger Vermittlungsvorschläge. Sanktionen im Rahmen des ALG II wurden nicht verhängt. Der Kläger bewarb sich über einen Zeitraum von 29 Monaten auf 103 Ausschreibungen, davon entfielen drei auf Vermittlungsvorschläge. Auf mehrere Vermittlungsvorschläge bewarb er sich nicht. Die Bewerbungen waren mit einer Ausnahme nicht individualisiert. Betreff oder Stellenkennzeichen gab der Kläger nicht an. Der kurze Bewerbungstext wies zudem stets zwei Fehler auf. Auf Rückfragen der potenziellen Arbeitgeber reagierte der Kläger in zwei Fällen nicht. Erhielt der Kläger auf seine Bewerbung keine Antwort, ließ er die Sache auf sich beruhen. 

Diese Bemühungen sah das Landesarbeitsgericht jedoch als unzureichend an. Vor diesem Hintergrund seien auch fehlende Sanktionen durch das Jobcenter nicht geeignet, ausreichende Bewerbungsbemühungen zu indizieren. Das Landesarbeitsgericht äußerte sich zwar nicht explizit zu den Anforderungen an die Bewerbungstätigkeit, die der Arbeitnehmer entfalten muss. Offenbar muss ein objektiver Dritter jedoch in der Gesamtschau davon überzeugt sein, dass der Arbeitnehmer sich ernsthaft um eine Neuanstellung bemüht hat. Dazu gehören nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts mindestens individualisierte und fehlerfreie Anschreiben, Antworten auf Rückmeldungen und gegebenenfalls Nachfragen. Außerdem hätte der Arbeitnehmer mehr Bewerbungen abschicken müssen. Das Landesarbeitsgericht forderte Bewerbungsbemühungen im zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle. Dem hatte der Kläger nicht genügt. Durch das böswillige Unterlassen anderweitigen Erwerbs war der dem Grunde nach gegebene Anspruch auf Annahmeverzugslohn in voller Höhe erloschen; das Landesarbeitsgericht ging hierbei davon aus, dass der Kläger, hätte er sich ordnungsgemäß beworben und einen neuen Job gefunden, nach dem einschlägigen Tarifvertrag vergütet worden wäre.

Das Landesarbeitsgericht hat die Grundsätze der Entscheidung des Bundesarbeitsgericht mustergültig angewendet und mit Leben gefüllt. Die Entscheidung hat für die Praxis Beispielcharakter, da der Fall auf die neuen Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts wie zugeschnitten war. Zudem bietet das Landesarbeitsgericht einen Lösungsansatz für das Problem, das sich bei der Berechnung des böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerbs stellt. Es ist nicht immer klar, wie viel der Arbeitnehmer im Fall einer erfolgreichen Bewerbung andernorts verdient hätte. Dem begegnet das Landesarbeitsgericht pragmatisch, indem es auf den bisherigen Verdienst nach dem beim Arbeitgeber einschlägigen Tarifvertrag abstellt und davon ausgeht, dass dieser auch bei der neuen Stelle gegolten hätte.

III. LAG Niedersachsen: Outsourcing zu gleichen Bedingungen ist Möglichkeit der Aufnahme zumutbarer Arbeit

Auch für Restrukturierungen im Zusammenhang mit dem Outsourcing von Arbeitsplätzen auf Dritte ist die Anrechnung des böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerbs relevant. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hatte über Annahmeverzugslohn im Rahmen des Outsourcings der Logistik in eine Service-GmbH zu entscheiden (Urteil vom 23.02.2022, Az.: 8 Sa 654/21). Gegenüber der Klägerin wurde die Kündigung ausgesprochen, gleichzeitig wurde ihr der Wechsel in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bei der Service-GmbH angeboten. Da die Klägerin dieses Angebot nicht annehmen wollte, bot die Service-GmbH der Klägerin für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses einen befristeten Arbeitsvertrag an. Die jeweils angebotenen Arbeitsbedingungen entsprachen dabei exakt denen des Arbeitsvertrags zwischen der Klägerin und der beklagten Arbeitgeberin.

Auch hier befand sich die Arbeitgeberin zwar im Annahmeverzug, die Klägerin musste sich jedoch den Wert dessen anrechnen lassen, was sie böswillig in dieser Zeit zu erwerben unterlassen hat. Die Annahme des Angebots der Beschäftigung bei der Service-GmbH war der Klägerin nach Auffassung des Gerichts zumutbar, da die Arbeitsbedingungen denen entsprachen, die im Arbeitsvertrag zwischen der Klägerin und der Arbeitgeberin vereinbart worden waren. Da der erzielbare Verdienst gleich hoch gewesen wäre wie der von der Arbeitgeberin geschuldete Lohn, erlosch der Anspruch der Klägerin vollständig.

Auch diese Entscheidung ist für die Praxis hochinteressant. Gerade in Restrukturierungsprozessen können Arbeitgeber so ihr Kostenrisiko beschränken und den Vorgang vorantreiben. Aber auch für Fälle, in denen Arbeitnehmer einem Betriebsübergang widersprechen, kann diese Entscheidung hilfreich sein, wenn dem Arbeitnehmer nach seinem Widerspruch eine Beschäftigung beim Erwerber angeboten wird. Es spricht vieles dafür, die Grundsätze des Landesarbeitsgerichts zum Outsourcing auch bei einem Widerspruch gegen einen Betriebsübergang anzuwenden. 

IV. Handlungsmöglichkeiten für Arbeitgeber

Das Potenzial der „neuen Linie“ des Bundesarbeitsgerichts geht aber noch weiter: 

Denn der Arbeitnehmer muss sich nicht nur auf von der Agentur für Arbeit erhaltene Arbeitsangebote bewerben, sondern auch auf solche, die er von Dritten erhalten hat. Dies können sich Arbeitgeber zu Nutze machen, in dem sie den Arbeitnehmer zeitnah nach Ausspruch der Kündigung bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung unterstützen und ihm einschlägige Jobangebote zuleiten. Im Idealfall kann ein Kündigungsschutzprozess auf diese Weise vollständig vermieden werden. Kommt es doch zum Rechtsstreit, hat der Arbeitgeber sein Risiko hinsichtlich der Zahlung von Annahmeverzugslohn deutlich reduziert. Dies schlägt sich auch in etwaigen Vergleichsverhandlungen nieder. 

Mit unserem Legal-Tech- Tool „Kündigung+“ suchen wir für Arbeitgeber automatisiert auf den gängigen Jobplattformen nach individuell auf den jeweiligen Arbeitnehmer abgestimmten Arbeitsangeboten, stellen diese dem Arbeitgeber automatisiert zur Verfügung und führen sie – falls erforderlich – auch in einen etwaigen Kündigungsschutzprozess ein. Auf diese Weise können Arbeitgeber ihr Prozessrisiko unkompliziert, einfach und kostengünstig erheblich reduzieren und ihre Verhandlungsposition auf diese Weise deutlich verbessern. 


 

Dr. Michael Witteler
Dr. Michael Witteler

Dr. Michael Witteler ist spezialisiert auf datenschutzrechtliche Angelegenheiten an der Schnittstelle von Arbeitsrecht und Datenschutz. Er ist Head der PWWL Practice Group Data & Privacy.

Martin Brune

Martin Brune ist spezialisiert auf Restrukturierungen, Prozessvertretung in arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten sowie auf die Gestaltung von Arbeitsverträgen und Aufhebungsvereinbarungen.

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