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Christine Wahlig (Rechtsanwältin – Redaktionelle Leitung Blog) & Alice Tanke (Marketing Managerin)

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Das Wunder der Weihnacht: Zwei Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts sorgen für Aufsehen!

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Wenige Tage vor Heiligabend hat das Bundesarbeitsgericht der Arbeitsrechtswelt zwei Entscheidungen unter den Christbaum gelegt, über die viele Unternehmen sich sehr freuen dürften. 

Es sind zwei überraschende und schöne Geschenke, schön deshalb, weil sie helfen „pain points“ von Unternehmen zu lösen. Ein kleines Stück Magie der Weihnacht also vom BAG.

I. Erschütterung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

1. Urteil des Bundesarbeitsgerichts

Nahezu jeder kennt die Situation, dass Arbeitnehmer in unmittelbarem zeitlichem Kontext zu Kündigungen plötzlich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einreichen. Auch wenn ein solches Vorgehen offensichtlich ein „Geschmäckle“ hat, gab es lange Zeit keine Handhabung hiergegen, da aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eines Arztes) die Vermutung resultierte, dass tatsächlich eine Erkrankung bestand und diese im Prozess als Beweis ausreichte. Der Arbeitgeber war mithin weiter gezwungen Entgeltfortzahlung zu leisten, auch wenn (erhebliche) Zweifel an der Richtigkeit bestanden.

Dies änderte sich mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 08.09.2021 (5 AZR 149/21). (siehe hierzu unseren Blogbeitrag). Das Bundesarbeitsgericht entschied hier, dass der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dann erschüttert sein kann, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst. In diesem Fall müssen Arbeitnehmer im Streitfall substantiiert zu dem Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit vortragen.

Mit seiner Entscheidung vom 13.12.2023 (Az. 5 AZR 137/23) hat das Bundesarbeitsgericht den Anwendungsbereich dieser Entscheidung noch erweitert. Zunächst wurde klargestellt, dass die Vorgaben für arbeitgeber- und arbeitnehmerseitige Kündigungen gleichermaßen gelten. Ferner wurde klargestellt, dass die Rechtsprechung nicht nur für Erst- sondern auch für Folgebescheinigungen gilt. Dies bedeutet, dass eine Erschütterung des Beweiswertes für jede Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die nach Ausspruch der Kündigung ausgestellt wurde, denkbar ist. Dies gilt selbst dann – und das ist eine weitere Neuerung – wenn eine Erstbescheinigung schon vor Ausspruch der Kündigung ausgestellt wurde. Jede zeitliche Koinzidenz zwischen der (Verlängerung der) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und der Kündigungsfrist kann mithin zu einer Erschütterung des Beweiswerts führen.

2. Praxistipp und Folgen

Bei Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit und zeitlichem Zusammenfall von Kündigung bzw. Kündigungsfrist und Arbeitsunfähigkeit sollten Unternehmen stets einen Einbehalt des Entgelts für die Dauer der Erkrankung prüfen. Im sehr wahrscheinlichen Streitfall ist der Arbeitnehmer dann gefordert, aufgrund der Rechtsprechung des BAG dezidiert zu den Gründen der Arbeitsunfähigkeit auszuführen. 

II. Erleichterung bei Erstellung von Massenentlassungsanzeigen

Ein zweites Urteil des Bundesarbeitsgericht lässt noch mehr aufhorchen: Werden in größerem Umfang Personalabbaumaßnahmen geplant, haben Arbeitgeber die komplexen Anforderungen im Rahmen des Konsultations- und Massenentlassungsanzeigeverfahrens nach § 17 KSchG zu beachten.

Fehler hierbei sollten – so die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt BAG, Urteil v. 22. November 2012 – 2 AZR 371/11) zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 134 BGB führen. Arbeitgeber unterlagen damit bisher dem hohen Risiko, dass selbst kleinere formelle Fehler bei der Abgabe von Massenentlassungsanzeigen zur Unwirksamkeit der Kündigung führten. Dies soll sich nun – glaubt man der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts – ändern.

1. Vorgeschichte: Urteil des EuGH vom 13.07.2023, Rs. C-123/22

Dem § 17 KSchG liegt die Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG zugrunde, über deren Auslegung der EuGH zu entscheiden hat. Ein Meilenstein stellte insofern das Urteil des EuGH in diesem Sommer dar (wir berichteten hierüber in unserem Blog). Der EuGH verneinte hier für Teile der Massenentlassungsrichtlinie den Individualschutz und verwies lediglich auf Informations- und Vorbereitungszwecke der staatlichen Stellen.

Dennoch blieb offen, welche Folgen dies nun für die Auslegung des nationalen Rechts haben würde.

2. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 14.12.2023

Dies ist nun durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 14.12.2023 in den Verfahren 6 AZR 157/22 (B), 6 AZR 155/21 (B) und 6 AZR 121/22 (B) scheinbar geklärt. Das BAG hatte diese Verfahren im Frühjahr 2023 bewusst ausgesetzt, um die – erhebliche – Entscheidung des EuGH abzuwarten.

Nunmehr erklärt das Gericht, dass es beabsichtige, seine bisherige Rechtsprechung, nach der jede im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochene Kündigung wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot iSv. § 134 BGB unwirksam ist, wenn im Zeitpunkt ihrer Erklärung keine oder eine fehlerhafte Anzeige nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG vorliegt, aufzugeben.

Der Paukenschlag folgt dann: Kein Verstoß bei Abgabe der Massenentlassungsanzeige soll zur Unwirksamkeit der Kündigung führen – dies gilt sogar bei vollständig unterbliebener Massenentlassungsanzeige. 

3. Wie geht es nun weiter?

Ist dies das faktische Ende der Massenentlassungsanzeige? Fast möchte man dies vermuten, aber ein wenig Vorsicht ist noch geboten. Zum einen teilt der sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts bisher nur mit, dass er beabsichtige, seine Rechtsprechung entsprechend zu ändern. Da diese im Konflikt zu der bisherigen Rechtsprechung des zweiten Senats steht, erging eine Anfrage an diesen Senat, ob er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten möchte. Wäre dies der Fall, müsste der sog. Große Senat am Bundesarbeitsgericht abschließend hierüber entscheiden. Hält der 2. Senat aber hieran nicht mehr fest, so gilt die neue Rechtsprechung. 

Dennoch bedeutet dies dann nicht, dass die Massenentlassungsanzeige vollständig an Bedeutung verlieren wird. Zwar sieht die Richtlinie an keiner Stelle die Unwirksamkeit der Kündigung als zwingende Folge vor, dennoch gebietet es der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz, dass Verstöße gegen das Unionsrecht (und damit gegen die Massenentlassungsrichtlinie) nach sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden. Welche das sind, ist allerdings den nationalen Gesetzgebern bzw. den Gerichten überlassen. Die Nichterteilung einer Massenentlassungsanzeige könnte bußgeldbewehrt werden, zu denken ist aber auch an Schadensersatzansprüche eines entlassenen Arbeitnehmers, dem infolge unterbliebener Massenentlassungsanzeige erst später eine neue Beschäftigung vermittelt werden konnte.  

Es wird daher spannend sein, die demnächst erscheinenden Urteilsgründe zu lesen.

III. Ein Ausblick

Das arbeitsrechtliche Jahr endet mithin wenige Tage vor Weihnachten mit einem vollem Gabentisch, der das Herz Vieler erwärmen wird. Was sich aber tatsächlich in den großen Geschenken verbirgt und ob und wie weit diese alltagstauglich sind, wird sich erst nach dem Auspacken, also nach der Veröffentlichung der Urteilsgründe in wenigen Monaten, zeigen.

Die Vorfreude und Aufregung hierauf dürfte ähnlich groß sein, wie als Kind beim Warten auf Weihnachtsmann und Christkind. 

Thomas Wahlig

Thomas Wahlig ist spezialisiert auf Unternehmenskäufe und –restrukturierungen, Betriebsübergangsrecht, Tarifrecht, komplexe Gerichtsverfahren sowie auf die Einführung von Arbeitszeitmodellen und Vergütungssystemen.

Tom Stiebert

Tom Stiebert ist spezialisiert auf die Beratung zu grenzüberschreitenden Sachverhalten, die Erstellung von Compliancesystemen zum rechtssicheren Fremdpersonaleinsatz und Beratung zu Betriebsprüfungen.

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