Mit Schrecken schauen wir auf die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine. Auch Arbeitgeber in Deutschland mit Mitarbeitern in der Ukraine sind angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine verunsichert, wie sie sich verhalten sollen. Nach dem Ausschluss einiger russischer Banken vom SWIFT-System stehen zudem viele deutsche Unternehmen vor dem Problem, dass sie in Russland tätigen Mitarbeitern nicht mehr wie bisher ihr Gehalt überweisen können.
Dieser Beitrag soll Arbeitgebern einen Handlungsleitfaden geben, wie Arbeitgeber in Deutschland ihre in der Ukraine tätigen Mitarbeiter unterstützen können und welche Fürsorgepflichten ihnen obliegen. Schließlich soll der Beitrag Arbeitgebern ihre Möglichkeiten bezüglich der nächsten Gehaltszahlungen an ihre russischen Mitarbeiter aufzeigen, solange russische Banken vom SWIFT-System ausgeschlossen sind.
Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
Bereits aufgrund der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB ist der Arbeitgeber verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die Interessen seiner Mitarbeiter nicht geschädigt werden. Dazu zählt auch die Verantwortung für Leib und Leben der Mitarbeiter. Diese Pflicht des Arbeitgebers findet auch gemäß den Vorschriften des internationalen Privatrechts bei Auslandseinsätzen von in Deutschland beschäftigten Mitarbeiter Anwendung. Art. 8 der ROM-I-VO sieht nämlich vor, dass – sofern die Arbeitsvertragsparteien im Arbeitsvertrag keine Rechtswahl getroffen haben – das Arbeitsverhältnis dem Recht des Staats unterliegt, in welchem der Mitarbeiter gewöhnlich seiner Arbeit nachgeht. Diese Bewertung dürfte in den meisten Fällen zugunsten des deutschen Rechts ausfallen.
Unabhängig davon ist es derzeit angebracht, dass Arbeitgeber ihre Mitarbeiter aus bzw. in der Ukraine unterstützen. Überwiegend kommt hier der sofortige Rückruf der Mitarbeiter aus Krisenregionen oder aber soweit möglich die Zuweisung eines risikofreieren Arbeitsplatzes in anderen Ländern in Betracht.
Zudem sollten Arbeitgeber eine Lösung finden, wie sie in nächster Zeit Arbeitsverhältnisse mit russischen Mitarbeitern ordnungsgemäß abwickeln können, solange der Ausschluss einiger russischer Banken aus dem SWIFT-System die Überweisung von Gehältern erschwert.
Im Einzelnen:
Ukrainische Mitarbeiter in Deutschland
Aufgrund der allgemeinen Mobilmachung in der Ukraine, welche vorsieht, dass alle (männlichen) Wehrpflichtigen und Reservisten zum Kriegsdienst einberufen werden, erhalten zunehmend auch ukrainische Staatsangehörige, die in Deutschland leben und arbeiten, eine Aufforderung, ihrer Wehrpflicht in der Ukraine nachzukommen. Hier sollten Arbeitgeber ihren ukrainischen Mitarbeitern Bescheinigungen ausstellen, dass sie deren Arbeitsleistung in Deutschland dringend benötigen. Möglicherweise akzeptieren die ukrainischen Behörden eine solche Bescheinigung als wichtigen Grund, die ukrainischen Mitarbeiter von der Einberufung in das Militär zu entbinden.
Dienstreisen und Entsendungen in die Ukraine
Aufgrund der konkreten Gefährdungslage in der Ukraine sollten Arbeitgeber keine Dienstreisen oder Entsendungen in die Ukraine anordnen. Dienstreisen, die Mitarbeiter bereits angetreten haben, sollte der Arbeitgeber abbrechen und im Falle von Entsendungen die Mitarbeiter zurückbeordern. Sofern es Reiserichtlinien gibt, sollten Arbeitgeber diese Richtlinien im Hinblick auf die arbeitgeberseitige Anordnung, keine Dienstreisen oder Entsendungen in die Ukraine anzutreten, aktualisieren.
Da sich bei Dienstreisen und Entsendungen die Mitarbeiter auf ausdrückliche Veranlassung ihres Arbeitgebers in der Ukraine befinden, hat der Arbeitgeber die Kosten für die Rückreise zu tragen. Angesichts der voraussichtlichen Treibstoffknappheit wäre eine Möglichkeit etwa, sich mit anderen Unternehmen, die Mitarbeiter in der Ukraine beschäftigen, zusammenzutun, um möglichst viele Mitarbeiter mit möglichst wenigen Autos zu transportieren. Zudem haben viele Unternehmen im Transportbereich inzwischen ihre Unterstützung zugesagt und stellen bspw. Rückreisemöglichkeiten per Auto, Zug oder Bus zur Verfügung. Sofern Mitarbeiter bei längeren Entsendungen ihren Hausstand in Deutschland aufgegeben haben, können Arbeitgeber hier unbürokratische Hilfe, etwa über Arbeitgeberdarlehen oder die Kostenübernahme von Hotelübernachtungen, anbieten.
Mitarbeiter mit EU-Staatsangehörigkeit, die in der Ukraine tätig sind
Deutsche Staatsangehörige sind von der deutschen Regierung dringend aufgefordert, die Ukraine zu verlassen. Die jeweiligen deutschen Auslandsvertretungen stehen an der Grenze bereit, um dort zu helfen. Wir gehen davon aus, dass auch andere EU-Mitgliedstaaten ihre Staatsangehörigen aufgefordert haben, die Ukraine zu verlassen.
Dennoch sollten auch Arbeitgeber, die deutsche bzw. EU-Staatsangehörige in der Ukraine beschäftigen, diese nochmals explizit auffordern, die Ukraine umgehend zu verlassen. Es ist zudem empfehlenswert, einen Ansprechpartner im Unternehmen zu benennen, der Mitarbeitern, die sich aktuell noch in der Ukraine aufhalten, für Fragen zur Verfügung steht (und ggf. die gemeinsame Rückreise mehrerer Mitarbeiter koordinieren kann, etwa unter Inanspruchnahme der von europäischen Unternehmen angebotenen Reisemöglichkeiten). Mitarbeiter mit EU-Staatsangehörigkeit können in Deutschland weiterhin für den Arbeitgeber tätig werden, ohne dass aus aufenthaltsrechtlicher Sicht Besonderheiten beachtet werden müssen.
Mitarbeiter aus Drittländern, die in der Ukraine tätig sind
Obwohl die aus dem deutschen Arbeitsrecht stammende arbeitgeberseitige Fürsorgepflicht auf Arbeitsverhältnisse, die keinen Bezug zu Deutschland haben, keine direkte Anwendung findet, gibt es für Unternehmen in Deutschland die Möglichkeit, ihre Mitarbeiter aus Drittländern (insbesondere der Ukraine selbst), die nur in der Ukraine tätig werden, zu unterstützen, indem sie ihnen anbieten, vorübergehend nach Deutschland zu kommen. Bei Bedarf könnten auch hier Arbeitgeber sich bereit erklären, die Mitarbeiter kurzfristig zu unterstützen, etwa durch die Koordination der Ausreise oder durch die Übernahme von Übernachtungskosten. Um Mitarbeiter auch finanziell zu unterstützen, können Arbeitgeber z.B. auch anbieten, Vorschüsse auf das Gehalt zu zahlen.
Allerdings sind dabei die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften zu beachten:
Für die Einreise nach Deutschland ist für Drittstaatsangehörige grundsätzlich ein Aufenthaltstitel erforderlich. Da die deutschen Botschaften in der Ukraine jedoch aktuell geschlossen sind, ist es nicht möglich, einen Aufenthaltstitel zu beantragen. Die von den deutschen Auslandsvertretungen an den Grenzen positionierten Beamten dürften jedoch gegebenenfalls auch Visumsanträge von Drittstaatsangehörigen akzeptieren und unkompliziert abwickeln. Allerdings ist hierfür Voraussetzung, dass alle für das Visum erforderlichen Dokumente vorgelegt werden können.
Bestimmte Staatsangehörige sind nach dem Aufenthaltsgesetz privilegiert und können visumsfrei für einen Zeitraum von 90 Tagen innerhalb von 180 Tagen nach Deutschland einreisen. Auch ukrainische Staatsangehörige sind bezüglich der Einreise nach Deutschland privilegiert, allerdings müssen sie einen biometrischen Pass besitzen. Da viele ukrainische Staatsbürger keinen solchen biometrischen Pass besitzen, ist jedoch denkbar, dass die Grenzschutzbeamten hierüber hinwegsehen oder die Verpflichtung zum Besitz eines biometrischen Passes ausgesetzt wird. Zudem hat Deutschland inzwischen erklärt, bei Drittstaatsangehörigen mit Wohnsitz in der Ukraine ausnahmsweise die Zuständigkeitsverteilung bezüglich der Visumsbeantragung für einen längerfristigen Aufenthalt aufzugeben. Drittstaatsangehörige mit Wohnsitz in der Ukraine können deshalb ausnahmsweise bei den Auslandsvertretungen in Nachbarstaaten der Ukraine (Adressen und Kontakte der Auslandsvertretungen sind hier: https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/-/2513190 zu finden) ein Visum für Deutschland beantragen. Gleiches gilt für ukrainische Staatsangehörige, die nicht über einen biometrischen Pass verfügen. Zudem kann eine Einreise aktuell nur über den Landweg erfolgen, sodass die Entscheidung über die Einreise in den EU-Raum nicht von der deutschen Bundespolizei getroffen wird und anschließend an der Grenze zu Deutschland keine Passkontrolle mehr stattfindet. Sofern in Deutschland eine Erwerbstätigkeit geplant ist, sollten Drittstaatsangehörige nach ihrer Ausreise aus der Ukraine jedoch möglichst außerhalb Deutschlands bei einer deutschen Auslandsvertretung den Antrag auf Erteilung eines (nationalen) Visums für Deutschland stellen. Bei der Ausreise aus der Ukraine ist jedoch aktuell zudem zu beachten, dass männliche Staatsbürger zwischen 18 und 60 Jahren die Ukraine nicht mehr verlassen dürfen, da sie sich zum Wehrdienst bereithalten müssen.
In Ausnahmefällen ist für bestimmte Staatsangehörige eine Verlängerung des 90-Tages-Zeitraum gem. § 40 AufenthV um weitere 90 Tage durch die Ausländerbehörde möglich. Sollte aufgrund anhaltender Sicherheitsrisiken in der Ukraine eine Rückreise nach Ablauf der 90 Tage nicht möglich sein, sollten sich die Drittstaatsangehörigen rechtzeitig an die zuständige Ausländerbehörde wenden. Es ist anzunehmen, dass auch nicht im Sinne des § 40 AufenthV privilegierte Staatsangehörige dann länger als 90 Tage in Deutschland bleiben können.
Für deutsche Unternehmen ist jedoch zu beachten, dass auch bei einer visumsfreien Einreise eine Erwerbstätigkeit in Deutschland grundsätzlich nicht erlaubt ist. Lediglich für den Fall, dass der Mitarbeiter in Deutschland als leitender Angestellter, Organmitglied oder sonst als Mitarbeiter, der eine qualifizierte Beschäftigung ausübt und hierfür über besondere, vor allem unternehmensspezifische Spezialkenntnisse verfügt, tätig werden soll, ist für einen Zeitraum von 90 Tagen innerhalb von 180 Tagen kein Aufenthaltstitel zu Erwerbstätigkeitszwecken erforderlich (§ 30 Nr. 1 i.V.m. § 3 BeschV). Deutsche Unternehmen sollten allerdings genau prüfen, ob eine solche Ausnahme vorliegt, da anderenfalls die Tätigkeit eine illegale Ausländerbeschäftigung darstellt mit ggf. strafrechtlichen Konsequenzen für das Unternehmen wie auch die Geschäftsführung. Im Übrigen ist es grundsätzlich nicht möglich, nach einer visumsfreien Einreise den Aufenthaltstitel zu Erwerbstätigkeitszwecken nach der Einreise in Deutschland zu beantragen, außer für Staatsangehörige von Australien, Israel, Japan, Kanada, der Republik Korea, Neuseeland, dem Vereinigten Königreich und der USA.
Zudem können Arbeitgeber überlegen, ob sie ukrainische Mitarbeiter, die ohne Aufenthaltstitel nach Deutschland eingereist sind, beim Stellen eines Asylantrags unterstützen.
Beschäftigung über Employer of Records (EOR)
Eine Besonderheit gibt es auch bei einer Beschäftigung von Mitarbeitern über sogenannte EORs zu beachten. Je nach der konkreten Ausgestaltung der vertraglichen Beziehung zwischen dem deutschen „Einsatzunternehmen“ und dem EOR besteht hier das Risiko, dass auch das deutsche „Einsatzunternehmen“ als (Mit-)Arbeitgeber anzusehen ist und ihn eine Fürsorgepflicht gegenüber dem Mitarbeiter triff.
Auch wenn (nur) der EOR als Arbeitgeber des Mitarbeiters gilt, so könnte das deutsche „Einsatzunternehmen“ des Mitarbeiters den EOR bitten, den Mitarbeiter aus der Ukraine in ein anderes Land zu schicken, in welches der Mitarbeiter visumsfrei einreisen und auch dort arbeiten darf.
Besonderheiten der Corona-Pandemie
Eine Ausreise aus der Ukraine ist aktuell lediglich über den Landweg möglich, da der Luftraum vorübergehend geschlossen ist. Daher müssen die Mitarbeiter bei der Ausreise aus der Ukraine ggf. die Corona-Einreisebestimmungen der angrenzenden Staaten beachten, über welche sie nach Deutschland kommen.
Mitarbeiter, die in Russland tätig sind
Durch den Ausschluss einiger russischer Banken aus dem SWIFT-System stehen Arbeitgeber nun teilweise vor dem Problem, dass sie andere Wege finden müssen, ihren Mitarbeitern in Russland das Gehalt zu überweisen. Als kurzfristige Lösung bietet sich die (allerdings unsicherere) Nutzung des Telex-Systems an, welches vor Schaffen des SWIFT-Systems genutzt wurde, oder aber Überweisungsanweisungen per Fax. Außerdem hat die russische Zentralbank in der Vergangenheit als Pendant zum SWIFT-System ein eigenes System geschaffen, das SPFS-System, welchem sich auch einige europäische Banken angeschlossen haben. Es ist davon auszugehen, dass das SPFS-System in den nächsten Wochen und Monaten in Russland weiter an Verbreitung zunimmt.
Um allerdings die mit dem SWIFT-Ausschluss verbundene Sanktionierung Russlands nicht zu umgehen, sollten sich deutsche Unternehmen mittelfristig Gedanken darüber machen, ob sie ihre Mitarbeiter in Russland nicht nach Deutschland holen möchten, etwa vorübergehend im Rahmen einer Entsendung von Russland nach Deutschland. Hierfür ist jedoch erforderlich, dass die Mitarbeiter von der deutschen Botschaft in Russland ein nationales Visum für die Einreise nach Deutschland erhalten.