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Ihr PWWL-Redaktionsteam

Christine Wahlig (Rechtsanwältin – Redaktionelle Leitung Blog) & Alice Tanke (Marketing Managerin)

Inside Workplace Law

Der EuGH zur Rufbereitschaft als Arbeitszeit

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Neues aus Luxemburg:

Der EuGH hat in zwei Rechtssachen zu der Problematik Rufbereitschaft als Arbeitszeit entschieden: Wann gilt die Zeit eines Arbeitnehmers, der auf einen eventuellen Einsatz wartet als Arbeitszeit und wann nicht?

In der Rechtssache C-344/19 musste ein Techniker aus Slowenien an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen den Betrieb von Fernsehsendeanlagen in den slowenischen Bergen sicherstellen. Neben seiner üblichen Arbeitszeit von zwölf Stunden musste er täglich weitere sechs Stunden Bereitschaftsdienst in Form von Rufbereitschaft ableisten. Während dieser Rufbereitschaft musste er telefonisch erreichbar und in der Lage sein, erforderlichenfalls innerhalb einer Stunde zum Einsatzort zurückzukehren. Faktisch konnte er dieser Anforderung nur nachkommen, indem er sich in einer von seiner Arbeitgeberin zur Verfügung gestellten Dienstunterkunft aufhielt.

Kläger in der Rechtssache C-580/19 war ein deutscher Feuerwehrmann aus Offenbach am Main, der ebenfalls neben seiner üblichen Dienstzeit regelmäßig Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaft ableisten musste. Während dieser Zeiten war er verpflichtet, jederzeit erreichbar und in der Lage zu sein, im Alarmfall innerhalb von 20 Minuten in seiner Einsatzkleidung und mit dem ihm zur Verfügung gestellten Einsatzfahrzeug die Stadtgrenzen zu erreichen.

Rufbereitschaft als Arbeitszeit?

Beide Kläger waren der Ansicht, dass ihre in Form von Rufbereitschaft geleisteten Bereitschaftszeiten aufgrund der mit ihnen verbundenen Einschränkungen in vollem Umfang als Arbeitszeit anzuerkennen und entsprechend zu vergüten sind.

Der EuGH wies darauf hin, dass die Bereitschaftszeit eines Arbeitnehmers entweder als „Arbeitszeit“ oder als „Ruhezeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 einzustufen ist, da beide Begriffe einander ausschließen. Außerdem stelle eine Zeitspanne, in der ein Arbeitnehmer tatsächlich keine Tätigkeit für seinen Arbeitgeber ausübe, nicht zwangsläufig eine „Ruhezeit“ dar. Eine Bereitschaftszeit sei aber nur dann automatisch als „Arbeitszeit“ einzustufen, wenn der Arbeitnehmer während dieser Zeit verpflichtet sei, an seinem Arbeitsplatz zu bleiben und sich dort seinem Arbeitgeber zur Verfügung zu halten.

Bereitschaftszeiten, einschließlich Zeiten in Form von Rufbereitschaft, fallen nach Ansicht des EuGH auch dann in vollem Umfang unter den Begriff „Arbeitszeit“, wenn die dem Arbeitnehmer während dieser Zeiten auferlegten Einschränkungen seine Möglichkeit, die Zeit, in der seine beruflichen Dienste nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen. Umgekehrt ist, wenn es keine solchen Einschränkungen gibt, nur die Zeit als „Arbeitszeit“ anzusehen, die mit der gegebenenfalls tatsächlich während solcher Bereitschaftszeiten erbrachten Arbeitsleistung verbunden ist.

Entscheidendes Merkmal für die Einordnung als Arbeits- oder Ruhezeit ist demnach die tatsächliche Einschränkung des Arbeitnehmers. Sind die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, der freien Zeiteinteilung, erheblich beeinträchtigt? Kann der Arbeitnehmer sich ausreichend erholen?

Berücksichtigungsfähige Einschränkungen

Bei der Beurteilung, ob eine Bereitschaftszeit „Arbeitszeit“ darstellt, sollen nur Einschränkungen berücksichtigt werden, die dem Arbeitnehmer etwa durch nationales Recht, durch Tarifvertrag oder durch seinen Arbeitgeber auferlegt werden. Dagegen sind organisatorische Schwierigkeiten, die eine Bereitschaftszeit infolge natürlicher Gegebenheiten oder der freien Entscheidung des Arbeitnehmers für ihn mit sich bringen können, unerheblich.

Gesamtwürdigung aller Umstände

Es ist nun Sache der nationalen Gerichte, im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden, ob die Frist sachgerecht ist, innerhalb derer der Arbeitnehmer nach der Aufforderung durch seinen Arbeitgeber die Arbeit aufzunehmen hat, wozu er sich in der Regel an seinen Arbeitsplatz begeben muss. Weitere dem Arbeitnehmer auferlegte Einschränkungen wie die Verpflichtung, mit einer speziellen Ausrüstung am Arbeitsplatz zu erscheinen, sind ebenso zu berücksichtigen wie dem Arbeitnehmer gewährte Erleichterungen. Solche Erleichterungen können beispielsweise in der Bereitstellung eines Dienstfahrzeugs bestehen, mit dem von Sonderrechten gegenüber der Straßenverkehrsordnung Gebrauch gemacht werden kann. Zudem müssen die nationalen Gerichte die durchschnittliche Häufigkeit der von einem Arbeitnehmer während seiner Bereitschaftszeiten geleisteten Einsätze berücksichtigen, sofern insoweit eine objektive Schätzung möglich ist.

Vergütung für Bereitschaftszeiten

Die Vergütung von Arbeitnehmern für Bereitschaftszeiten unterliegt nach Auffassung des EuGH nicht der Richtlinie 2003/88. Die Richtlinie steht daher der Anwendung innerstaatlicher Rechtsvorschriften, eines Tarifvertrags oder einer Entscheidung des Arbeitgebers nicht entgegen, wonach bei der Vergütung Zeiten, in denen tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht werden, und Zeiten, in denen keine tatsächliche Arbeit geleistet wird, in unterschiedlicher Weise berücksichtigt werden, selbst wenn diese Zeiten in vollem Umfang als „Arbeitszeit“ anzusehen sind. Umgekehrt steht es der Richtlinie 2003/88 ebenfalls nicht entgegen, wenn Bereitschaftszeiten, die nicht als „Arbeitszeit“ eingestuft werden können, in Form der Zahlung eines zum Ausgleich der dem Arbeitnehmer durch sie verursachten Unannehmlichkeiten dienenden Betrags vergütet werden.

Darüber hinaus führt der Gerichtshof aus, dass die Einstufung einer nicht als „Arbeitszeit“ anzusehenden Bereitschaftszeit als „Ruhezeit“ die besonderen Pflichten unberührt lässt, die den Arbeitgebern nach der Richtlinie 89/391 obliegen. Insbesondere dürfen die Arbeitgeber keine Bereitschaftszeiten einführen, die so lang oder so häufig sind, dass sie eine Gefahr für die Sicherheit oder die Gesundheit der Arbeitnehmer darstellen, unabhängig davon, ob sie als „Ruhezeiten“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 einzustufen sind.

Das Verwaltungsgericht Darmstadt muss nun in dem Fall des deutschen Feuerwehrmannes in einer Gesamtwürdigung aller Umstände der Ruhe- und Arbeitsbedingungen prüfen, was für ihn Arbeits- und was keine Arbeitszeit ist.

Fazit


Das Urteil hat branchenübergreifende und grundsätzliche Bedeutung und nicht nur Einfluss auf deutsche Städte und Kommunen bezüglich des Einsatzes ihrer Brandbekämpfer. Es handelt sich um eine Fortführung der bereits vom EuGH in der Rechtssache Matzak entwickelten Rechtsprechung die zu einer Ausweitung von Arbeitszeit im Zusammenhang mit Rufbereitschaft führen wird. Es wird eine Gestaltungsaufgabe für Arbeitgeber und Berater, Rufbereitschaften so zu organisieren, dass die Nichteinsatzzeiten Ruhezeiten bleiben. Anderenfalls drohen Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz, und Rufbereitschaften in ihrer bisherigen Form werden nicht mehr funktionieren. Interessant an dem Urteil ist, dass tatsächlich Gestaltungsmöglichkeiten bestehen, etwa bei der Bestimmung der Zeitspanne innerhalb derer sich der Arbeitnehmer am Einsatzort einzufinden hat aber etwa auch durch die Zurverfügungstellung eines Dienstfahrzeugs, das die Reichweite des Arbeitnehmers deutlich erhöht.

Zu der Frage, ob Reisezeit als Arbeitszeit gilt, berichteten wir bereits auf unserem Blog.

Thomas Wahlig

Thomas Wahlig ist spezialisiert auf Unternehmenskäufe und –restrukturierungen, Betriebsübergangsrecht, Tarifrecht, komplexe Gerichtsverfahren sowie auf die Einführung von Arbeitszeitmodellen und Vergütungssystemen.

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