Unternehmen mit Sitz im Ausland haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wenn Sie in Deutschland keine eigene Betriebsstätte unterhalten. Dies gilt nach einer Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts im Rahmen eines Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz selbst dann, wenn sämtliche betroffene Arbeitnehmer in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden und in der Vergangenheit Beiträge in die Arbeitslosenversicherung abgeführt haben (LSG Bayern, Beschluss vom 04.06.2020 – L 9 AL 61/20 B ER).
Keine eigene Betriebsstätte in Deutschland
Im konkreten Fall beschäftigte die Antragstellerin, ein Unternehmen mit Sitz im EU-Ausland, in Deutschland etwa 350 Flugbegleiter, die sie im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung an Fluggesellschaften überließ. Neben diesen 350 Flugbegleitern betrieb die Antragstellerin mit ca. sieben Arbeitnehmern am Flughafen Hahn ein Ausbildungs- und Trainingscenter für Flugpersonal mit eigener Betriebsnummer. Das Ausbildungs- und Trainingscenter war auch dafür zuständig, an das Flugpersonal Mitarbeiterausweise auszugeben und Arbeitskleidung vorzuhalten. Sämtliche Beschäftigte der Antragstellerin hatten ihren Wohnsitz in Deutschland und waren voll sozialversicherungspflichtig.
Durch die coronabedingte Einschränkung des Reiseverkehrs war es für das in Deutschland beschäftigte Flugpersonal der Antragstellerin zeitweise zu einem vollumfänglichen Arbeitsausfall gekommen.
Die zuständige Bundesagentur für Arbeit hatte die „Anzeige über den Arbeitsausfall“ der Antragstellerin jedoch negativ beschieden, da diese nach Ansicht der Bundesagentur keine Betriebsstätte in Deutschland unterhalte. Eine solche sei jedoch Voraussetzung für die Gewährung von Kurzarbeitergeld. Das Bayerische Landessozialgericht bestätigte, wie schon die Vorinstanz, die Entscheidung der Bundesagentur.
Gefestigte betriebliche Strukturen
Zunächst verneinte das Gericht das Vorliegen einer Betriebsstätte im Inland. Der eigentliche Betriebszweck der Antragstellerin, nämlich die Überlassung ihrer 350 Beschäftigten an Fluggesellschaften, werde gerade nicht durch ein mit entsprechenden sachlichen und personellen Ressourcen ausgestattetes Büro der Antragstellerin in Deutschland wahrgenommen, sondern vielmehr und nahezu ohne Mitwirkung der Antragstellerin durch die von den Fluggesellschaften vorgenommene Einsatzplanung. Abgesehen von dem unter eigener Betriebsnummer geführten Trainings- und Ausbildungszentrum, in das die 350 Beschäftigten jedoch nicht eingegliedert seien, verfüge die Antragstellerin über keinerlei gefestigte betriebliche Strukturen in Deutschland.
Gleichbehandlungsgrundsatz
Die Bundesagentur habe der Antragstellerin somit den Bezug von Kurzarbeitergeld zu Recht verwehrt. Die Gewährung von Kurzarbeitergeld ausschließlich an Unternehmen mit Betriebsstätten im Inland verletze insbesondere nicht den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art.3 GG.
Die Antragstellerin könne sich zur Stützung ihres Antrags zunächst nicht auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus 1999 zu einem ähnlich gelagerten Fall berufen, in dem das Gericht in der Verweigerung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung an Grenzgänger eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 3 GG gesehen hatte. Das Bundesverfassungsgericht hatte in dieser Entscheidung geurteilt, dass Grenzgängern aufgrund der Nähe zum Staatsgebiet, ihrer zwangsweisen Einbeziehung in das deutsche Sozialversicherungssystem und des fortbestehenden Bezugs zum Inlandsarbeitsmarkt Ansprüche auf Arbeitslosengeld nicht allein aufgrund des fehlenden Wohnsitzes im Inland verweigert werden können.
Den Einwand der Antragstellerin, dass diese Grundsätze erst recht gelten müssten, wenn sämtliche betroffenen Arbeitnehmer ihren Wohnsitz in Deutschland hätten, wischte das Gericht jedoch recht lapidar mit der Begründung fort, in der Entscheidung sei es ausschließlich um Grenzgänger gegangen; die Antragstellerin sei jedoch keine solche, sondern eine juristische Person mit Sitz im Ausland.
Auch sonst sah das Gericht den in Art. 3 GG postulierten Gleichheitsgrundsatz nicht verletzt und verwies in diesem Zusammenhang auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach es in der Arbeitslosenversicherung grundrechtlich nicht geboten sei, bei der Bemessung kurzfristiger Lohnersatzleistungen, zu denen auch das Kurzarbeitergeld zähle, eine versicherungsmathematische Äquivalenz zwischen den entrichteten Beiträgen und der Höhe der Leistung herzustellen. Da sich aus der zwangsweisen Einbeziehung in die deutsche Arbeitslosenversicherung somit nicht automatisch ein Anspruch auf Leistung ergebe, sei der Schutzbereich des Art. 3 GG im Verhältnis zu in Deutschland ansässigen Unternehmen nicht berührt.
Berufsfreiheit und Eigentumsgarantie
Ferner verneinte das Landessozialgericht Ansprüche aus Art. 12 und 14 GG, da auch des Recht auf wirtschaftliche Betätigung nicht geeignet sei, einen Leistungsanspruch gegenüber der öffentlichen Hand auf Sicherung einer erfolgreichen Marktteilnahme zu begründen.
Unionsrecht
Zuletzt ergebe sich ein Leistungsanspruch auch nicht aus dem Unionsrecht. Auch die von der Antragstellerin in Bezug genommene Verordnung EG 883/2004 sehe eine Gleichstellung von Beitragspflicht und Leistungsanspruch nur für Grenzgänger vor.
Ausblick und Fazit
Das BVerfG hat unter Hinweis auf den Subsidiaritätsgrundsatz die gegen die Entscheidung des LSG Bayern gerichtete Verfassungsbeschwerde im Eilrechtsschutz nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Nichtannahmebeschluss vom 16.07.2020 – 1 BvR 1614/20.
Es bleibt nun abzuwarten, ob die Gerichte des Hauptsacheverfahrens die Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts aufrechterhalten.
Hier wäre eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Frage wünschenswert, ob und inwieweit Art. 3 GG die Gewährung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung für juristische Personen im Ausland nicht doch gebietet. Denn hindert der Umstand, dass der Arbeitgeber seinen Sitz im Ausland hat, die Beitragserhebung bei den von ihm in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern nicht, so bedarf die vollständige Entkopplung von Beitragspflicht und Leistungsanspruch einer tiefergehenden Begründung als die, die das Landessozialgerichts in der zitierten Entscheidung gegeben hat. Dieser Aspekt ist insbesondere vor dem Hintergrund zu beleuchten, dass das Unternehmen – im konkreten Fall die ausländische juristische Person – zwar Anspruchsberechtigter des Kurzarbeitergeldes ist, dieses aber in voller Höhe an die von der Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer auskehren muss. Die Leistung kommt im Ergebnis also Personen zugute, die – wie die Grenzgänger aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – zwangsweise der deutschen Sozialversicherung unterliegen und für die aufgrund des unbeendigten Arbeitsverhältnisses und ihres Wohnsitzes ein fortdauernder Bezug zum Inlandsarbeitsmarkt besteht.