Der Arbeitgeber ist unzufrieden
mit dem Betriebsrat. Er meint, der Betriebsrat agiere nicht zum Wohle des
Unternehmens, sondern schade diesem. Er möchte deshalb bei den anstehenden
Betriebsratswahlen erreichen, dass der Betriebsrat eine andere Zusammensetzung
erhält und insbesondere die Person des Betriebsratsvorsitzenden wechselt. Er
ermuntert deshalb bestimmte Mitarbeiter, für die Betriebsratswahl zu
kandidieren.
Definitiv unzulässig und hohes
Wahlanfechtungsrisiko. Diesen Hinweis hätten die meisten Arbeitsrechtler Ihnen
bis vor kurzem gegeben. Gemäß § 20 Abs. 2 BetrVG darf niemand die Wahl des
Betriebsrates durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung
oder Versprechen von Vorteilen beeinflussen. Nach bislang herrschender
Auffassung wurde dieses Begünstigungs- und Benachteiligungsverbot für den
Arbeitgeber im Sinne einer umfassenden Neutralitätspflicht verstanden. Der
Arbeitgeber müsse sich als Gegenspieler des Betriebsrates jeder Einflussnahme
auf die Zusammensetzung des Betriebsrates enthalten, dies sei allein Sache der
Arbeitnehmer des Betriebes.
Mit einem erst jüngst veröffentlichten Urteil (BAG 7
ABR 10/16) schließt sich das BAG dieser auch noch von der Vorinstanz, dem LAG
Hessen, vertretenen Auffassung ausdrücklich nicht an. Das BAG nimmt § 20 Abs. 2
BetrVG vielmehr ausschließlich wörtlich. Eine die Anfechtung der Wahl
rechtfertigende Wahlbeeinflussung liege ausschließlich dann vor, wenn der
Arbeitgeber Nachteile zugefügt oder angedroht oder Vorteile versprochen oder
gewährt habe. Als Nachteil sei jedes Übel zu verstehen, das geeignet ist, die
freie Willensbestimmung zu beeinträchtigen. Vorteil sei jede Vergünstigung, auf
die kein Anspruch bestehe. Untersagt sei jede Benachteiligung oder Begünstigung
etwa durch eine finanzielle Unterstützung einzelner Kandidaten oder
Wahlvorschlagslisten mit dem Ziel der Wahlbeeinflussung sowie der auf
vielfältige Weise mögliche Versuch eines „Stimmenkaufs“ von Arbeitnehmern.
Verboten sei dabei bereits die Androhung von Nachteilen oder das Versprechen
von Vergünstigungen. In dem konkreten Fall lagen diese Voraussetzungen nicht
vor: Der Personalleiter und Geschäftsführer des Unternehmens hatten zwar
eindeutig Stellung gegen den amtierenden Betriebsrat und insbesondere gegen die
Vorsitzende bezogen und waren sogar so weit gegangen, zu äußern wer die Liste
der amtierenden Vorsitzenden wähle, begehe Verrat am Unternehmen. Außerdem
hatten sie aus ihrer Sicht vernünftige Mitarbeiter aufgefordert, ebenfalls für
den Betriebsrat zu kandidieren. Darin lag jedoch, wie das BAG zu Recht
feststellt, keine Androhung oder Zufügung von Nachteilen: Die Aussage, wer die
Liste der Betriebsratsvorsitzenden wähle, begehe Verrat, beinhalte keine
konkrete Androhung von Nachteilen. Das BAG betont, dass sich aus § 20 Abs. 2 BetrVG
gerade kein allgemeines Neutralitätsgebot ableiten lasse und dies auch nicht
dem Sinn und Zweck der Norm entspreche. Anderenfalls wäre nahezu jede
Betriebsratswahl einem hohen Anfechtungsrisiko ausgesetzt.
In dem vom BAG entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber
mit seiner Vorgehensweise offenbar Erfolg: Die Betriebsratsvorsitzende wurde
abgewählt und focht die Wahl gemeinsam mit zwei anderen Arbeitnehmern des
Betriebes an. Das muss nicht immer so laufen. Es ist die Aufgabe des
Betriebsrates, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten. Ein Arbeitgeber,
der den amtierenden Betriebsrat oder einzelne Betriebsratsmitglieder
kritisiert, wird damit bei den wahlberechtigten Arbeitnehmern oft das Gegenteil
dessen bewirken, was er bezweckt, nämlich eine Solidarisierung. Es sollte
deshalb gut überlegt werden, ob und in welcher Weise man als
Arbeitgebervertreter Sympathien oder Antipathien kundtun oder auf die Wahl
Einfluss nehmen möchte. In dem konkreten Fall gab es eine lange Vorgeschichte
rivalisierender Fraktionen im Betriebsrat, die sich gegenseitig mit Verfahren
überzogen und offenbar nicht zum Wohle des Unternehmens und der Mitarbeiter
gewirkt hatten. Gegen die Betriebsratsvorsitzende selbst war ein
Amtsenthebungsverfahren anhängig, dass sich nur dadurch erledigt hatte, dass
sie nicht wiedergewählt worden war. In einem solchen Fall kann man die Kritik
des Arbeitgebers, auf dessen Rücken diese Streitereien ausgetragen wurden, sehr
gut verstehen. In anderen Fällen ist ein eher vorsichtiges Agieren geboten. Entscheidend
ist aber die aus dem Urteil des BAG gewonnene Erkenntnis, dass der Arbeitgeber
im Vorfeld der Wahl Stellung beziehen und seine Sympathien und Antipathien
kommunizieren darf.