Am 7.9.2017 hat der EuGH in der Rechtssache C-174/16
entschieden, dass die Rückkehr an den Arbeitsplatz nach der Elternzeit zu den
selben, mindestens aber zu vergleichbaren Bedingungen erfolgen muss, die vor
Beginn der Elternzeit bestanden. Dazu gehört unter anderem die Anwartschaft auf
eine Beförderung, und zwar auch dann, wenn hierfür zunächst eine Probezeit erforderlich
ist, die aufgrund von Elternzeit im betroffenen Zeitraum nicht geleistet wurde.
In einem solchen Fall ist dem Arbeitnehmer nach seiner Rückkehr aus der
Elternzeit die Nachholung der Probezeit zu ermöglichen, selbst wenn nationale
Regelungen der Verlängerung der Probezeit entgegenstehen.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Nach § 97 des Landesbeamtengesetzes (im folgenden: LBG)
haben Beamte im Land Berlin, denen ein Amt in der Besoldungsgruppe A 13 oder
höher übertragen wird, zunächst eine Probezeit von zwei Jahren zu absolvieren,
bevor ihnen das Amt auf Lebenszeit übertragen werden kann. Soweit so gut.
Allerdings sieht § 97 LBG keine Möglichkeit vor, die Probezeit zu verlängern,
was einer Berliner Beamtin nun zum Verhängnis zu werden drohte.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist seit 2002 Beamtin
auf Lebenszeit in der Senatsverwaltung Berlin. Im September 2011 wurde ihr ein
Amt mit leitender Funktion – gem. § 97 LBG jedoch zunächst mit einer Probezeit
von zwei Jahren – übertragen. Von Juli 2011 bis Februar 2015, also während der
gesamten Probezeit und darüber hinaus, befand sich die Klägerin durchgängig und
zusammenhängend in krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, im Mutterschutz, im
Erholungsurlaub und letztlich in – mehrfach verlängerter – Elternzeit. Das
Landesverwaltungsamt Berlin teilte ihr nach ihrer Rückkehr mit, dass der
erfolgreiche Abschluss ihrer Probezeit aufgrund ihrer stetigen Abwesenheit
nicht feststellbar sei. Ihr Status als Beamtin auf Probe habe deshalb bereits
im September 2013 geendet. Im Übrigen werde ihr wieder der Dienstposten
übertragen, den sie zuvor innehatte.
Hiergegen wandte sich die Klägerin vor dem
Verwaltungsgericht Berlin mit der Begründung, § 97 LBG bzw. die Entscheidung
des Landesverwaltungsamtes sei unvereinbar mit den europäischen
Anti-Diskriminierungsrichtlinien 2006/54/EU, 2010/18/EU sowie dem § 5 Nrn. 1
bis 3 der überarbeiteten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub (im
Folgenden: Rahmenvereinbarung). Zum einen, weil die elternzeitbedingte
Nichtberücksichtigung von Probezeiten im Sinne des § 97 LBG Frauen wesentlich
häufiger betreffe als Männer. Zum anderen habe sie eine Anwartschaft auf die
Übertragung eines Amtes auf Lebenszeit erworben, die durch § 97 LBG unzulässig
gefährdet würde. Das Landesverwaltungsamt hätte sein Ermessen vielmehr
dahingehend ausüben müssen, ihr die Fortsetzung ihrer Probezeit nach ihrer
Rückkehr zu ermöglichen.
Das beklagte Land Berlin war hingegen der Auffassung, dass
der erfolgreiche Abschluss der Probezeit unerlässlich sei, um die Bewährung des
Beamten auf Probe für ein Amt auf Lebenszeit zu beurteilen. § 97 LBG verfolge das
rechtmäßige Ziel, die Befähigung zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben zu
überprüfen, weshalb eine etwaige mittelbare Diskriminierung von Frauen im Sinne
der Richtlinien 2006/54/EU und 2010/15/EU gerechtfertigt sei. Darüber hinaus
sehe die Rahmenvereinbarung in § 5 Nr. 2 Satz 2 entgegen der Ansicht der
Klägerin durchaus vor, dass erworbene Rechte oder Anwartschaften in Anschluss
an die Elternzeit geändert, also auch beendet werden können, wenn sich dies aus
nationalen Rechtsvorschriften ergebe. Eine Solche nationale Rechtsvorschrift
sei § 97 LBG, der zufolge die Probezeit von zwei Jahren nicht verlängerbar sei.
Darüber hinaus sei das streitgegenständliche Amt in leitender Funktion
zwischenzeitlich auch anderweitig besetzt.
Da das mit dieser Sache befasste Verwaltungsgericht Berlin die
aufgeworfenen Rechtsfragen aufgrund der europarechtlichen Implikationen nicht
selbst beantworten konnte bzw. durfte, legte es die Sache mit Vorlagebeschluss
vom 24.3.2016 dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Dieser hat nun mit Urteil vom
07.09.2017 (Rechtssache C-174/16) wie folgt entschieden:
Die Rahmenvereinbarung bezwecke sicherzustellen, dass die
Rückkehr an den Arbeitsplatz im Anschluss an den Elternurlaub zu den
Bedingungen erfolgt, die bestanden, als der Elternurlaub angetreten wurde. Sie
solle in erster Linie verhindern, dass aus dem Beschäftigungsverhältnis
abgeleitete Rechte, die der Arbeitnehmer zu Beginn des Elternurlaubs erworben
hat oder dabei war zu erwerben, verloren gehen oder beschnitten werden. Sie
stellt sicher, dass sich der Arbeitnehmer im Anschluss an seinen Elternurlaub
hinsichtlich dieser Rechte in derselben Situation befindet wie zu Beginn des
Urlaubs. Zu diesen Rechten und Vorteilen nach § 5 Nr. 2 Satz 1 der
Rahmenvereinbarung gehöre deshalb auch die Anwartschaft auf den Zugang zu einem
Amt mit leitender Funktion, wie in § 97 LBG geregelt. Denn andernfalls sei zu
befürchten, dass sich ein Arbeitnehmer im Zweifel gegen die Inanspruchnahme des
Elternurlaubs entscheidet, was letztlich das Ziel der europäischen Bemühungen,
Beruf und Familie miteinander in Einklang zu bringen, gefährden würde.
Dass § 97 LBG auch im Falle von Elternurlaub keine
Verlängerung der Probezeit vorsehe, wirke diesem Ziel entgegen. So werde der
Klägerin aufgrund ihres Elternurlaubs die Möglichkeit genommen, ihre Befähigung
zur Wahrnehmung der leitenden Funktion nachzuweisen und im Anschluss an die
Probezeit gegebenenfalls endgültig übertragen zu bekommen.
Entgegen der Ansicht des Landes Berlin sei diese Abweichung auch nicht von § 5 Nr. 2 Satz 2 der Rahmenvereinbarung gedeckt. Vielmehr seien nationale Bestimmungen im Sinne von § 5 Nr. 2 Satz 2 der Rahmenvereinbarung – hier § 97 LBG – entweder so auszulegen, dass sie die praktische Wirksamkeit des den Arbeitnehmern gewährten Schutzes nicht beeinträchtigen oder – wenn eine solche Auslegung wie im Falle des § 97 LBG nicht möglich ist – schlichtweg unangewendet zu lassen. Zwar müsse berücksichtigt werden, dass die von der Klägerin angestrebte Stelle zwischenzeitlich anderweitig besetzt wurde und es der Beklagten deshalb unmöglich sein könnte, der Klägerin im Anschluss an ihren Elternurlaub das ursprünglich angestrebte Amt mit leitender Funktion zu übertragen. In diesem Fall müsse das Land Berlin der Klägerin jedoch ein Amt mit leitender Funktion übertragen, das zumindest hinsichtlich des Status, der Besoldung und der Leitungsaufgaben dem Amt entspricht, für das sie ursprünglich ausgewählt worden war. Weiterhin müsse die Klägerin im Anschluss an ihren Elternurlaub die Möglichkeit erhalten, ihre Probezeit in dem einen oder dem anderen Amt so fortzusetzen, dass ihre gesamte tatsächliche Probezeit ebenso lang ist, wie wenn sie keinen Elternurlaub in Anspruch genommen hätte.
Die Entscheidung liegt auf der Linie der EuGH-Rechtsprechung. Diese geht für den nationalen Rechtsanwender leider mit einem hohen Maß an Rechtsunsicherheit einher, weil der EuGH nationale Gerichte dazu aufruft, nationale Rechtsnormen unangewendet zu lassen, wenn sie nicht mit europäischen Richtlinien vereinbar sind. Das endgültige Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin bleibt zwar abzuwarten, der rechtliche Entscheidungsspielraum dürfte nach der äußerst ausführlichen Beantwortung der Vorlagefragen nebst unmissverständlichen Handlungsempfehlungen des EuGH allerdings gering sein. Der EuGH folgt damit weiter dem Trend der letzten Jahre – man erinnere sich an die Rechtssache „Kücükdevici“ bzgl. § 622 II S. 2 BGB – und zeigt erneut auf, dass auf die Gültigkeit nationaler Vorschriften gerade im antidiskriminierungsrechtlichen Kontext kein Verlass ist.