Zum 1. März 2024 ist eine für die Praxis hochrelevante Neuregelung der im August letzten Jahres verkündeten Verordnung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung in Kraft getreten: Der neue § 6 Beschäftigungsverordnung (kurz „BeschV“).
Der nachstehende Beitrag ordnet zunächst § 6 BeschV in das systematische Regelungsgefüge des Aufenthaltsrechts ein. Vor diesem Hintergrund werden die konkreten Regelungsinhalte der Neufassung der alten Rechtslage gegenübergestellt und Hinweise für den praktischen Umgang mit der neugefassten Norm gegeben.
I. Systematische Einordnung des § 6 BeschV
Um die Neufassung von § 6 BeschV nachvollziehen und in seinen Rechtsfolgen einordnen zu können, lohnt es sich, zunächst einen Blick auf die systematische Einordnung der Norm in das Regelungsgefüge des Aufenthaltsrechts zu werfen:
§ 6 BeschV ist im Zusammenhang mit § 19c Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (kurz „AufenthG“) zu lesen, der bestimmt, dass „einem Ausländer mit ausgeprägten berufspraktischen Kenntnissen […] eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer qualifizierten Beschäftigung erteilt werden [kann], wenn die Beschäftigungsverordnung bestimmt, dass der Ausländer zur Ausübung dieser Beschäftigung zugelassen werden kann“.
Eben jene Bestimmung trifft § 6 BeschV. Er regelt die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke der Ausübung einer Beschäftigung und reiht sich also – in Verbindung mit § 19c Abs. 2 AufenthG – in den Katalog der Aufenthaltserlaubnisse zum Zweck der Erwerbstätigkeit ein.
II. Alte Rechtslage: § 6 BeschV a.F. als Aufenthaltstitel für „IT-Spezialisten“
Der § 6 BeschV a.F. ermöglichte einen besonderen Arbeitsmarktzugang für Ausländer mit berufspraktischer Erfahrung in ausgewählten Berufen, die jedoch die strengen Anforderungen an den aufenthaltsrechtlichen Begriff der „Fachkraft“ (vgl. § 18 Abs. 3 AufenthG) nicht erfüllten, also keine in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) erworbene oder mit einer inländischen Berufsausbildung vergleichbare Berufsausbildung oder Hochschulabschluss vorweisen konnten. Dieses Privileg beschränkte sich indes auf Berufe auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnologie. Hintergrund für diese Privilegierung ist der besonders hohe Bedarf an qualifizierten Beschäftigten in diesem Bereich, in dem gleichzeitig häufig Fertigkeiten und Kenntnisse auch ohne formale Qualifikation bestehen (vgl. auch S. 143, Ziff. 19.c.2.2 der Anwendungshinweise des BMI zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz). Der Aufenthaltstitel nach § 19c Abs. 2 AufenthG i. V. m. § 6 BeschV wurde mithin auch als Aufenthaltstitel „für IT-Spezialisten“ bezeichnet.
Für den Aufenthaltstitel als IT-Spezialist waren nach § 6 BeschV a.F. folgende Voraussetzungen zu erfüllen:
- Konkretes Jobangebot in der Bundesrepublik Deutschland;
- mindestens 3-jährige Berufserfahrung, welche
- in den letzten 7 Jahren erworben wurde und
- für die Beschäftigung qualifiziert;
- Gehalt in Höhe von mindestens 60 % der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung (Wert 2024: 4.530 EUR/Monat für West-Deutschland; 4.470 EUR/Monat für Ost-Deutschland);
- Ausreichende deutsche Sprachkenntnisse (Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen; Verzicht in Einzelfällen möglich).
Für alle anderen galt: Erfordernis einer in Deutschland absolvierten oder anerkannten Berufsausbildung bzw. eines ebensolchen Hochschulabschlusses.
Ausländern, die nicht im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie tätig waren, blieb also nach bisheriger Rechtslage bei ausgeprägter berufspraktischer Erfahrung ohne Berufsausbildung oder Hochschulabschluss in der Regel keine Möglichkeit eine Aufenthaltserlaubnis zu Erwerbszwecken zu erhalten.
Hinzu kommt, dass, selbst wenn der Ausländer über eine im Ausland erworbene Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss verfügt, der Abschluss in der BRD als gleichwertig anerkannt sein muss, andernfalls gilt die Person nicht als Fachkraft im Rechtssinne. Um diese Gleichwertigkeit im Antragsverfahren auf einen Aufenthaltstitel vor den Ausländerbehörden nachweisen zu können, ist entweder – im Falle akademischer Fachkräfte oder Angehöriger ausgewählter Gesundheitsfachberufe – die Vorlage der betreffenden anabin-Auszüge erforderlich (zur anabin-Datenbank siehe Exkurs) oder – für den Fall, dass die Gleichwertigkeit bisher nicht festgestellt oder noch nicht in der anabin-Datenbank erfasst ist – ein Anerkennungsverfahren durchzuführen.
Exkurs: anabin ist eine Datenbank, welche Informationen zur Bewertung ausländischer Bildungsnachweise bereitstellt und Behörden, Arbeitgeber und Privatpersonen unterstützt, eine ausländische Qualifikation in das deutsche Bildungssystem einzustufen. Ist sowohl der konkret erworbene Abschluss als auch die ausstellende Hochschule in der anabin-Datenbank aufgenommen, reicht zum Nachweis der Gleichwertigkeit gegenüber der Ausländerbehörde die Vorlage der anabin-Auszüge.
Im Anerkennungsverfahren wird überprüft, ob die Qualifikation mit den Anforderungen an einen deutschen Berufsabschluss oder Hochschulabschluss vergleichbar sind. Dieses Verfahren kann sich über drei bis vier Monate erstrecken und führt folglich zu einer enormen Verzögerung im Antragsprozess.
Achtung! Zuständigkeitsänderung seit dem 1. Januar 2024: ZAB verliert Zuständigkeit für die Feststellung der Gleichwertigkeit für nicht reglementierte landesrechtlich geregelte schulische Berufsaus- und Weiterbildungsabschlüsse; die neue Zuständigkeitsverteilung kann im Anerkennungsfinder des Informationsportals der Bundesregierung zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen geprüft werden: https://www.anerkennung-in-deutschland.de/de/interest/finder/profession.
III. Neufassung des § 6 BeschV öffnet den Aufenthaltstitel für alle Berufsgruppen
Der neue § 6 BeschV wurde nunmehr für alle Berufsgruppen geöffnet und soll sämtlichen Ausländern mit ausgeprägter berufspraktischer Erfahrung einen erleichterten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt gewähren.
1. Voraussetzungen
Folgende Voraussetzungen sind für die Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 19c Abs. 2 AufenthG i. V. m. § 6 BeschV kumulativ zu erfüllen:
- Konkretes Jobangebot in der BRD;
- mindestens 2-jährige Berufserfahrung, welche
- in den letzten fünf Jahren erworben wurde und
- für die Beschäftigung qualifiziert;
- Gehalt in Höhe von mindestens 45 % der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung (Wert 2024: 3.397,50 EUR/Monat für West-Deutschland, 3.352,50 EUR/Monat für Ost-Deutschland);
- eine der folgenden Qualifikationen:
- Alt. 1: „Eine ausländische Berufsqualifikation, die von dem Staat, in dem sie erworben wurde, staatlich anerkannt ist und deren Erlangung eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren voraussetzt,
- Alt. 2: Einen ausländischen Hochschulabschluss, der von dem Staat, in dem er erworben wurde, staatlich anerkannt ist, oder
- Alt. 3: Einen im Ausland erworbenen Berufsabschluss, der durch eine Ausbildung erworben wurde, die nach Inhalt, Dauer und der Art ihrer Durchführung die Anforderungen des Berufsbildungsgesetzes an eine Berufsausbildung einhält und geeignet ist, die notwendige berufliche Handlungsfähigkeit für einen Ausbildungsberuf nach dem Berufsbildungsgesetz oder der Handwerksordnung zu vermitteln, und der von einer deutschen Auslandshandelskammer erteilt worden ist.“
Im direkten Vergleich mit der Vorgängerregelung des § 6 BeschV a.F. fällt auf, dass die notwendige Berufserfahrung um ein Jahr herabgesetzt (2 statt 3 Jahre) und auch der Referenzzeitraum verschmälert wurde (5 statt 7 Jahre). Darüber hinaus wurde die Gehaltsschwelle auf 45 % der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung reduziert (vormals 60 %). Der für Ausländer oftmals schwer zu führende Nachweis deutscher Sprachkenntnisse ist nunmehr mit der Neuregelung gänzlich entfallen.
2. Ausnahme von Gehaltsschwelle bei tarifgebundenen Arbeitgebern
Ist der Arbeitgeber tarifgebunden und beschäftigt den Ausländer zu den bei ihm geltenden tariflichen Arbeitsbedingungen, kann ferner von der Gehaltsgrenze sogar nach unten abgewichen werden. Insoweit wird vermutet, dass die betroffenen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden (vgl. auch BT Drs. 284/23, S. 53).
3. Erfordernis einer Qualifikationsvoraussetzung
Erforderlich ist nunmehr allerdings die Erfüllung einer der aufgezählten Qualifikationsvoraussetzungen (Alt. 1 bis 3). Dies wirkt bei isolierter Gegenüberstellung zur Vorgängerregelung zunächst wie eine Verschärfung der vormaligen Rechtslage, entpuppt sich aber bei näherem Hinsehen als das Gegenteil: Denn Ausländern ohne in der BRD anerkanntem Abschluss war es nach alter Gesetzeslage – wie oben dargestellt – gänzlich verwehrt, einen Aufenthaltstitel zu erlangen.
Der neue § 6 BeschV ermöglicht nach neuer Rechtslage den Erhalt eines Aufenthaltstitels auch dann, wenn die Ausbildung oder der Hochschulabschluss von dem Staat, in dem er erworben wurde, staatlich anerkannt ist. Der Nachweis über die Gleichwertigkeit mit einer deutschen Berufsausbildung oder die Vergleichbarkeit mit einem deutschen Hochschulabschluss ist hier gerade nicht erforderlich. Der sich auf die Erfordernisse im Ausstellungsland verschiebende Fokus führt für viele Ausländer nicht nur zu einer tatsächlich rechtlichen Vereinfachung, sondern ist auch als praktischer Vorteil nicht zu unterschätzen. Denn die staatliche Anerkennung im Ausstellungsland wird für die meisten Ausländer praktisch greifbarer und einfacher zu beschaffen sein, als der Weg über eine Anerkenntnisprüfung durch deutsche Behörden, der ohne fachkundige Unterstützung kaum allein zu bewältigen war und zeitlich Monate in Anspruch nahm.
Hinweis: Aus Gründen einer lesbaren Darstellung wird vorliegend auf eine nähere Beschreibung der konkreten Voraussetzungen des Qualifikationserfordernisses bei ausländischen Berufsausbildungen (Alt. 3) im Rahmen dieses Beitrags verzichtet. Gerne stehen wir Ihnen bei einer auf Ihren Einzelfall bezogenen Beratung zur Seite.
Auch für IT-Spezialisten enthält die Neuregelung eine weitere Privilegierung, denn für diese wird gänzlich auf den Nachweis eines Qualifikationserfordernis verzichtet.
IV. Gleichwertigkeitsprüfung adé?
Gänzlich obsolet wird die Gleichwertigkeitsprüfung im Aufenthaltsrecht jedoch nicht. Möchte ein Ausländer statt dem dargestellten Aufenthaltstitel nach § 19c Abs. 2 AufenthG i. V. m. § 6 BeschV eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Erwerbstätigkeit für Fachkräfte (mit Berufsausbildung oder Fachkräfte mit akademischer Ausbildung) nach §§ 18a, 18b AufenthG oder eine Blaue Karte EU nach § 18g AufenthG erwerben, ist nach wie vor grundsätzlich die Qualifizierung als „Fachkraft“ i. S. d. § 18 Abs. 3 AufenthG und somit die Durchführung eines Anerkennungsverfahrens erforderlich.
Tipp: Für IT-Spezialisten gelten auch bei der Blauen Karte EU vereinfachte Erteilungsvoraussetzungen. Ein Hochschulabschluss ist nicht mehr zwingend erforderlich!
V. Praktischer Umgang
In der praktischen Handhabung mit dem neuen § 6 BeschV stellt sich nun in Grenzfällen vor allem die Frage, wann der diesem Beitrag zugrunde liegende Aufenthaltstitel bei berufspraktischer Erfahrung nach § 19c Abs. 2 AufenthG i. V. m. § 6 BeschV beantragt werden und in welcher Konstellation stattdessen auf den allgemeinen Fachkrafttitel bzw. die Blaue Karte EU zurückgegriffen werden sollte. Generell gilt, dass die Blaue Karte EU im Rahmen der Fachkrafteinwanderung den hochwertigsten Aufenthaltstitel darstellt. Liegen die Erteilungsvoraussetzungen für eine Blaue Karte EU nach § 18g AufenthG vor, ist im Falle eines langfristig geplanten Aufenthalts in der Bundesrepublik seine Beantragung zu empfehlen. Die Blaue Karte EU ermöglicht Inhabern insbesondere bereits nach 33 Monaten (statt nach 5 Jahren) die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.
Sind – bspw. mangels Erreichens der erforderlichen Gehaltsschwelle – die Erteilungsvoraussetzungen der Blauen Karte EU nicht erfüllt, die Fachkraftqualifikation ist jedoch erfüllt, besteht inzwischen ein Anspruch auf Erteilung des allgemeinen Fachkrafttitels (§§ 18a, 18b AufenthG). Für alle anderen, die (noch) keine Fachkraft sind oder sich den zeitraubenden Weg einer formellen Anerkennung ersparen möchten, jedoch über ausreichende berufspraktische Erfahrung verfügen und die dargestellte Mindestqualifikation nachweisen können, steht nunmehr der Aufenthaltstitel für Ausländer mit berufspraktischer Erfahrung gem. §§ 19c Abs. 2 AufenthG i.V.m. 6 BeschV offen. Ein Wechsel auf einen höherwertigen Aufenthaltstitel kann auch noch später, wenn die jeweiligen Erteilungsvoraussetzungen vorliegen oder ohne Zeitdruck geschaffen werden können, beantragt werden.
Tipp: Das beschleunigte Fachkräfteverfahren kann nach § 81a Absatz 5 AufenthG auch genutzt werden, wenn im daran anschließenden Visumverfahren die Erteilung eines Visums nach § 19c Absatz 2 AufenthG i. V. m. § 6 BeschV beantragt werden soll.