Seit Juli 2014 gibt es sie – die gesetzlich eingeführte 40
EUR Verzugspauschale. Diese Pauschale muss ein Unternehmer an seine Gläubiger
zahlen, wenn er mit einer Entgeltzahlung im Verzug ist. Die sog.
Zahlungsverzugsrichtlinie der Europäischen Union (2011/7/EU), der diese neue
„Sanktion“ zu verdanken ist, sollte der schlechten Zahlungsmoral im
geschäftlichen Verkehr entgegenwirken.
Mit der darin als „Entschädigung für Beitreibungskosten“
bezeichneten Pauschalzahlung hatte die EU indes nur den geschäftlichen Verkehr
zwischen Unternehmen bzw. zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen im
Visier. Der deutsche Gesetzgeber allerdings gab im Rahmen der
Richtlinienumsetzung wohlmeinend die Beschränkung auf den geschäftlichen
Verkehr auf. Nach § 288 Abs. 5 BGB muss nun ein Schuldner an seinen
Gläubiger die 40 EUR Pauschale zahlen, wenn er ein Entgelt zu spät leistet. Zwar
darf es sich nach dem Gesetzeswortlaut beim Schuldner nicht um einen
Verbraucher handeln. Ob der Gläubiger allerdings Verbraucher oder Unternehmer
ist, danach differenziert das Gesetz nicht. Der Anwendungsbereich der Pauschale
ist daher deutlich größer als noch in der EU-Richtlinie vorgesehen.
Da nun seit 2014 auch Verbraucher die 40 EUR Pauschale
fordern konnten, wenn ein Unternehmen ihnen ein Entgelt zu spät leistete,
dauerte es nicht lange, bis die Diskussion aufkam, ob dies auch für einen Anspruch
auf Arbeitsentgelt gelte. Verträgt sich das überhaupt mit den
arbeitsrechtlichen Grundsätzen zur Kostentragung? Steht dem Anspruch nicht der im
Arbeitsrecht gemäß § 12a ArbGG geltende Grundsatz, dass im Rahmen der Vertretung
in erster Instanz entstandene Rechtsanwaltskosten nicht von der Gegenseite
verlangt werden können, entgegen? Und erfasst dieser Ausschluss des
Kostenersatzes nach ständiger Rechtsprechung des BAG nicht auch einen Kostenerstattungsanspruch
für außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten nach den normalen Schadensersatzregeln
beim Verzug, z.B. wegen eines anwaltlichen Mahnschreibens?
Entzündet durch ein Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf (Urteil vom 12.05.2016 – 2 Ca 5416/15) entbrannte hierüber in den vergangenen zwei Jahren ein
heftiger Streit – sowohl in der arbeitsrechtlichen Literatur als auch
unter den erst- und zweitinstanzlichen Gerichten.
Nach der 2. Kammer des Arbeitsgerichts Düsseldorf und einzelner
weiterer Befürworter stellt § 12a ArbGG eine spezialgesetzliche
Ausnahmeregelung dar, die § 288 Abs. 5 BGB im Arbeitsrecht sperre, jedenfalls
bei der gebotenen analogen Anwendung von § 12a ArbGG (so ArbG Düsseldorf vom 12.05.2016 – 2 Ca 5416/15; LAG Köln vom 04.10.2017
– 5 Sa 229/17; ArbG Nürnberg vom 11.11.2016 – 12 Ca 6016/15). Der
Gesetzgeber habe keinesfalls regeln wollen, dass ein Arbeitnehmer für die
außergerichtliche Geltendmachung 40 EUR erhalte, dass er aber dann, wenn diese
erfolglos bliebe, etwaige Rechtsanwaltskosten für das anschließende Gerichtsverfahren
selbst trage. Wegen der in § 288 Abs. 5 S. 3 BGB vorgesehen Anrechnung der
Pauschale auf einen Schadensersatz wegen Rechtsverfolgungskosten sei es
außerdem systemwidrig, dass eine in erster Instanz zugesprochene 40 EUR
Pauschale in zweiter Instanz angerechnet werden könne – denn dort gelte der
Ausschluss der Erstattung der Rechtsanwaltskosten gemäß § 12a ArbGG nicht.
Schließlich passe auch nicht zusammen, dass der Arbeitnehmer bei außergerichtlicher
Geltendmachung die 40 EUR Pauschale erhielte, die weitaus höheren außergerichtlichen
Anwaltskosten aber selbst tragen müsse.
Die ganz überwiegende Auffassung in Literatur und
Rechtsprechung hingegen hatte keine Bedenken, auch Arbeitnehmern die 40 EUR
Pauschale zuzusprechen, wenn der Arbeitgeber nicht rechtzeitig zahlt. Für eine
Sperre wegen des Ausschlusses der Kostenerstattung nach § 12a ArbGG sei kein
Raum. Der Gesetzgeber habe sich mit seiner „überschießenden“ Umsetzung der
EU-Richtlinie bewusst dafür entschieden, auch das Arbeitsrecht einzubeziehen
(u.a. LAG Berlin-Brandenburg vom 22.03.2017 – 15 Sa 1992/16; LAG Niedersachsen
vom 20.04.2017 – 5 Sa 1263/16; LAG Baden-Württemberg vom 13.10.2016 – 3 Sa
34/16; LAG Berlin-Brandenburg vom 06.10.2017 – 9 Sa 593/17). Hierfür sprächen
neben dem reinen Wortlaut auch die Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der
Vorschrift. Die Anrechnungsregel des § 288 Abs. 5 S. 3 BGB stehe
einer Anwendung im Arbeitsrecht gerade nicht entgegen. Ihr komme im Arbeitsrecht
wegen der fehlenden Kostenerstattungsmöglichkeit schlicht keine Bedeutung zu. Es
sei vielmehr systemwidrig, wenn der Arbeitnehmer keine 40 EUR Pauschale
verlangen können solle, aber den gesetzlichen Verzugszins gemäß § 288 Abs. 1
BGB verlangen könne, auf den § 288 Abs. 5 BGB Bezug nehme.
Aber auch wer die 40 EUR Pauschale im Arbeitsrecht zulassen
wollte, musste sich mit den weiteren praxisrelevanten Fragen beschäftigen: Gilt
die Pauschale etwa auch, wenn es sich nur um marginale Forderungen im
Cent-Bereich handelt (so aber das LAG Niedersachsen vom 20.04.2017 – 5 Sa
1263/16)? Fällt die 40 EUR Pauschale mehrmals an, wenn ein Arbeitgeber für
einen Abrechnungsmonat mehrere Zahlungen zu spät leistet, die auf
unterschiedlichen Rechtsgrundlagen beruhen (wohl nicht, weil idR eine einheitliche
Abrechnung zum Monatsende vereinbart ist)? Fällt die Pauschale jeden Monat neu
an, wenn eine Entgeltzahlung jeden Monat aus demselben Grund zu spät bzw. nicht
vollständig geleistet wird (so das LAG Düsseldorf vom 10.10.2017 – 8 Sa 284/17
für eine monatliche Besitzstandszulage aus bestrittener betrieblicher Übung)?
Kann die 40 EUR Pauschale von einer vertraglichen Ausschlussfrist begrenzt
werden (wohl nicht in AGB-Arbeitsverträgen, denn eine derartige Beschränkung im
Voraus dürfte gemäß §§ 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 6 S. 2 BGB
unwirksam sein)?
Wegen dieser Fragen wird aus Unternehmenssicht
schon lange die verbindliche Klärung der Grundsatzfrage über die Anwendbarkeit
der 40 EUR Pauschale und ihre praktischen Auswirkungen herbeigesehnt. Bereits
im August 2018 sollte eine auf ein Berufungsurteil des LAG Berlin-Brandenburg hin
eingelegte Revision Klarheit bringen. Einen Tag vor dem Termin beantragten die
Parteien dann plötzlich dessen Aufhebung. Eine Entscheidung blieb damit aus.
Nun hatte das BAG heute erneut Gelegenheit zur
höchstrichterlichen Klärung. Zugrunde lag ein Urteil des LAG Düsseldorf vom 10.10.2017.
Darin hatte das LAG Düsseldorf zugunsten der Zahlung der 40 EUR Pauschale entschieden
und war der ganz überwiegenden Auffassung der Landesarbeitsgerichte sowohl im
Ergebnis als auch in der Begründung gefolgt (LAG Düsseldorf vom 10.10.2017 – 8
Sa 284/17).
Völlig überraschend erteilte das heutige Urteil des BAG dieser
nahezu einhelligen LAG-Rechtsprechung nun aber eine Absage (BAG vom 25.09.2018
– 8 AZR 26/18). Ausweislich der bislang nur vorliegenden Pressemitteilung finde
§ 288 Abs. 5 BGB zwar grundsätzlich auch in Fällen Anwendung, in
denen sich der Arbeitgeber mit der Zahlung von Arbeitsentgelt in Verzug
befindet. Allerdings schließe § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG als spezielle
arbeitsrechtliche Regelung nicht nur einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch
wegen erstinstanzlich entstandener Beitreibungskosten, sondern auch einen
entsprechenden materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch und damit auch
den Anspruch auf die 40 EUR Pauschalen nach § 288 Abs. 5 BGB aus. Im Ergebnis
bestätigt das BAG also die bisherige Mindermeinung, dass § 12a ArbGG eine
vorrangige Spezialvorschrift ist, die jeglichen außergerichtlichen
Kostenerstattungsanspruch auch in Form einer Beitreibungspauschale ausschließt.
Das vom BAG damit gesetzte Signal führt hoffentlich
nicht dazu, dass sich die Zahlungsmoral im Arbeitsverhältnis verschlechtert.
Gleichwohl dürften Unternehmen erst einmal aufatmen, dass ein Zahlungsverzug
mit dem Arbeitsentgelt nicht noch mit der Pauschale „sanktioniert“ wird. Auch
die befürchtete Prozessflut, denen allein die Forderungen der 40 EUR Pauschale
zugrunde liegt, ist damit abgewendet – im Interesse wohl gerade auch der
Arbeitsgerichte.