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Christine Wahlig (Rechtsanwältin – Redaktionelle Leitung Blog) & Alice Tanke (Marketing Managerin)

Inside Workplace Law

Wenn Weindiebstahl den Job kostet… und noch viel mehr!

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Das LAG Schleswig-Holstein (Az. 1 Sa 401/18) hat am 3. Februar 2020 eine Entscheidung in einem Fall getroffen, in dem ein Arbeitnehmer (der Beklagte) zwei 6-Liter-Flaschen Chateau Petrus Pommerol (Jahrgang 1999) aus dem Weinkeller des Arbeitgebers (der Klägerin) entwendet hatte. Die Klägerin betreibt ein Hotel und hatte die beiden Weinflaschen zuvor einem Hotelgast für einen Gesamtpreis von EUR 13.757,60 verkauft. Dennoch lagerten die Flaschen noch in dem Hotel, da der Käufer diese erst bei einem späteren Hotelbesuch verkosten wollte.

Nach einem Brand im Hotel fiel im Mai 2015 auf, dass ein Arbeitnehmer die bereits verkauften Weinflaschen gestohlen hatte. Der Gast nahm das Hotel im Oktober 2015 in Anspruch, welches dann einen Monat später für insgesamt EUR 39.500,00 zwei andere – die letzten auf dem europäischen Markt erhältlichen – Weinflaschen dieses Jahrgangs kaufte und dem Gast aushändigte.

Die Arbeitgeberin hatte den des Diebstahls überführten Arbeitnehmer im Mai 2015 bereits fristlos gekündigt. Die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers war erfolglos. Erst nach dem rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens im Juni 2017 verlangte das Hotel im August 2017 in einem weiteren Verfahren von dem ehemaligen Arbeitnehmer den Ersatz des Schadens, den es durch die Ersatzbeschaffung des Weins erlitten hatte. Der Beklagte versuchte sich damit zu verteidigen, dass einerseits zwischen dem Diebstahl und der Beschaffung der letzten auf dem europäischen Markt erhältlichen Flaschen eine erhebliche Zeit verstrichen sei, die eine Wertsteigerung der Flaschen ausgelöst habe. Im Übrigen sei die dreimonatige Ausschlussfrist des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags überschritten und damit der Anspruch auf Schadensersatz verfallen.

Die entscheidenden Fragestellungen, mit denen sich das LAG Schleswig-Holstein in diesem kuriosen Fall befassen musste, betrafen daher den Zeitpunkt, an dem der Schaden entstanden ist und die Frage, ab wann und für welche Ansprüche die Frist einer allgemeinverbindlichen tariflichen Ausschlussfrist greift? 

Zeitpunkt des entstandenen Schadens

Im vorliegenden Fall wurden die Weinflaschen bereits im Mai 2015 entwendet, das Hotel aber erst im Oktober 2015 von dem Hotelgast in Anspruch genommen. Der Preis der Wiederbeschaffung im November 2015 war dabei laut der Aussage eines Zeugen im Rahmen des Strafprozesses gegen den Arbeitnehmer erheblich höher als der Wert der Weinflaschen zum Zeitpunkt des Diebstahls im Mai 2015. Nach dessen Aussage lag der Wert pro Flasche damals bei EUR 12.000,00. Allerdings sah sich der Zeuge selbst dem strafbaren Vorwurf der Hehlerei ausgesetzt, weshalb die Richtigkeit der Aussage durchaus angezweifelt werden konnte. Dennoch stütze sich der Arbeitnehmer im Zivilprozess auf die Zeugenaussage und rügte einen Verstoß gegen die Schadensgeringhaltungspflicht aus § 254 II 1 Alt. 2 BGB: dadurch, dass das Hotel trotz Kenntnis des Schadens im Mai erst im November zwei andere Weinflaschen gekauft habe, sei es zu einer Preissteigerung und damit zu einer erhöhten finanziellen Belastung für den Arbeitnehmer gekommen, die aufgrund der frühen Kenntnis des Diebstahls der an den Gast verkauften Weinflaschen nicht nötig gewesen wäre. 

Das LAG führt dazu aus, dass der Haftungsschaden erst dann besteht, wenn der Schädiger in Anspruch genommen wird, so dass daher der Schadenszeitpunkt erst im November liegt. Ein Haftungsschaden besteht darin, dass das Vermögen des Betroffenen durch das schädigende Ereignis nicht unmittelbar gemindert wird, jedoch Dritten, hier dem Gast gegenüber, durch das Ereignis eine Verbindlichkeit entsteht. Der hinzugezogene Gutachter hat im Übrigen bestätigt, dass die Weinflaschen wohl kaum für EUR 12.000,00 zu bekommen gewesen wären, sondern vielmehr der Gesamtpreis von fast EUR 40.000,00 noch etwas zu niedrig angesiedelt sei.

Tarifliche Ausschlussfrist

Da das LAG zu dem Ergebnis kam, dass dem Hotel ein Schaden in Höhe von rund EUR 40.000 entstanden war, hatte es sich mit dem Einwand des Arbeitnehmers, die Geltendmachung der Ansprüche des Hotels sei wegen der tariflichen Ausschlussfrist des § 14 MTV Hotel- und Gaststättengewerbe ausgeschlossen, auseinanderzusetzen.

Eine tarifliche Ausschlussfrist ist eine Frist, in der die von ihr erfassten Ansprüche geltend gemacht werden müssen. Andernfalls verfallen die Ansprüche. So stellt § 14 des MTV Ansprüche aus falscher Tarifeinstufung, unzutreffender Entlohnung und Bezahlung von Überstunden sowie Zuschlägen unter eine Ausschlussfrist von drei Monaten ab Fälligkeit. Alle sonstigen Ansprüche sollen drei Monate nach „Ausscheiden aus dem Betrieb“ erlöschen. Von Bedeutung ist hier die zweite Regelung, da es sich um Ansprüche aus einem Fehlverhalten des Arbeitnehmers handelt. 

Ob diese Ausschlussfrist allerdings überhaupt anwendbar ist, so das LAG, könne im vorliegenden Fall dahinstehen, wenn die Frist ohnehin gewahrt wäre. Entscheidend dafür ist der Beginn der Frist: Beginnt die Frist, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich nicht mehr zur Arbeit erscheint oder erst, wenn das Arbeitsverhältnis rechtlich beendet ist? Im letzteren Fall stellt sich dann die Anschlussfrage, ob mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Ablauf der Kündigungsfrist bzw. der Zugang der fristlosen Kündigung gemeint ist oder der Abschluss der gerichtlichen Auseinandersetzung, in der über die Wirksamkeit der Kündigung gestritten wird?

Das LAG hat in seiner Entscheidung das Merkmal für den Fristbeginn, hier das „Ausscheiden aus dem Betrieb“ ausgelegt. Der Wortlaut der Frist sei insoweit uneindeutig, als dass damit das faktische Ausscheiden oder eben das generelle Ausscheiden aus dem Betrieb, das typischerweise mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zusammenfällt, gemeint sein kann. 

Hier beruft sich das LAG auf die Auslegung nach dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelung, die Rechtssicherheit für alle Parteien gewähren soll. Dies sei nach Ansicht des LAG aber nur möglich, wenn ein fester, berechenbarer Zeitpunkt zum Beginn der Frist feststehe. Darüber hinaus könnten, stellte man auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Ausscheidens ab, weitere Ansprüche entstehen, von denen die Parteien bis dahin noch gar nichts wussten. Mit diesen Ausführungen schließt sich das LAG den Überlegungen des Bundesarbeitsgerichts an, das in einem ähnlich gelagerten Fall die gleichen Punkte abgewogen hat (BAG vom 11.2.2009 – 5 AZR 168/08, NZA 2009, 687, 688).

Konsequenzen der Entscheidung für die Praxis

Zeitpunkt der Schadensersatzhaftung

Das LAG stellt in seinem Urteil fest, dass es zur Beurteilung der Höhe des Haftungsschadens auf den Zeitpunkt der Geltendmachung des Gläubigers ankommt. Damit folgt das LAG der ganz herrschenden Meinung. Die Bemessung eines Schadensersatzanspruchs richtet sich nach dem finanziellen Aufwand, der im Zeitpunkt der Erfüllung nötig ist, um volle Kompensation zu erlangen (zuletzt BGH vom 18.2.2020 – VI ZR 115/19, NJW 2020, 1795). Das hat den Hintergrund, dass der Gläubiger, hier der Hotelgast, vor einer verzögerten Ersatzleistung geschützt werden soll, da so Wertsteigerungen auf den Schuldner, hier auf das Hotel, zurückfallen. Der Einwand, es käme auf den Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses an, überzeugt insofern nicht. Gleichwohl kann dem Schuldner bzw. dem in Regress genommenen Schädiger dieser Grundsatz auch zugutekommen, da neben Wertsteigerungen auch Wertminderungen berücksichtigt werden. 

Ausschlussfrist

Bezüglich der tariflichen Ausschlussfrist hatte sich das Gericht in der Entscheidung mit zwei Fragen zu beschäftigen. Einerseits stand wie oben dargestellt die Frage im Raum, wann diese beginnt und andererseits, ob Ansprüche aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung überhaupt von dieser tariflichen Ausschlussfrist erfasst werden können? 

Fristbeginn

Das LAG hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Anwendbarkeit der tariflichen Ausschlussfrist auf eine vorsätzliche unerlaubte Handlung dahinstehen könne, wenn ohnehin die Frist gewahrt wäre. Dazu zog das LAG die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses heran, nämlich der Zeitpunkt als das Urteil aus dem Kündigungsschutzprozess rechtskräftig wurde. Begründet wird dieser Zeitpunkt mit der Notwendigkeit der Rechtssicherheit und dem Ziel des Rechtsfriedens, ähnlich wie das BAG in einem vergleichbaren Fall entschieden hat (BAG vom 11.2.2009 – 5 AZR 168/08, juris Rn. 19). Diese Überlegung leuchtet auch ein: Wenn Ziel der Ausschlussfrist die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ist, kann es nicht sein, dass die Arbeitsvertragsparteien schon vor der Beendigung des Kündigungsschutzprozesses gezwungen sind, Ansprüche gerichtlich geltend zu machen, die unter Umständen vom Bestehen des Arbeitsverhältnisses abhängen. 

Anwendbarkeit auf vorsätzliche unerlaubte Handlungen 

Offen gelassen hat das LAG die Frage, ob Ansprüche aus unerlaubter Handlung, insbesondere solche, die wie hier vorsätzlich begangen wurden, von der tariflichen Ausschlussfrist erfasst werden können. Hinsichtlich der Auslegung der Klausel ist die Rechtsprechung des BAG eindeutig: Sofern der Wortlaut der Ausschlussfrist „alle Ansprüche“ betrifft, werden auch deliktische Ansprüche erfasst (BAG vom 18.8.2011 – 8 AZR 187/10, juris Rn. 26). 

Nun drängt sich die Frage auf, ob die Ausschlussfrist aus dem Tarifvertrag gegen die Vorschrift aus § 202 I BGB verstößt, wenn die Ausschlussklausel auch vorsätzliche unerlaubte Handlungen erfasst? Die Norm verbietet nämlich eine Erleichterung der Verjährung für eine Haftung wegen Vorsatzes, sofern diese durch Rechtsgeschäft vereinbart wurde.

Die Vorschriften zur Verjährung (194 ff. BGB) sind allgemein auf Tarifverträge anwendbar, soweit die arbeitsrechtlichen Besonderheiten dies nicht verbieten. Allerdings greift § 202 I BGB im Fall eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags nicht. Das liegt an der besonderen Wirkung der Tarifnorm: § 202 I BGB setzt eine Vereinbarung „durch Rechtsgeschäft“ voraus, die bei den Parteien vorliegen muss, die Anspruchsinhaber und Anspruchsgegner sind, kurz: bei den Parteien aus dem Arbeitsverhältnis. Bei Tarifgebundenheit oder einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gilt dieser allerdings für das Arbeitsverhältnis normativ und muss gerade nicht rechtsgeschäftlich vereinbart werden. Daher besteht zwischen den Parteien aus dem Arbeitsverhältnis kein Rechtsgeschäft über die Ausschlussfrist und § 202 I BGB greift nicht (BAG vom 18.8.2011 – 8 AZR 187/10, juris Rn. 30 ff.; neuer: LAG Düsseldorf vom 24.6.2020 – 4 Sa 571/19, juris Rn. 50).

Anders liegt der Fall folgerichtig, wenn der Tarifvertrag lediglich durch die Arbeitsvertragsparteien in Bezug genommen wird. Hier liegt ein Rechtsgeschäft der Arbeitsvertragsparteien vor, weshalb § 202 I BGB greift (BAG vom 26.9.2013 – 8 AZR 1013/12, juris Rn. 38, 39).

Fazit

Nach der vorliegenden Entscheidung sind die Arbeitsvertragsparteien nicht innerhalb einer kurzen Frist gezwungen, Ansprüche geltend zu machen, die grundsätzlich einer an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpfenden Verfallsklausel unterliegen. Sie können erst die rechtskräftige Entscheidung in der Bestandsschutzstreitigkeit abwarten. Dann aber beginnt auch für sie die Verfallsfrist. Wähnte sich in dem hier entschiedenen Fall der Weindieb in einer trügerischen Sicherheit, so hat das LAG seinem Einwand, Schadensersatzansprüche seien bereits verfallen, eine Abfuhr erteilt. Daher hat er nicht nur seinen Job verloren, sondern musste auch sehr viel später noch den Schaden ausgleichen, der ihn auch noch teurer als erwartet zu stehen kam. 

Dr. Holger Thomas
Dr. Holger Thomas, MM

Dr. Holger Thomas ist spezialisiert auf Verhandlungen mit Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften, Restrukturierungen, Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen, Compliance sowie Personalabbau.

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