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Von Nürnberg nach Bologna? Das BAG zu grenzüberschreitenden Versetzungen

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Wie flexibel müssen Arbeitnehmer auf das internationale und globalisierte Umfeld, in dem sie tätig sind, reagieren? Unter bestimmten Voraussetzungen müssen sie sogar zu einem Umzug ins Ausland bereit sein. So entschied am 30. November 2022 das Bundesarbeitsgericht (BAG) in vier Parallelverfahren (5 AZR 336/21; 5 AZR 352/21, 5 AZR 369/21 und 5 AZR 462/21).

I.                   Hintergrund

Ein international tätiges Luftverkehrsunternehmen mit Sitz im europäischen Ausland beschäftigte einen Piloten am Flughaften Nürnberg. Der Arbeitsvertrag des Piloten sah vor, dass dieser auch an anderen Orten stationiert werden könne. Das Unternehmen traf die Entscheidung, die Homebase am Flughafen Nürnberg aufzugeben und versetzte den Piloten mit einer Ankündigungsfrist von etwa drei Monaten nach Bologna in Italien. Der Pilot hielt diese Versetzung für unwirksam und klagte hiergegen vor dem Arbeitsgericht. Seine Klage blieb ohne Erfolg.

II.                  Wie funktioniert eine Versetzung?

Um die Entscheidung des BAG zu verstehen, ergibt es Sinn, sich zunächst die rechtlichen Hintergründe einer Versetzung vor Augen zu führen.

Direktionsrecht, § 106 GewO

Dreh- und Angelpunkt der Rechtmäßigkeit einer Versetzung ist § 106 Gewerbeordnung (§ 106 GewO), welcher das sogenannte Direktionsrecht des Arbeitgebers regelt. Hieraus ergibt sich, dass der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen kann. Der Begriff der Versetzung beschreibt eine Art der Umsetzung dieses Direktionsrechts, also eine einseitige Änderung der Arbeitsbedingungen, bezogen auf Ort, Zeit, Umfang und/oder Inhalt der Tätigkeit durch den Arbeitgeber. 

Versetzungsklausel

Zumeist wird im Arbeitsvertrag konkretisiert, unter welchen Voraussetzungen und inwieweit der Arbeitgeber den Arbeitnehmer einseitig versetzen kann (sog. Versetzungsklausel). Je nachdem, wie weit die jeweilige Versetzungsklausel reicht, kann der Arbeitgeber einseitig Änderungen der Arbeitsbedingungen kraft seines Direktionsrechts vornehmen, ohne dass hierfür eine Änderung des Arbeitsvertrages erforderlich ist. Er kann den Arbeitnehmer also zum Beispiel in einen Betrieb in eine andere Stadt versetzen. Wichtig ist allerdings, dass die Änderung dem Arbeitnehmer auch zumutbar sein muss. Dies ist stets eine Einzelfallentscheidung. Ist eine Änderung nicht vom Direktionsrecht gedeckt, hilft nur eine Änderungskündigung oder eine einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrages mit dem Arbeitnehmer. 

Versetzungsklauseln können so ausgestaltet sein, dass der Arbeitnehmer unternehmensweit versetzt werden kann. Bei internationalen Unternehmen stellt sich daher die Frage, ob dieses Recht an der deutschen Grenze halt macht oder ob auch eine Versetzung ins Ausland möglich ist. Dies war bislang umstritten.

III.                 Die Entscheidung

Das BAG hielt im konkreten Fall eine Versetzung ins Ausland für möglich. Der Pilot muss daher in Zukunft von Bologna aus arbeiten.

Warum?

  • Der Arbeitsvertrag des Piloten enthielt eine unternehmensweite Versetzungsklausel, die nicht auf innerdeutsche Standorte beschränkt war.
  • Der Arbeitsort Nürnberg war nicht vertraglich garantiert, sondern eine Versetzung vorbehalten.
  • Bei einer unternehmensweiten Versetzungsklausel ist auch eine Versetzung ins Ausland möglich, da dem Gesetz eine Begrenzung des Weisungsrechts auf Arbeitsorte in der Bundesrepublik Deutschland nicht zu entnehmen ist.
  • Die Versetzung war im konkreten Fall auch im Übrigen zumutbar.

Interessant ist, dass sich das BAG zu dieser Frage bereits 1989 beiläufig geäußert hat (Az.: 2 AZR 431/88). In diesem Fall hat das BAG betont, dass der Arbeitgeber nicht im Rahmen seines Direktionsrechts verlangen kann, dass ein Arbeitnehmer statt in Berlin in Lyon (Frankreich) arbeitet, da dies eine wesentliche Veränderung des Leistungsortes sei. Anders sei dies allerdings, wenn es eine anderweitige vertragliche Vereinbarung gebe. 

Die Pressemitteilung des BAG lässt eine ähnliche Argumentationslinie vermuten. Eine Versetzung ins Ausland wäre dann nicht per se von § 106 GewO gedeckt, sondern nur dann, wenn es eine entsprechende Versetzungsklausel im Arbeitsvertrag gibt. An dieser Stelle werden die Entscheidungsgründe weitere Hinweise liefern.

IV.                 Auswirkungen

Die Entscheidung kann international agierenden Unternehmen den flexiblen, länderübergreifenden Einsatz von Arbeitnehmern erleichtern. Das LAG Nürnberg (vom 15.06.2021; Az.: 6 Sa 448/20) als Vorinstanz ließ sogar erkennen, dass eine Versetzung auch außerhalb der Europäischen Union denkbar sein könnte. Hierbei kann es hilfreich sein, eine internationale Versetzungsklausel in die Arbeitsverträge aufzunehmen. Diese Möglichkeit dürfte nun eröffnet sein.

Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass eine Versetzung immer im konkreten Fall zumutbar sein muss. Dies dürfte regelmäßig nur dann der Fall sein, wenn der Beschäftigungsbedarf im Inland komplett entfällt und es auch keine anderen freien Stellen im Inland gibt, auf die der Arbeitnehmer versetzt werden kann.  

Zu bedenken dürfte auch sein, dass im Falle eines betriebsbedingten Wegfalls des Beschäftigungsbedarfs anstelle einer Beendigungskündigung freie Stellen anzubieten sind und die Kündigung anderenfalls sozial ungerechtfertigt ist. Bislang wird man hier in der Regel aufgrund des Territorialitätsprinzips nur Stellen in Deutschland angeboten haben. Aufgrund des neuen BAG-Urteils wird man sich nun die Frage stellen müssen, ob nicht auch Stellen im Ausland angeboten werden müssten, wenn das Unternehmen auch Standorte im Ausland hat und es dort geeignete freie Positionen gibt? Auch das gern verwandte Argument der Stellenverlegung ins Ausland dürfte in dieser Konstellation nicht mehr ziehen. Wenn man ein solches Risiko vermeiden möchte, sollte man als Unternehmen mit ausländischen Standorten wohl eine vertragliche Versetzungsklausel auf das Inland beschränken. 

Interessant ist darüber hinaus im Falle einer Versetzung ins Ausland die Frage, nach welchem Recht der Arbeitnehmer in einem ausländischen Staat beschäftigt wird, wenn die Beschäftigung im Ausland aufgrund einer Versetzung erfolgt und nicht aufgrund einer (einvernehmlichen) Vertragsänderung. Denn dann bleibt der ursprüngliche Arbeitsvertrag unverändert. Selbst, wenn der Vertrag eine Rechtswahlklausel zur Anwendbarkeit deutschen Rechts enthalten sollte, gelten jedenfalls im europäischen Raum zusätzlich zwingende Arbeitnehmerschutzvorschriften des Landes, in das der Arbeitnehmer versetzt wird. In der Praxis könnte dies zu diversen unterschiedlichen Rechtsquellen führen, die auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden. Dazu kommen Fragen des Aufenthaltsrechts, des Sozialversicherungs- und des Steuerrechts. Im internationalen Kontext wird eine verlässliche grenzüberschreitende Rechtsberatung daher immer wichtiger.

Verena Braeckeler-Kogel
Verena Braeckeler-Kogel, MAES (Basel)

Verena Braeckeler-Kogel ist spezialisiert auf internationales Arbeitsrecht, Restrukturierungen, Betriebsschließungen und -verlegungen sowie auf Betriebsübergänge, mit einer besonderen Expertise in den Branchen Finanzen, Banken und Versicherung.

Jacqueline Volmari

Jacqueline Volmari ist spezialisiert auf betriebsverfassungsrechtliche Fragestellungen, Kündigungsschutzfragen, Restrukturierungen und Mitbestimmungsmanagement.

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