Darf ein Arbeitgeber Maßnahmen zur Aufklärung konkreter Verdachtsmomente
gegenüber seinen Arbeitnehmern, die schwere aber nicht strafbare
Pflichtverletzungen vermuten lassen, ergreifen? Oder ist ihm das erst dann
gestattet, wenn die Schwelle zum Verdacht einer Straftat überschritten ist?
Diese Fragen, die maßgeblich auf das systematische
Verständnis des § 32 Abs. 1 BDSG zurückzuführen sind, waren lange
umstritten. Nun hat das BAG in seinem Urteil vom 29.6.2017 – 2 AZR 597/16 eine
Grundsatzentscheidung getroffen und diese für den deutschen
Beschäftigungsdatenschutz endgültig geklärt.
Im zu entscheidenden Fall war der Kläger als langjähriger
Arbeitnehmer der Beklagten seit 2015 durchgehend krankgeschrieben. Die Beklagte
erlangte gleichwohl aufgrund einer E-Mail Kenntnis davon, dass die Söhne des
Klägers die M GmbH gegründet hatten und der Verdacht bestand, dass der Kläger
trotz seiner attestierten Arbeitsunfähigkeit in dieser Firma Arbeiten ausführte,
die er zuvor bei der Beklagten ausgeübt hatte. Aufgrund des Verdachts wettbewerbswidriger
Konkurrenztätigkeit und des Vortäuschens einer Krankheit setzte die Beklagte
einen Privatdetektiv ein, um den Kläger zu observieren. Nachdem sich ihr
Verdacht daraufhin erhärtete, kündigte sie dem Kläger fristlos, hilfsweise
ordentlich und verlangte darüber hinaus Schadensersatz für die Detektivkosten.
Das LAG Baden-Württemberg sah in dem dem Kläger
vorgeworfenen Verhalten zwar grundsätzlich eine schwerwiegende Verletzung der
arbeitsvertraglichen Pflichten, die eine außerordentliche Kündigung
rechtfertigen und gegebenenfalls auch Schadensersatzansprüche der Beklagten
begründen kann. Allerdings bewertete es die Observation des Klägers als
rechtswidrig und verwertete die dadurch gewonnenen verdachtsbegründenden
Ergebnisse im Verfahren nicht. Das LAG hat in seiner Entscheidung die umstrittene
Ansicht vertreten, wonach auch bei bestehenden konkreten Verdachtsmomenten für
eine schwerwiegende Pflichtverletzung Maßnahmen zur Aufklärung erst dann
zulässig sind, wenn sie die Schwelle zum Verdacht einer Straftat überschreiten.
§ 32 Abs. 1 S. 2 BDSG entfalte diesbezüglich eine Sperrwirkung
gegenüber § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG.
Dieser Auffassung hat das BAG nun eine Absage erteilt. Es
führt aus, dass weder der Wortlaut des § 32 Abs. 1 BDSG noch die
Gesetzessystematik einen Schluss auf eine solche Sperrwirkung zuließen. Auch
sei eine umfassende Sperrwirkung nicht unionrechtskonform. Der Arbeitgeber könne
daher sehr wohl auch bei Vorliegen eines konkreten Verdachts einer „bloß“
schwerwiegenden Pflichtverletzung, die noch keine Straftat darstellt, zulässige
Überwachungsmaßnahmen ergreifen.
Nach § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG dürften personenbezogene Daten
eines Arbeitnehmers für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses u.a. dann erhoben,
verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für dessen Durchführung oder
Beendigung erforderlich ist. Zur Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses gehöre
die Kontrolle, ob der Arbeitnehmer seinen Pflichten nachkommt. Zur Beendigung
im Sinne der Kündigungsvorbereitung gehöre darüber hinaus auch die Aufdeckung
einer Pflichtverletzung, die die Kündigung des Arbeitsverhältnisses
rechtfertigen kann.
Vor dem Hintergrund, dass Überwachungsmaßnahmen aber immer
in das grundrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des
Arbeitnehmers eingreifen, macht das BAG deutlich, dass an Nachforschungen zur
Aufklärung von schwerwiegenden Pflichtverletzungen strenge Anforderungen zu
stellen sind. Für die Zulässigkeit einer Überwachungsmaßnahme müssen zunächst konkrete
Tatsachen vorliegen, die darauf schließen lassen, dass eine schwerwiegende
Pflichtverletzung des Arbeitnehmers vorliegt. Darüber hinaus muss der
Arbeitgeber alle milderen, gleich effektiven Maßnahmen zur Aufklärung ausgeschöpft
haben. Im Rahmen einer Interessenabwägung im Einzelfall muss der Arbeitgeber
schließlich die Interessen des betroffenen Arbeitnehmers hinreichend
berücksichtigen.
Mit dieser Entscheidung klärt das BAG zum einen die
streitigen Rechtsfragen im Bereich des § 32 Abs. 1 BDSG und macht zum
anderen für den Arbeitgeber deutlich, unter welchen Voraussetzungen der
Arbeitgeber Überwachungsmaßnahmen zur Aufdeckung schwerwiegender
Pflichtverletzungen vornehmen darf.
Wir gehen davon aus, dass die vom BAG aufgestellten
Grundsätze auch über den 28. Mai 2018 hinaus Bestand haben werden. Dann nämlich
gelten der kürzlich durch den deutschen Gesetzgeber verabschiedete neue § 26
BDSG, der die hier maßgeblichen Regelungen beinhaltet sowie die
EU-Datenschutz-Grundverordnung, mit deren Vorgaben die Entscheidung des BAG im
Einklang steht.
Unternehmen ist daher zu empfehlen, ihre Compliance-Systeme zeitnah an die vom BAG aufgestellten Vorgaben anzupassen.