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Keine Haftung von Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern für Unternehmensgeldbußen

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Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder haften nicht persönlich für Kartellgeldbußen, die gegen ein Unternehmen verhängt werden. Dies hat der 6. Kartellsenat des OLG Düsseldorf mit nicht rechtskräftigem Urteil vom 27.07.2023 – 6 U 1/22 (Kart) – entschieden.

Hintergrund

Seit langem wird in der juristischen Literatur kontrovers diskutiert, ob und inwieweit Leitungsorgane einer GmbH oder AG für Unternehmenskartellgeldbußen im Innenverhältnis in Regress genommen werden können. Eine höchstrichterliche Klärung dieser Frage durch den BGH ist bislang nicht erfolgt. Nun hat das OLG Düsseldorf in einer aufsehenerregenden Entscheidung eine gesellschaftsrechtliche Binnenhaftung von (ehemaligen) Geschäftsführern bzw. Vorstandsmitgliedern für Unternehmenskartellgeldbußen verneint.  

Sachverhalt

Ein Geschäftsführer einer GmbH und zugleich Vorstandsvorsitzender einer AG hatte sich über mehrere Jahre an wettbewerbswidrigen Absprachen und Abstimmungen in der Edelstahlbranche beteiligt. Infolgedessen erließ das Bundeskartellamt gegen ihn einen Bußgeldbescheid, mit dem es ein Bußgeld wegen einer vorsätzlichen Kartellordnungswidrigkeit gemäß § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB i. V. m. Art. 101 Abs. 1 AEUV festsetzte. Gegen die GmbH verhängte das Bundeskartellamt ebenfalls ein Bußgeld, gegen die AG stellte es das Bußgeldverfahren aus Ermessensgründen nach § 47 Abs. 1 OWiG ein.

Die GmbH und die AG erhoben daraufhin Klage gegen ihren (mittlerweile ehemaligen) Geschäftsführer bzw. Vorstandsvorsitzenden. Die GmbH verlangte von ihm Schadenersatz in Höhe der gegen sie verhängten Kartellgeldbuße. Die AG verlangte von ihm Ersatz der ihr im Zusammenhang mit dem kartellrechtlichen Ermittlungsverfahren entstandenen IT- und Rechtsanwaltskosten. Beide Klägerinnen begehrten zudem die Feststellung, dass der Beklagte wegen seines wettbewerbswidrigen Verhaltens für alle zukünftigen Schäden aus einer potenziellen Inanspruchnahme Dritter nach § 33a GWB haftet. 

Entscheidung

Die Klagen hatten erstinstanzlich nur insoweit Erfolg, als sie die Feststellung betrafen, dass der Beklagte den Klägerinnen zum Ersatz künftiger aus dem Wettbewerbsverstoß resultierender Schäden verpflichtet ist, im Übrigen wurden sie abgewiesen. Das OLG Düsseldorf bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz.

Keine Haftung für Unternehmenskartellgeldbuße

Nach ausführlicher Darstellung des kontroversen Streitstandes in der juristischen Literatur gelangte das OLG Düsseldorf zu dem Ergebnis, dass der Beklagte im Innenverhältnis nicht für die gegen die klagende GmbH verhängte Unternehmenskartellgeldbuße haftet.

Die Voraussetzungen für einen Organhaftungsanspruch gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG (Pflichtverletzung, Verschulden, Schaden und Kausalität) sah das OLG Düsseldorf im Grundsatz zwar als gegeben an. Die klagende GmbH, so das OLG Düsseldorf, könne den Beklagten jedoch gleichwohl nicht in Regress nehmen, weil der Anwendungsbereich des § 43 Abs. 2 GmbHG (bzw. § 93 Abs. 2 AktG) aufgrund der Sanktionszwecke der §§ 81a bis 81d GWB teleologisch zu reduzieren sei. Infolgedessen seien Verbandsgeldbußen nach deutschem Kartellrecht von der Organhaftung auszunehmen.

Das OLG Düsseldorf begründete seine Entscheidung im Wesentlichen mit den Besonderheiten der Verbandsgeldbuße im Zusammenspiel mit den deutschen Kartellrechtsnormen sowie der Tatsache, dass in der Praxis regelmäßig D&O Versicherungen abgeschlossen würden.

Besonderheiten der Verbandsgeldbuße

Die Verbandsgeldbuße, so das OLG Düsseldorf, bedürfe notwendig einer Anknüpfungstat einer natürlichen Person, die für das Unternehmen rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat. Der Gesetzgeber habe somit gerade solche Fälle im Blick gehabt, in denen die Leitungsperson im Innenverhältnis eine Legalitätspflichtverletzung begeht. Dass das Gesetz in dieser Situation neben der persönlichen Bebußung der Leitungsperson eine Verbandsgeldbuße vorsieht, spreche dagegen, die Sanktionierung des Unternehmens wieder auf die Leitungsperson umzulenken. Ansonsten würde sich die Frage stellen, warum der Staat überhaupt eine Geldbuße gegen ein Unternehmen verhängt, wenn diese Folge sogleich als unerwünschter Schaden auf das Organmitglied verlagert werden kann.

Entgegenstehender Sinn und Zweck des kartellrechtlichen Sanktionssystems

Dies gelte in besonderem Maße, so das OLG Düsseldorf, unter Berücksichtigung des speziellen kartellrechtlichen Sanktionssystems.

An den im Gesetz vorgesehenen unterschiedlichen Bußgeldrahmen und Bußgeldzumessungsgesichtspunkten zeige sich, dass der Gesetzgeber mit der Sanktionierung gerade das Unternehmen und nicht die natürliche Person nachhaltig belasten wollte. So liege der Bußgeldrahmen für Unternehmen gravierend über demjenigen, der für die natürliche Person anzuwenden ist. Während für letztere eine Bußgeldobergrenze von einer Million Euro gilt, kann die für das Unternehmen einschlägige bei bis zu 10 % des Jahresumsatzes des gesamten Unternehmensverbundes liegen (vgl. § 81c Abs. 1 und Abs. 4 GWB), was ohne Weiteres zu Bußgeldern im dreistelligen Millionenbereich führen kann und in der Praxis auch regelmäßig führt.

Eine besondere Bedeutung für die Zumessung der Geldbuße für das Unternehmen komme dabei der Größenordnung des mit der Zuwiderhandlung in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang stehenden Umsatzes (sog. tatbezogener Umsatz) zu. Der tatbezogene Umsatz bilde einen Bezug zur Bedeutung des betroffenen Marktes, der Stellung des Unternehmens am Markt sowie dem daraus folgenden Gewinn- und Schadenspotenzial. Auf dieses maßgebliche Bußgeldzumessungskriterium habe das Leitungsorgan nahezu keinen Einfluss.

Die besondere Ausgestaltung der Sanktionen im Kartellrecht, insbesondere die am Gesamtumsatz des Unternehmens orientierte und unter Umständen enorme Höhe der möglichen Geldbußen gegen Unternehmen im Verhältnis zur natürlichen Person und deren Ausrichtung am tatbezogenen Umsatz zeigten, so das OLG Düsseldorf, dass Sinn und Zweck der Unternehmensgeldbuße darin bestehe, das Vermögen der juristischen Personen nachhaltig zu treffen und ihnen die Vorteile abzunehmen, die ihnen durch Zuwiderhandlungen ihrer Organe unrechtmäßig zugeflossen sind. Aus diesem Grund könne es nicht gewollt sein, die Geldbuße auf das Leitungsorgan zu verlagern.

Abschluss einer D&O Versicherung

Dies gelte erst recht, wenn das Unternehmen zugunsten des Leitungsorgans, wie in der Praxis regelmäßig der Fall, eine D&O Versicherung abgeschlossen hat. Die Sanktionswirkung einer Geldbuße gegen das Unternehmen laufe faktisch leer, wenn im Falle eines Binnenregresses eine D&O Versicherung und damit letztlich die Versichertengemeinschaft den Schaden trägt.

Kein Ersatz von IT- und Rechtsanwaltskosten

Aus den vorgenannten Gründen verneinte das OLG Düsseldorf auch einen Anspruch der klagenden AG gegen den Beklagten auf Ersatz der ihr im Zusammenhang mit dem kartellrechtlichen Ermittlungsverfahren entstandenen IT- und Rechtsanwaltskosten.

Fazit

Die höchst umstrittene Frage, ob und inwieweit Leitungsorgane einer GmbH oder AG für Unternehmenskartellgeldbußen in Regress genommen werden können, ist nach wie vor nicht höchstrichterlich geklärt.

Das OLG Düsseldorf hat eine teleologische Reduktion von § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 AktG vorgenommen und damit eine Haftung (ehemaliger) Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder für Unternehmenskartellgeldbußen verneint. Gegen die Entscheidung des OLG Düsseldorf wurde Revision eingelegt, so dass in absehbarer Zeit mit einer Klärung der Rechtslage durch den BGH zu rechnen ist.

Bis auf Weiteres ist den in Unternehmen zuständigen Organen zu empfehlen, etwaige Regressmöglichkeiten sorgfältig zu prüfen und im Zweifelsfall entsprechende Schadenersatzansprüche gegen (ehemalige) Leitungsorgane des Unternehmens geltend zu machen.

Kristina Schilder

Kristina Schilder ist spezialisiert auf Restrukturierungen, betriebsverfassungsrechtliche Fragestellungen, HR-Compliance und Prozessvertretung.

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