Die kollektivrechtliche Rechtmäßigkeit einer betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung ist bis heute in Literatur und Rechtsprechung umstritten. Zuletzt setzte sich das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg (Beschluss vom 3. Juli 2020, Az. 8 TaBV 3/19) mit der Wirksamkeit einer solchen Abmahnung auseinander.
Worum geht es?
Zwischen der Arbeitgeberin, einer bekannten Anbieterin für Haushaltsgeräte, und dem örtlichen Betriebsrat kam es zu einer Auseinandersetzung hinsichtlich der Durchführung einer Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV). Die GBV regelte die Prämienvereinbarungen für Außendienstmitarbeiter:innen und Telefonverkäufer:innen. Der Betriebsrat stieß auf einen Widerspruch zwischen Vereinbarung und tatsächlicher Praxis. So sollten die Zielvorgaben unter anderem realistisch und erreichbar sein. Die Realität sah – zumindest aus Sicht des Betriebsrats – anders aus. Der Betriebsrat machte in einer E-Mail die betroffenen Mitarbeiter:innen darauf aufmerksam und sprach die Empfehlung aus, gegen die Regelung vorzugehen.
Die Arbeitgeberin bekam davon Wind. Die Folge: Jedes Mitglied des dreiköpfigen Betriebsrates wurde abgemahnt. Das Verhalten der einzelnen Betriebsratsmitglieder verstoße gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit (vgl. § 2 Abs. 1 BetrVG) und gegen die Friedenspflicht (vgl. § 74 Abs. 2 S. 2 BetrVG). Sollte es erneut zu einem Verstoß kommen, müsse man mit Sanktionen nach § 23 Abs. 1 BetrVG rechnen. Diese (betriebsverfassungsrechtliche) Abmahnung wurde in die Personalakte der Betriebsratsmitglieder aufgenommen.
Der Betriebsrat begehrte im Beschlussverfahren die Feststellung der Unwirksamkeit der Abmahnungen, hilfsweise die Entfernung der Abmahnungen aus den Personalakten.
Die Entscheidung
Zunächst stellte das ArbG Stuttgart in seiner Entscheidung (Beschluss vom 30. April 2019, Az. 4 BV 251/18) klar, dass eine betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung – ungeachtet ihrer Rechtmäßigkeit – jedenfalls nicht in die Personalakte des betroffenen Betriebsratsmitglieds aufgenommen werden darf. Das LAG Baden-Württemberg schloss sich der Rechtsauffassung der Vorinstanz weitgehend an:
Unzulässige Vermengung der kollektiv- und individualrechtlichen Pflichten der Betriebsratsmitglieder
Die Abmahnungen müssten bereits deshalb aus den Personalakten der Betroffenen entfernt werden, da zwingend zwischen dem individuellen Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmer:innen und den betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten als Mitglied des Betriebsrats unterschieden werden muss:
- Personalakten dienen der Dokumentation der persönlichen und dienstlichen Umstände der Arbeitnehmer:in und stehen damit zwingend in Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis.
- Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, darf eine Abmahnung nur dann in die Personalakte aufgenommen werden, wenn es sich um eine individualrechtliche Abmahnung handelt (BAG vom 9. September 2015, Az. 7 ABR 69/13).
- Konkret muss also der Verstoß gegen eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verbunden mit der Androhung einer Kündigung sanktioniert werden.
- Der Vorwurf einer Amtspflichtverletzung unter Androhung weiterer Sanktionen – wie im zugrundeliegenden Fall der drei Betriebsratsmitglieder – berührt eindeutig den betriebsverfassungsrechtlichen Pflichtenkreis.
Die Aufnahme einer solchen Abmahnung in die Personalakte stellt eine unzulässige Vermischung der beiden Bereiche dar. Entsprechend können die Betroffenen die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte von der Arbeitgeberin verlangen.
Das LAG Baden-Württemberg betonte jedoch ergänzend zu den Ausführungen des ArbG Stuttgarts, dass die Arbeitgeberin natürlich berechtigt sei, Kritik gegenüber den Betriebsratsmitgliedern zu äußern. Dies dürfe nur eben nicht in der Personalakte dokumentiert werden.
Rechtmäßigkeit einer betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung?
Die Klärung der generellen Rechtmäßigkeit einer betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung konnte damit offen gelassen werden. Dennoch lassen sich der Entscheidung Tendenzen entnehmen, die gegen eine generelle Rechtmäßigkeit sprechen. So sei für die Einleitung eines Verfahrens nach § 23 Abs. 1 BetrVG eine Abmahnung schon gar nicht erforderlich. Aus der Norm selbst folge bereits, dass für die Einleitung des Verfahrens eine so schwerwiegende Pflichtverletzung nötig sei, bei der eine Abmahnung ohnehin nicht mehr erfolgen müsste.
Wir meinen hingegen, dass eine betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung gerade aus diesem Grund sinnvoll ist und sachgerecht sein kann. Es gibt Pflichtverletzungen auf beiden Seiten – also Betriebsrat und Arbeitgeber -, die erst durch hartnäckige Wiederholung so „grob“ werden, dass sie eine Sanktion nach § 23 BetrVG, also den Ausschluss eines Betriebsratsmitgliedes, die Auflösung des Betriebsrates oder, bei Pflichtverletzungen durch den Arbeitgeber, die ordnungsgeldbewehrte Unterlassung rechtfertigen. Solche hartnäckigen und wiederholten Pflichtverletzungen blieben sanktionslos, wenn stets jeder einzelne Pflichtverstoß die Schwelle einer groben Pflichtverletzung überschreiten müsste. Erkennt man aber an, dass Pflichtverletzungen auch durch Wiederholung und hartnäckige Begehung „grob“ im Sinne des § 23 BetrVG werden können, so sollte man auch das Instrument der betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung anerkennen. Es dokumentiert den Pflichtverstoß und warnt im Falle der Wiederholung vor betriebsverfassungsrechtlicher Sanktionierung. Wir halten dies für sachgerecht.
Rechtsschutzmöglichkeiten des Betriebsrats als Gremium
Entgegen der Auffassung des ArbG Stuttgart vertritt das LAG Baden-Württemberg die Ansicht, dass der Betriebsrat als Gremium die Unwirksamkeit der Abmahnung auch nicht ausnahmsweise durch einen Feststellungsantrag geltend machen kann. Die Frage nach der Unwirksamkeit der Abmahnungen betrifft kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Vielmehr biete die Möglichkeit des Betriebsrats, ein Unterlassungsverfahren gegen den Arbeitgeber nach § 23 Abs. 1 BetrVG einzuleiten, ausreichend Rechtsschutz.
Praxishinweis
Die Entscheidung verdeutlicht, wie wichtig die Unterscheidung zwischen den individualrechtlichen Pflichten der einzelnen Arbeitnehmer:in und den Pflichten aus dem Amt als Betriebsratsmitglied ist. Eine obergerichtliche Klärung der Zulässigkeit einer betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung steht weiterhin aus. Möchte die Arbeitgeber:in einem Betriebsratsmitglied mithilfe einer Abmahnung „die gelbe Karte zeigen“, so darf eine solche jedenfalls nicht in die Personalakte aufgenommen werden. Wir raten aber dazu, von diesem Instrument durchaus Gebrauch zu machen. Erkennt man aber die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung grundsätzlich an, so muss auch der Betriebsrat die Arbeitgeber:in bei Pflichtverstößen unterhalb der Schwelle eines groben Verstoßes abmahnen können.