Verstößt ein öffentlicher Arbeitgeber gegen die Vorschrift des § 165 S.1 SBG IX, begründet dies die Vermutung der Benachteiligung eines schwerbehinderten Bewerbers und führt zu einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG.
Im vorliegenden Fall veröffentlichte der beklagte sächsische Landkreis eine Stellenanzeige auf der Seite der Bundesagentur für Arbeit („Jobbörse“). Gesucht wurde ein „Amtsleiter/in Rechts- und Kommunalamt (Jurist/in)“. Der mit einem GdB von 50 als schwerbehindert eingestufte Kläger bewarb sich mit Hinweis auf seine Schwerbehinderung auf die Stelle. Statt einer Einladung zum Vorstellungsgespräch erhielt der Kläger jedoch eine Absage, man habe sich für einen anderen Bewerber entschieden.
Daraufhin machte der Kläger zunächst von seinem Beschwerderecht nach § 13 AGG Gebrauch und verlangte eine Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 2 AGG. Eine Antwort des beklagten Landkreises blieb aus.
Der Kläger verfolgte sein Begehr sodann vor den Arbeitsgerichten und machte geltend, der Landkreis habe ihn im Bewerbungsprozess diskriminiert. Die Diskriminierung stützte er zum einen auf eine unterbliebene Meldung der freien Stelle an die Agentur für Arbeit, zum anderen auf die Nichteinladung zu einem Vorstellungsgespräch. Der Landkreis habe damit gegen die Verfahrensvorschriften des § 165 IX SGB IX verstoßen. Die Instanzgerichte wiesen die Klage als unbegründet ab. Erst das BAG gab dem Kläger am 25. November 2021 im Verfahren 8 AZR 313/20 schlussendlich Recht und gewährte einen Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG.
Wann der Bewerbungsprozess einen schwerbehinderten Bewerber diskriminiert
§ 165 S.1 SGB IX sieht vor, dass öffentliche Arbeitgeber frei gewordene oder neu zu besetzende Stellen bei der Agentur für Arbeit melden müssen. Genau hierin sah das Gericht – vergleichbar mit der Nichtbeachtung anderer Vorschiften zum Schutz bzw. zur Förderung von schwerbehinderten Menschen – ebenfalls ein Indiz nach § 22 AGG für ein diskriminierendes Verhalten des Landkreises. Das Inserat bei der Jobbörse genügte nach Ausführungen des BAG dem Meldeerfordernis des § 165 S.1 SGB IX nicht. § 165 S.1 SGB IX sei eine Vorschrift, die Verfahrens- und/oder Förderungspflichten zugunsten schwerbehinderter Bewerber enthält. Im Einklang mit Entscheidungen zu vergleichbaren Vorschriften geht das BAG konsequent davon aus, dass ein Verstoß gegen eine solche Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers die Vermutung begründet, dass der schwerbehinderte Bewerber im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren wegen der Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und damit wegen der Schwerbehinderung benachteiligt wurde. Allein das Einstellen einer freien Stelle im Jobportal der Arbeitsagentur ist nach dem BAG noch keine Meldung einer freien Stelle. Das BAG wendet damit einen strengen Maßstab an. Die Annahme der Vorinstanzen, dass die Mitteilung einer freien Position auf dem Stellenportal eine Meldung im Sinne des § 165 S. 1 SGB IX sein könne, erscheint auf den ersten Blickt nicht gänzlich fern. Die Arbeitsagenturen nutzen die Stellen des Portals sicherlich auch für Vermittlungsvorschläge. Anderseits kann in Frage gestellt werden, ob die Nutzung eines Serviceangebots tatsächlich eine Meldung nach dem Sinn und Zweck der Norm darstellt. Es bleibt daher die nähere Begründung des BAG abzuwarten.
Der Kläger rügte weiterhin einen Verstoß gegen § 165 S. 3 und S. 4 SGB IX. Danach ist der öffentliche Arbeitgeber verpflichtet, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, sofern dieser fachlich nicht offensichtlich ungeeignet ist. Das LAG Sachsen (Landesarbeitsgericht Sachsen – Az.: 5 Sa 414/18 – Urteil vom 11.03.2020 ) führte in der Vorinstanz noch ausführlich aus, warum der Kläger in diesem Verfahren für die Stelle offensichtlich nicht geeignet gewesen sei. Ob der Landkreis auch dieser Verpflichtung nicht nachkam, scheint nach dem Inhalt der Pressemitteilung des BAG vom Gericht als nicht weiter entscheidungsrelevant gewertet worden zu sein. Der Umstand, dass der Pressemitteilung hierzu keine entscheidungsrelevante Stellungnahme des BAG entnommen werden kann, lässt Spielraum für die Vermutung, dass die Annahme der Vorinstanz ggf. nicht revisionsrechtlich zu beanstanden war. Zumindest liegt es nahe, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung angesichts fehlender Entscheidungsrelevanz keinen Mehrwert geschaffen hätte. Zumal die Frage der Vermutungswirkung einer unterlassenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch eines schwerbehinderten Menschen bereits von der Rechtsprechung entschieden wurde. Im Ergebnis müssen in diesem konkreten Fall zu diesem Vorwurf die abgefassten Entscheidungsgründe noch abgewartet werden.
Was öffentliche Arbeitgeber beachten müssen
Auch dieses Urteil verdeutlich, wie wichtig das Einhalten der entsprechenden Verfahrensvorschriften bei einem Bewerbungsprozess – insbesondere für öffentliche Arbeitgeber – ist. Die Förderpflichten nach dem SGB IX sind für öffentliche Arbeitgeber noch weitergehender, als für private Arbeitgeber. Ein Verstoß gegen die bestehenden Pflichten des Arbeitgebers begründet die Vermutung einer Benachteiligung wegen einer Behinderung.
Als öffentlicher Arbeitgeber ist es zur Vermeidung der Vermutung einer schwerbehinderte Menschen diskriminierenden Bewerberauswahl von elementarer Bedeutung, freie Stellen bei der Agentur für Arbeit zu melden und diese nicht lediglich bei der Jobbörse der Arbeitsagentur zu inserieren.
Weiterhin besteht eine Pflicht zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch, sofern ein schwerbehinderter Bewerber nicht offensichtlich ungeeignet ist. Öffentlichen Arbeitgebern ist auch weiterhin zu raten, genaustens zu prüfen, ob wirklich eine offensichtliche Ungeeignetheit des Bewerbers vorliegt und damit eine Einladung zum Vorstellungsgespräch entbehrlich ist. Im Zweifelsfall ist im Interesse der Förderung schwerbehinderter Menschen und im Interesse des öffentlichen Arbeitgebers zur Vermeidung unnötiger Benachteiligungsvorwürfe ratsam, eine Einladung auszusprechen und ein Bewerbungsgespräch zu führen.