Einleitung
Der gegenwärtige Strukturwandel in der Arbeitswelt wirkt sich erheblich auf die Gesundheit der Beschäftigten aus. Die Digitalisierung von Arbeitsprozessen, steigende Anforderungen an die örtliche und zeitliche Flexibilität, neue Arbeitsformen wie „Homeoffice“ oder „Remote Work“, erhöhter Leistungsdruck, dauernde Erreichbarkeit und der demographische Wandel führen vermehrt zu psychischen und physischen Belastungen. Die Produktivität sinkt, die Fluktuation steigt. Dies verursacht hohe Kosten für Unternehmen. Dem gilt es entgegenzuwirken. Aber wie? Was hält Beschäftigte gesund und leistungsfähig? Welchen Beitrag können Arbeitgebende leisten, um Gesundheit und Wohlbefinden ihrer Beschäftigten zu stärken? Fragen, die sich Unternehmen immer häufiger stellen. Eine Antwort kann das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) geben, dessen Rentabilität durch wissenschaftliche Studien belegt ist.
Betriebliches Gesundheitsmanagement – Was ist das eigentlich?
Das betriebliche Gesundheitsmanagement wird definiert als die Entwicklung betrieblicher Rahmenbedingungen, Strukturen und Prozesse, die die gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit und Organisation und die Befähigung zum gesundheitsförderlichen Verhalten von Beschäftigten zum Ziel haben. Das betriebliche Gesundheitsmanagement betrachtet neben den krankmachenden Faktoren der Arbeit die Frage, wie Beschäftigte gesund bleiben, um eine präventive betriebliche Gesundheitspolitik entwickeln zu können. Im betrieblichen Gesundheitsmanagement laufen alle Maßnahmen zum betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz, zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) und zur betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) zusammen.
Betrieblicher Arbeits- und Gesundheitsschutz
Nach § 3 ArbSchG sind Arbeitgebende verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Sie haben die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Ein wichtiger Baustein ist die Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG. Weitere Verpflichtungen für Arbeitgebende ergeben sich aus einer Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen, Technischen Regeln, Normen etc. Arbeitsschutzmanagementsysteme ermöglichen Arbeitgebenden eine systematische Planung und Organisation der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes ihrer Beschäftigten.
Betriebliches Eingliederungsmanagement
Nach § 167 Abs. 2 SGB IX haben Arbeitgebende Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements anzubieten. Dieses dient dazu, unter Einbeziehung von Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung die Möglichkeiten zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Hierbei handelt es sich um eine gesetzliche Präventionsverpflichtung für Arbeitgebende. Für Beschäftigte ist die Teilnahme freiwillig.
Betriebliche Gesundheitsförderung
Von dem gesetzlich verpflichtenden betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz und dem ebenfalls gesetzlich verpflichtenden betrieblichen Eingliederungsmanagement zu unterscheiden ist die freiwillige betriebliche Gesundheitsförderung. Die Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung stehen im Ermessen von Arbeitgebenden. Sie sind gesetzlich nicht geregelt.
„Goldenes Dreieck“ der betrieblichen Prävention
Idealerweise bilden betrieblicher Arbeits- und Gesundheitsschutz, betriebliches Eingliederungsmanagement und betriebliche Gesundheitsförderung eine Einheit, das „goldene Dreieck” der betrieblichen Prävention. Die Einhaltung der Vorgaben aus dem Arbeitsschutzrecht und dem SGB IX sollte dabei im Vordergrund stehen. Sie bildet die Grundlage für den Aufbau eines betrieblichen Gesundheitsmanagements, in das freiwillige Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung integriert werden können.
Die Begriffe betriebliches Gesundheitsmanagement und betriebliche Gesundheitsförderung werden in der Praxis häufig synonym verwendet. Der vorliegende Beitrag befasst sich insbesondere mit der Einführung von freiwilligen Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung.
Förderung durch die Gesetzgebung
Die Gesetzgebung hat eine Reihe von Anreizen für die Einführung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements geschaffen.
So können Arbeitgebende, die ihren Beschäftigten zusätzlich zum Arbeitsentgelt Leistungen zur Verhinderung und Verminderung von Krankheitsrisiken und zur Förderung der Gesundheit in Betrieben gewähren, dies bis zu einem Betrag von EUR 600,00 pro Kopf und Kalenderjahr steuerfrei tun (§ 3 Nr. 34 EStG). Voraussetzung ist, dass die Leistungen hinsichtlich Qualität, Zweckbindung, Zielgerichtetheit und Zertifizierung den Anforderungen der §§ 20 und 20b des SGB V genügen,
Daneben werden der Aufbau und die Stärkung gesundheitsförderlicher Strukturen in Betrieben von den Krankenkassen mit verschiedenen Leistungen gefördert (§ 20b SGB V). Implementieren Arbeitgebende Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung, sollen sowohl sie als auch die versicherten Beschäftigten einen Bonus von der Krankenkasse erhalten (§ 65a Abs. 2 SGB V).
Unfallversicherungsträger können unter Berücksichtigung der Wirksamkeit der von Unternehmen getroffenen Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten und für die Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren Prämien gewähren (§ 162 Abs. 2 SGB VII).
Die Rehabilitationsträger und Integrationsämter können Arbeitgebende, die ein betriebliches Eingliederungsmanagement eingeführt haben, ebenfalls mit Prämien oder einem Bonus fördern (§ 167 Abs. 3 SGB IX).
Ganzheitlicher Prozess
Doch was genau müssen Arbeitgebende tun, um – über die ihnen ohnehin obliegenden gesetzlichen Verpflichtungen hinaus – gesundheitsförderliche Strukturen im Betrieb einzuführen? Genügt es, den Beschäftigten ein Coaching zur Stressbewältigung anzubieten oder eine Broschüre zu gesunder Ernährung auszuhändigen? Reicht es aus, eine Kooperation mit einem Fitnessstudio einzugehen oder einmal in der Woche einen Yogakurs anzubieten? Ganz so einfach ist es nicht.
Denn das betriebliche Gesundheitsmanagement ist ein ganzheitlicher Prozess, in dem die Gesundheit der Beschäftigten im Kontext mit den Arbeitsbedingungen, der Organisationsgestaltung, der Personalentwicklung und der Unternehmenskultur berücksichtigt wird. Der Prozess ist auf Langfristigkeit angelegt und zeichnet sich durch ein interdisziplinäres Vorgehen im Hinblick auf Arbeitssicherheit, Arbeitsmedizin, Ergonomie, Arbeitspsychologie etc. aus. Dies bedeutet, dass Ressourcen zur Verfügung gestellt und entsprechende Strukturen, wie z. B. Steuer- und Lenkungsgremien, geschaffen werden müssen. Ein betriebliches Gesundheitsmanagement sollte partizipativ ausgestaltet werden, d. h. Beschäftigte und Führungskräfte sollten von Anfang an in den Prozess einbezogen und aktiv beteiligt werden.
Einführung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements – So geht es konkret
Zu Beginn des betrieblichen Gesundheitsmanagements werden strategische Ziele festgelegt. Was wird erwartet? Was soll erreicht werden? Dieser Schritt kann auch eine Bestandsaufnahme bereits bestehender Aktivitäten erfassen.
Strategische Ziele eines betrieblichen Gesundheitsmanagements können – neben der Einhaltung der rechtlichen Vorgaben – z. B. die Verbesserung von Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Beschäftigten, die Reduzierung von Fehlzeiten, die Senkung von Entgeltfortzahlungskosten, die Steigerung von Zufriedenheit und Wohlbefinden der Beschäftigten, die Förderung eines positiven Betriebsklimas und Arbeitsumfeldes, die Senkung der Fluktuation durch emotionale Bindung an das Unternehmen, die bessere Bewältigung der Herausforderungen des demographischen Wandels und/oder die Steigerung der Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber sein.
Nach Festlegung der strategischen Ziele wird der Ist-Zustand der Arbeitsbedingungen und der Gesundheit der Beschäftigten ermittelt und analysiert. Als Informationsquelle können z. B. Fehlzeitenauswertungen, Mitarbeiterbefragungen und Gefährdungsbeurteilungen dienen. Aus den Ergebnissen werden konkrete Ziele, Handlungsfelder und Prioritäten je nach den spezifischen Bedürfnissen und Ressourcen des Unternehmens und der Beschäftigten abgeleitet.
Sodann werden konkrete Maßnahmen festgelegt. Verhältnispräventive Maßnahmen sollten hierbei mit verhaltenspräventiven Maßnahmen kombiniert werden. Verhältnispräventive Maßnahmen knüpfen an die Arbeitsbedingungen an (z. B. Gestaltung von Arbeitsumgebung und Arbeitsmitteln, Verbesserung der Feedbackkultur, Erweiterung von Handlungsspielräumen). Verhaltenspräventive Maßnahmen setzen bei dem Verhalten der einzelnen Beschäftigten an (z. B. Bewegung, Entspannung, Ernährung, Suchtentwöhnung).
Nicht zuletzt muss regelmäßig evaluiert werden, ob die gewünschten Effekte der Maßnahmen erreicht wurden bzw. welche Hindernisse der Zielerreichung im Wege standen. Anhand der Ergebnisse können neue Themen und Projekte erarbeitet oder die ursprünglichen Ziele und deren Konkretisierung angepasst werden. Der Prozess beginnt dann von vorn.
Digitale Lösungen
Die fortschreitende Digitalisierung führt zu neuen Möglichkeiten auch bei der betrieblichen Gesundheitsförderung. So kommen in Unternehmen mittlerweile Gesundheitsapps, Wearables oder Online-Workshops zum Einsatz. Diese digitalen Lösungen bringen Vorteile mit sich, werfen aber auch neue Rechtsfragen auf, insbesondere im Hinblick auf die Beteiligungsrechte des Betriebsrats und den Beschäftigtendatenschutz.
Beteiligung des Betriebsrats
In Betrieben, in denen ein Betriebsrat besteht, müssen bei der Einführung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements die Beteiligungsrechte des Betriebsrats beachtet werden.
Im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung können insbesondere Beteiligungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 1, 6 und 7 BetrVG bestehen. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Beschäftigten im Betrieb. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften.
Außerhalb des Bereichs der erzwingbaren Mitbestimmung können freiwillige Betriebsvereinbarungen abgeschlossen werden. Dies ist in § 88 Nr. 1 BetrVG beispielhaft für zusätzliche Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Gesundheitsschädigungen geregelt.
Aufgrund der ganzheitlichen und partizipativen Ausgestaltung des betrieblichen Gesundheitsmanagements empfiehlt es sich in jedem Fall, den Betriebsrat mit ins Boot zu holen. Der Betriebsrat steht in einer besonderen Nähe zu den Beschäftigten und kann früh erkennen, ob und wo es Probleme gibt. Seine Einbeziehung kann die Akzeptanz eines betrieblichen Gesundheitsmanagements in der Belegschaft erhöhen und ein Anreiz für die Beschäftigten sein, sich an dem Prozess aktiv zu beteiligen. Für eine betriebliche Gesundheitsförderung, die ein Betriebsrat mitträgt, kann und wird er werben.
Fazit
Die Einführung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements ist ein ganzheitlicher und auf Dauer angelegter Prozess. Aufgrund dessen kann es sich für Unternehmen lohnen, hierbei professionelle Beratung und Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Neben den Krankenkassen und Unfallversicherungsträgern gibt es private Anbieter, die Unternehmen bei der Einführung und dem Betrieb eines betrieblichen Gesundheitsmanagements unterstützen, auch mit digitalen Lösungen. Im Hinblick auf die sich während des Prozesses zwangsläufig ergebenden arbeitsrechtlichen und datenschutzrechtlichen Fragen sollte interne oder externe Rechtsberatung hinzugezogen werden.