Was war passiert?
Die Mitarbeiterin, seit 1989 Verkäuferin in einem Kaufhaus mit internationalem Publikum, sagte eines Tages zunächst zu einer Kollegin „Heute muss ich darauf achten, dass ich die ausgesuchten Artikel richtig abhake, sonst gibt es wieder Ärger mit der Ming Vase“. Auf Nachfrage eines Vorgesetzten, was denn damit gemeint sei, hat sie erklärt „Na Sie wissen schon, die Ming Vase“ und zog mit den Fingern die Augen nach hinten, um eine asiatische Augenform zu imitieren.
Die Mitarbeiterin wurde daraufhin vom Arbeitgeber zu diesem Vorfall angehört. In dieser Anhörung erklärte sie, eine Ming Vase stehe für sie für einen schönen und wertvollen Gegenstand und das Imitieren der asiatischen Augenform sei erfolgt, um nicht „Schlitzauge“ zu sagen. Zudem sagte sie, „schwarze Menschen/Kunden“ nenne sie „Herr Boateng“, weil sie ihn so toll findet.
Die Mitarbeiterin entschuldigte sich bei der betroffenen Vorgesetzten für ihr Verhalten.
Die Bewertung des Sachverhalts durch den Arbeitgeber
Der Arbeitgeber sah in der Gesamtbetrachtung eine rassistische Äußerung der Mitarbeiterin, die die Pflicht zur Rücksichtnahme auf berechtigte Interessen des Kaufhauses als Arbeitgeber verletze, als gegeben an. Der Arbeitgeber beabsichtigte eine außerordentliche Kündigung der Mitarbeiterin und beantragte diesbezüglich die Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG.
Die Bewertung des Sachverhalts durch den Betriebsrat
Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Mitarbeiterin. Er verurteile Rassismus zwar aufs Schärfste, könne aber im vorliegenden Fall bei der Mitarbeiterin kein rassistisches Gedankengut sehen. Die unstreitige Äußerung der Mitarbeiterin sei nur an eine Kollegin gerichtet gewesen. Außerdem sei die betroffene Vorgesetzte nicht anwesend und eine Beleidigung deshalb nicht beabsichtigt gewesen. Die Äußerung sei zwar unangemessen und nicht akzeptabel, rechtfertige jedoch keine außerordentliche Kündigung. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Mitarbeiterin seit 31 Jahren beschäftigt und das Arbeitsverhältnis weitestgehend ungestört verlaufen sei. Außerdem habe sich die Mitarbeiterin bei der betroffenen Vorgesetzten entschuldigt.
Wie entschied das Arbeitsgericht?
Grobe Beleidigungen von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, sind grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen. Entsprechendes gelte für das Abgeben ausländer- oder fremdenfeindlicher oder rassistischer Äußerungen.
Das Arbeitsgericht sah die Äußerungen der Mitarbeiterin nicht lediglich als unangemessen und inakzeptabel an, sondern als Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Es komme hierbei darauf an, ob ein unvoreingenommener Dritter die Äußerungen und Gesten als fremdenfeindlich und rassistisch verstehen konnte. Die Äußerungen und Gesten der Mitarbeiterin seien Ausdruck eines Alltagsrassismus, der im „Kleinen“, also im täglichen Alltag auftrete und deswegen umso nachhaltiger wirke. Diese Form von Rassismus werde von den Beteiligten verinnerlicht. Rassistisches Denken und Handeln falle ihnen selbst nicht auf und sie glaubten fest daran, tatsächlich nicht rassistisch zu sein. Alltagsrassismus zeige sich gerade in kleinen Gesten und Äußerungen. Der latent in der Gesellschaft existierende Alltagsrassismus sei indes letztlich Ausgangspunkt für offenen und gewollten Rassismus, der sich derzeit immer mehr in der Gesellschaft ausbreite.
Das Arbeitsgericht hat deshalb mit Beschluss vom 5. Mai 2021 (Az. 55 BV 2053/21) die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung ersetzt. Die Bezeichnung einer Vorgesetzten als „Ming Vase“ und die zur Verstärkung dieser Worte genutzten Gesten zum Imitieren der asiatischen Augenform seien zur Ausgrenzung von Mitmenschen anderer Herkunft, deren Beleidigung und zu deren Herabsetzung geeignet und rechtfertigten unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falls eine außerordentliche Kündigung. In der Bezeichnung der Vorgesetzten als „Ming Vase“ liege bereits eine erhebliche Herabwürdigung.
Aus den nachfolgenden Erklärungsversuchen der Mitarbeiterin in der Anhörung sei zudem eine Verfestigung der dahinterstehenden Haltung zu erkennen gewesen. Die Mitarbeiterin habe durch ihre Äußerungen in der Anhörung eine Woche nach dem Vorfall gezeigt, dass sie die zum Ausdruck gebrachte abwertende und fremdenfeindliche Grundhaltung nicht reflektieren will oder kann. Sie habe keinerlei Bemühen gezeigt, ihr Verhalten zu ändern, sondern sogar kundgetan, dass sie auch „schwarze Menschen/Kunden“ allgemein als „Herr Boateng“ bezeichne. Auch hierin sah das Arbeitsgericht eine fremdenfeindliche Äußerung der Mitarbeiterin.
Im Rahmen der Interessenabwägung hat das Arbeitsgericht zugunsten der Mitarbeiterin zwar ihre 31-jährige Betriebszugehörigkeit berücksichtigt. Allerdings war für das Arbeitsgericht vielmehr ausschlaggebend, dass das Verhalten der Mitarbeiterin offenbar Ausdruck einer Grundhaltung und bei ihr keine ernstgemeinte Reue zu erkennen sei, weil sie sich ausweislich ihrer Äußerungen in der Anhörung keinerlei Gedanken zu ihrem Verhalten und einer Verhaltensänderung gemacht habe. Außerdem sei es für das Kaufhaus mit internationalem Ruf nicht hinnehmbar, dass eine Verkäuferin als Aushängeschild im täglichen Kontakt mit dem internationalen Publikum, dieses wahlweise als „Ming Vase“ oder „Herr Boateng“ bezeichnet oder mit sonstigen Formulierungen oder Imitationen herabwürdigt.
Fazit
Die Verwendung von Bezeichnungen und Gesten, die zur Ausgrenzung von Mitmenschen anderer Herkunft, deren Beleidigung und zu deren Herabsetzung geeignet sind, können unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Wie man jedoch an der gegenteiligen Auffassung des Betriebsrats sieht, bedarf es noch immer einer Sensibilisierung aller für diese Thematik. Welche Bezeichnungen und Gesten grenzen Mitmenschen anderer Herkunft überhaupt aus, beleidigen sie und setzen sie herab? Hier muss sich jeder einmal mehr hinterfragen.