Nach
jüngsten Informationen der Bundesagentur für Arbeit (BfA) sind bis Mitte April
2020 infolge der Corona Pandemie insgesamt über 725.000 Anträge auf Kurzarbeit
bei der BfA eingegangen. Tendenz weiter steigend. Damit sind bereits über ein
Drittel aller Betriebe in Deutschland und schätzungsweise rund 2 Millionen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Kurzarbeit betroffen.
Die
Einführung von Kurzarbeit hat für die betroffenen Arbeitnehmer oftmals vor
allem zwei Konsequenzen: Sie werden zeitlich weniger von ihrem Arbeitgeber
beschäftigt und erhalten weniger Gehalt. Insofern liegt der Gedanke nahe, die
infolge der Kurzarbeit „frei“ gewordene Zeit und Arbeitsleistung anderweitig zu
verwenden, um die durch Kurzarbeitergeld (KUG) – insbesondere wenn keine
Aufstockung durch den Arbeitgeber stattfindet – entstehenden finanziellen
Einbußen zu kompensieren.
Doch
was ist zulässig und worauf ist zu achten? Zu unterscheiden ist die Frage, ob
eine anderweitige Tätigkeit überhaupt ausgeübt werden darf, von der Frage, ob
eine Anrechnung des Verdiensts der anderweitigen Tätigkeit auf das KUG
stattfindet.
1.
Zulässigkeit anderweitiger Beschäftigung
Ordnet
der Arbeitgeber Kurzarbeit an, werden die Hauptleistungspflichten des
Arbeitsverhältnisses für die Zeit der Kurzarbeit ganz oder teilweise, je nach
Umfang der Kurzarbeit, suspendiert.
Das
bedeutet konkret: Die Vergütungspflicht des Arbeitgebers entfällt im Umfang der
angeordneten Kurzarbeit. Bei Kurzarbeit Null trifft den Arbeitgeber überhaupt
keine Vergütungspflicht mehr. An die Stelle der Vergütung tritt das KUG als
Lohnersatzleistung.
Gleichzeitig
entfällt aber auch die Verpflichtung des Arbeitnehmers entsprechend, seine
Arbeitsleistung für den Arbeitgeber zu erbringen.
Aber Achtung: Auch wenn die Hauptleistungspflichten (vorübergehend) suspendiert sind, bleiben die Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis weiterhin bestehen. Ist beispielsweise eine Nebentätigkeit nur nach vorheriger Anzeige beim Arbeitgeber oder sogar erst nach dessen Genehmigung zulässig, so gilt dies grundsätzlich auch während der Kurzarbeit. Auch Wettbewerbsverbote und Kundenschutzklauseln bleiben grundsätzlich während der Kurzarbeit bestehen und sind weiterhin zu beachten.
Selbstverständlich steht es den Arbeitsvertragsparteien aber frei, insoweit aufgrund der besonderen Ausnahmesituation einvernehmlich individuelle, ggf. auch befristete Änderungsvereinbarungen zu schließen.
2.
Anrechnung von anderweitigem Verdienst auf KUG
Neben dem durch den Arbeitsausfall ganz oder teilweise reduzierten Arbeitsentgelt (sogenannter „Kurzlohn“) erhält der von Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld als Entgeltersatzleistung.
Grundsätzlich
erfolgt gemäß § 106 Abs. 3 Sozialgesetzbuch III (SGB III) eine Anrechnung auf
das Kurzarbeitergeld, wenn der Arbeitnehmer für Zeiten des Arbeitsausfalls ein
Entgelt aus einer anderen während des Bezugs
von Kurzarbeitergeld aufgenommenen Beschäftigung, selbständigen Tätigkeit
oder Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger erzielt.
Auch
wenn Fragen der Anrechnung und Wirtschaftlichkeit bei denjenigen, die sich
derzeit dazu entschließen, während des Bezugs von KUG einen systemrelevanten
Beruf aufzunehmen, nicht zwingend im Vordergrund stehen, sondern das Bedürfnis,
zu helfen, sollten folgende unterschiedliche Fallgruppen beachtet werden:
Fallgruppe
1: Nebentätigkeit vor Kurzarbeit aufgenommen
Ging
ein Arbeitnehmer bereits vor dem Bezug von Kurzarbeitergeld einer anderweitigen
Beschäftigung nach und erzielt mit dieser Beschäftigung weiterhin auch während
der Kurzarbeit Entgelt, so ist dieses nicht auf das Kurzarbeitergeld
anzurechnen. Die anderweitige Beschäftigung ist gerade nicht während des Bezugs
von Kurzarbeitergeld aufgenommenen worden und damit die Anrechnungsvorschrift
des § 106 Abs. 3 SGB III in diesen Fällen nicht anwendbar.
Fallgruppe
2: Nebentätigkeit während Kurzarbeit aufgenommen
Nimmt
hingegen ein Arbeitnehmer eine Nebentätigkeit erst während des Bezugs von KUG
auf, sieht § 106 Abs. 3 SGB III grundsätzlich eine Anrechnung des anderweitigen
Verdienstes auf das KUG vor.
Infolge
der Corona Pandemie wurde allerdings mit § 421c SGB III eine vorübergehende
Sonderregelung aufgenommen. Danach wird in der Zeit vom 1. April 2020 bis 31.
Oktober 2020, abweichend von § 106 Absatz 3 SGB III, Entgelt aus einer anderen,
während des Bezugs von Kurzarbeitergeld aufgenommenen Beschäftigung in
systemrelevanten Branchen und Berufen nicht angerechnet.
Zu
den systemrelevanten Branchen gehören nach Angabe des Bundesministerium für
Arbeit und Soziales (BMAS):
- Strom-, Gas-, Kraftstoffversorgung (inklusive Logistik) – z.B. kommunale Energieversorger
- Produktion, Groß- und Einzelhandel (inklusive Zulieferung, Logistik) – z.B. Landwirte, Erntehelfer, Verkäufer
- Kreditversorgung der Unternehmen, Bargeldversorgung, Sozialtransfers
- Krankenhäuser, Rettungsdienste, Pflege, niedergelassener Bereich, Medizinproduktehersteller, Arzneimittelhersteller, Apotheken, Labore
- Informationstechnik und Telekommunikation, insbesondere Netze entstören und aufrecht erhalten – z.B. Informatiker, Systemelektroniker
- Medien, insbesondere Nachrichten- und Informationswesen sowie Risiko- und Krisenkommunikation
- Personal, das die notwendige Betreuung in Schulen, Kindertageseinrichtungen, Kindertagespflege, stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie Einrichtungen für Menschen mit Behinderung sicherstellt
- Kernaufgaben der öffentlichen Verwaltung und Justiz – z.B. Polizei, Feuerwehr, Katastrophenschutz
- Transport und Verkehr, insbesondere Betrieb für kritische Infrastrukturen, öffentlicher Personen- und Güterverkehr sowie Flug- und Schiffsverkehr
- Wasserversorgung sowie Müllentsorgung
Zwar
bleibt der Verdienst durch die Aufnahme einer anderweitigen Tätigkeit in den
vorstehend genannten, systemrelevanten Bereichen vom 1. April 2020 bis 31. Oktober
2020 anrechnungsfrei. § 421c SGB III regelt jedoch auch, dass das Entgelt
aus der neu aufgenommenen, anderweitigen Beschäftigung zusammen mit dem KUG (und
etwaigem verbliebenen Entgelt aus der ursprünglichen Beschäftigung) die Höhe
des Bruttoengelts aus der ursprünglichen Beschäftigung (ohne Kurzarbeit), sog.
Soll-Entgelt, nicht übersteigen darf.
Vereinfacht
gesagt, bedeutet dies, dass Mitarbeiter infolge von Kurzarbeit und
anderweitiger Nebentätigkeit nicht mehr „Netto“ zur Verfügung haben sollen, als
dies bei Ausübung ihrer ursprünglichen Tätigkeit ohne Kurzarbeit der Fall wäre.
Fallgruppe
3: Ruhendes Arbeitsverhältnis und vorrübergehend anderweitige Beschäftigung
Alternativ zu Fallgruppe 2 ist es möglich, das ursprüngliche Arbeitsverhältnis ruhend zu stellen während im Betrieb Kurzarbeit angeordnet ist und vorübergehend eine anderweitige Tätigkeit aufzunehmen. Wie auch die Aufnahme einer Nebentätigkeit muss das Ruhen des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitgeber vereinbart werden.
Arbeitnehmer
sind bei dieser Alternative nicht auf die systemrelevanten Berufe beschränkt.
Die Möglichkeit kann insbesondere in Branchen, in denen regelmäßig Mehrarbeit
anfällt, etwa der Gastronomie, eine sinnvolle und praktikable Alternative
darstellen. Die Begrenzung des anrechnungsfreien Zusatzverdienstes auf das sog.
Soll-Entgelt macht sich dort besonders bemerkbar. Für die Berechnung des
Soll-Entgelts nach § 106 Abs. 1 SGB III sind nämlich allein die
arbeitsvertraglich vereinbarten Mindeststunden entscheidend. Fallen diese
gering aus, weil etwa ein erheblicher Teil des Verdienstes als Mehrarbeit geleistet
und vergütet wird, ist der anrechnungsfreie Verdienst der Nebentätigkeit
schnell ausgeschöpft.
In diesem Fall kann das Ruhen des Arbeitsverhältnisses der Haupttätigkeit und die Aufnahme einer (Vollzeit)Nebentätigkeit lukrativ sein, um während der Kurzarbeit einen möglichst geringen Entgeltausfall verkraften zu müssen. Diesen Weg sind beispielsweise Teile der Systemgastronomie in Zusammenarbeit mit dem Einzelhandel gegangen. (https://www.juve.de/nachrichten/deals/2020/03/kooperation-in-krisenzeiten-pusch-wahlig-beraet-mcdonalds-bei-partnerschaft-mit-aldi)
Fallgruppe
4: Aufstocken = Aufnahme i.S.d. § 106 Abs. 3 SGB III?
Was aber gilt, wenn ein Arbeitnehmer bereits vor dem Bezug von KUG eine Nebentätigkeit, bspw. im Umfang von 10 Wochenstunden, ausgeübt hat und diese Tätigkeit während der Kurzarbeit (Null) auf 40 Wochenstunden aufstockt?
Handelt es sich um einen systemrelevanten Beruf, findet aufgrund der vorübergehenden Sonderreglung keine Anrechnung statt (vgl. Fallgruppe 2).
Handelt
es sich dagegen nicht um einen systemrelevanten Beruf, stellt sich die Frage,
ob § 106 Abs. 3 SGB III Anwendung findet. Hierzu müsste es sich bei der
Aufstockung von Stunden um eine „Aufnahme“ der Tätigkeit i.S.d. § 106 Abs.
3 SGB III handeln. Diese Frage beantworten die Hinweise zum Antragsverfahren
der BfA dahingehend, dass Arbeitseinkommen aus einer schon vor Beginn der
Kurzarbeit aufgenommenen Nebentätigkeit auch dann nicht nach § 106 Abs. 3 SGB
III angerechnet wird, wenn sich dieses Arbeitseinkommen während der Kurzarbeit
erhöht. Darauf, wie lange die Nebentätigkeit vor dem Bezug des KUG ausgeübt
wurde, soll es nicht ankommen.
Dieses seitens der BfA gelebte Verständnis von § 106 Abs. 3 SGB III kann in der Praxis dazu führen, dass Arbeitnehmer zwischen der Anordnung von Kurzarbeit und dem tatsächlichen Beginn der Kurzarbeit, also vor dem Bezug von KUG, noch eine Nebentätigkeit (nach etwaiger Zustimmung des Arbeitgebers) in geringem Umfang aufnehmen, diese während der Kurzarbeit sodann aufstocken und damit eine Anrechnung auf das KUG vermeiden. Grenzen für ein solches Vorgehen dürften aber im Bereich des Missbrauchs zu ziehen sein.
Daneben
stellt sich in diesen Fällen außerdem die Frage, ob der erhöhte Nebenverdienst
auch dann nicht auf das Ist-Entgelt angerechnet wird, wenn dieser zusammen mit
dem Kurzlohn und dem KUG die Höhe des Soll-Entgelts übersteigt. Im Gegensatz zu
§ 421c SGB III enthält § 106 Abs. 3 SGB III keine derartige Deckelung.
Aus
unserer Sicht vertretbar erscheint es, dass der Gesetzgeber die Deckelung des
anrechnungsfreien Nebenverdienstes in § 421c SGB III nur klarstellend aufgenommen
hat und diesbezüglich keine Ausnahme von § 106 Abs. 3 SGB III regeln wollte.
Nach diesem Verständnis wäre die Deckelung des anrechnungsfreien
Nebenverdienstes (konkludent) auch in § 106 Abs. 3 SGB III enthalten. Mit Blick
auf den insoweit allerdings eindeutigen Wortlaut des § 106 Abs. 3 SGB III
könnte man dies aber auch anders sehen.
Höchstrichterlich
entschieden ist diese Auslegungsfrage indessen noch nicht und es bleibt
abzuwarten, ob Gerichte eine solche Auslegung überhaupt für zulässig erachten.
Denn grundsätzlich bildet der Wortlaut die Grenze der Auslegung, mit der Folge,
dass eine abschließende Lösung des Problems nur durch eine Klarstellung seitens
des Gesetzgebers erfolgen könnte.
Sinnvoll
wäre dies im Sinne der Rechtssicherheit allemal.
Darf der Arbeitgeber Mitarbeiter, die in Kurzarbeit sind, einbestellen um z. B. nur einen monatlichen Stundenzettel auszudrucken.