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Christine Wahlig (Rechtsanwältin – Redaktionelle Leitung Blog) & Alice Tanke (Marketing Managerin)

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Arbeiten trotz Kurzarbeit?

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Nach jüngsten Informationen der Bundesagentur für Arbeit (BfA) sind bis Mitte April 2020 infolge der Corona Pandemie insgesamt über 725.000 Anträge auf Kurzarbeit bei der BfA eingegangen. Tendenz weiter steigend. Damit sind bereits über ein Drittel aller Betriebe in Deutschland und schätzungsweise rund 2 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Kurzarbeit betroffen.

Die Einführung von Kurzarbeit hat für die betroffenen Arbeitnehmer oftmals vor allem zwei Konsequenzen: Sie werden zeitlich weniger von ihrem Arbeitgeber beschäftigt und erhalten weniger Gehalt. Insofern liegt der Gedanke nahe, die infolge der Kurzarbeit „frei“ gewordene Zeit und Arbeitsleistung anderweitig zu verwenden, um die durch Kurzarbeitergeld (KUG) – insbesondere wenn keine Aufstockung durch den Arbeitgeber stattfindet – entstehenden finanziellen Einbußen zu kompensieren.

Doch was ist zulässig und worauf ist zu achten? Zu unterscheiden ist die Frage, ob eine anderweitige Tätigkeit überhaupt ausgeübt werden darf, von der Frage, ob eine Anrechnung des Verdiensts der anderweitigen Tätigkeit auf das KUG stattfindet.

1. Zulässigkeit anderweitiger Beschäftigung

Ordnet der Arbeitgeber Kurzarbeit an, werden die Hauptleistungspflichten des Arbeitsverhältnisses für die Zeit der Kurzarbeit ganz oder teilweise, je nach Umfang der Kurzarbeit, suspendiert.

Das bedeutet konkret: Die Vergütungspflicht des Arbeitgebers entfällt im Umfang der angeordneten Kurzarbeit. Bei Kurzarbeit Null trifft den Arbeitgeber überhaupt keine Vergütungspflicht mehr. An die Stelle der Vergütung tritt das KUG als Lohnersatzleistung.

Gleichzeitig entfällt aber auch die Verpflichtung des Arbeitnehmers entsprechend, seine Arbeitsleistung für den Arbeitgeber zu erbringen.

Aber Achtung: Auch wenn die Hauptleistungspflichten (vorübergehend) suspendiert sind, bleiben die Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis weiterhin bestehen. Ist beispielsweise eine Nebentätigkeit nur nach vorheriger Anzeige beim Arbeitgeber oder sogar erst nach dessen Genehmigung zulässig, so gilt dies grundsätzlich auch während der Kurzarbeit. Auch Wettbewerbsverbote und Kundenschutzklauseln bleiben grundsätzlich während der Kurzarbeit bestehen und sind weiterhin zu beachten.

Selbstverständlich steht es den Arbeitsvertragsparteien aber frei, insoweit aufgrund der besonderen Ausnahmesituation einvernehmlich individuelle, ggf. auch befristete Änderungsvereinbarungen zu schließen.

2. Anrechnung von anderweitigem Verdienst auf KUG

Neben dem durch den Arbeitsausfall ganz oder teilweise reduzierten Arbeitsentgelt (sogenannter „Kurzlohn“) erhält der von Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld als Entgeltersatzleistung.

Grundsätzlich erfolgt gemäß § 106 Abs. 3 Sozialgesetzbuch III (SGB III) eine Anrechnung auf das Kurzarbeitergeld, wenn der Arbeitnehmer für Zeiten des Arbeitsausfalls ein Entgelt aus einer anderen während des Bezugs von Kurzarbeitergeld aufgenommenen Beschäftigung, selbständigen Tätigkeit oder Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger erzielt.

Auch wenn Fragen der Anrechnung und Wirtschaftlichkeit bei denjenigen, die sich derzeit dazu entschließen, während des Bezugs von KUG einen systemrelevanten Beruf aufzunehmen, nicht zwingend im Vordergrund stehen, sondern das Bedürfnis, zu helfen, sollten folgende unterschiedliche Fallgruppen beachtet werden:

Fallgruppe 1: Nebentätigkeit vor Kurzarbeit aufgenommen

Ging ein Arbeitnehmer bereits vor dem Bezug von Kurzarbeitergeld einer anderweitigen Beschäftigung nach und erzielt mit dieser Beschäftigung weiterhin auch während der Kurzarbeit Entgelt, so ist dieses nicht auf das Kurzarbeitergeld anzurechnen. Die anderweitige Beschäftigung ist gerade nicht während des Bezugs von Kurzarbeitergeld aufgenommenen worden und damit die Anrechnungsvorschrift des § 106 Abs. 3 SGB III in diesen Fällen nicht anwendbar.

Fallgruppe 2: Nebentätigkeit während Kurzarbeit aufgenommen

Nimmt hingegen ein Arbeitnehmer eine Nebentätigkeit erst während des Bezugs von KUG auf, sieht § 106 Abs. 3 SGB III grundsätzlich eine Anrechnung des anderweitigen Verdienstes auf das KUG vor.

Infolge der Corona Pandemie wurde allerdings mit § 421c SGB III eine vorübergehende Sonderregelung aufgenommen. Danach wird in der Zeit vom 1. April 2020 bis 31. Oktober 2020, abweichend von § 106 Absatz 3 SGB III, Entgelt aus einer anderen, während des Bezugs von Kurzarbeitergeld aufgenommenen Beschäftigung in systemrelevanten Branchen und Berufen nicht angerechnet.

Zu den systemrelevanten Branchen gehören nach Angabe des Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS):

  • Strom-, Gas-, Kraftstoffversorgung (inklusive Logistik) – z.B. kommunale Energieversorger
  • Produktion, Groß- und Einzelhandel (inklusive Zulieferung, Logistik) – z.B. Landwirte, Erntehelfer, Verkäufer
  • Kreditversorgung der Unternehmen, Bargeldversorgung, Sozialtransfers
  • Krankenhäuser, Rettungsdienste, Pflege, niedergelassener Bereich, Medizinproduktehersteller, Arzneimittelhersteller, Apotheken, Labore
  • Informationstechnik und Telekommunikation, insbesondere Netze entstören und aufrecht erhalten – z.B. Informatiker, Systemelektroniker
  • Medien, insbesondere Nachrichten- und Informationswesen sowie Risiko- und Krisenkommunikation
  • Personal, das die notwendige Betreuung in Schulen, Kindertageseinrichtungen, Kindertagespflege, stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie Einrichtungen für Menschen mit Behinderung sicherstellt
  • Kernaufgaben der öffentlichen Verwaltung und Justiz – z.B. Polizei, Feuerwehr, Katastrophenschutz
  • Transport und Verkehr, insbesondere Betrieb für kritische Infrastrukturen, öffentlicher Personen- und Güterverkehr sowie Flug- und Schiffsverkehr
  • Wasserversorgung sowie Müllentsorgung

Zwar bleibt der Verdienst durch die Aufnahme einer anderweitigen Tätigkeit in den vorstehend genannten, systemrelevanten Bereichen vom 1. April 2020 bis 31. Oktober 2020 anrechnungsfrei. § 421c SGB III regelt jedoch auch, dass das Entgelt aus der neu aufgenommenen, anderweitigen Beschäftigung zusammen mit dem KUG (und etwaigem verbliebenen Entgelt aus der ursprünglichen Beschäftigung) die Höhe des Bruttoengelts aus der ursprünglichen Beschäftigung (ohne Kurzarbeit), sog. Soll-Entgelt, nicht übersteigen darf.

Vereinfacht gesagt, bedeutet dies, dass Mitarbeiter infolge von Kurzarbeit und anderweitiger Nebentätigkeit nicht mehr „Netto“ zur Verfügung haben sollen, als dies bei Ausübung ihrer ursprünglichen Tätigkeit ohne Kurzarbeit der Fall wäre.

Fallgruppe 3: Ruhendes Arbeitsverhältnis und vorrübergehend anderweitige Beschäftigung

Alternativ zu Fallgruppe 2 ist es möglich, das ursprüngliche Arbeitsverhältnis ruhend zu stellen während im Betrieb Kurzarbeit angeordnet ist und vorübergehend eine anderweitige Tätigkeit aufzunehmen. Wie auch die Aufnahme einer Nebentätigkeit muss das Ruhen des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitgeber vereinbart werden.

Arbeitnehmer sind bei dieser Alternative nicht auf die systemrelevanten Berufe beschränkt. Die Möglichkeit kann insbesondere in Branchen, in denen regelmäßig Mehrarbeit anfällt, etwa der Gastronomie, eine sinnvolle und praktikable Alternative darstellen. Die Begrenzung des anrechnungsfreien Zusatzverdienstes auf das sog. Soll-Entgelt macht sich dort besonders bemerkbar. Für die Berechnung des Soll-Entgelts nach § 106 Abs. 1 SGB III sind nämlich allein die arbeitsvertraglich vereinbarten Mindeststunden entscheidend. Fallen diese gering aus, weil etwa ein erheblicher Teil des Verdienstes als Mehrarbeit geleistet und vergütet wird, ist der anrechnungsfreie Verdienst der Nebentätigkeit schnell ausgeschöpft.

In diesem Fall kann das Ruhen des Arbeitsverhältnisses der Haupttätigkeit und die Aufnahme einer (Vollzeit)Nebentätigkeit lukrativ sein, um während der Kurzarbeit einen möglichst geringen Entgeltausfall verkraften zu müssen. Diesen Weg sind beispielsweise Teile der Systemgastronomie in Zusammenarbeit mit dem Einzelhandel gegangen. (https://www.juve.de/nachrichten/deals/2020/03/kooperation-in-krisenzeiten-pusch-wahlig-beraet-mcdonalds-bei-partnerschaft-mit-aldi)

Fallgruppe 4: Aufstocken = Aufnahme i.S.d. § 106 Abs. 3 SGB III?

Was aber gilt, wenn ein Arbeitnehmer bereits vor dem Bezug von KUG eine Nebentätigkeit, bspw. im Umfang von 10 Wochenstunden, ausgeübt hat und diese Tätigkeit während der Kurzarbeit (Null) auf 40 Wochenstunden aufstockt?

Handelt es sich um einen systemrelevanten Beruf, findet aufgrund der vorübergehenden Sonderreglung keine Anrechnung statt (vgl. Fallgruppe 2).

Handelt es sich dagegen nicht um einen systemrelevanten Beruf, stellt sich die Frage, ob § 106 Abs. 3 SGB III Anwendung findet. Hierzu müsste es sich bei der Aufstockung von Stunden um eine „Aufnahme“ der Tätigkeit i.S.d. § 106 Abs. 3 SGB III handeln. Diese Frage beantworten die Hinweise zum Antragsverfahren der BfA dahingehend, dass Arbeitseinkommen aus einer schon vor Beginn der Kurzarbeit aufgenommenen Nebentätigkeit auch dann nicht nach § 106 Abs. 3 SGB III angerechnet wird, wenn sich dieses Arbeitseinkommen während der Kurzarbeit erhöht. Darauf, wie lange die Nebentätigkeit vor dem Bezug des KUG ausgeübt wurde, soll es nicht ankommen.

Dieses seitens der BfA gelebte Verständnis von § 106 Abs. 3 SGB III kann in der Praxis dazu führen, dass Arbeitnehmer zwischen der Anordnung von Kurzarbeit und dem tatsächlichen Beginn der Kurzarbeit, also vor dem Bezug von KUG, noch eine Nebentätigkeit (nach etwaiger Zustimmung des Arbeitgebers) in geringem Umfang aufnehmen, diese während der Kurzarbeit sodann aufstocken und damit eine Anrechnung auf das KUG vermeiden. Grenzen für ein solches Vorgehen dürften aber im Bereich des Missbrauchs zu ziehen sein.

Daneben stellt sich in diesen Fällen außerdem die Frage, ob der erhöhte Nebenverdienst auch dann nicht auf das Ist-Entgelt angerechnet wird, wenn dieser zusammen mit dem Kurzlohn und dem KUG die Höhe des Soll-Entgelts übersteigt. Im Gegensatz zu § 421c SGB III enthält § 106 Abs. 3 SGB III keine derartige Deckelung.

Aus unserer Sicht vertretbar erscheint es, dass der Gesetzgeber die Deckelung des anrechnungsfreien Nebenverdienstes in § 421c SGB III nur klarstellend aufgenommen hat und diesbezüglich keine Ausnahme von § 106 Abs. 3 SGB III regeln wollte. Nach diesem Verständnis wäre die Deckelung des anrechnungsfreien Nebenverdienstes (konkludent) auch in § 106 Abs. 3 SGB III enthalten. Mit Blick auf den insoweit allerdings eindeutigen Wortlaut des § 106 Abs. 3 SGB III könnte man dies aber auch anders sehen.

Höchstrichterlich entschieden ist diese Auslegungsfrage indessen noch nicht und es bleibt abzuwarten, ob Gerichte eine solche Auslegung überhaupt für zulässig erachten. Denn grundsätzlich bildet der Wortlaut die Grenze der Auslegung, mit der Folge, dass eine abschließende Lösung des Problems nur durch eine Klarstellung seitens des Gesetzgebers erfolgen könnte.

Sinnvoll wäre dies im Sinne der Rechtssicherheit allemal.

Johannes Wicklerer
Johannes Wickler

Johannes Wickler ist spezialisiert auf betriebliche Altersversorgung, SE-Gründungen, Mitbestimmungsmanagement, die Gestaltung von Arbeitsverträgen, Auflösungsvereinbarungen sowie auf Unternehmensumstrukturierungen.

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F. Lavin
F. Lavin
25.05.2020 12:42

Darf der Arbeitgeber Mitarbeiter, die in Kurzarbeit sind, einbestellen um z. B. nur einen monatlichen Stundenzettel auszudrucken.