Der derzeitigen Pandemielage etwas Positives abzugewinnen, fällt mit jedem Tag ihrer Dauer schwerer. Einer der wenigen Aspekte ist aber ihr Einfluss auf die Digitalisierung, die im Arbeitsleben durch die Pandemie viele neue Impulse erfahren hat.
Im Arbeitsumfeld des Betriebsrats, das vielfältig von gesetzlichen Pflichten und Grenzen bestimmt wird, wirft die Digitalisierung aber zahlreiche Fragen auf. In etwa, wie weit die derzeitige Ausnahmeregelung für virtuelle Sitzungen reicht, ob der Betriebsrat Digitalisierung verlangen kann, wo seine Mitbestimmungsrechte von der Digitalisierung berührt werden und ob auch der Betriebsrat Datenschutzanforderungen beachten muss? Wir geben hiermit einen Überblick.
Gremiensitzungen dürfen zur Zeit auch virtuell erfolgen
Zwischen Betriebsratsarbeit und Arbeitsschutz besteht aktuell ein ganz besonderes Spannungsfeld: physische Zusammenkünfte und Dienstreisen sollen auf das Nötigste reduziert werden, nach klassischem Verständnis setzt die Beschlussfassung durch Mitglieder des Betriebsrats im Sinne des § 33 Abs. 1 BetrVG aber deren physische Anwesenheit voraus.
Der Gesetzgeber hat darauf mit der eilig eingefügten und derzeit noch bis 30. Juni 2021 befristeten Regelung des § 129 BetrVG reagiert. Danach ist die Teilnahme an und Beschlussfassung in Sitzungen des Betriebsrats und bestimmter weiterer Gremien mittels Video- und Telefonkonferenz erlaubt, wenn sichergestellt ist, dass Dritte keine Kenntnis vom Inhalt der Sitzung nehmen können. Außerdem dürfen u.a. Betriebsversammlungen mittels „audiovisueller Einrichtungen“ durchgeführt werden.
Eine wichtige Situation regelt die Vorschrift aber – jedenfalls nach Ansicht des LAG Berlin-Brandenburg – nicht. Für geheime Wahlen sehe § 129 Abs. 1 BetrVG kein Verfahren vor, sodass der Arbeitgeber dem Betriebsrat bei anstehenden Wahlen die Präsenzsitzung nicht mit Blick auf § 129 BetrVG untersagen könne (LAG Berlin-Brandenburg vom 24. August 2020, Az.: 12 TaBVGa 1015/20). Im Übrigen sei der Betriebsrat aber gehalten, bei der Planung und Vorbereitung der Sitzungen zwischen der Durchführung als Präsenzsitzung oder als Telefon- bzw. Videokonferenz abzuwägen und dabei auch die Pandemieentwicklung, die gegen die Verbreitung ergriffenen Maßnahmen und die durch § 129 BetrVG eröffneten Teilnahmemöglichkeiten zu berücksichtigen.
§ 129 BetrVG eröffnet damit zumindest neue Optionen. Der Vorsitzende des Gremiums kann bei der Planung zwischen Präsenz- und virtuellen Sitzungen (sowie aus Kombinationen beider Formate) wählen. Ob er in bestimmten Konstellationen sogar verpflichtet ist, virtuellen Formaten den Vorrang einzuräumen, ist bislang nicht entschieden und wird wohlmöglich ungeklärt bleiben. Denn es lässt sich nicht abschätzen, ob die bis Jahresmitte befristete Regelung noch einmal verlängert wird. Eine dauerhafte Verankerung im BetrVG ist aktuell nicht in Sicht, wenn auch aus Sicht der Arbeitgeber (und ihrer Anwälte) wünschenswert. Damit sind die langfristigen Auswirkungen auf die Digitalisierung der Betriebsratsarbeit noch nicht absehbar.
Für den Betriebsrat muss „Digitalisierung“ erforderlich sein
Während die zwischenzeitliche Regelung des § 129 BetrVG dem Betriebsrat Möglichkeiten virtueller Sitzungsdurchführung eröffnet, ist damit noch nichts über seine entsprechende Ausstattung gesagt. Ein allgemeiner Anspruch des Betriebsrats auf „Digitalisierung“ im Sinne der Ausstattung mit geeigneten Geräten besteht jedenfalls nicht. Aber im Grundsatz gilt nach § 40 Abs. 2 BetrVG, dass der Arbeitgeber ihm für Sitzungen, Sprechstunden und die laufende Geschäftsführung in erforderlichem Umfang Räume, sachliche Mittel, Informations- und Kommunikationstechnik und Büropersonal zur Verfügung stellen muss.
Welche Sachmittel und Technik der Betriebsrat für seine Arbeit verlangen kann, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Dabei stehen sich die Interessen der Belegschaft an sachgerechter Ausübung des Betriebsratsamts einerseits und berechtigte Interessen des Arbeitgebers wie etwa an der Begrenzung seiner Kostentragungspflicht andererseits gegenüber und müssen gegeneinander abgewogen werden.
Diese Abhängigkeit vom jeweiligen Einzelfall hat zu einer Vielzahl an Entscheidungen über die im Einzelfall erforderlichen Sachmittel geführt. So können die folgenden Betriebsmittel mit Bezug zur Digitalisierung erforderlich sein:
- ein Smartphone zur Gewährleistung ständiger Verfügbarkeit in einem Betrieb mit mehreren Außenstellen und Mitarbeitern im Schichtdienst (LAG Hessen, Beschluss vom 13. März 2017, Az.: 16 TaBV 212/16),
- die Einrichtung eines Internetzugangs und eigener E-Mail-Adressen auch für einzelne Mitglieder des Betriebsrats (BAG, Beschluss vom 17. Juli 2010, Az.: 7 ABR 80/08),
- die Einrichtung eines nicht personalisierten Internetzugangs über einen sog. Gruppenaccount auf dem vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Rechner in einem Betrieb, in dem die Internetzugänge üblicherweise personalisiert sind und Internetrecherchen zu Kontrollzwecken gespeichert werden (BAG, Beschluss vom 18. Juli 2012, Az.: 7 ABR 23/11) – nicht ohne Weiteres erforderlich ist dagegen ein von demjenigen des Arbeitgebers unabhängiger Internetzugang (Beschluss vom 20. April 2016, Az.: 7 ABR 50/14),
- ebenfalls nicht erforderlich war eine Software mit gegenüber der im Unternehmen üblicherweise genutzten Software erhöhtem Sicherheitsstandard (LAG Köln, Beschluss vom 9 Juli 2010, Az.: 4 TaBV 25/10).
Die Digitalisierung im Betrieb kann der Mitbestimmung unterliegen
Die vielfältigen Mitbestimmungsrechte bieten eine Vielzahl an Berührungspunkten zur fortschreitenden Digitalisierung im Betrieb.
Hierzu gehört etwa die zu Pandemiezeiten verstärkt aufgetretene Einführung echter Homeoffice-Tätigkeit. So müssen Planungen zum Homeoffice nach § 90 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 4 BetrVG vorab mit dem Betriebsrat beraten werden. Der Arbeitsplatzschutz und die Einführung technischer Einrichtungen, die die Überwachung des Arbeitnehmers ermöglichen, können Mitbestimmungstatbestände des § 87 Abs. 1 BetrVG auslösen. Handelt es sich bei der Einführung der Homeoffice-Tätigkeit um eine Versetzung, muss § 99 BetrVG berücksichtigt werden. Allerdings darf der Betriebsrat die Einführung nicht von sich aus verlangen. Ein Initiativrecht hinsichtlich des „Ob“ der Einführung von Homeoffice steht ihm nicht zu.
Eine weitere typische Erscheinung der Digitalisierung ist die Abschaffung oder gänzliche Vermeidung von Papierakten (Stichwort: „papierloses Büro“). Dieser Prozess macht auch vor der Personalakte nicht Halt. Arbeitgeber stellt dies angesichts des häufig normierten Schriftformerfordernisses – etwa bei befristeten Arbeitsverträgen, Aufhebungs- und Kündigungserklärungen und im Rahmen des Nachweisgesetzes – vor einige ganz praktische Hürden.
Die Digitalisierung der Personalakte weist aber auch Berührungspunkte zur Betriebsratsarbeit auf. Moderne digitale Personalakten bieten vielfältige Möglichkeiten, Leistungs- und Verhaltensdaten von Arbeitnehmern programmmäßig zu verarbeiten. Solche Personalakten stellen technische Einrichtungen dar, die dazu geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Die Einführung digitaler Personalakten ist daher nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmt.
Die Datenerhebung in der elektronischen Personalakte kann aber auch an anderer Stelle die Mitbestimmung auslösen. Sowohl die Erstellung von Personalfragebögen als auch die Aufstellung von allgemeinen Beurteilungsgrundsätzen bedürfen gem. § 94 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats. Zustimmungspflichtig ist daher auch die Erhebung von Daten durch Personalfragebögen in der elektronischen Personalakte. Und auch die Festlegung abstrakter Regelungen innerhalb der Personaldatenbank, die der Vorbereitung von Personalentscheidungen wie etwa Beförderungen dienen, kann vor diesem Hintergrund mitbestimmungspflichtig sein.
Und noch eine Erscheinung der Digitalisierung am Arbeitsplatz kann den Betriebsrat „auf den Plan“ rufen: Mit „BYOD“ (“Bring your own device”) nutzen Arbeitgeber zunehmend den Umstand, dass Mitarbeiter über die für die Arbeit erforderliche technische Ausstattung wie ein Smartphone oder einen Laptop meist schon privat verfügen. Eine verpflichtende geschäftliche Nutzung privater Geräte kann aber neben der Eigenschaft als Verhaltensvorschrift nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auch § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG berühren, wenn sich durch die Einbindung der Geräte in die betriebliche Infrastruktur Aussagen über Leistungen und Verhalten der Mitarbeiter treffen lassen. Ob das überhaupt zulässig ist, steht auf einem anderen Blatt (vgl. dazu auch unsere Blogbeiträge “BYOD in Zeiten der Pandemie”).
Datenschutz beeinflusst die Arbeit des Betriebsrats
Ein weiteres und weites Feld, das mit der Digitalisierung stetig an Bedeutung gewinnt, ist der Datenschutz. Das gilt auch in Bezug auf die Betriebsratsarbeit.
So stellt die Überwachung der Durchführung von zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze und Vorschriften gem. § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG eine allgemeine Aufgabe des Betriebsrats dar. Die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO – dazu ausführlich in unserer Rubrik “Neues aus dem Datenschutz”) und das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) sind solche Regelungen. Der Betriebsrat ist daher verpflichtet, die Einhaltung von DS-GVO und BDSG durch den Arbeitgeber und auch mit Blick auf die Tätigkeit des betrieblichen Datenschutzbeauftragten zu überwachen.
Wie weit seine eigene Verantwortlichkeit in Bezug auf die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben reicht, ist noch nicht abschließend geklärt. Vor Einführung der DS-GVO wurde der Betriebsrat als Teil des Arbeitgebers als sog. verantwortliche Stelle angesehen. In der DS-GVO kommt es nun maßgeblich auf den „Verantwortlichen“ im Sinne des Art. 4 Abs. 7 DS-GVO an. Sieht man den Betriebsrat selbst als Verantwortlichen an, wäre er den Betroffenen gegenüber informations- und auskunftspflichtig, müsste er eigene Löschkonzepte und Verarbeitungsverzeichnisse pflegen und er müsste ab einer Mitgliederanzahl von 20 Personen einen Datenschutzbeauftragten benennen. Schon als Teil des Arbeitgebers als verantwortlicher Stelle sollte er zumindest Maßnahmen treffen, die geeignet sind, gespeicherte Daten vor unbefugtem Lesen, Kopieren, Ändern oder Entfernen zu schützen bzw. eine wirksame Weitergabekontrolle sicherstellen.