Gerade umfangreichere Reorganisationen sind häufig mit
schmerzhaften Einschnitten für die Belegschaft verbunden. Arbeitgeber haben
daher das legitime Interesse, dass sich keine halbgaren Informationen via
Flurfunk verbreiten, Leistungsträger verschrecken und die Motivationskurve der
Mitarbeiter in den freien Fall stürzt. Als probates Gegenmittel wird häufig
eine mehr oder minder dezente Erinnerung der Betriebsratsmitglieder an gesetzliche
Verschwiegenheitspflichten gesehen. Manche Arbeitgeber gehen sogar noch einen
Schritt weiter und legen den Betriebsratsmitgliedern weitergehende Vertraulichkeitsvereinbarungen
vor. Doch im Regelfall sind diese Maßnahmen – wie ein jüngeres Urteil des Hessischen
LAG erneut verdeutlicht – nicht wirkungsvoll, um den Informationsfluss
einzudämmen. Umso wichtiger sollten Arbeitgeber eine tatsächlich
vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihrem Betriebsrat nehmen. Auf diese Weise
besteht die Chance, gemeinsam zu entscheiden, welche Informationen die
Verhandlungsräume verlassen und welche nicht.
Dass selbst dies manchmal nicht genügt, um Einzelgängen
einzelner Mitglieder des Betriebsrats zu begegnen, zeigt der Beschluss des
Hessischen LAG vom 20. März 2017 (Az.: 16 TaBV 12/17). Dort hatte das LAG in
einem Beschlussverfahren über den Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds (Antragsgegner)
aus dem Betriebsrat wegen grober Verletzung seiner Pflichten zu entscheiden.
Kurioserweise beantragten sowohl Arbeitgeber als auch Betriebsrat den
Ausschluss und gingen so gemeinsam gegen den vermeintlichen „Geheimnisverräter“
vor, der das einzige gewerkschaftliche organisierte Mitglied des Betriebsrats
war.
Anlass des Geheimhaltungsbedürfnisses war die
unternehmerische Planung, die Produktion einer Kunstoff-Linie einzustellen und
mehrere Abteilungen zu schließen. Hierüber hatte die Geschäftsleitung den Betriebsratsvorsitzenden
und einen seiner Betriebsratskollegen in Kenntnis gesetzt. Als letzterer den in
einer Außenstelle tätigen Antragsgegner hierüber informieren und zu einer
Sitzung laden wollte, wies er ihn ausdrücklich auf den Wunsch des Arbeitgebers
nach absoluter Vertraulichkeit hin. Der Antragsgegner jedoch wendete sich kurz
darauf an seine Gewerkschaft, holte dort Rechtsrat ein und informierte so betriebsexterne
Dritte über die Planungen.
In erster Instanz gab das Arbeitsgericht Offenbach dem
Arbeitgeber und dem Betriebsrat Recht und befand den Ausschluss für
gerechtfertigt. Zwar könne es dahinstehen, ob der Antragsgegner seine
gesetzliche Verschwiegenheitspflicht aus § 79 Abs. 1 BetrVG verletzt habe. Mit
seinem Verhalten habe der Antragsgegner jedenfalls aber das Gebot der
Vertraulichkeit innerhalb des Betriebsrats in grober Weise und vorsätzlich
verletzt.
Auf die Beschwerde des Antragsgegners änderte das Hessische
LAG die Entscheidung der ersten Instanz ab und wies den Ausschlussantrag
zurück. Weder habe der Antragsgegner gegen § 79 Abs. 1 BetrVG verstoßen noch
sei sein Verhalten in sonstiger Weise eine grobe Verletzung seiner gesetzlichen
Betriebsratspflichten. Eine allgemeine Geheimhaltungspflicht könne aus § 79
BetrVG nicht hergeleitet werden. Erfasst seien hiervon nur Betriebs- und
Geschäftsgeheimnisse. Ein dem Betriebsrat mitgeteilter
interessenausgleichspflichtiger Personalabbau als solcher stelle kein Betriebs-
oder Geschäftsgeheimnis in diesem Sinne dar. Spätestens zu dem Zeitpunkt, zu
dem der Arbeitgeber das gesetzlich vorgesehene Mitwirkungsverfahren eingeleitet
habe, habe er kein sachlich begründetes, objektiv berechtigtes
Geheimhaltungsinteresse daran, dass ein Betriebsrat erst Informationen weitergebe,
wenn Entscheidungen ausverhandelt seien. Die sachgerechte Wahrnehmung der
Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte erfordere vielmehr, dass ein
Informationsaustausch zwischen Belegschaft und Betriebsrat stattfinde. Dieser
müsse daher ab Beginn der Verhandlungen auch über deren Gegenstand berichten
dürfen.
Der Antragsgegner habe außerdem keineswegs eine Einladung
der Gewerkschaft durch das gesetzliche Quorum von 25% der
Betriebsratsmitglieder abwarten müssen, bevor er sich an die Gewerkschaft
wandte. Vielmehr liege die Entscheidung, auf welche Weise ein
Betriebsratsmitglied sich auf Verhandlungen vorbereite, in seinem
pflichtgemäßen Ermessen. Dieses Ermessen sei hier nicht verletzt. Insbesondere
habe der Antragsgegner tatsächlich Beratung von der Gewerkschaft eingeholt, wie
man derartigen Personalabbaumaßnahmen wirkungsvoll entgegensteuern könne. Er
habe sein Amt daher gerade im Gegenteil verantwortungsvoll ausüben wollen.
Mit seiner Einschätzung zum Umgang mit personalabbaubezogenen
Informationen aus Interessenausgleichsverhandlungen hat das Hessische LAG eine
frühere Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein bestätigt (LAG
Schleswig-Holstein vom 20.05.2015, Az.: 3 TaBV 35/14). Anders hingegen sah es die
9. Kammer des Hessischen LAG im Jahr 2015 für den Personalabbau einer Aktiengesellschaft.
Dieses sah vor dem Hintergrund der dort vorgeschrieben Ad-hoc-Meldungen nach §§ 13,
15 WpHG jedenfalls ein vorübergehendes Geheimhaltungsinteresse über den
geplanten Personalabbau (Hessisches LAG vom 12.03.2015 – 9 TaBV 188/14).
Die unterschiedlichen Entscheidungen verdeutlichen vor allem
eines: Betriebsratsmitglieder gehen ein hohes Risiko (für ihr Amt) ein, wenn
sie Informationen ohne vorherige Prüfung weitergeben. In den als streng
vertraulich zur Verfügung gestellten Unterlagen können nämlich durchaus auch
echte Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse im Sinne des § 79 Abs. 1 BetrVG
enthalten sein. Enthalten die vorgelegten Unterlagen auch typischerweise personalrelevante
Angaben zu aktuellen Absatzentwicklungen, zur Auftragslage oder zur Liquiditätslage
ist der Betriebsrat gut beraten, die Unterlagen nicht ungefiltert
weiterzureichen. Arbeitgeber sollten insofern weiterhin vorsorglich die
überreichten Informationen als streng vertraulich kennzeichnen und auf eine
gemeinsame Kommunikation zur Belegschaft drängen.
Das Vorlegen von sämtliche Informationen umfassenden Vertraulichkeitsvereinbarungen
ist dagegen kritisch zu sehen. Unterliegt der Geheimhaltungsgegenstand der
Vertraulichkeitsvereinbarung nämlich nicht ohnehin § 79 Abs. 1 BetrVG, könnte
darin sogar eine Behinderung der Betriebsratsarbeit gesehen werden. Diese ist
gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG strafbar und könnte darüber hinaus – wenn
sie so verstanden wird – zu einem dauerhaften Bruch in der vertrauensvollen
Zusammenarbeit führen.