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Ihr PWWL-Redaktionsteam

Christine Wahlig (Rechtsanwältin – Redaktionelle Leitung Blog) & Alice Tanke (Marketing Managerin)

Inside Workplace Law

Rechtsprechung im Fokus mit Dr. Eva Trost

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Der Beitrag beleuchtet wichtige Entscheidungen aus der ersten Jahreshälfte.

Passend zur „fünften Jahreszeit“ hat sich das LAG Köln Anfang des Jahres zum einen mit der Frage befasst, ob eine „Karnevalsaktion in voller Uniform“ Zweifel an der unmittelbar vorausgegangenen Arbeitsunfähigkeit begründet, zum anderen, ob Detektivkosten vom Arbeitnehmer erstattet werden müssen, der während der Arbeitszeit seine Freundin besucht?

Klarheit schaffte das BAG, indem es eine verspätet erhobene Kündigungsschutzklage einer Arbeitnehmerin nachträglich zuließ, die erst nach Ablauf der Klagefrist gesichert von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte.  

Spannend waren auch Aussagen des höchsten deutschen Arbeitsgerichts zu Vergütungszahlungen in Kryptowährungen.  Aufhorchen lässt das BAG bei der Frage, wie sich Matrix-Strukturen auf eine Betriebsratswahlauswirken können – es entschied, dass Führungskräften in einer unternehmensinternen Matrix-Struktur in mehreren Betrieben ein aktives Wahlrecht zustehen kann.

Viel Lärm um nichts? Viel diskutiert wurde über ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen zur Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess und einer möglichen Beweislastumkehr – an der grundsätzlichen Beweislastverteilung im Überstundenprozess ändert das Urteil jedoch nichts. Die Beweislast obliegt weiterhin im ersten Schritt dem Arbeitnehmer.

Aufgepasst beim Vergleichsschluss: Erhebliche praktische Auswirkungen dürfte eine der jüngsten Entscheidungen des BAG haben: Das Gericht schränkte die Möglichkeit eines Tatsachenvergleichs über gesetzliche Mindesturlaubsansprüche während des laufenden Arbeitsverhältnisses ein, soweit der Arbeitnehmer bis zum Beendigungstermin erkrankt ist. 

Das BAG entschied auch die Frage, ob die unterlassene Entfristung eines Betriebsratsmitglieds bei einem großen Versandunternehmen mit „A“ gegen das Benachteiligungsverbot verstößt.

1. Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit? Kündigung wegen Karnevalsaktionen unwirksam

LAG Köln vom 21.1.2025 – 7 SLa 204/24

Der über 50-jährige Kläger ist seit 2001 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Mitarbeiter in der Logistik beschäftigt und war vom 31.10.2022 bis zum 4.11.2022 krankgeschrieben. Er ist Mitglied eines Karnevalsvereins und hatte am Abend des 4.11.2022 an einer Veranstaltung, dem sog. Mobilmachungsappell, teilgenommen. Ähnlich verhielt es sich zum anschließenden Jahreswechsel. Der Kläger war bis zum 6.1.2023 krankgeschrieben und nahm am 5.1.2023 an einer Veranstaltung, dem sog. Generalkorpsappell, teil. Die Veranstaltung begann um 19 Uhr. Ausweislich eines Videos im Internet marschierte der Kläger in voller Uniform in den Saal ein.

Die Beklagte kündigte dem Kläger außerordentlich fristlos – dagegen wehrte sich der Arbeitnehmer mit Erfolg.

Der Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer wegen des Vortäuschens einer Arbeitsunfähigkeit kündigt, muss darlegen und beweisen, dass der Arbeitnehmer unentschuldigt gefehlt hat und die vom Arbeitnehmer behauptete Krankheit nicht vorliegt. Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern bzw. zu entkräften, so ist es Sache des Arbeitnehmers, seinen Vortrag weiter zu substantiieren.

Im vorliegenden Fall ließ sich das Bestehen des Tatvorwurfs, nämlich das Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit, nicht mit der für einen Tatnachweis notwendigen Sicherheit feststellen. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum vom 31.10.2022 bis zum 4.11.2022 wurde bereits nicht durch die Teilnahme des Klägers am Mobilmachungsappell am Abend des 4.11.2022 erschüttert. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Arbeitsunfähigkeit bereits beendet. Der Besuch einer Karnevalsveranstaltung kurz nach Ende der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit erschüttert nicht den Beweiswert der ausgestellten Bescheinigung. Wenn der behandelnde Arzt die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit nach dem Kalenderdatum bestimmt hat, wird die Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende der betriebsüblichen Arbeitszeit am letzten umfassten Kalendertag bescheinigt.

Hinsichtlich der “Erkrankung” im Januar 2023 bestand lediglich ein entsprechender Verdacht. Ein Anzweifeln der Angaben des Klägers und seines Arztes reichte nicht aus. Die Umstände, die den Beweiswert des ärztlichen Attests hätten erschüttern können, waren vorliegend nicht so gravierend, dass sie ein starkes Indiz für die Behauptung des Arbeitgebers darstellten, die Krankheit des Arbeitnehmers sei nur vorgetäuscht gewesen. Die Beklagte, die insoweit die Darlegungs- und Beweislast trug, konnte demnach nicht nachweisen, dass der Kläger seine Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht hatte.

2. Freundin während der Arbeitszeit besucht: Ersatz von Detektivkosten nach fristloser Kündigung wegen Arbeitszeitverstößen

LAG Köln vom 11.2.2025 – 7 Sa 635/23

Der Arbeitgeber kann vom Arbeitnehmer den Ersatz notwendiger Detektivkosten verlangen, wenn sich bei der Überwachung der Verdacht auf Arbeitszeitverstöße durch den Arbeitnehmer bestätigt, die eine fristlose Kündigung nach sich gezogen haben. 

Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Im vorliegenden Fall hatte der Kläger während der durch ihn dokumentierten Arbeitszeit nicht nur seiner Freundin diverse Besuche abgestattet, sondern sich auch in Bäckereien und Cafés aufgehalten. 

In derartigen Fällen ist auch die Observation eines Arbeitnehmers durch Detektive nach § 26 Abs. 1 S. 2 BDSG zulässig und es besteht kein Beweisverwertungsverbot. Die Überwachung des Arbeitnehmers durch Detektive, die beobachten, fotografieren und dokumentieren, sowie die Anbringung eines GPS-Senders an dem während der Schichtzeiten genutzten Dienstfahrzeug stellen zwar einen Eingriff in dessen Persönlichkeitsrechte und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Dieser Eingriff ist aber von geringer Intensität, weil er nur während der Schichtzeiten im öffentlichen Verkehrsraum über einen Zeitraum von wenigen Tagen erfolgt ist und praktisch nur das dokumentiert wurde, was jeder beliebige Passant ebenfalls hätte wahrnehmen können.

Der Arbeitgeber hat einen Anspruch auf Erstattung der Detektivkosten aus §§ 280 Abs. 1, 249 BGB. Nach BAG-Rechtsprechung hat der Arbeitnehmer wegen der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dem Arbeitgeber die durch das Tätigwerden eines Detektivs entstandenen notwendigen Kosten zu ersetzen, wenn der Arbeitgeber aufgrund eines konkreten Tatverdachts einem Detektiv die Überwachung des Arbeitnehmers überträgt und der Arbeitnehmer einer vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung überführt wird. 

3. Sonderkündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen – nachträgliche Klagezulassung

BAG vom 3.4.2025 – 2 AZR 156/24

Erlangt eine Arbeitnehmerin schuldlos erst nach Ablauf der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage Kenntnis von einer beim Zugang des Kündigungsschreibens bereits bestehenden Schwangerschaft, ist die verspätete Kündigungsschutzklage auf ihren Antrag gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen.

Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin zwar während der laufenden Klagefrist einen positiven Schwangerschaftstest durchgeführt, tatsächliche Kenntnis von der Schwangerschaft aber erst mit einem frühestmöglichen Termin beim Frauenarzt nach Ablauf der Klagefrist erlangt. 

Die verspätet erhobene Klage war nach Ansicht des BAG gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Die Klägerin hat aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund – sie hatte sich sofort nach dem Ergebnis um einen Termin beim Frauenarzt bemüht – erst mit der frühestmöglichen frauenärztlichen Untersuchung positive Kenntnis davon erlangt, dass sie bei Zugang der Kündigung schwanger war. Der etwas mehr als zwei Wochen nach dem Zugang durchgeführte Schwangerschaftstest konnte ihr diese Kenntnis nicht vermitteln. In der vorgenommenen Auslegung genügt das bestehende System der §§ 4, 5 KSchG und des § 17 Abs. 1 MuSchG den unionsrechtlichen Vorgaben, wie sie der EuGH in der Sache “Haus Jacobus” (EuGH v. 27.6.2024 – C-284/23) herausgearbeitet hat.

4. Kryptowährung zur Erfüllung von Provisionsansprüchen als Sachbezug

BAG vom 16.4.2025 – 10 AZR 80/24

Die Übertragung der sog. Kryptowährung Ether (ETH) zur Erfüllung von Provisionsansprüchen des Arbeitnehmers kann, wenn dies bei objektiver Betrachtung im Interesse des Arbeitnehmers liegt, grundsätzlich als Sachbezug i.S.v. § 107 Abs. 2 Satz 1 GewO vereinbart werden. Der unpfändbare Betrag des Arbeitsentgelts muss dem Arbeitnehmer aber in Geld ausgezahlt werden. 

Bei einer “Kryptowährung” handelt es sich zwar nicht um “Geld”, wie in § 107 Abs. 1 GewO verlangt, wonach das Arbeitsentgelt in Euro zu berechnen und auszuzahlen ist. § 107 Abs. 2 Satz 1 GewO lässt es aber grundsätzlich zu, Sachbezüge als Teil des Arbeitsentgelts zu vereinbaren, wenn dies im Interesse des Arbeitnehmers liegt. Um einen solchen Sachbezug handelt es sich, wenn arbeitsvertraglich die Übertragung einer Kryptowährung vereinbart ist. Diese Vereinbarung lag nach den Umständen des Einzelfalls auch im objektiven Interesse der Klägerin.

Nach § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO darf jedoch der Wert der vereinbarten Sachbezüge die Höhe des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts nicht übersteigen. Dem Arbeitnehmer muss zumindest der unpfändbare Betrag seines Entgelts in Geld ausgezahlt werden. Damit soll u.a. sichergestellt werden, dass der Arbeitnehmer nicht gezwungen wird, erst den Sachbezug in Euro “umzutauschen” oder Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, um die Bedürfnisse des täglichen Lebens befriedigen zu können. Ein Verstoß gegen § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO führt, wenn der Sachbezug, wie hier die Einheit ETH, teilbar ist, zur teilweisen Nichtigkeit der Vereinbarung. Das bedeutet, dass das Arbeitsentgelt bis zur Höhe der jeweiligen Pfändungsfreigrenzen in Geld zu leisten und der Sachbezug entsprechend zu kürzen ist.

Dazu auch meine Kollegin Verena Braeckeler-Kogel in einem Quick Pick auf LinkedIn.

5. Schadenersatz nach DSGVO-Verstoß wegen Test einer cloudbasierten Software für Personalverwaltung

BAG vom 8.5.2025 – 8 AZR 209/21

Ein Arbeitnehmer kann einen Anspruch auf Schadenersatz wegen einer Verletzung der DSGVO haben, wenn der Arbeitgeber personenbezogene Echtdaten innerhalb des Konzerns an eine andere Gesellschaft überträgt, um die cloudbasierte Software für Personalverwaltung “Workday” zu testen. 

Die Beklagte verarbeitete personenbezogene Daten ihrer Beschäftigten u.a. zu Abrechnungszwecken mit einer Personalverwaltungs-Software. Im Jahr 2017 gab es Planungen, konzernweit Workday als einheitliches Personal-Informationsmanagementsystem einzuführen. Die Beklagte übertrug personenbezogene Daten des Klägers aus der bisher genutzten Software an die Konzernobergesellschaft, um damit Workday zu Testzwecken zu befüllen.

Der vorläufige Testbetrieb von Workday war in einer Betriebsvereinbarung geregelt. Danach sollte es der Beklagten erlaubt sein, u.a. den Namen, das Eintrittsdatum, den Arbeitsort, die Firma sowie die geschäftliche Telefonnummer und E-Mail-Adresse zu übermitteln. Die Beklagte übermittelte darüber hinaus weitere Daten des Klägers wie Gehaltsinformationen, die private Wohnanschrift, das Geburtsdatum, den Familienstand, die Sozialversicherungsnummer und die Steuer-ID.

Das BAG hatte dem EuGH Fragen zur Auslegung der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) vorgelegt; konkret inwieweit nationale Rechtsvorschriften oder Kollektivvereinbarungen, die die Datenverarbeitung im Beschäftigungskontext regeln, die allgemeinen Grundsätze der DS-GVO einhalten müssen und ob nationale Gerichte die „Erforderlichkeit“ der Datenverarbeitung umfassend überprüfen dürfen.

Der EuGH hat mit seinem Urteil vom 19.12.2024 in der Rechtssache C-65/23 klargestellt, dass nationale Rechtsvorschriften oder Kollektivvereinbarungen wie Betriebsvereinbarungen, die gemäß Art. 88 Abs. 1 und 2 DS-GVO „spezifischere Vorschriften“ für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Beschäftigungskontext vorsehen, nicht nur die Anforderungen des Art. 88 Abs. 2 DS-GVO erfüllen müssen, sondern auch die allgemeinen Grundsätze der DS-GVO.

Soweit die Beklagte andere als die nach der Betriebsvereinbarung erlaubten personenbezogenen Daten an die Konzernobergesellschaft übertragen hat, war dies nicht erforderlich i.S.v. Art. 6 Abs. 1 DSGVO. Der immaterielle Schaden des Klägers liegt in dem durch die Überlassung der personenbezogenen Daten an die Konzernobergesellschaft verursachten Kontrollverlust. 

Hierzu ausführlich mein Kollege Dr. Michael Witteler auf unserem Workplace Blog:

6. Betriebsratswahl – aktives Wahlrecht von Führungskräften in mehreren Betrieben bei einer unternehmensinternen Matrix-Struktur

BAG vom 22.5.2025 – 7 ABR 28/24

Ein Arbeitnehmer, der mehreren Betrieben desselben Unternehmens angehört, kann bei der Wahl des Betriebsrats in sämtlichen dieser Betriebe ein aktives Wahlrecht haben, sofern er in mehrere Betriebe tatsächlich eingegliedert ist. Das gilt auch für Führungskräfte in Unternehmen mit einer unternehmensinternen Matrix-Struktur. Nach § 7 Satz 1 BetrVG sind wahlberechtigt alle Arbeitnehmer des Betriebs, die das 16. Lebensjahr vollendet haben. Damit knüpft die Wahlberechtigung an die Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zum Betrieb an, welche durch die Eingliederung in die Betriebsorganisation begründet wird.
Der Umstand, dass ein Arbeitnehmer bereits in einem Betrieb eingegliedert und damit in diesem wahlberechtigt ist, steht seiner Wahlberechtigung in einem weiteren Betrieb nicht entgegen. Es ist durchaus möglich, in mehreren Betrieben wahlberechtigt zu sein. 

Die Entscheidung des BAG liegt auf einer Linie mit einer Entscheidung des LAG Hessen aus dem Jahr 2024, wonach es für die Begründung des aktiven Wahlrechts ausreiche, dass eine Matrix-Führungskraft Führungsaufgaben hinsichtlich der Arbeitnehmer eines Betriebes ausübe. Anders dagegen entschied das LAG Baden-Württemberg, das auf die arbeitsvertragliche Zuordnung abstellte. 

Entscheidend dürfte auch nach der aktuellen Entscheidung des BAG die tatsächliche Eingliederung in den jeweiligen Betrieb sein und ob eine derartige Eingliederung in mehrere Betriebe im jeweiligen Einzelfall auch tatsächlich angenommen werden kann. 

Hierzu auch der Quick Pick meines Kollegen Walter Born auf LinkedIn.

7. Umkehr der Beweislast? Überstundenvergütung und Arbeitszeiterfassung

LAG Niedersachen vom 9.12.2024 – 4 SLa 52/24

Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 9. Dezember 2024 (Az.: 4 SLa 52/24) erregte viel Aufsehen, da es sich mit der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess auseinandersetzte und dabei die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung ins Zentrum rückte, die seit dem „Stechuhr-Urteil“ des EuGH (Rechtssache C-55/18) aus dem Jahr 2019 in Deutschland stark diskutiert wird (wir berichteten auf unserem Blog).

Die Klägerin war über Jahre hinweg als kaufmännische Angestellte bei der Beklagten, einer Autowerkstatt, beschäftigt. Der Arbeitsvertrag der Klägerin sah eine Teilzeitbeschäftigung mit 24 Wochenstunden vor; nach Darstellung der Klägerin arbeitete sie jedoch regelmäßig bis zu 44 Stunden in der Woche. Sie behauptete, ihr hätten alle Tätigkeiten oblegen, die während der Öffnungszeiten von werktäglich 8.00 – 18.00 Uhr angefallen seien; sie habe nach Vereinbarung mit dem Geschäftsführer auch samstags von 9.00 – 12.00 Uhr gearbeitet. Ihr seien daher die entsprechenden Überstunden, abzüglich der Pausen von einer Stunde täglich, zu vergüten.

Die Klägerin reichte zudem Tabellen ein, in denen sie ihre Arbeitszeiten dokumentiert hatte und die, außer bei Urlaub und Krankheit, eine werktägliche Arbeitszeit von 8.00-18.00 Uhr abzüglich jeweils einer Stunde Pause auswiesen. Eine andere Zeiterfassung gab es bei der Beklagten nicht. 

Die Beklagte bestritt die geleistete Arbeitszeit und trug vor, etwaige zusätzliche Stunden seien jedenfalls weder angewiesen noch vom Geschäftsführer der Beklagten geduldet worden. Weitere Ausführungen machte die Beklagte nicht.

Das LAG stellte zunächst klar, dass es bei der Darlegungs- und Beweislast für Überstundenvergütung grundsätzlich bei der gefestigten Rechtsprechung bleibe: Arbeitnehmer müssen danach substantiiert darlegen, an welchen Tagen sie zu welchen Zeiten gearbeitet haben und inwiefern diese Zeiten über die vereinbarte Arbeitszeit hinausgingen. Zudem müsse substantiiert dargelegt werden, dass der Arbeitgeber die Überstunden entweder angeordnet, gebilligt oder geduldet hat.

Nach Auffassung des LAG war die Beklagte dem Vorbringen der Klägerin nicht substantiiert entgegengetreten. Sie habe nicht vorgetragen, welche Arbeiten sie der Klägerin zugewiesen habe und insbesondere, an welchen Tagen und zu welcher Uhrzeit die Klägerin diesen Weisungen nicht nachgekommen sei.

Das LAG stellte weiter fest, die Beklagte müsse sich jedenfalls im Rahmen ihrer substantiierten Erwiderungslast entgegenhalten lassen, dass sie tatsächlich keine Arbeitszeitaufzeichnungen gefertigt habe. Dies schlussfolgert das Gericht aus der vom BAG aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG hergeleiteten Verpflichtung des Arbeitgebers, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Wäre die Beklagte dieser Verpflichtung nachgekommen, wäre es ihr möglich gewesen, auf das konkrete Vorbringen der Klägerin substantiiert zu erwidern. 

Zur weiteren Einordnung der Entscheidung, insbesondere der Frage, ob das erkennende Gericht etwa in Abkehr zu der Rechtsprechung des BAG auf eine Beweislastumkehr abgestellt hat, sei auf den Blogbeitrag meiner Kolleginnen Dr. Svenja Fries und Franziska Kuse verwiesen:

8. Kein Urlaubsverzicht durch Prozessvergleich

BAG vom 3.6.2025 – 9 AZR 104/24

Der Kläger war bei der Beklagten vom 1.1.2019 bis zum 30.4.2023 als Betriebsleiter beschäftigt. Im Jahr 2023 war er von Beginn an bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und deshalb nicht in der Lage, seinen Urlaub aus diesem Jahr in Anspruch zu nehmen. In einem gerichtlichen Vergleich vom 31.3.2023 – d.h. vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses – verständigten sich die Parteien u.a. darauf, dass Urlaubsansprüche „in natura gewährt“ worden seien – eine in der Praxis übliche Regelung eines sog. Tatsachenvergleichs. 

Der Kläger verlangte von der Beklagten gerichtlich unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des abgeschlossenen Vergleichs, die noch offenen sieben Tage gesetzlichen Mindesturlaubs aus dem Jahr 2023 abzugelten. 

Arbeitsgericht und LAG gaben der Klage statt, das BAG wies die Revision der Beklagten mit folgender Argumentation zurück:
Der Kläger hat gem. § 7 Abs. 4 BUrlG einen Anspruch auf Abgeltung seines nicht erfüllten gesetzlichen Mindesturlaubs aus dem Jahr 2023. Der Urlaubsanspruch ist nicht durch die Vereinbarung im Prozessvergleichs vom 31.3.2023 erloschen. Laut BAG bestand angesichts der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers kein Zweifel daran, dass sein Urlaubsanspruch noch bestand. Damit sei ein Tatsachenvergleich nicht möglich gewesen, der stets eine unsichere Tatsachenlage voraussetze, die hier jedoch nicht gegeben war. Die Vereinbarung, Urlaubsansprüche seien in natura gewährt, war damit gem. § 134 BGB als unwirksam anzusehen, soweit sie einen nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG unzulässigen Ausschluss des gesetzlichen Mindesturlaubs regeln sollte.

Weder der gesetzliche Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub noch ein erst künftig – mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses – entstehender Anspruch auf Abgeltung gesetzlichen Mindesturlaubs darf im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt werden. Dies gilt selbst dann, wenn bei Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung regelt, bereits feststeht, dass der Arbeitnehmer den gesetzlichen Mindesturlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht mehr in Anspruch nehmen kann.

Der bezahlte Mindesturlaub darf nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden. Im bestehenden Arbeitsverhältnis darf der Arbeitnehmer somit nicht gegen und erst recht nicht ohne finanziellen Ausgleich auf den gesetzlichen Mindesturlaub “verzichten”.

Der Einwand der Beklagten, dem Kläger sei es nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit des Anspruchsausschlusses zu berufen, blieb erfolglos. Die Beklagte durfte insoweit nicht auf den Bestand einer offensichtlich rechtswidrigen Regelung vertrauen.

Wäre der Vergleich erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossen worden, wäre aus dem Urlaubsanspruch bereits ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung geworden. Über den bereits entstandenen Urlaubsabgeltungsanspruch hätten die Parteien eine Regelung in einem gerichtlichen Vergleich treffen können. 

9. Benachteiligungsverbot? Befristetes Arbeitsverhältnis eines Betriebsratsmitglieds

BAG v. 18.6.2025 – 7 AZR 50/24

Ein nach Maßgabe des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) zulässig befristetes Arbeitsverhältnis endet auch dann mit Ablauf der vereinbarten Befristung, wenn der Arbeitnehmer zwischenzeitlich in den Betriebsrat gewählt worden ist. Benachteiligt der Arbeitgeber allerdings das befristet beschäftigte Betriebsratsmitglied, indem er diesem wegen des Betriebsratsmandats keinen Folgevertrag anbietet, hat das Betriebsratsmitglied einen Anspruch auf den Abschluss des verweigerten Folgevertrags als Schadenersatz. 

Die beklagte Arbeitgeberin erbringt logistische Dienstleistungen. Sie schloss mit dem Kläger Anfang des Jahres 2021 einen zunächst auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag, welcher später um ein weiteres Jahr bis zum 14.2.2023 verlängert wurde. Im Sommer 2022 wurde der Kläger in den Betriebsrat gewählt. Von 19 Arbeitnehmern der Beklagten, die einen am 14.2.2023 auslaufenden befristeten Arbeitsvertrag hatten, erhielten 16 das Angebot auf Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags. Der Kläger erhielt dieses Angebot nicht. 

Mit seiner Klage wandte er sich gegen die Wirksamkeit der Befristung und verlangte hilfsweise die Verurteilung der Beklagten zum Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags ab dem 15.2.2023 zu den bisherigen Bedingungen. Er machte geltend, dass die unterbliebene “Entfristung” seines Arbeitsverhältnisses allein auf seiner Mitgliedschaft im Betriebsrat beruhe. Zwar habe die Beklagte mit anderen Betriebsratsmitgliedern unbefristete Arbeitsverträge geschlossen, diese hätten aber anders als der Kläger nicht auf der Gewerkschaftsliste für den Betriebsrat kandidiert. Die Beklagte berief sich demgegenüber darauf, sie sei mit der Arbeitsleistung und dem persönlichen Verhalten des Klägers nicht so zufrieden gewesen, dass sie das Arbeitsverhältnis habe unbefristet fortführen wollen. Die Betriebsratstätigkeit des Klägers habe bei ihrer Entscheidung keine Rolle gespielt.

ArbG und LAG wiesen die Klage ab; die Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg:

Die Wahl eines befristet beschäftigten Arbeitnehmers in den Betriebsrat bedingt keine Unwirksamkeit der Befristung. Der Senat bestätigte insoweit seine Entscheidungen vom 5.12.2012 (7 AZR 698/11) und vom 25.6.2014 (7 AZR 847/12). Eine solche Annahme sei auch durch das Recht der Europäischen Union nicht zwingend vorgegeben. Das einzelne Betriebsratsmitglied sei durch die Vorschrift des § 78 Satz 2 BetrVG, wonach es in der Ausübung seiner Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden darf, hinreichend geschützt. Im vorliegenden Fall habe sich das LAG im Zusammenhang mit der Abweisung des Schadenersatzanspruchs in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise unter Würdigung des wechselseitigen Vortrags der Parteien die Überzeugung gebildet, dass die Beklagte dem Kläger den Abschluss eines unbefristeten Folgevertrags nicht wegen dessen Betriebsratstätigkeit verweigert hatte.

Dr. Eva Trost

Dr. Eva Trost ist spezialisiert auf Restrukturierungen, Massenentlassungen sowie auf die Bereiche Arbeitnehmerüberlassung und Datenschutz.

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