Bei der Anwendung arbeitsgesetzlicher Vorschriften stellt sich regelmäßig die Frage, ob die betroffene Person „Arbeitnehmer“ im Sinne der jeweiligen Regelung ist. Eine Organstellung steht dieser Einordnung oft, aber nicht immer entgegen. Es kommt dabei zudem – wie der hier geschilderte Fall des BAG zeigt – regelmäßig nicht nur auf den Arbeitnehmer-Begriff nach deutschem, sondern auch nach dem Unionsrecht an.
Der Fall im Überblick
Die Klägerin, Geschäftsführerin bei der Beklagten und zuvor Arbeitnehmerin bei einer Gruppengesellschaft der Beklagten, hatte nach ihrem Dienstvertrag definierte Arbeitszeiten von 7:00 Uhr bis 18:00 Uhr einzuhalten. Zu ihren Aufgaben gehörten morgendliche Telefonakquise, eigeninitiierte Leistungsangebote, Kundenbesuche sowie Kontroll- und Überwachungsaufgaben. Pro Woche waren 40 Telefonate und 20 Besuche nachzuweisen. Nach sechs Jahren Betriebszugehörigkeit standen ihr 33 Tage Jahresurlaub zu. Bei Vertragsende im Juni 2020 lagen 38,5 nicht genommene Urlaubstage vor, deren Abgeltung die Klägerin verlangte.
Die Entscheidung des BAG
Sowohl die Vorinstanzen als auch das BAG (Urteil vom 25. Juli 2023, 9 AZR 43/22) entschieden zugunsten der Klägerin. Nach § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) stehe ihr ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung zu. Die gesetzliche Regelung kam dabei trotz der Position der Klägerin als Geschäftsführerin zur Anwendung: Nach dem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff wurde sie als Arbeitnehmerin im Sinne des BUrlG eingestuft.
Das BAG legte § 7 Abs. 4 BUrlG hierfür richtlinienkonform aus. Da durch das BUrlG die Vorgaben der Richtlinie 2003/88/EG für das deutsche Recht umgesetzt werden, waren sie durch die nationalen Gerichte zu berücksichtigen. Der Senat betonte insoweit, dass der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff für die Anwendbarkeit des BUrlG maßgebend sei, unabhängig davon, wie die Person nach nationalem deutschen Recht eingestuft werde.
Unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff vs. deutscher Arbeitnehmerbegriff
Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff ist im Vergleich zum nationalen deutschen Arbeitnehmerbegriff breiter gefasst. Nach Unionsrecht gilt als Arbeitnehmer, wer eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, weisungsabhängige Leistungen erbringt und dafür vergütet wird. Diese Definition ist allgemein und nicht nur auf abhängige Beschäftigungsverhältnisse beschränkt. Im Gegensatz dazu hat der nationale deutsche Arbeitnehmerbegriff spezifischere Kriterien und ist enger gefasst. Ein Arbeitnehmer im deutschen Sinne ist eine Person, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht, regelmäßig gegen Entgelt arbeitet und dabei weisungsgebunden ist.
Nach deutschem Recht steht eine Organstellung der Arbeitnehmereigenschaft entgegen. Die Qualifikation des Mitglieds eines Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft als Arbeitnehmer ist nach dem Unionsrecht dagegen nicht ausgeschlossen. Vielmehr hängt sie von verschiedenen Faktoren ab, darunter den Bedingungen der Bestellung, den übertragenen Aufgaben, dem Rahmen der Aufgabenerfüllung, den zugewiesenen Befugnissen, den Kontrollmechanismen innerhalb der Gesellschaft und den Umständen der Abberufung.
Im vorliegenden Fall sprachen diese Umstände für eine weisungsgebundene Tätigkeit. Hinzu kam, dass es sich bei der Klägerin um eine sog. Fremdgeschäftsführerin gehandelt hat, die keine Anteile an der Gesellschaft besaß und in ihrer Funktion in erster Linie im Interesse der Gesellschafter agierte. Im Gegensatz dazu sind Gesellschafter-Geschäftsführer selbst an der Gesellschaft beteiligt und können über ihre Anteile an deren Willensbildung mitwirken. Je nach dem Umfang der Beteiligung und damit dem Grad der Mitwirkung spricht dies bei einer Gesamtwürdigung der Umstände gegen eine Weisungsgebundenheit und damit gegen die Arbeitnehmereigenschaft.
Bedeutung der Entscheidung
Die unterschiedlichen Arbeitnehmerbegriffe werden immer dort relevant, wo nationale arbeitsrechtliche Vorschriften europarechtliche Vorgaben umsetzen: So findet das Mutterschutzgesetz (MuSchG) auf Fremdgeschäftsführerinnen Anwendung, da es auf die europäische Mutterschutz-Richtlinie (Richtlinie 92/85/EWG) zurückgeht und der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff gilt. Das Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (BEEG) findet hingegen nach einhelliger Auffassung keine Anwendung auf Geschäftsführer, da insoweit der nationale und nicht der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff als Maßstab anzulegen ist.
Die Entscheidung des BAG stellt klar, dass auch für das Urlaubsrecht der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff entscheidend ist. Zu der Frage, ob hieraus folgt, dass sämtliche Rechtsprechung zum BUrlG auf GmbH-Fremdgeschäftsführer übertragbar ist, hat das BAG dagegen keine eindeutige Aussage getroffen. Es bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung weitere Fragen zum Urlausbrecht bei Fremdgeschäftsführern beantworten wird.
Blick in die Zukunft
Die Klärung des Urlaubsanspruchs für GmbH-Fremdgeschäftsführer bringt nicht nur Klarheit für die Praxis, sondern wirft auch ein Licht auf die Herausforderungen und Bedürfnisse dieser Position. Zwischen Meetings, strategischen Entscheidungen und dem Spagat zwischen verschiedenen Verantwortlichkeiten bleibt für Erholung oft wenig Raum. Das Urteil des BAG unterstreicht die (rechtliche) Notwendigkeit, auch für Führungskräfte, die nicht dem klassischen Arbeitnehmerbild entsprechen, die Vorgaben arbeitsrechtlicher Regelungen umzusetzen.
Unternehmen und Juristen sind nun gefordert, diese Rechtsprechung umzusetzen. Gleichzeitig bleibt weiterhin in anderen Bereichen ungeklärt, ob und inwieweit gesetzliche Regelungen, die an den Arbeitnehmerbegriff anknüpfen, auf Fremdgeschäftsführer anwendbar sind. In der Praxis betrifft dies regelmäßig die Anwendbarkeit des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG), etwa dann, wenn Fremdgeschäftsführer in Konzernstrukturen von der anstellenden Gesellschaft an eine andere Konzerngesellschaft „überlassen“ werden sollen. Insgesamt zeigt sich, dass die Arbeitswelt im Wandel ist und auch bisher als geklärt empfundene Abgrenzungen nicht unangetastet bleiben.