Das LAG Nürnberg hat in einer Entscheidung vom 19. Januar 2023 (8 Sa 164/22) die Klage eines Arbeitnehmers abgewiesen, der sich durch eine Sozialplanregelung aufgrund seines Alters diskriminiert sah. Die Entscheidung setzt die bisherige Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 7. Mai 2019 – 1 ABR 54/17) zur Zulässigkeit der Kürzung von Abfindungen in Sozialplänen für rentennahe Jahrgänge fort und schafft insoweit Rechtssicherheit für Arbeitgeber.
Die Entscheidung des LAG Nürnberg offenbart jedoch ein grundlegendes Problem von Sozialplanverhandlungen.
Die Entscheidung des LAG Nürnberg vom 19. Januar 2023 – 8 Sa 164 22
Der Entscheidung des LAG Nürnberg lag die Klage eines Arbeitnehmers gegen seine ehemalige Arbeitgeberin auf Zahlung einer Sozialplanabfindung zugrunde. Den Sozialplan hatte die Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile abgeschlossen, die den Arbeitnehmer:innen durch eine Betriebsstilllegung entstehen. Die Höhe der Sozialplanabfindung berechnete sich nach der Formel Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsverdienst x 0,6 x Altersfaktor. Der Altersfaktor lag für rentennahe Jahrgänge bei 0,25. Als rentennah definierte der Sozialplan solche Arbeitnehmer:innen, die am Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet hatten. Für jüngere Arbeitnehmer:innen bis zur Vollendung des 61. Lebensjahres galt dagegen der Altersfaktor 1,0. Eine weitere Differenzierung innerhalb der Gruppe der jüngeren Arbeitnehmer:innen gab es nicht. Für den Kläger, einen „rentennahen Arbeitnehmer“, berechnete die Arbeitgeberin unter Zugrundelegung des maßgeblichen Altersfaktors eine gekürzte Abfindung in Höhe von ca. 9.250 EUR.
Nach Berechnungen des Klägers hätte die ungekürzte Abfindung ca. 36.000 EUR betragen. Darin erblickte der Kläger eine ungerechtfertigte Diskriminierung aufgrund seines Alters und klagte auf Zahlung der ungekürzten Abfindung.
Wie bereits die Vorinstanz hielt das LAG Nürnberg die Regelungen des Sozialplans für wirksam und wies die Berufung des Klägers ab. Die mit dem Altersfaktor verbundene unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters sei gemäß § 10 Nr. 6 Variante 2 AGG gerechtfertigt. Beschäftigte, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie nach Bezug von Arbeitslosengeld rentenberechtigt sind, können danach von den Leistungen eines Sozialplans ausgeschlossen werden. Im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG hielt das LAG Nürnberg den Kläger für entsprechend abgesichert. Denn der Kläger wäre unmittelbar nach Ablauf des Arbeitslosengeldbezuges berechtigt gewesen, eine Altersrente mit Abschlägen vorzeitig in Anspruch zu nehmen. Auf die konkrete Höhe der zu erwartenden – und hier mit Abschlägen versehenen – Rente komme es bei der Frage der wirtschaftlichen Absicherung nicht an. Den Betriebsparteien komme insoweit ein Beurteilungsspielraum zu.
Bestätigung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts: Beurteilungsspielraum bei der Abschätzung der zu erwartenden Nachteile
Das Urteil des LAG Nürnberg liegt ganz auf der Linie der Rechtsprechung des BAG. In einer Entscheidung vom 7. Mai 2019 (1 ABR 54/17) bestätigte das BAG sogar den vollständigen Ausschluss rentennaher Jahrgänge von den Leistungen eines Sozialplans gestützt auf die Regelung des § 10 S. 3 Nr. 6 AGG.
Denn dieser Regelung liege das legitime sozialpolitische Ziel zugrunde, für Sozialplanleistungen eine Differenzierung anhand der durch den Verlust des Arbeitsplatzes drohenden Nachteile zu ermöglichen. Bei der nach § 10 S. 2 AGG vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung des Ausschlusses rentennaher Jahrgänge von den Leistungen eines Sozialplans argumentiert das BAG, der Ausschluss rentennaher Jahrgänge sei erforderlich, da diese ansonsten überproportional gegenüber jüngeren Jahrgängen begünstigt werden würden. Rentennahe Jahrgänge würden keine mit jüngeren Arbeitnehmern:innen vergleichbaren Nachteile durch den Verlust des Arbeitsplatzes erleiden. Denn nur rentennahe Jahrgänge hätten die Möglichkeit, nach der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes eine (vorgezogene) Altersrente in Anspruch zu nehmen. Bei der Angemessenheitsprüfung komme der Einigungsstelle – oder den Betriebsparteien – ein Beurteilungsspielraum zu. Die tatsächlichen Nachteile, die bei Arbeitnehmern nach Ablauf des Bezuges von Arbeitslosengeld eintreten, seien bei rentennahen Jahrgängen und jüngeren Arbeitnehmer:innen nicht in gleichem Maße abschätzbar. Die rentennahen Jahrgänge verfügen in jedem Fall über eine wirtschaftliche Absicherung durch den Bezug einer Altersrente. Bei jüngeren Arbeitnehmer:innen sei dagegen nicht auszuschließen, dass sie nach dem Bezug von Arbeitslosengeld auf den Bezug von Leistungen nach dem SGB II angewiesen sein werden. Die Einigungsstelle könne daher davon ausgehen, dass rentennahe Jahrgänge durch den Bezug einer (vorgezogenen) Altersrente ausreichend abgesichert sind.
(Kein) Grund zur Freude für Arbeitgeber?
Diese Rechtsprechung mag auf den ersten Blick aus Arbeitgebersicht erfreulich erscheinen. Schließlich bewahrt die Rechtsprechung die Arbeitgeber:innen, die sich für eine Verteilung des Sozialplanvolumens zugunsten nicht-rentennaher Jahrgänge entscheiden, in diesem Fall vor Zahlungsansprüchen der rentennahen Arbeitnehmer:innen. Arbeitgeber:innen werden in dieser Konstellation auch durch den Beurteilungsspielraum geschützt, der den Betriebsparteien bei Abschluss eines Sozialplans zukommt. Man sollte aber nicht verkennen, dass der klagende Arbeitnehmer auch und vor allem nicht hinreichend darlegen konnte, dass er gegenüber jüngeren Arbeitnehmern mit höherer Abfindung benachteiligt wird. Er muss mithilfe seiner geringeren Abfindung einen 24-monatigen Zeitraum von Arbeitslosigkeit überbrücken und anschließend eine Altersrente mit Abschlägen beziehen. Dieser Abschlag greift bis zum Ende seines Lebens. Er hat also definitiv kompensationsfähige wirtschaftliche Nachteile. Seine Schlechterstellung gegenüber den jüngeren Arbeitnehmern ist nur dadurch gerechtfertigt, dass die pauschale Annahme der Verhandlungsparteien, der wirtschaftliche Nachteil der älteren Arbeitnehmer sei aufgrund der Möglichkeit eines Rentenbezugs geringer als bei jüngeren Arbeitnehmern, die möglicherweise nach Bezug von Arbeitslosengeld SGB II Leistungen beziehen müssen, von dem klagenden Arbeitnehmer nicht widerlegt werden konnte.
Mithilfe unseres Sozialplan-Tool hätte ihm dieser Nachweis gelingen können:
Das Legal-Tech-Tool berechnet aufgrund der maßgeblichen Arbeitsmarktstatistiken und Gehaltsbenchmarks die wirtschaftlichen Nachteile eines Personalabbaus berufsgruppen-, regional- und altersbezogen. Das Tool bietet Arbeitgeber:innen zahlreiche Funktionen, um Sozialplanverhandlungen zu objektivieren und zu einem rechtssicheren und für alle Parteien wirtschaftlich angemessenen Ergebnis zu bringen:
- Bemessung eines schlüssigen, am tatsächlichen Nachteilsausgleich orientierten Sozialplanvolumens sowie Bestimmung der Unter- und Obergrenze,
- Abgleich von Personaldaten der betroffenen Population und den Zahlen der statistischen Abteilung der Bundesagentur für Arbeit,
- Sachgerechte Allokation von Leistungen anhand der Arbeitsmarktstatistiken und Vermeidung rechtlicher Risiken einer nicht sachlich gerechtfertigten Ungleichbehandlung und
- Grafische Darstellung u.a. des Sozialplanvolumens und des Abfindungsfaktors für verschiedene Szenarien – zusammengefasst in unserem Management Report.
Mithilfe der Ergebnisse des Tools hätte sich gezeigt, ob die dem vorliegenden Sozialplan zugrunde liegende Grundannahme (Arbeitnehmer:innen bis zur Vollendung des 61. Lebensjahres sind besser zu stellen als ältere Arbeitnehmer:innen, weil sie nach dem Bezug von Arbeitslosengeld keine Altersrente beziehen können) richtig ist oder nicht. Aus der Auswertung vieler Arbeitsmarktstatistiken können wir sagen, dass dies in Zeiten eines funktionierenden Arbeitsmarktes und hoher Nachfrage nach qualifizierten Arbeitnehmern häufig nicht der Fall ist. Liegt die durchschnittliche Arbeitslosigkeit der von dem Personalabbau betroffenen Altersgruppe bis zum vollendeten 61. Lebensjahr unterhalb der Grenze, ab der ein Bezug von SGB II Leistungen erforderlich wird, so wäre der rechtfertigende Grund für die Besserstellung der jüngeren Arbeitnehmer:innen entfallen. Der vorliegende Sozialplan geht hier sehr undifferenziert und pauschal vor, indem er alle Arbeitnehmer:innen bis zur Vollendung des 61. Lebensjahres in einen Topf wirft. Für diese Gruppe differiert der Anspruch auf Arbeitslosengeld je nach Lebensalter und versicherungspflichtiger Beschäftigung zwischen 12 und 24 Monaten. Dennoch erhalten alle den Faktor 1,0. Zur Feststellung einer Ungleichbehandlung muss man sich an dieser im Sozialplan selbst vorgenommenen Pauschalierung orientieren: Eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der älteren Arbeitnehmer:innen liegt vor, wenn bei den jüngeren Arbeitnehmer:innen die Dauer der Arbeitslosigkeit im Durchschnitt geringer ist als die durchschnittliche Bezugsdauer von Arbeitslosengeld. Denn dann geht es für beide Gruppen im Kern nämlich nur um den Ausgleich des wirtschaftlichen Nachteils der Arbeitslosigkeit mit Arbeitslosengeldbezug. Eine unterschiedliche Behandlung wäre hier nicht gerechtfertigt. Anders wäre dies nur noch dann, wenn man in der Gruppe der jüngeren Arbeitnehmer:innen von substanziellen Gehaltsnachteilen in ihrer neuen Beschäftigung ausgehen müsste, weil der alte Arbeitgeber (deutlich) über Marktniveau vergütet hat. Diesen möglichen Nachteil haben die älteren Arbeitnehmer nicht, weil sie nach dem Bezug von Arbeitslosengeld eine Altersrente beziehen können. Auch dies ließe sich mithilfe unseres Sozialplan-Tools ermitteln.
Das Tool ermöglicht damit neben der Ermittlung des angemessenen Volumens eine sachgerechte und diskriminierungsfreie Allokation von Sozialplanleistungen. Arbeitgeber, die altersbezogene Differenzierungen in einem Sozialplan vornehmen möchten, sollten damit arbeiten.
Am 17.05.2023 erschien in unserer Podcastreihe “Arbeitsrecht für die Ohren” die Folge “Aktuelle Rechtslage zur Bemessung des Sozialplan-Volumens”; zu Gast bei Katrin Scheicht war Thomas Wahlig.