Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 15.04.2021, 5 Sa 331/20) hatte in dem vorliegenden Fall über die außerordentliche Kündigung einer alkoholkranken Mitarbeiterin zu befinden, die ordentlich unkündbar war. Hierbei hat das Landesarbeitsgericht sich dazu geäußert, ob in solchen Fällen eine außerordentliche Kündigung überhaupt in Betracht kommt und welche Voraussetzungen hierfür erfüllt sein müssen?
Worum ging es in dem vorliegenden Fall?
Die seit 35 Jahren bei der Beklagten als Kinderpflegerin beschäftigte Klägerin war ordentlich unkündbar und hätte – wäre sie ordentlich kündbar gewesen – eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Quartalsende gehabt.
Die Klägerin war alkoholkrank. Im Jahr 2017 machte die Klägerin eine Therapie, wurde jedoch wieder rückfällig. In der Folge kam es seit 2018 zu alkoholbedingten Auffälligkeiten am Arbeitsplatz. Die Klägerin unterzog sich dann zwar regelmäßigen Alkoholtests und nahm an Gesprächen der ambulanten Suchtkrankenhilfe teil; jedoch kam es im weiteren Verlauf neuerlich zu alkoholbedingten Auffälligkeiten.
Die Beklagte sprach im Juni 2019 die erste – ordentliche – Kündigung aus. Das daraufhin eingeleitete Kündigungsschutzverfahren wurde zunächst ruhend gestellt, nachdem die Klägerin angekündigt hatte, sich unverzüglich einer stationären Therapie unterziehen zu wollen. Nach mehreren Monaten teilte sie dann jedoch lediglich – ohne dies zu belegen – mit, dass die Klinik ihre Therapie kurzfristig abgesagt habe. In einem späteren Teilvergleich einigten sich die Parteien darauf, dass die ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat.
Im Oktober und November 2019 erschien die Klägerin wieder alkoholisiert am Arbeitsplatz. Daraufhin folgte im Dezember 2019 die zweite – außerordentliche – Kündigung. Das Arbeitsgericht Koblenz entschied zu Gunsten der Klägerin, weil nach der Auffassung des Gerichts kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung vorlag.
Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 6. April 2020 erneut außerordentlich mit Auslauffrist zum 31. Oktober 2020, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin. Nach Ausspruch der Kündigung unterzog sich die Klägerin ein teilstationären Behandlung.
Gegen die außerordentliche Kündigung erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage und gewann zunächst wieder vor dem Arbeitsgericht Koblenz. Die Beklagte legte jedoch Berufung zum Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz ein. Diese hatte Erfolg: Die außerordentliche Kündigung wurde – unter Abänderung des Beendigungsdatums – als wirksam angesehen.
Allgemeine Ausführungen des Landesarbeitsgerichts
Das Landesarbeitsgericht stellte zunächst – unter Verweis auf Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts und anders als das Arbeitsgericht Koblenz – fest, dass Krankheit ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB sein kann. Allerdings ist dem Arbeitgeber im Falle krankheitsbedingter Kündigungen grundsätzlich die Einhaltung der Kündigungsfrist zumutbar, so dass eine außerordentliche Kündigung nur in eng begrenzten Fällen in Betracht kommt. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn der/die Mitarbeiter:in ordentlich unkündbar ist. Nur in solchen Fällen kann ein Sachverhalt, der grundsätzlich nur zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung berechtigen würde, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Um dann jedoch den/die Mitarbeiter:in nicht schlechter zu stellen als die ordentlich kündbaren Mitarbeiter:innen, muss die außerordentliche Kündigung zwingend mit einer der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist ausgesprochen werden.
Zudem muss die Prüfung des der Kündigung zugrundeliegenden Sachverhalts den hohen Anforderungen, die an eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB gestellt werden, Rechnung tragen. Insbesondere bei der Interessenabwägung ist der besondere Maßstab des § 626 BGB zu beachten, wonach die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bzw. – bei ordentlich unkündbaren Mitarbeitern:innen – bis zum sonst maßgeblichen Ende des Arbeitsverhältnisses (z.B. Renteneintritt) unzumutbar sein muss.
In Bezug auf die Prüfung der (alkohol-)krankheitsbedingten Kündigung führte das Landesarbeitsgericht folgendes aus:
- Es bedarf zunächst einer negativen Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustands. Im Zeitpunkt der Kündigung muss die Prognose gerechtfertigt sein, dass der/die Mitarbeiter:in aufgrund der Alkoholsucht dauerhaft nicht die Gewähr bietet, in der Lage zu sein, die vertraglich geschuldete Tätigkeit ordnungsgemäß zu erbringen. Hierbei kommt es entscheidend darauf an, ob der/die Mitarbeiter:in zum Zeitpunkt der Kündigung bereit ist, eine Therapie durchzuführen. Lehnt er/sie dies ab, kann davon ausgegangen werden, dass er/sie von seiner Alkoholsucht in absehbarer Zeit nicht geheilt wird. Dasselbe gilt, wenn der/die Mitarbeiter:in nach einer abgeschlossenen Therapie rückfällig geworden ist.
- Daraus muss dann eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen folgen, die durch mildere Mittel – wie z. B. eine Versetzung des/der Mitarbeiters:in – nicht vermieden werden kann.
- Zudem muss eine Abwägung der beiderseitigen Interessen ergeben, dass der Arbeitgeber diese erhebliche Beeinträchtigung billigerweise nicht mehr hinnehmen muss.
Was bedeutete dies im vorliegenden Fall?
Das Landesarbeitsgericht sah die vorgenannten Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist im vorliegenden Fall als erfüllt an.
- Im Zeitpunkt der Kündigung war die negative Prognose der Beklagten dahingehend berechtigt, dass die Klägerin ihre vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr ordnungsgemäß erbringen kann. Sie hatte im Jahr 2017 eine Therapie gemacht, wurde dann rückfällig und es kam immer wieder zu alkoholbedingten Auffälligkeiten am Arbeitsplatz, obwohl die Klägerin schon Hilfsangebote (Gespräche bei der ambulanten Suchtkrankenhilfe) angenommen hatte. Zudem war kein ernsthaftes Bemühen um einen Therapieplatz bei der Klägerin erkennbar. Die teilstationäre Behandlung, der sich die Klägerin nach Ausspruch der Kündigung unterzog, änderte an dieser negativen Prognose nichts mehr, weil es für die Rechtmäßigkeit der Kündigung grundsätzlich nur auf die Gegebenheiten im Zeitpunkt der Kündigung ankommt.
- Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts führte die Alkoholsucht der Klägerin auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten. Die Beklagte musste aufgrund der fortbestehenden Alkoholerkrankung der Klägerin davon ausgehen, dass sie die ihr anvertrauten Kinder nicht ordnungsgemäß beaufsichtigt und betreut. Die Beklagte musste aber aufgrund der ihr obliegenden Aufsichtspflicht dafür Sorge tragen, dass ihre Mitarbeiter:innen den übertragenen Aufgaben fachlich und persönlich gewachsen sind. Hiervon konnte die Beklagte bei der Klägerin jedoch nicht mehr ausgehen. Aufgrund der mit dem Alkoholkonsum einhergehenden Minderung der Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit, bestand für die der Klägerin anvertrauten Kinder eine nicht unerhebliche Gefahr und die Beklagte musste nicht abwarten, bis sich diese verwirklichte.
- Auch im Rahmen der Interessenabwägung ging das Landesarbeitsgericht davon aus, dass es der Beklagten – trotz der Betriebszughörigkeit der Klägerin von 35 Jahren und ihrem Lebensalter – nicht mehr zuzumuten war, die Klägerin bis zum Ende ihres Arbeitslebens weiter zu beschäftigen, zumal die Beklagte der Klägerin mehrfach Möglichkeiten eingeräumt hat, ihre Sucht zu behandeln.
Lediglich im Hinblick auf die Auslauffrist nahm das Landesarbeitsgericht eine Korrektur vor, weil die Beklagte die Dauer der notwendigen Auslauffrist falsch berechnet hatte. Dies war allerdings unproblematisch möglich, da die Beklagte die außerordentliche Kündigung hilfsweise zum nächstmöglichen Termin ausgesprochen hatte.
Somit endete das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der außerordentlichen Kündigung zum 31. Dezember 2020.
Fazit
Diese Entscheidung zeigt einmal mehr, dass auch ordentlich unkündbare Mitarbeiter:innen nicht unantastbar sind. Unter den oben genannten Voraussetzungen ist es durchaus möglich, gegenüber ordentlich unkündbaren Mitarbeitern:innen eine außerordentliche Kündigung auszusprechen, auch wenn der zugrundeliegende Sachverhalt grundsätzlich nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würde.