Eine stärkere Flexibilisierung von Entgeltbestandteilen
steht oben auf der Agenda der Arbeitgeber in Deutschland. Dabei wird allerdings
zu häufig nur der AGB-rechtlichen Gestaltung von Vertragsklauseln
Aufmerksamkeit gewidmet und die mitbestimmungsrechtliche Dimension von
Veränderungen an Entgeltbestandteilen vernachlässigt. Ein aktuelles Urteil des
BAG zeigt, welche Spielregeln für die AGB-Gestaltung gelten und warum
Arbeitgeber im Regelfall gut beraten sind, wenn sie ihren Betriebsrat bei der
Veränderung von Entgeltbestandteilen mitbestimmen lassen.
Seit langem ist die Möglichkeit, Entgeltbestandteile unter
einen Widerrufsvorbehalt zu stellen, in der Rechtsprechung des BAG anerkannt. Hierbei
muss der Arbeitgeber in seinen AGB-Arbeitsverträgen auf eine klare und
transparente Ausgestaltung achten. Insbesondere muss die Widerrufsklausel Widerrufsgründe
aufführen, weshalb der Widerruf möglich sein soll (wirtschaftliche Gründe,
Leistung, Verhalten) und bei wirtschaftlichen Störungen auch den Grad der
Störung konkretisieren. Eine Ankündigungsfrist mag im Einzelfall bei der
Ausübung des Widerrufs einzuräumen sein, notwendiger Bestandteil der
Vertragsgestaltung ist sie nicht. Außerdem darf der widerrufliche Anteil des jährlichen
Gesamtverdienstes die vom BAG aufgestellte Grenze von 25% bzw. 30%, wenn es
sich um leistungsunabhängige Entgeltbestandteile handelt, nicht überschreiten.
Bei der Ausübung des Widerrufs und der Einstellung einer
Zahlung muss der Arbeitgeber aber auch die mögliche Mitbestimmung des
Betriebsrats im Blick behalten.
Ein aktuelles Urteil des BAG vom 24. Januar 2017 (Az.:
1 AZR 772/14) sollte gleichermaßen Betriebsräten wie Arbeitgeber als Warnschuss
dienen, die Mitbestimmung bei Entgeltleistungen ernst zu nehmen:
Um durch den Einstieg eines Investors die drohende Insolvenz
zu vermeiden, entschied sich der nicht tarifgebundene Arbeitgeber dazu, einer
Forderung des Investors nachzukommen und das Weihnachtsgeld gegenüber einem
Teil seiner Mitarbeiter vollständig zu widerrufen. Das Weihnachtsgeld betrug
ca. 5% des aus verschiedenen Komponenten bestehenden jährlichen
Gesamtverdienstes. Der Widerruf erfolgte gegenüber der Mitarbeitergruppe, deren
im Jahr 2008 neu gefassten arbeitsvertraglichen Regelungen zum Weihnachtsgeld
eine Widerrufsklausel enthielten („Der
Arbeitgeber behält sich vor, diese Leistung im Fall der wirtschaftlichen
Notlage zu widerrufen“). Die anderen weihnachtsgeldberechtigten Mitarbeiter
ohne vertragliche Widerrufsklausel durften sich dagegen über die Auszahlung des
Weihnachtsgeldes freuen. Zu einer Vereinbarung mit dem Betriebsrat über den
Widerruf des Weihnachtsgeldes kam es allerdings nicht. Ein Mitarbeiter, dessen
Weihnachtsgeld einbehalten worden war, klagte dagegen und verlor letztlich
doch. Er hatte nämlich versäumt, zu dem mitbestimmungsrechtlichen Aspekt des
Widerrufs ausreichend vorzutragen.
Dabei entschied das BAG zunächst ohne ernsthafte Bedenken,
dass die Widerrufsklausel wirksam war
und der Widerruf in der nachgewiesenen wirtschaftlichen Notlage auch im
Einzelfall billigem Ermessen entsprach. Insbesondere habe es einer
Änderungskündigung gegenüber den anderen Mitarbeitern ohne vertragliche
Widerrufsklausel nicht bedurft.
Rechtswidrig war die Maßnahme des Arbeitgebers gleichwohl,
denn der Arbeitgeber hatte seinen Betriebsrat nicht über den Widerruf gemäß §
87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmen lassen. In der Einstellung des
Weihnachtsgeldes lag aus der Sicht des BAG eine Änderung des Lohnsystems und
insbesondere eine Änderung der Verteilungsrelation unter den Mitarbeitern.
Die Mitbestimmung bei Lohnsystemen gemäß § 87 Abs.1 Nr. 10
BetrVG bezieht sich stets nur auf den Teil der Arbeitsvergütung, der nicht
schon abschließend normativ (d.h. durch Gesetz/Tarifvertrag) festgelegt ist,
sondern darüber hinaus „freiwillig“ geleistet wird. Auch insoweit sieht das BAG
für die Mitbestimmung aber nur Raum, wenn es noch etwas zu verteilen gibt, woran
es bei der vollständigen Streichung der „freiwilligen“ Leistungen fehlt. Nun
leistet ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber in der Dogmatik des BAG aber sämtliche
Vergütungsbestandteile „freiwillig“, weil er dazu nicht normativ verpflichtet
ist. Eine vollständige Einstellung liegt nach dem BAG daher nicht vor, solange
der Arbeitgeber die Arbeitsleistung überhaupt noch irgendwie vergütet. Das BAG
stellte fest, die Gesamtvergütung lasse sich regelmäßig nicht in mehrere
voneinander unabhängige Bestandteile aufspalten, sondern bilde in der
Gesamtheit aller Bestandteile das Lohnsystem. Die Vergütungsstruktur werde
daher in der Regel geändert, wenn nur einer der Bestandteile der
Gesamtvergütung gestrichen, erhöht oder vermindert werde. Nach diesem Maßstab
habe das LAG zu Unrecht nur isoliert auf die Einstellung des widerruflichen
Weihnachtsgeldes abgestellt. Es habe außer Acht gelassen, dass sich die
bestehende Vergütungsstruktur, bestehend aus der Gesamtheit aller
Vergütungsbestandteile, durch den nur gegenüber Teilen der Mitarbeiter
erfolgten Widerruf geändert habe.
Trotz des mitbestimmungswidrigen Widerrufs des
Weihnachtsgelds blieb der klagende Arbeitnehmer am Ende dennoch der
„Gelackmeierte“. Die Verletzung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 10
BetrVG bei einer einseitigen Änderung der Vergütungsordnung führt nämlich dazu,
dass der betroffene Mitarbeiter eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt
mitbestimmten Entlohnungsgrundsätze verlangen kann. Weil es dem Kläger aber
nicht gelungen war, nachzuweisen, dass jedenfalls die damalige Vereinbarung des
Weihnachtgeldes unter Mitbestimmung des Betriebsrats erfolgt war bzw. dieser
später die Weihnachtsgeldleistungen genehmigt hatte oder aber ein Betriebsrat
damals gar nicht bestanden hatte, konnte er sich auf die nicht
nachgewiesenermaßen mitbestimmte Vereinbarung über das Weihnachtsgeld nicht
berufen.
Das BAG verwies die Sache nicht zurück an das LAG, sondern
entschied selbst. Damit verblieb dem Kläger keine Gelegenheit, nähere Angaben
dazu zu machen, dass die von ihm angeführte arbeitsvertragliche
Anspruchsgrundlage unter ordnungsgemäßer Mitbestimmung zustande gekommen war.
So kam der Arbeitgeber letztlich mit einem blauen Auge davon, gerade weil das
BAG seiner Entscheidung zugrunde legte, auch die ursprüngliche
Weihnachtsgeldvereinbarung sei mitbestimmungswidrig erfolgt. Ob diese
„Belohnung“ des mitbestimmungswidrig handelnden Arbeitgebers im Ergebnis
gerecht war, darüber lässt sich sicherlich streiten.
Liest man das Urteil im Kontext seiner Entscheidungen aus
den Jahren 2010 und 2013 fällt aber eines auf: Das BAG scheint die Möglichkeit,
einzelne Entgeltbestandteile ohne Mitbestimmung vollständig einstellen zu
können, vorsichtig einzugrenzen. Im Jahr 2010 hatte das BAG recht großzügig
formuliert, dass eine freiwillige Leistung, die ausschließlicher Gegenstand
einer separaten Betriebsvereinbarung ist, ohne Mitbestimmung vollständig
beseitigt werden könne. 2013 fügte das BAG insoweit hinzu, dass die
mitbestimmungsfreie Einstellung freiwilliger Leistungen in separaten
Betriebsvereinbarungen möglich sei, weil bei diesen regelmäßig die Vermutung
bestehe, sie regelten keinen untrennbaren Teil eines umfassenden betrieblichen
Entlohnungssystems. Die einseitige Einstellbarkeit sei also der Disposition der
Betriebsparteien zugänglich.
Das aktuelle Urteil hingegen geht davon aus, die
Vergütungsstruktur werde in der Regel mitbestimmungspflichtig geändert, wenn
nur einer von mehreren Bestandteilen eingestellt wird. Einen Hinweis auf
mögliche Ausnahmen von diesem Regelsatz erteilt das BAG nicht. Auch zitiert es
gerade nicht seine Urteile aus den Jahren 2010 und 2013. Dabei wäre hier
durchaus diskutabel gewesen, ob das mitbestimmungswidrig eingeführte und auch
nicht nachträglich vom Betriebsrat genehmigte Weihnachtsgeld aus Sicht der
Betriebsparteien überhaupt untrennbarer Bestandteil des umfassenden
betrieblichen Entlohnungssystems war.
Aufgrund der erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung der
Möglichkeit, von einem vereinbarten Widerrufsrecht für freiwillig eingeführte
Leistungen später Gebrauch machen zu können, sollte die weitere Entwicklung der
Rechtsprechung des BAG daher aufmerksam verfolgt werden. Nicht immer geht das
Gerichtsverfahren für den Arbeitgeber so glimpflich aus wie in diesem Fall.