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Ihr PWWL-Redaktionsteam

Christine Wahlig (Rechtsanwältin – Redaktionelle Leitung Blog) & Alice Tanke (Marketing Managerin)

Inside Workplace Law

Rechtsprechung im Fokus mit Dr. Eva Trost

xmas 2019

2025 hatte es in sich – 2026 verspricht nicht weniger Dynamik.
Was Arbeitgeber jetzt wissen sollten: Ein Rückblick auf wichtige Entscheidungen und ein Ausblick auf kommende Herausforderungen:

Druckkündigung? LAG Niedersachsen stellt klar: Arbeitgeber müssen sich vor ihre Mitarbeitenden stellen – Kündigung unter Belegschaftsdruck ist nur zulässig, wenn vorher alle Schutzmaßnahmen ausgeschöpft wurden.

Der EuGH stärkt die Rechte von Eltern behinderter Kinder: Arbeitgeber müssen angemessene Vorkehrungen treffen, um Diskriminierung zu vermeiden – auch wenn die Beschäftigten selbst nicht behindert sind.

BAG konkretisiert Equal Pay: Schon der Gehaltsvergleich mit einem einzelnen Kollegen des anderen Geschlechts kann eine Diskriminierungsvermutung auslösen – Arbeitgeber müssen Unterschiede objektiv rechtfertigen oder zahlen den Höchstverdienst.

Massenentlassung ohne saubere Anzeige? Der EuGH winkt nicht durch – Kündigungen bleiben bei Formfehlern unwirksam. Bitter, aber (noch) wahr. 

Kurze Laufzeit, lange Probezeit? Das BAG sagt: erlaubt – solange gut begründet. Aber beim Kündigungsschutz bleibt’s bei sechs Monaten. Punkt.

LAG Hamm: Wer eine Online-AU ohne ärztlichen Kontakt vorlegt, riskiert die fristlose Kündigung.

Keine primäre Korrekturkompetenz der Tarifvertragsparteien: BAG kippt diskriminierende Tarifregelung für befristet Beschäftigte – sofortige Gleichbehandlung, ohne Nachbesserung durch Tarifparteien 

Topaktuell zur Betriebsratswahl 2026:

  • BAG bestätigt – keine Nachfrist bei zu wenigen Kandidaten, § 9 WO greift nur bei fehlender Liste. 
  • LAG München setzt klare Grenzen für den Sonderkündigungsschutz: Vorfeld-Initiative zur Betriebsratswahl schützt nicht vor Kündigung in der Probezeit.
  • Medienwirksam, aber rechtlich keine Überraschung: Wer Beschäftigte wegen einer Betriebsratsinitiative benachteiligt, riskiert hohe Schadensersatzforderungen – inklusive Entschuldigungspflicht bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen.

1. Vergütung und Schadensersatz für einen als Servicekraft in einer Gaststätte beschäftigten Jurastudenten für mehrere Jahre

LAG München v. 16.4.2025 – 11 Sa 456/23 

Die beklagte Arbeitgeberin betrieb eine Gaststätte in München; der klagende Arbeitnehmer war dort als Kellner im Rahmen einer Aushilfstätigkeit beschäftigt. 

Im Sommer 2021 versuchte der Kläger gemeinsam mit weiteren Beschäftigten die Initiierung einer Betriebsratswahl. Nach dem Aushang der Einladung zur Wahlversammlung kam es zu erheblichen Repressalien durch die Beklagte: Zunächst entfernte deren Betriebsleiter den Kläger aus der betrieblichen WhatsApp-Gruppe, danach teilte sie den Kläger nicht mehr zu Diensten ein. Zwar bot der Kläger seine Arbeitsleistung explizit an, die Beklagte verweigerte aber zunächst die weitere Beschäftigung. Als sie den Kläger dann zu Diensten in der Küche einteilte, weigerte dieser sich, weil die Tätigkeit nicht vertragsgerecht sei. 

Im April 2022 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis schließlich fristlos und hilfsweise ordentlich. Nachdem über das Vermögen der beklagten Arbeitgeberin das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, begehrte der Kläger neben seinem Kündigungsschutzantrag u.a. auch die Zahlung von ausstehendem Lohn und Annahmeverzugslohn und Schadensersatz zur Insolvenztabelle. Als Rechtfertigung für die Kündigung führte die Beklagte u.a. die Arbeitsverweigerung und ein unentschuldigtes Fehlen des Klägers an. Zudem verwies sie auf das junge Alter des Klägers, seine Kinderlosigkeit und die Form der geringfügigen Beschäftigung, weshalb er „nicht unbedingt auf die Einkünfte angewiesen“ sei. Der Kläger warf ihr daraufhin Altersdiskriminierung vor. Das Arbeitsgericht entsprach nur dem Kündigungsschutzantrag. In der Berufung beim Landesarbeitsgericht beantragte der Kläger zusätzlich, die Beklagte zu einer schriftlichen Entschuldigung zu verurteilen.

Das LAG München gab der Berufung des Klägers weitestgehend statt.

Für die Jahre 2020 bis 2021 stehe dem Kläger ein Annahmeverzugslohn von etwa 25.000 € brutto zu. Da die Arbeitszeitgestaltung durch Einteilung in Dienstpläne erfolgte, sei ein Angebot zur Erbringung der Arbeitsleistung vonseiten des Klägers entbehrlich gewesen. 

Insgesamt stünden dem Kläger Ansprüche i.H.v. rund EUR 100.000 zu. Die fehlende Einteilung zum Dienst seit seiner Initiative zur Errichtung eines Betriebsrates stelle eine Maßregelung i.S.d. § 612a BGB sowie eine Behinderung der Betriebsratswahl dar. Der Schaden erfasse zum einen den Verdienstausfall auf Basis des jeweils geltenden Mindestlohns, zum anderen entgangene Sachbezüge und Trinkgelder. Das LAG entschied zudem, dass der Schadensersatzanspruch auch gegenüber dem Geschäftsführer unmittelbar bestehe, da dieser mit § 20 Abs. 2 BetrVG ein Schutzgesetz verletzt habe.

Darüber hinaus verpflichtete das LAG die Beklagte, sich beim Kläger schriftlich für ihre Äußerungen zu seinen persönlichen Lebensumständen im Zusammenhang mit der Kündigung zu entschuldigen.  

Der Fall mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen und hat mediale Aufmerksamkeit erregt – die arbeitsrechtliche Kernaussage ist jedoch nicht neu: Beschäftigte, die eine Betriebsratswahl vorbereiten oder initiieren, unterliegen bereits in dieser Phase dem besonderen Kündigungsschutz nach § 15 KSchG. Vor diesem Hintergrund ist und bleibt es für Arbeitgeber unerlässlich, geplante arbeitsrechtliche Maßnahmen, die in zeitlichem oder sachlichem Zusammenhang mit entsprechenden Initiativen stehen sorgfältig zu prüfen.  

Aufhorchen ließ das Urteil bei der Abgabe einer schriftlichen Entschuldigung, womit es sich der jüngsten Rechtsprechung des EuGH anschloss (Urteil vom 04.10.2024 – C-507/23), nach der eine Entschuldigung als „immaterielle Naturalrestitution“ geeignet sein kann, Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu kompensieren. 

Abgesehen davon enthält die Entscheidung des LAG sowohl rechtliche Besonderheiten als auch einzelfallbezogene Aspekte, die nur sehr eingeschränkt auf andere Konstellationen übertragbar sein dürften.  

2. Druckkündigung: Wann darf der Arbeitgeber dem Verlangen der Belegschaft auf Entlassung eines Arbeitnehmers nachgeben? 

LAG Niedersachsen v. 13.5.2025 – 10 SLa 687/24 

Mitte des Jahres hatte das LAG Niedersachsen über eine sogenannte Druckkündigung zu entscheiden. Eine Druckkündigung liegt vor, wenn Dritte unter Androhung von Nachteilen für den Arbeitgeber von diesem die Entlassung eines bestimmten Arbeitnehmers verlangen. Das Verlangen kann objektiv gerechtfertigt sein – in diesem Fall kann der Arbeitgeber berechtigt sein, eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung auszusprechen. Ist das Verlangen, den Arbeitnehmer zu kündigen, dagegen nicht objektiv gerechtfertigt, kommt eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen in Betracht. 

Die Voraussetzungen sind allerdings streng. Beim Verlangen der Belegschaft oder eines Teils der Belegschaft auf Entlassung eines Arbeitnehmers  darf der Arbeitgeber diesem nicht ohne weiteres nachgeben. Er hat sich aufgrund seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht schützend vor den betroffenen Arbeitnehmer zu stellen und alles Zumutbare zu versuchen, um die Belegschaft von ihrer Drohung abzubringen. 

Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitnehmer keinen Anlass für eine außerordentliche Kündigung gegeben. Aufgrund anhaltender Konflikte zwischen dem betroffenen Arbeitnehmer und Kollegen drohte die Belegschaft dem Arbeitgeber mit eigenen Kündigungen und verlangte die Entlassung des Mitarbeiters. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis und führte zur Begründung aus, es handele sich um eine Druckkündigung.

Das LAG entschied, dass es nicht ausreiche, vage Mediationsangebote zu machen. Vielmehr wird gefordert, dass der Arbeitgeber aktiv deeskalierend eingreift und zumindest ein ernsthaftes Mediationsangebot unterbreitet.

Nur wenn daraufhin trotzdem ein schädigendes Verhalten der übrigen Belegschaft wie z.B. Streik oder Massenkündigung in Aussicht gestellt wird und dadurch schwere wirtschaftliche Schäden für den Arbeitgeber drohen, kann die Kündigung gerechtfertigt sein. Dabei ist jedoch Voraussetzung, dass die Kündigung das einzig in Betracht kommende Mittel ist, um die Schäden abzuwenden. 

Der Arbeitgeber hat dann in einem späteren Prozess genau darzulegen, welche konkreten Bemühungen er unternommen hat, um die Belegschaft von ihrer Drohung abzubringen. 

Dies Argumentation entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Az. 2 AZR 431/15), das ebenfalls hohe Anforderungen an den wirksamen Ausspruch einer Druckkündigung stellt. An anderer Stelle stellt das BAG (Az. 2 AZR 637/15) aber auch fest, dass eine Mediation dann nicht angeboten werden muss, wenn der Arbeitgeber aufgrund ihm im Kündigungszeitpunkt bekannter Umstände davon ausgehen durfte, eine der Konfliktparteien werde sich der freiwilligen Teilnahme an einem Mediationsverfahren ohnehin verschließen. Dabei ist aufgrund der dem Arbeitgeber obliegenden Darlegungs- und Beweislast jedoch besondere Vorsicht geboten.

Bezüglich des Themenkomplexes „Druckkündigung“ sei auf einen Blogbeitrag meiner Kollegen Thomas Wahlig und Maria Reininghaus verwiesen.

3. Weniger Wahlbewerber als Betriebsratssitze bei Betriebsratswahl – Keine Nachfrist für Wahlvorschläge 

BAG v. 22.5.2025 – 7 ABR 10/24 

Die beiden beteiligten Arbeitgeberinnen, Träger eines Gemeinschaftsbetriebs mit 367 Beschäftigten, fochten die in ihrem Betrieb erfolgte Betriebsratswahl vom 15. Februar 2023 an. Der Wahlvorstand hatte die Wahl eingeleitet, nachdem die Zahl der Betriebsratsmitglieder unter die vorgeschriebene Mitgliederzahl gefallen war. Zum Ende der regulären Einreichungsfrist am 22. Dezember 2022 ging nur ein Wahlvorschlag mit sechs Bewerbern ein, obwohl laut Wahlausschreiben neun Betriebsratsmitglieder zu wählen waren. Der Wahlvorstand setzte daraufhin am 23. Dezember 2022 eine einwöchige Nachfrist, innerhalb derer jedoch keine weiteren Vorschläge eingereicht wurden. Die Wahl wurde sodann am 15. Februar 2023 durchgeführt.

Die Arbeitgeberinnen rügten u. a. die zu kurze Nachfristsetzung als wesentlichen Verstoß gegen das Wahlverfahren und beantragten, die Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären. Das Arbeitsgericht erklärte die Wahl für unwirksam. Eine dagegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrates wies das LAG zurück. Der Betriebsrat legte daraufhin Rechtsbeschwerde beim BAG ein.

Das BAG entschied, dass das Landesarbeitsgericht die Betriebsratswahl nicht allein wegen der Nachfristsetzung für unwirksam erklären durfte. Der Wahlvorstand habe mit der Setzung einer Nachfrist gegen § 6 Abs. 1 Satz 2 WO verstoßen, da die Frist zur Einreichung von Wahlvorschlägen gesetzlich festgelegt und nicht verlängerbar sei. Eine Verlängerung durch den Wahlvorstand sei daher unzulässig gewesen. Eine Nachfrist zur Ergänzung einer gültigen, aber unvollständigen Vorschlagsliste sei weder vorgesehen noch im Wege der Analogie aus § 9 WO abzuleiten. Diese Vorschrift sei ausschließlich auf Fälle anwendbar, in denen überhaupt keine gültige Vorschlagsliste eingereicht worden sei. Der Fall einer gültigen aber unvollständigen Liste sei damit nicht vergleichbar, da eine Wahl – wenn auch mit reduzierter Betriebsratsgröße – dennoch durchgeführt werden könne. Dies folgt aus dem gesetzgeberischen Leitbild, die Bildung von Betriebsräten zu fördern und zu erleichtern, so dass in betriebsratsfähigen Betrieben auch tatsächlich Betriebsräte errichtet werden können. Eine planwidrige Regelungslücke liege nicht vor, sodass auch keine analoge Anwendung in Betracht komme. Allerdings habe sich der Verfahrensfehler nicht auf das Wahlergebnis ausgewirkt. Innerhalb der gesetzten Nachfrist seien keine weiteren Wahlvorschläge eingegangen. Gewählt worden seien ausschließlich die Kandidaten der ursprünglich fristgerecht eingereichten Liste. 

Die Sache wurde zur weiteren Aufklärung und Entscheidung zurückverwiesen. 

4. Während der Probezeit kein Sonderkündigungsschutz wegen Absicht der Betriebsratserrichtung 

LAG München v. 20.8.2025 – 10 SLa 2/25 

Der Kläger war seit 07.03.2024 als Sicherheitsmitarbeiter bei der Beklagten beschäftigt. Am 13.03.2024 ließ der Kläger bei einem Notar eine „Erklärung gemäß § 15 Absatz 3b KSchG“ darüber, dass er die Errichtung eines Betriebsrats im Betrieb der Beklagten beabsichtigt, beglaubigen. Am 20.03.2024 erkundigte sich der Kläger bei der Beklagten per E-Mail nach der Existenz eines Betriebsrats und teilte mit, dass er, sollte kein Betriebsrat existieren, dessen Gründung beabsichtigt und zu einer Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstands einladen will. Gleichzeitig bat er um Übersendung eines Verzeichnisses aller Wahlberechtigten. Mit Schreiben vom 21.03.2024 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 28.03.2024, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage und berief sich insbesondere auf einen Verstoß gegen das gesetzliche Verbot der Behinderung einer Betriebsratswahl gemäß § 20 Abs. 1 BetrVG. Mit Schriftsatz vom 15.10.2024 berief er sich erstmalig auf den besonderen Kündigungsschutz für Initiatoren einer Betriebsratswahl im Sinne des § 15 Abs. 3b KSchG. 

Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage mit Hinweis auf den Sonderkündigungsschutz des Klägers gem. § 15 Abs. 3b KSchG als sogenannter „Vorfeld-Initiator“ einer Betriebsratswahl statt; die beiden in der Vorschrift genannten Voraussetzungen – Vorbereitungshandlung und notarielle Beglaubigung – lägen vor. Eine Frist, innerhalb derer sich der Arbeitnehmer auf den Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 3b KSchG berufen müsse, sei nicht vorgesehen.

Das LAG München wies die Kündigungsschutzklage ab. Zwar seien die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3b KSchG erfüllt. Der besondere Kündigungsschutz des § 15 Abs. 3b KSchG finde während der Wartezeit von § 1 Abs. 1 KSchG keine Anwendung. Vielmehr ergebe die Auslegung der Bestimmung, dass sie ausschließlich für Kündigungen im zeitlichen Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes gilt. So regele der Wortlaut des § 15 Abs. 3b KSchG ausdrücklich, die Kündigung sei nur dann unzulässig, „soweit sie aus Gründen erfolgt, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen“ und knüpfe damit an die Terminologie des § 15 Abs. 3b KSchG an, während alle anderen Absätze des § 15 KSchG ordentliche Kündigungen generell ausschließen. Abgesehen davon bringt das LAG München auch noch einen praktischen Aspekt ein: Ein „Kennenlernen“ des Arbeitnehmers in der Probezeit werde bei einem anderen Verständnis der Regelung nahezu unmöglich gemacht und ein Arbeitnehmer könne eine Kündigung während der Probezeit verhindern, ganz unabhängig davon, ob er tatsächlich beabsichtige, einen Betriebsrat zu gründen. 

Darüber hinaus sei das Recht des Klägers, sich auf den Sonderkündigungsschutz des § 15 Abs. 3b KSchG zu berufen verwirkt, da er die Beklagte nicht innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung, jedenfalls aber nicht innerhalb von drei Monaten nach Abgabe der öffentlich beglaubigten Absichtserklärung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 Abs. 3b KSchG informiert hat.

5. Online-Krankschreibung ohne Arztgespräch kann fristlose Kündigung rechtfertigen

LAG Hamm v. 5.9.2025 – 14 SLa 145/25

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hat mit Urteil vom 05.09.2025 entschieden, dass die Vorlage einer online erworbenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung „ohne Gespräch“ eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann.

Der Kläger hatte sich bei der Beklagten für einen Zeitraum von fünf Tagen als arbeitsunfähig erkrankt gemeldet. Er erwarb im Internet kostenpflichtig eine Bescheinigung über eine Arbeitsunfähigkeit. Auf der Website des Online-Anbieters wurde ein “AU-Schein ohne Gespräch” und ein “AU-Schein mit Gespräch” angeboten, wobei die Bescheinigung mit Gespräch mit höheren Kosten verbunden war.
Optisch entsprach die Bescheinigung weitestgehend dem Vordruck, der vor Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Muster 1b (1.2018) zur Vorlage beim Arbeitgeber durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung für die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in Papierform vorgesehen war. 

Der Arbeitgeber versuchte, über den elektronischen Datenaustausch mit der Krankenkasse etwaige elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen abzurufen und konnte im weiteren Verlauf feststellen, dass es sich bei der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung um eine Fälschung handelte und der Kläger keinen Arzt konsultiert hatte. Daraufhin kündigte er das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin.

Das Arbeitsgericht hat der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Der nach § 626 Abs. 1 BGB erforderliche wichtige Grund liege nicht vor. Auf die Berufung der Beklagten hat das LAG Hamm das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.

Zur Begründung führte das Landesarbeitsgerichts an, dass das Verhalten des Klägers “an sich” geeignet war, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Durch die Vorlage der Bescheinigung zum Nachweis seiner Arbeitsunfähigkeit suggerierte der Kläger der Beklagten bewusst wahrheitswidrig, es habe zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ein Kontakt mit einem Arzt stattgefunden. Dies stellte eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) dar, die aufgrund des damit verbundenen Vertrauensbruches als “an sich” wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist. Ob der Kläger tatsächlich arbeitsunfähig war oder davon ausging, tatsächlich arbeitsunfähig zu sein, war insoweit unerheblich.

Das Formular erweckte für einen unbefangenen Dritten den Eindruck, es handele sich um eine ärztliche Bescheinigung, die aufgrund eines ärztlichen Kontakts zustande gekommen sei. Auch das äußere Erscheinungsbild der Bescheinigung verstärkte die Annahme eines ärztlichen Kontakts. Dem Kläger war auch bewusst, dass kein ärztlicher Kontakt stattgefunden hatte, ein solcher Eindruck aber durch die vorgelegte Bescheinigung bei der Beklagten erweckt werden konnte Zudem wurde ihm durch die Hinweise auf der Website unmissverständlich vor Augen geführt, dass es sich um eine gegen Gebühr erworbene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung handelte, die nicht nach den allgemeinen medizinischen Grundregeln zustande gekommen war.

Der Beweiswert der Bescheinigung des Klägers war wegen der Nichteinhaltung der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie niedergelegten medizinischen Standards erschüttert. Der Beklagten war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – nicht zumutbar. Eine Abmahnung war aufgrund der Schwere des Pflichtverstoßes entbehrlich. Dem Arbeitgeber ist es damit gelungen, den Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung zu erschüttern, so dass es dem Arbeitnehmer obliegt, weiter zu substantiieren, welche gesundheitlichen Beschwerden bestanden haben und ob Vorgaben eines Arztes zu beachten sind. 

6. Verbot jeder Diskriminierung wegen einer Behinderung 

EuGH v. 11.9.2025 – C-38/24 

Die in Italien lebende Klägerin ist Mutter und Pflegeperson eines minderjährigen Kindes mit Schwerbehinderung. Sie arbeitete für eine in Italien ansässige Gesellschaft und war für die Überwachung und Kontrolle einer U-Bahn-Station zuständig. Damit verbunden war der Einsatz an unterschiedlichen Einsatzorten und Schichtarbeit. 


Die Klägerin forderte ihren Arbeitgeber wiederholt auf, sie dauerhaft an einem Arbeitsplatz mit festen Arbeitszeiten (8.30 Uhr – 15.00 Uhr) einzusetzen, der es ihr ermögliche, ihrem minderjährigen Sohn mit Schwerbehinderung die notwendige Unterstützung und Pflege zukommen zu lassen. Ihr Sohn müsse nachmittags zu festen Zeiten an einem Behandlungsprogramm teilnehmen. Der Arbeitgeber gewährte der Klägerin jeweils befristet bestimmte Anpassungen ihrer Arbeitsbedingungen, wie die Bestimmung eines festen Arbeitsorts und fester Arbeitszeiten. Einer dauerhaften Umgestaltung ihrer Arbeitszeiten stimmte der Arbeitgeber nicht zu.
Die Klage der Arbeitnehmerin gegen ihren Arbeitgeber wegen der Ablehnung dieser dauerhaften Umgestaltung ihrer Arbeitszeiten blieb in der ersten und zweiten Instanz erfolglos. Nach Erhebung einer Kassationsbeschwerde setzte der italienische Kassationsgerichtshof das Verfahren aus und legte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Fragen zur Auslegung des EU-Rechts zur Vorabentscheidung vor.

Der EuGH stellt in seiner Entscheidung fest, dass das Verbot einer Diskriminierung wegen einer Behinderung auch für Beschäftigte gilt, die nicht selbst behindert sind, aber wegen der Unterstützung und erforderlichen Pflege ihres Kindes mit Behinderung diskriminiert werden (sogenannte mittelbare Diskriminierung).

Um die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Beschäftigten und des Verbots der mittelbaren Diskriminierung zu gewährleisten, seien Arbeitgeber verpflichtet, angemessene Vorkehrungen zu treffen, damit Beschäftigte mit Kindern mit Behinderungen ihrer o.g. Fürsorgepflicht nachkommen können. Die Verkürzung der Arbeitszeit, ein anderer Arbeitsplatz und die Anpassung des Arbeitsumfeldes können eine derartige angemessene Vorkehrung darstellen.

Die Entscheidung des EuGH wird auch Einfluss auf die deutsche Rechtsprechung haben. Der EuGH stützt seine Entscheidung auf die allgemeine Gleichbehandlungsrichtlinie im Beschäftigungs- und Berufsrecht (2000/78/EG). Deren Umsetzung durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in deutsches Recht beinhaltet jedoch keine ausdrückliche gesetzliche Regelung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung von Eltern behinderter Kinder.

7. Anspruch auf Entgeltdifferenz wegen Geschlechtsdiskriminierung – Paarvergleich

BAG v. 23.10.2025 – 8 AZR 300/24

Ein neues Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts zum Equal-Pay (Urteil vom 23. Oktober 2025 – 8 AZR 300/24) erregte viel Aufsehen: Wer im Vergleich zu den Kollegen des anderen Geschlechts bei gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit weniger verdient, muss sich grundsätzlich nicht mit einem Mittelwert begnügen. Vielmehr kann man das Gehalt des konkret zu benennenden Spitzenverdieners der Vergleichsgruppe heranziehen. Ein Paarvergleich reicht für die Vermutung einer Diskriminierung aus.

Die Klägerin war in der mittleren Führungsebene der Beklagten, einer AG, beschäftigt. Sie klagte auf den Differenzbetrag zum Höchstverdienst eines männlichen Kollegen. Die Beklagte berief sich auf die mangelnde Vergleichbarkeit der Tätigkeiten. Außerdem verdiene die Klägerin auch weniger als ihre weiblichen Kolleginnen; dies zeige, dass die Gehaltsunterschiede in der Leistung begründet seien und keineswegs im Geschlecht. Das LAG Baden-Württemberg als Vorinstanz hatte entschieden, dass sich die Vermutung für eine Geschlechterdiskriminierung jedenfalls nicht aus dem Gehaltsunterschied zum männlichen Spitzenverdiener ergeben könne, sondern allenfalls aus einer Diskrepanz zwischen dem Mediangehalt der männlichen und weiblichen Kolleginnen und sprach der Klägerin die Differenz zwischen dem Medianentgelt der weiblichen und der männlichen Vergleichsgruppe zu.

Anders entschied nun das Bundesarbeitsgericht und hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf die Revision der Klägerin und die beschränkte Anschlussrevision der Beklagten teilweise auf und verwies die Sache insoweit unter Hinweis auf die folgenden rechtlichen Grundsätze zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück:

Männer und Frauen haben bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit Anspruch auf gleiches Entgelt. Klagt eine Arbeitnehmerin auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit, begründet der Umstand, dass ihr Entgelt geringer ist als das eines männlichen Kollegen, der die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtet, regelmäßig die Vermutung, dass diese Benachteiligung wegen des Geschlechts erfolgt ist. Kann der Arbeitgeber die aus einem solchen Paarvergleich folgende Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts nicht widerlegen, ist er zur Zahlung des Entgelts verpflichtet, das er dem zum Vergleich herangezogenen Kollegen gezahlt hat. Dies gibt die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vor.

Ohne eine schlüssige Rechtfertigung des Arbeitgebers besteht bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit der Anspruch auf die Höchstvergütung, wenn nur ein einziger Arbeitnehmer des anderen Geschlechts besser verdient. Kann der Arbeitgeber nicht widerlegen, dass er objektive Gründe für die geringere Vergütung hat, musss er die Vergütung des geringer verdienenden Arbeitnehmers an das Gehalt des Spitzenverdieners des anderen Geschlechts anpassen. 

Für die – vom Arbeitgeber zu widerlegende – Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts genügt es, wenn die klagende Arbeitnehmerin darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass ihr Arbeitgeber einem anderen Kollegen, der gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtet, ein höheres Entgelt zahlt. Die Größe der männlichen Vergleichsgruppe und die Höhe der Medianentgelte beider Geschlechtsgruppen ist für das Eingreifen der Vermutungswirkung ohne Bedeutung. Die Klägerin hat – unter Verweis auf die Angaben im Dashboard – in Bezug auf eine Vergleichsperson hinreichende Tatsachen vorgetragen.

8. Alles beim Alten bei der Massenentlassungsanzeige? EuGH beantwortet Vorlagefragen des Bundesarbeitsgerichts, doch Vieles bleibt ungeklärt…

EuGH vom 30.10.2025 – C134/24 und C-402/24

Mit zwei Urteilen in den Rechtssachen Tomann und Sewel hat der EuGH zentrale Fragen zur Auslegung der Massenentlassungsrichtlinie (98/59/EG; “MERL”) entschieden. Beide Verfahren entstanden auf Vorabentscheidungsersuchen des BAG.

Die Kernaussagen des EuGH aus den beiden Urteilen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Es wurde festgestellt, dass eine Kündigung, die einer Massenentlassungsanzeige bedarf, erst nach Ablauf der Entlassungssperre, das heißt 30 Tage nach Abgabe der Massenentlassungsanzeige wirksam wird. Mit anderen Worten: Die ohne entsprechende Aussage ausgesprochene Kündigung bleibt unwirksam, die Abgabe einer Massenentlassungsanzeige ist Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung.
  • Ebenso entschied der EUGH, dass im vorgenannten Fall eine spätere Anzeige die bereits ausgesprochene Kündigung nicht heilen oder nachträglich legitimieren kann. Die Anzeige muss stets vor der Kündigung erfolgen. Es kann folglich hier allenfalls eine erneute Kündigung nach der Abgabe der Anzeige ausgesprochen werden.
  • Dabei stellte der EuGH fest, dass es keinen Entscheidungsspielraum der Agentur für Arbeit gibt, um festzustellen, ob eine Massenentlassungsanzeige vollständig ist oder nicht. Selbst wenn die Behörde erklärt, die Anzeige sei vollständig (und eine entsprechende Eingangsbestätigung erteilt) kann also hierauf nicht vertraut werden. Letztlich führt dies dazu, dass bis zu einer gerichtlichen Entscheidung Unsicherheit darüber besteht, ob die Anzeige wirksam ist.
  • Dies soll auch dann gelten, wenn die Agentur für Arbeit ursprüngliche Fehler selbst beseitigt, also bspw. fehlende Informationen selbst einholt. Hier liegen dann zwar formell alle notwendigen Informationen vor – sodass dem Informationszweck genüge getan sein sollte – dem EuGH reicht dies aber nicht.
  • Der EuGH überlässt es dem nationalen Recht, welche Sanktionen im Einzelnen bei Fehlen einer Anzeige vorgesehen werden, verlangt jedoch, dass der unionsrechtliche Schutzzweck – die Wahrung der 30-Tage-Frist – effektiv umgesetzt wird. 

Mein Kollege Tom Stiebert behandelt die jüngsten Entscheidungen des EuGH und die sich daraus ergebenden Fragen in einem aktuellen Blogbeitrag.

9. Das BAG zur Probezeit im befristeten Arbeitsverhältnis: keine “starren” Regelwerte, kein vorgezogener Kündigungsschutz

BAG vom 30.10.2025 – Az 2 AZR 160/24

Die Parteien stritten über die Wirksamkeit und den Beendigungstermin einer ordentlichen Kündigung des zwischen ihnen bestehenden und auf ein Jahr befristeten Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitsvertrag sah eine viermonatige Probezeit vor, während der beide Parteien das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen kündigen konnten sowie ein ordentliches Kündigungsrecht für jede Partei nach Ablauf der Probezeit. 

Die Beklage kündigte das Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit ordentlich unter Einhaltung der Probezeitkündigungsfrist. Die Klägerin erhob hiergegen Kündigungsschutzklage und behauptete, dass die arbeitsvertraglich vereinbarte viermonatige Probezeit mit Blick auf § 15 Abs. 3 TzBfG und damit auch die der Probezeitvereinbarung zugrunde liegende Vereinbarung zur ordentlichen Kündbarkeit des Arbeitsverhältnisses insgesamt unwirksam sei, so dass die Kündigung, die im Übrigen auch nicht durch einen Kündigungsgrund gem. § 1 KSchG gerechtfertigt werden könne, insgesamt keinen Bestand habe. Aus europarechtlichen Erwägungen (Art. 8 Abs. 2 AB-RL) ergäbe sich, dass bei befristeten Arbeitsverhältnissen unter zwölf Monaten die Dauer der Wartezeit gem. § 1 Abs. 1 KSchG ebenfalls in einem angemessenen Verhältnis zur vereinbarten Gesamtlaufzeit des Arbeitsvertrages stehen müsse, und sich damit der Kündigungsschutz zu ihren Gunsten vorverlagere.

Mit seiner Entscheidung vom 30. Oktober 2025 hat das BAG klargestellt:


1. Es gibt keinen allgemeingültigen Regelwert, der die Grenze der Verhältnismäßigkeit der Länge einer vereinbarten Probezeit in einem befristeten Arbeitsverhältnis bestimmt. Es ist in jedem Einzelfall eine Abwägung unter Berücksichtigung der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit möglich und durchzuführen. Der Arbeitgeber kann – z.B. durch einen detaillierten Einarbeitungsplan – darlegen, warum er die gewählte Länge der Probezeit für angemessen erachtet.

2. Der gesetzliche Kündigungsschutz wird nicht vorverlagert. Das BAG sieht „keine rechtliche Veranlassung“ dafür, dass auch die Dauer der gesetzlichen Wartezeit von sechs Monaten (§ 1 Abs. 1 KSchG) bei für kurze Zeit befristeten Arbeitsverhältnissen angemessen verkürzt werden müsste, weil die Länge der Probezeit in einem befristeten Arbeitsverhältnis in einem angemessenen Verhältnis zur Gesamtlaufzeit des Vertrages stehen muss.

Zur weiteren Vertiefung sei auch hier auf unseren Workplace Blog und den Beitrag meines Kollegen Jacob Keyl verwiesen.

10. Keine primäre Korrekturkompetenz der Tarifvertragsparteien – Benachteiligung befristet beschäftigter Arbeitnehmer durch tarifliche Regelung. 

BAG v. 13.11.2025 – 6 AZR 131/25

Verstößt eine tarifliche Norm gegen das Diskriminierungsverbot befristet beschäftigter Arbeitnehmer nach § 4 Abs. 2 TzBfG und ist deshalb gemäß § 134 BGB (teil)nichtig, hat der benachteiligte Arbeitnehmer Anspruch darauf, so behandelt zu werden wie die vergleichbaren Dauerbeschäftigten, ohne dass den Tarifvertragsparteien zuvor die Möglichkeit zur Korrektur ihrer diskriminierenden Regelung einzuräumen ist. 

Geklagt hatte ein Zusteller, der seit Juni 2019 bei einem Logistikunternehmen arbeitet – zunächst befristet – seit Juni 2020 unbefristet. Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit nach den bei der Beklagten geltenden Haustarifverträgen. Die Höhe der Vergütung richtet sich u.a. nach der jeweiligen Entgeltgruppe sowie einer von der Beschäftigungszeit bei der Beklagten abhängigen Gruppenstufe.

Vor dem Hintergrund einer umfassenden Reorganisation bei der Beklagten ab Juli 2019 vereinbarten die Tarifvertragsparteien u.a. eine Verlängerung der Gruppenstufenlaufzeiten für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse nach dem 30.6.2019 neu begründet worden sind. Gemeint ist die Zeit, die ein Beschäftigter innerhalb einer bestimmten Entgeltgruppe und -stufe verbringen muss, bevor er in die nächsthöhere Stufe aufsteigt. 

Der Arbeitgeber vertrat die Auffassung, von dieser Neuregelung seien auch Beschäftigte erfasst, die vor diesem Stichtag befristet tätig waren. Der Mitarbeiter war der Ansicht, für ihn gelte die alte Regelung, wonach er schneller in die nächsthöhere Gruppenstufe aufsteigen könnte. Sollten von der Neuregelung auch Arbeitnehmer erfasst sein, die zuvor befristet tätig waren, so stellte sich die weitere Frage, ob in diesem Fall die dann auch für jene Arbeitnehmergruppe erfolgte Verlängerung der Stufenlaufzeiten im Einklang mit § 4 Abs. 2 TzBfG steht. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Sechsten Senat des BAG keinen Erfolg.

Das BAG entschied, dass die streitige Tarifnorm zwar auch Arbeitnehmer wie den Kläger erfasst, deren befristete Arbeitsverhältnisse nach dem 30.6.2019 erneut begründet wurden. Die Regelung verstoße jedoch gegen den Unionsrecht umsetzenden § 4 Abs. 2 TzBfG. Die von der Beklagten dargelegten Gründe für die Ungleichbehandlung rechtfertigen diese nicht und diskriminierten deshalb den Personenkreis der zuvor befristet Beschäftigten. Die Tarifbestimmung sei insoweit teilnichtig. Der Kläger habe deshalb nach § 612 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Satz 1 TzBfG ebenso wie die vergleichbaren am Stichtag unbefristet beschäftigten Arbeitnehmer Anspruch auf Beibehaltung der kürzeren Gruppenstufenlaufzeiten mit der Folge, dass er schneller in die nächsthöhere Gruppenstufe aufsteigen kann. 

Das BAG entschied, ohne den Tarifvertragsparteien zuvor Gelegenheit zur Beseitigung der Diskriminierung zu gewähren. Nach Auffassung des höchsten deutschen Arbeitsgerichts sei den Tarifvertragsparteien im Anwendungsbereich unionsrechtlich überformter Diskriminierungsverbote – anders als bei Verletzungen des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG – keine primäre Korrekturmöglichkeit einzuräumen. 

In Ansehung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Dezember 2024 – 1 BvR 1109/21 und 1 BvR 1422/23 – in der die Karlsruher Richter bei einer Anpassung durch das BAG „nach oben“ aufgrund Verstoßes einer Tarifnorm gegen Art 3 GG entschieden, dass sich das BAG damit in verfassungswidriger Weise über die primäre Korrekturkompetenz der Tarifvertragsparteien und damit über die grundgesetzlich geschützte Tarifautonomie hinweggesetzt habe, bleibt abzuwarten, ob die jüngste Entscheidung des BAG Bestand haben wird. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts stehen Änderungen der Tarifverträge primär den Tarifvertragsparteien zu, denen im Falle eines festgestellten Verstoßes gegen den Gleichheitssatz zunächst die Chance zur tarifvertraglichen Korrektur gegeben werden müsse. 

Nach Auffassung des BAG ist aber bei den europarechtlich vorgegebenen Diskriminierungsverboten eine besondere „Abschreckungsfunktion“ zu berücksichtigen. Insofern läge der Fall anders als der vom BVerfG am 11. Dezember 2024 entschiedene Fall, dem ausschließlich eine auf deutschem Recht beruhende Ungleichbehandlung zugrunde gelegen habe. 

Dr. Eva Trost

Dr. Eva Trost ist spezialisiert auf Restrukturierungen, Massenentlassungen sowie auf die Bereiche Arbeitnehmerüberlassung und Datenschutz.

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