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Im Workplace Blog schreiben wir über Themen aus der Workplace Law und HR Welt: Wir besprechen wichtige Gerichtsentscheidungen, nehmen uns Glaubenssätze vor, geben praktische Tipps und vieles mehr…
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Das Jahr 2025 hat mit einer Reihe lesenswerter und praxisrelevanter Entscheidungen begonnen:
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat erneut bekräftigt, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kein Freifahrtschein für den Arbeitnehmer ist!
Erleichterung für die Praxis: Angesichts der bisherigen Rechtsprechung zum Zugang von Willens- oder Wissenserklärungen auf elektronischem Wege sowie der bisherigen Rechtsprechung zur digitalen Entgeltabrechnung lässt das BAG bei elektronischen Entgeltabrechnungen aufhorchen: Es liegt nicht im Verantwortungsbereich des Arbeitgebers, den Zugang einer geschuldeten Abrechnung sicherzustellen.
Lesenswert: In erfreulicher und für die Praxis relevanter Klarheit setzt der erste Senat des BAG dem digitalen Zutrittsrecht von Gewerkschaften Grenzen.
Klarstellung: Das BAG hat entschieden, dass der Arbeitgeber im Rahmen einer – in der Praxis verbreiteten – variablen Vergütung aufgrund einer Zielvorgabe 100% der zugesagten variablen Vergütung als Schadensersatz zahlen muss, wenn er die Ziele verspätet vorgibt. Ein in der Praxis sehr häufiger Stolperstein, der oft zu – vermeidbaren – Gerichtsprozessen führt.
Ein Streit um das Arbeitszeugnis lohnt sich nicht! Das LAG Rheinland-Pfalz vertritt die Auffassung, der Arbeitgeber könne im Wege der Zwangsvollstreckung – konkret durch Zwangsgeld und – wenn dieses nicht beigetrieben werden kann, durch Zwangshaft – zur Erteilung eines wohlwollenden Arbeitszeugnisses angehalten werden.
Zündstoff bieten zwei brandaktuelle Entscheidungen des BAG zum Thema VESOPs mit nicht unerheblichen praktischen Auswirkungen und einer Änderung der Rechtsprechung des BAG.
Im Einzelnen:
Erschütterung des Beweiswerts einer im Nicht-EU-Ausland erstellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
BAG v. 15.1.2025 – 5 AZR 284/24
Der Beweiswert einer im Nicht-EU-Ausland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) kann erschüttert sein, wenn nach der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung des zu würdigenden Einzelfalls Umstände vorliegen, die zwar für sich betrachtet unverfänglich sein mögen, in der Gesamtschau aber ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Bescheinigung begründen. Das BAG stellte zunächst klar, dass einer AU, die außerhalb der EU ausgestellt wurde, grundsätzlich derselbe Beweiswert wie einer in Deutschland ausgestellten Bescheinigung zukommt. Dies gelte jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der ausstellende Arzt zwischen einer bloßen Erkrankung und einer solchen Krankheit unterscheidet, die eine Arbeitsunfähigkeit begründendet. Das Gericht betonte, dass Zweifel am Beweiswert einer AU gerechtfertigt sein können, wenn Umstände vorliegen, die in ihrer Gesamtschau ernsthafte Zweifel begründen; etwa eine fehlende Wiedervorstellung beim Arzt, eine Häufung von Krankschreibungen – insbesondere, wie im vorliegenden Fall, im Anschluss an einen Urlaub – oder andere im Verhalten des Arbeitnehmers begründete Umstände. Bei Erschütterung des Beweiswerts der AU geht die volle Darlegungs- und Beweislast auf den Arbeitnehmer über. Dieser musste nun konkret nachweisen, dass er im betreffenden Zeitraum krankheitsbedingt arbeitsunfähig war.
Entgeltabrechnungen als elektronisches Dokument grundsätzlich zulässig
BAG v. 28.1.2025 – 9 AZR 48/24
Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 der Gewerbeordnung (GewO) bei Zahlung des Arbeitsentgelts eine Abrechnung in Textform zu erteilen. Diese Verpflichtung kann er grundsätzlich auch dadurch erfüllen, dass er die Abrechnung als elektronisches Dokument zum Abruf in ein passwortgeschütztes digitales Mitarbeiterpostfach einstellt. Durch das Urteil hat das BAG nun deutlich gemacht, dass es nicht im Verantwortungsbereich des Arbeitgebers steht, den Zugang der geschuldeten Abrechnung sicherzustellen. Er muss lediglich das Dokument so zur Verfügung stellen, dass der Arbeitnehmer darauf Zugriff hat. Durch diese Klarstellung werden dem Arbeitgeber in der Praxis neue Wege eröffnet, seiner Verpflichtung aus § 108 Abs.1 S. 1 GewO nachzukommen. Das BAG geht einen für Arbeitgeber praxisrelevanten Schritt in Richtung Digitalisierung und Entbürokratisierung:
Der Anspruch auf Entgeltabrechnung sei eine sog. Holschuld, die der Arbeitgeber erfüllen kann, ohne für den Zugang der Abrechnung beim Arbeitnehmer verantwortlich zu sein. Es genüge daher, dass die Beklagte die Abrechnung an einer „elektronischen Ausgabestelle“ bereitgestellt habe. Die Zustimmung der Arbeitnehmer zur digitalen Abrechnung sei nicht erforderlich. Der Arbeitgeber müsse allerdings sicherstellen, dass den berechtigten Interessen der Arbeitnehmer, die privat nicht über die Möglichkeit eines Online-Zugriffs verfügen, Rechnung getragen wird.
Digitales Zugangsrecht einer Gewerkschaft zum Betrieb?
BAG v. 28.1.2025 – 1 AZR 33/24
Ein Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, der für ihn tarifzuständigen Gewerkschaft die dienstlichen E-Mail-Adressen seiner (bereits vorhandenen und neu hinzukommenden) Arbeitnehmer zum Zwecke der Mitgliederwerbung mitzuteilen. Ein solches Begehren kann auch nicht auf Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz gestützt werden. Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetztes schützt in Form der sog. Koalitionsbetätigungsfreiheit die Gewerkschaften in ihrem Bestand und Erhalt. Die Koalitionsbetätigungsfreiheit gewährt den Gewerkschaften das Recht, ihre Mitglieder und alle anderen nicht organisierten Arbeitnehmer über ihre Aufgaben, Ziele und Tätigkeiten zu informieren und neue Mitglieder anzuwerben. Die Koalitionsbetätigungsfreiheit findet ihre Grenzen in dem grundgesetzlich geschützten Eigentumsrecht des Arbeitgebers (Art. 14 GG) und in dessen Recht auf freie wirtschaftliche Betätigung im Rahmen seines eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs (Art. 12 GG). Auch müssen die Gewerkschaften die Rechte der Arbeitnehmer wie etwa deren Recht auf informationelle Selbstbestimmung und ihre negative Koalitionsfreiheit warhren.
Neben dem physischen Zugangsrecht der Gewerkschaften zum Betrieb räumte das BAG den Gewerkschaften bereits mit Urteil vom 20.01.2009 (Az. 1 AZR 515/08) ein virtuelles Zutrittsrecht ein. Gewerkschaften dürfen betriebliche E-Mail-Adressen zu Informations- und Werbezwecken nutzen. Der Arbeitgeber sei verpflichtet, die Nutzung betrieblicher E-Mail-Adressen durch die Gewerkschaften zu dulden, sofern hieraus keine Störung der betrieblichen Abläufe oder des Betriebsfriedens folgt. Diesem virtuellen Zugangsrecht setzte das BAG mit seiner Entscheidung vom 28.01.2025 nun Grenzen. Aus der Koalitionsbetätigungsfreiheit der Gewerkschaften folge kein Recht, von den Arbeitgebern aktiv bei der Verbreitung oder Stabilisierung ihrer Basis durch Anwerben neuer Mitglieder oder Verfestigung der Bindung vorhandener Mitglieder unterstützt zu werden. Der Arbeitgeber dürfe die Forderung der Gewerkschaft nach aktiver Aushändigung einer Liste mit allen betrieblichen E-Mail-Adressen daher verweigern.
Auch müsse der Arbeitgeber der Gewerkschaft keinen umfassenden Zugang zu internen Kommunikationsnetzwerken verschaffen und auch keine Verlinkung der Gewerkschaftswebsite im betrieblichen Intranet ermöglichen.
Schadensersatz bei verspäteter Zielvorgabe
BAG v. 19.2.2025 – 10 AZR 57/24
Verstößt der Arbeitgeber schuldhaft gegen seine arbeitsvertragliche Verpflichtung, dem Arbeitnehmer rechtzeitig für eine Zielperiode Ziele vorzugeben, an deren Erreichen die Zahlung einer variablen Vergütung geknüpft ist (Zielvorgabe), löst dies, wenn eine nachträgliche Zielvorgabe ihre Motivations- und Anreizfunktion nicht mehr erfüllen kann, grundsätzlich einen Anspruch des Arbeitnehmers nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB i.V.m. § 283 aus.
Das aktuelle Urteil des BAG vom 19. Februar 2025 befasst sich mit der sehr häufig anzutreffenden Situation einer verspäteten Zielvorgabe. In diesem Fall hatte der Arbeitgeber dem Mitarbeitenden trotz entsprechender Verpflichtung keine individuellen Ziele vorgegeben und die Unternehmensziele erst nach Ablauf von ¾ der Zielperiode mitgeteilt. Nach Auffassung des BAG war der Arbeitgeber hier zum Schadensersatz verpflichtet. Ein Mitverschulden hat das BAG verneint, da bei einer unterlassenen oder verspäteten Zielvorgabe kein Verschulden des Mitarbeitenden vorliege. Die Initiativlast für die Vorgabe von Zielen treffe ausschließlich den Arbeitgeber. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber überhaupt keine Ziele vorgibt. Auch dann ist er zum Schadensersatz verpflichtet.
Hierzu und zur weiteren Vertiefung der Blogbeitrag meines Kollegen Dr. Michael Witteler:
Zwangsvollstreckung: Zwangsgeld bei Nicht-Erteilung eines Arbeitszeugnisses?
LAG Rheinland-Pfalz v. 24.1.2025 – 5 Ta 1/25
Hat sich der Arbeitgeber in einem gerichtlich festgestellten Vergleich verpflichtet, dem Arbeitnehmer ein “wohlwollendes” qualifiziertes Zeugnis, mit der Leistungsbewertung “stets zu unserer vollen Zufriedenheit” und der Verhaltensbewertung “stets einwandfrei” zu erteilen, das mit einer “Dankes-, Gruß- und Wunschformel” abschließt, so sind diese Regelungen der Zwangsvollstreckung zugänglich. Dem Vollstreckungstitel mangelt es insoweit nicht an einer ausreichenden Bestimmtheit und damit an einem vollstreckungsfähigen Inhalt.
Es genügt für die ausreichende Bestimmtheit, dass der Schuldner ein “wohlwollendes” Arbeitszeugnis erteilen soll. Der Begriff ist zwar unbestimmt und als solcher vollstreckungsrechtlich ohne Bedeutung. Der Arbeitgeber hat aber ein qualifiziertes Zeugnis gem. § 109 GewO zu erteilen, das nach allgemeinen Grundsätzen auch dem Wohlwollensgebot unterliegt. Die Parteien haben vereinbart, welche Leistungs- und Führungsbeurteilung das Zeugnis enthalten soll; vom Gericht kann die Einhaltung der Vorgaben, die Verwendung der Formulierungen im Verfahren nach § 888 ZPO überprüft werden.
Probezeit darf nicht der Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses entsprechen
BAG v. 5.12.2024 – 2 AZR 275/23
Die Vereinbarung einer Probezeit, die der Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses entspricht, ist in der Regel unverhältnismäßig i.S.v. § 15 Abs. 3 TzBfG und damit unwirksam. Endet das Arbeitsverhältnis durch eine Befristung, darf eine vereinbarte Probezeit jedenfalls ohne Hinzutreten von besonderen Umständen nicht der gesamten Befristungsdauer entsprechen.
Nach § 15 Abs. 3 TzBfG muss die Probezeit im Verhältnis zur Dauer der Befristung und Art der Tätigkeit stehen. Eine Probezeit, die die gesamte Vertragslaufzeit abdeckt ist laut BAG in der Regel unverhältnismäßig und – weil die meisten Arbeitsverträge heute als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) i.S.v. § 305 Abs. 1 BGB oder zumindest als vorformulierte Vertragsbedingungen (sog. Einmalbedingungen) i.S.v. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB einzustufen sind – wegen ihrer Unverhältnismäßigkeit dann unwirksam. Ist die Probezeit danach unwirksam, fehlt es an einer vereinbarten Probezeit i.S.v. § 622 Abs. 3 BGB und es kann dann nur mit der gesetzlichen Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder Letzten eines Monats gekündigt werden (§ 622 Abs. 1 BGB).
Verfall von virtuellen Optionsrechten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
BAG v. 19.3.2025 – 10 AZR 67/24
Bestimmt eine Verfallklausel in AGB, dass zugunsten des Arbeitnehmers “gevestete” virtuelle Optionsrechte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Eigenkündigung sofort verfallen, benachteiligt diese den Arbeitnehmer unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB). Das Gleiche gilt für eine Klausel, die vorsieht, dass die “gevesteteten” virtuellen Optionsrechte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses doppelt so schnell verfallen, wie sie innerhalb der sog. “Vesting-Periode” entstanden sind.
Das Bundesarbeitsgericht entschied in Abkehr zu seiner bisherigen Rechtsprechung, dass derartige Verfallklauseln unwirksam sind und den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen. Insbesondere wurde der sofortige Verfall der „gevesteten“ virtuellen Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Eigenkündigung als unverhältnismäßig bewertet. Die virtuellen Optionen seien eine Gegenleistung für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers während der Vesting-Periode; der Arbeitnehmer habe in dieser Zeit die Arbeitsleistung erbracht, die für die Erwerbung der Optionen erforderlich war. Daher könne es nicht gerechtfertigt sein, dass bereits „gevestete“ Optionen sofort verfallen, sobald das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung endet. Vielmehr gelte der Rechtsgedanke des § 611a Abs. 2 BGB, wonach der Arbeitgeber die vereinbarte Vergütung zahlen muss. Das Gericht stellte auch klar, dass die Verfallklauseln eine unangemessene Kündigungserschwerung für den Arbeitnehmer darstellen. Zudem wurde die Klausel, die einen doppelt so schnellen Verfall der virtuellen Optionen nach Ende des Arbeitsverhältnisses vorsah als unangemessen bewertet, da der Arbeitnehmer während der Vesting-Periode bereits Arbeitsleistungen für die Optionen erbracht habe und der doppelt so schnelle Verfall in keinem angemessenen Verhältnis zur tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung stehe.
Berücksichtigung (gevesteter) Optionsrechte bei Berechnung von Karenzentschädigungen
BAG v. 27.3.2025 – 8 AZR 63/24
Am 27.3.2025 hat das BAG nun in einem weiteren Verfahren entschieden, dass in die Berechnung einer Karenzentschädigung für ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nach §§ 74 ff. HGB auch Leistungen aus einem virtuellen Aktienoptionsprogramm einfließen können. Das gelte jedoch nur, wenn die Optionsrechte im noch bestehenden Arbeitsverhältnis ausgeübt worden sind und es auch tatsächlich zu einer Zahlung gekommen ist. Ist dies nicht der Fall, ist es also erst nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses zu einer Ausübung von Optionsrechten gekommen, sind die gevesteten Optionen bei der Berechnung der Karenzentschädigung nicht zu berücksichtigen. Derartige Leistungen sind nach Ansicht des BAG keine „vertragsmäßigen Leistungen“ gemäß § 74 Abs.2 HGB. Hat der Arbeitnehmer noch keine Optionen ausgeübt, sei auch kein konkreter Wert realisiert worden. Der achte Senat sieht erst in der ausgeübten Option eine Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer im Arbeitsverältnis erbrachten Leistungen.
Nicht nur, dass sich der 8. und der 10. Senat des BAG offensichtlich nicht vollständig einig über den rechtlichen Status und die Werthaltigkeit von ungevesteten oder gevesteten Optionen sind; insbesonderen Mitarbeitern aus der Start-Up-Branche werden oft virtuelle Unternehmensanteile gewährt und nachvertragliche Wettbewerbsverbote mit ihnen vereinbart – eine Kombination, die im Einzelfall ein erhebliches Kostenrisiko für das Unternehmen darstellt!
Auch zu den beiden zuletzt dargestellten Entscheidungen gibt es einen spannenden und weiterführenden Beitrag auf unserem Workplace Blog, verfasst von meinen Kollegen Dr. Tobias Pusch und Tom Stiebert: