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Offen gestanden: Ich mag Maschinen nicht, die so tun, als ob sie Menschen wären. Und schon gar nicht möchte ich mit derlei Maschinen reden müssen. Das ist einer der Gründe, aus denen ich bislang darauf verzichtet habe, mir etwas wie Alexa und Konsorten zuzulegen. Und es ist einer der Gründe, aus denen ich Schwierigkeiten mit der Mode habe, die neuerdings bei allen möglichen Dienstleistern um sich greift: Menschen als erste Ansprechpartner durch automatisierte Telefonportale zu ersetzen.
Ich weiß, der Früher-Modus gilt als Ausweis des Uncool-Unzeitgemäßen, aber sei’s drum: Rief man früher irgendwo an, weil man nur mal eine kurze Frage hatte, ging am anderen Ende immer ein Mensch dran. Man nannte seine Kundennummer, erklärte sein Anliegen und bekam eine Antwort. War grad Stoßzeit, lief das Warteschleifenband: Die immer gleichen sechzehn Takte ausgeleierter Mozart, unterbrochen von der monotonen Ansage, die eine längst entschwundene Praktikantin mal in der Mittagspause aufgesprochen hatte. Man konnte den Hörer beiseite legen und weiterarbeiten bis jemand ranging. Oder man legte auf und versuchte es später noch mal.
Heute geht so was natürlich nicht mehr. Modernen Unternehmen
ist jeder Anruf wichtig. Moderne Unternehmen wollen aber auch Kosten für
Call-Center-Mitarbeiter einsparen. Moderne Unternehmen brauchen deshalb einen
automatisierten Telefonauftritt nach Maß.
Dafür können sie aus einer breiten Palette von
Sprachinterfaces wählen: Humanoide Stimmbausätze, gecastet mit der kühlen
Gnadenlosigkeit einer Heidi Klum. Und noch mal richtig durchgeknetet von
Leuten, die sich für mit allen Wassern gewaschene Kommunikationsprofis halten
mögen.
Damit bekommt es immer öfter zu tun, wer heute irgendwo
anruft, weil er nur mal eine kurze Frage hat.
Eine große Krankenkasse beispielweise hat sich für ein
Stimmprofil entschieden, das wahrscheinlich „Hans“ heißt. Hans kann bei der
Begrüßung die Tageszeit unterscheiden und verbreitet eine leicht schmierige
Onkelhaftigkeit, die im Ohr hochkriecht wie ein Ölteppich auf den Stränden der
Bretagne. Vor das innere Auge des Anrufers tritt ein gebräunter Endfünfziger
mit Dauerlächeln, der gern kocht und abends Tangokurse gibt.
Er versichert mir als erstes, wie unbändig er sich über
meinen Anruf freut.
Ein großes Telekomunternehmen mag es jünger. Hier wird man
von einer munteren Konserve abgeholt, die sich „Justin“ nennen mag, vielleicht
auch „Dave“. Es geht ein bisschen forscher zu als bei Onkel Hans, und die
akustische Verkörperung des Konzerns erscheint als smarter Uni-Sportler Mitte
Zwanzig. Justin klingt, als stecke er in einem zu engen Anzug und verfüge über
das brettharte Lächeln und das falsche Six-Pack eines Rettungsschwimmerdarstellers.
Er versichert mir als erstes, wie unbändig er sich über
meinen Anruf freut.
Denn natürlich muss es heute menscheln. Die Praktikantin aus
vergangenen Tagen sprach einen Satz auf Band, den man normalerweise so nicht
sagt. Sie ließ ihre Stimme flach und monoton klingen, weil sie wusste, dass sie
eine Ansage machte und sich gerade
nicht an eine bestimmte Person richtete.
Das Sprachinterface aber will eine Gesprächssituation simulieren. Es will die Illusion von Authentizität und individueller Ansprache. Deshalb müssen Sätze her, die auch aus einem „echten“ Gespräch stammen könnten. Onkel Hans z.B. sagt Sachen wie: „So! Jetzt geht es auch gleich richtig los.“ Und dabei moduliert er so viel aufgesetzte Freundlichkeit und Unternehmungslust in seine Stimme, dass man förmlich spürt, wie er einem am liebsten auch noch auf die Schulter klopfen würde.
Das Problem mit all dem aufdringlichen Aufwand, mit dem die
Maschine versucht, ihre Seelenlosigkeit zu tarnen, zeigt sich spätestens, wenn
man beim gleichen Unternehmen zum zweiten Mal anruft. Die selbe Stimmlage, die
selbe aufgesetzte Munterkeit, die selben Vierkantsteine aus dem
Gesprächsbaukasten. Es gibt, was gerne übersehen wird, eine Fallhöhe der
Verstellung: Je individueller ein Ausdruck angelegt ist und je größer das
Bemühen eines Sprechers um vorgebliche Authentizität, um so mehr fällt alles
auf die Nerven, wenn es permanent identisch wiederholt wird.
Den Leuten, die derlei Sprachportale entwickeln, fällt das
wohl nicht auf. Sie scheinen zu glauben, die Welt werde täglich neu gestartet,
und alle Anrufer, die auf ihre Schöpfungen treffen, würden diese erleben, als
sei es stets das erste Mal. Und die Leute, die über die Anschaffung solcher
Produkte entscheiden, rufen ohnehin niemals auf der eigenen Hot-Line an.
Nur ich, der nur hin und wieder mal eine kurze Frage hat, bin
mit Erinnerung geschlagen. Und stürze jedes Mal in den Murmeltiermodus, wenn sie
mir dann wieder schmierig-gemütlich (Onkel Hans) oder kumpelhaft-forsch (Bro
Justin) den immer gleichen Infoblock um die Ohren hauen: Dass sie dort
ungeheuer verantwortungsvoll mit meinen Daten umgehen! Dass ich nach Abschluss
des Gesprächs an einer kurzen Umfrage zur Kundenzufriedenheit teilnehmen kann!
Dass sie das Gespräch zu Schulungs- und Prüfungszwecken vielleicht aufzeichnen
wollen und ich doch bitte „Nein“ sagen soll, wenn ich was dagegen habe!
„So! Jetzt geht es auch gleich richtig los“, höre ich Onkel
Hans dann sagen. Was bedeutet: Um mich mit dem richtigen Ansprechpartner zu
verbinden, braucht er erstmal jede Menge Input von mir. Zum Warmwerden geht es
um meine – mindestens siebenstellige – Kunden- oder Vertragsnummer, die ich für
das Unternehmen natürlich gerade nicht bin, ohne die man mich aber leider nicht
mal als Nummer behandeln kann, geschweige denn als Mensch. Die soll ich jetzt
aufsagen – Ziffer für Ziffer bitte.
Der Höhepunkt der Fragerei ist erreicht, wenn ich
aufgefordert werde, mein Anliegen aus
einer Auswahl von zwei bis zwanzig Punkten zu spezifizieren. Die Punkte lauten
etwa: „Störung“, „Vertrag“, „Rechnung“, „Neukunde“, „Klimawandel“, „Omas
Kochrezepte“, „Weiße Mäuse“ oder „Sonstiges“.
Zu kompliziert? Keine Sorge, der Automat wird uns schon
nicht dumm sterben lassen: „Sagen Sie Störung“,
schlägt Justin munter vor, „wenn es sich um eine Störung handelt. Sagen Sie Vertrag“, möchte er helfen, „wenn es
sich um eine Vertragsangelegenheit handelt. Sagen Sie Rechnung …“
Es ist sicher mein Fehler: Aber spätestens an diesem Punkt
überkommt mich jedes Mal das unwiderstehliche Bedürfnis, entweder das Telefon
aus dem Fenster zu werfen oder diese plappernde Blechdose auszutricksen und mit
einem echten Menschen zu reden.
Nun ist es zum Glück wirklich so, dass sich die unguten Geister
bannen lassen. Eine bewährte Methode besteht darin, nur lange genug entweder zu
schweigen oder sinnlose Zahlenreihen in die Tastatur zu tippen. Bei besonders
hartnäckigen Algorithmen habe ich auch gute Erfahrungen mit der Praxis gemacht,
beharrlich das Wort „Mitarbeiter“ zu wiederholen. Oder, wenn gar nichts anderes
mehr geht, lauthals „It’s a long way to Tipperary“ zu singen …
Irgendwann gibt der Automat auf und stellt einen durch.
Und, ach, wie schön war es dann jedes Mal, mit freundlichen,
lebenden Mitarbeitern zu sprechen (sei es in Mumbai oder Magdeburg). Ich nannte
meine Kundennummer. Ich erklärte mein Anliegen. Und ich bekam eine Antwort.
„Nimm das, Big Data!“, dachte ich, und eine Weile war ich sehr
zufrieden mit mir.
Aber das Imperium lernt nicht nur, das Imperium schlägt auch
zurück. Neulich wandte ich meinen kleinen Kniff in der sogenannten Hot-Line
eines der großen Mobilfunkanbieter an. Sie halten sich dort ein Sprachinterface,
das wahrscheinlich „Megan“ heißt. Es klingt wie eine ehemalige Planet-Radio-Moderatorin
– nabelgepierct und nageldesigned -, die sich vor dem Sprechen noch rasch eine
Lage crushed-ice auf die Stimmbänder
gekippt hat.
Ich nahm zur Kenntnis, wie unbändig sich Megan über meinen
Anruf freute, überging ihre nölig-kühlen Aufforderungen, Input zu liefern, und
freute mich, heiser „Mitarbeiter, Mitarbeiter, Mitarbeiter“ leiernd, schon
darauf, gleich mit einem Menschen verbunden zu werden. Stattdessen gab es eine
kleine Pause, dann hörte ich sie schnippisch säuseln: „Es konnte keine Auswahl
erkannt werden. Rufen Sie uns wieder an, wenn Sie eine Entscheidung getroffen
haben.“
Womit mich Megan aus der Leitung warf.
Vielleicht, grübele ich jetzt immer öfter, sollte ich mir
doch Alexa zulegen. Die könnte, wenn ich dann wieder nur mal eine kurze Frage
habe, bei der Hot-Line anrufen, um mit Onkel Hans, Justin oder Megan Menschsein
zu spielen.
Während ich mir ein Glas Wein einschenke, um entweder auf
der Unternehmenswebsite nach den FAQs zu fahnden oder mein Glück mit dem hippen
Live-Chat zu versuchen.
(Auch auf die Gefahr hin, dass gerade das die Absicht war
…)