Die gesetzlichen Regelungen der Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall können für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen schwierig sein. Oft gibt es hier auf beiden Seiten Missverständnisse, wann eigentlich die Vergütung weiter zu zahlen ist, denn Krankheit ist nicht gleich Krankheit.
Grundsätzlich ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem aufgrund Krankheit arbeitsunfähigen Arbeitnehmer die Vergütung für sechs Wochen fortzuzahlen. Dabei gilt – anders als mancher Arbeitgeber meint – dieser Zeitraum pro Erkrankung. Genauer gesagt, besteht der sechswöchige Anspruch dann, wenn der Mitarbeiter mindestens seit sechs Monaten nicht mehr wegen derselben Erkrankung arbeitsunfähig war oder wenn seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit wegen dieser Erkrankung zwölf Monate vergangen sind.
Für den Arbeitgeber stellt sich an dieser Stelle schon das erste Problem, denn die Diagnose liegt ihm nicht vor, sondern nur ein Kreuzchen des Arztes, ob es sich um eine Erst- oder eine Folgebescheinigung handelt. Ersteres bedeutet, dass es eine andere Erkrankung als die vorherige war.
Hier kommt wiederum ein landläufiges Missverständnis von Arbeitnehmern ins Spiel, dem das BAG in einer Entscheidung vom 11. Dezember 2019 (5 AZR 505/18) erneut eine Absage erteilt hat. Erstbescheinigung heißt nämlich nicht automatisch, dass ein neuer Sechs-Wochen-Zeitraum startet und man mithin einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat.
Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls
Nach der Rechtsprechung des BAG setzt ein solcher Entgeltfortzahlungsanspruch voraus, dass die erste Arbeitsunfähigkeit bereits beendet war, als die zweite Erkrankung auftrat. Nach dem von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz der sogenannten Einheit des Verhinderungsfalls führen sich zeitlich überschneidende Erkrankungen dazu, dass der Entgeltfortzahlungszeitraum nicht mit der Erstbescheinigung für die zweite Erkrankung wieder neu startet.
Beweislast liegt beim Arbeitnehmer
Mit seiner Entscheidung vom 11. Dezember 2019 hat das BAG seine ständige Rechtsprechung fortgesetzt, wonach der Arbeitnehmer darzulegen und im Streitfall zu beweisen hat, dass die neue Erkrankung erst nach dem Ende der vorangegangenen Arbeitsunfähigkeit begonnen hat. Der Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls betrifft keine vom Arbeitgeber einzuwendende Ausnahme, sondern eine der Grundvoraussetzungen des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Meldet sich der Arbeitnehmer in unmittelbarem Anschluss an einen ausgeschöpften Sechs-Wochen-Zeitraum erneut mit einer Erstbescheinigung arbeitsunfähig krank und bestreitet der Arbeitgeber mit der Berufung auf den Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls, dass Arbeitsunfähigkeit in Folge der „neuen“ Krankheit erst jetzt eingetreten ist, liegt die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen auf Entgeltfortzahlung – nach allgemeinen Grundsätzen – beim Arbeitnehmer. Ebenso wie er für die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit als solcher beweispflichtig ist, trifft ihn auch für deren Beginn und Ende die objektive Beweislast.
Hierzu kann er sich zunächst auf die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stützen. Bringt der Arbeitgeber aber gewichtige Indizien dafür vor, dass die Arbeitsunfähigkeit auf einer Krankheit beruht, die bereits vor dem ärztlich attestierten Beginn der Arbeitsunfähigkeit bestanden hat, und zu einer Krankheit, wegen derer der Arbeitnehmer bereits durchgehend sechs Wochen arbeitsunfähig war, hinzugetreten ist, muss der Arbeitnehmer den von ihm behaupteten Beginn der „neuen“ krankheitsbedingten Verhinderung oder aber das Ende der „alten“ Arbeitsunfähigkeit beweisen. Dafür steht ihm die Entbindung seines Arztes von der Schweigepflicht zur Verfügung.
Entscheidung aus Dezember 2019
Im vom BAG im Dezember 2019 entschiedenen Fall ist dies der Klägerin nicht gelungen: Sie konnte nicht beweisen, dass die zunächst bestehende psychische Erkrankung zum Zeitpunkt eines späteren gynäkologischen Eingriffs beendet war. Vielmehr ergab die Beweisaufnahme, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der neuen Erkrankung bereits auf einen Platz für eine Psychotherapie wartete und darüber hinaus auch die für die psychische Erkrankung verschriebenen Medikamente weiterhin verordnet wurden.
Konsequenzen für die Praxis
Arbeitgeber sollten vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung auch Erstbescheinigungen auf den Prüfstand stellen. Alleine die Tatsache, dass dem Arbeitnehmer eine neue Erkrankung bescheinigt wird, heißt nicht zwingend, dass eine Entgeltfortzahlungspflicht besteht. Insbesondere wenn die ursprüngliche Arbeitsunfähigkeit auf einer üblicherweise chronischen Erkrankung beruhte, kann eine Ablehnung der Entgeltfortzahlung aufgrund der Beweislastverteilung möglicherweise erfolgreich sein. Zu beachten ist allerdings – wie so oft beim Thema Arbeitsunfähigkeit – dass dies letztlich eine Black Box ist, denn finale Klarheit über Beginn und Ende der jeweiligen Krankheiten wird in der Regel erst eine etwaige Zeugenvernehmung der behandelnden Ärzte bringen.