Die Flexibilisierung der Arbeitszeit ist nicht nur für die Zeit der Schul- und Kitaschließungen sowie Ausgangsbeschränkungen relevant. Vielmehr wird diese auch dann Bedeutung erlangen, wenn Beschränkungen nach und nach aufgehoben oder eventuell zu einem späteren Zeitpunkt erneut eingeführt werden. Hier gilt es so früh wie möglich flexible Arbeitszeitmodelle einzuführen oder ggf. anzupassen, um diese bei Bedarf nutzen zu können.
Mögliche Flexibilisierungsinstrumente
Durch flexible Arbeitszeitmodelle kann kurzfristig auf Schwankungen der Arbeitsauslastung reagiert werden. In Zeiten einer Pandemie sind insbesondere Gleitzeit und Arbeitszeitkonten, eine Ausweitung der erlaubten Zeitguthaben und Zeitsalden sowie eine Veränderung der Anzahl der Arbeitstage von Bedeutung. Zur Nutzung von mehr Flexibilität in bestehenden Arbeitszeitmodellen kann zudem über den Abbau von Zeitguthaben oder – im Falle einer hohen Auslastung – über Mehrarbeit nachgedacht werden.
Denkbar ist ferner die Einführung eines Schichtmodells, auch für Berufsgruppen, die typischerweise nicht im Schichtdienst arbeiten (z.B. die Buchhaltung). Dadurch wird die aus Arbeitgebersicht erforderliche Erreichbarkeit der Abteilung sichergestellt. Darüber hinaus führt ein Schichtsystem bei administrativen Tätigkeiten dazu, dass bei der Arbeit in zwei Schichten nur maximal 50% der Arbeitnehmer einer Abteilung jeweils im Betrieb anwesend sind. So kann in Zeiten einer Pandemie das Ansteckungsrisiko mangels Kontakt untereinander reduziert und für Betriebskontinuität gesorgt werden.
Flexibilität kann ferner durch eine Vereinbarung von Arbeit auf Abruf erreicht werden.
Im Überblick: Wesentliche rechtliche Rahmenbedingungen
Auch in Zeiten einer Pandemie gelten jedoch weiterhin rechtliche Vorgaben. Die wesentlichen Regelungen sind nachfolgend zusammengefasst:
Mitbestimmung des Betriebsrates
Besteht ein Betriebsrat, hat dieser insbesondere mitzubestimmen über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage. Darüber hinaus unterliegt vor allem auch die Anordnung von Mehrarbeit dem Mitbestimmungsrecht. Flexible Arbeitsmodelle sind somit von der Mitbestimmung umfasst – bevor diese eingeführt oder geändert werden, ist der Betriebsrat zu beteiligen.
Individualvereinbarung
In einem Betrieb ohne Betriebsrat kann der Arbeitgeber die Lage und Verteilung der Arbeitszeit nach billigem Ermessen im Rahmen der Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes einseitig festlegen, wenn es keine entgegenstehende Vereinbarung (z.B. im Arbeitsvertrag) gibt. Dies ist im Einzelfall zu prüfen.
Abbau von Arbeitszeitguthaben
Geht die Arbeitsauslastung zurück, stellt sich die Frage, ob ein etwaig bestehendes Arbeitszeitguthaben abgebaut werden kann:
Gibt es eine Betriebsvereinbarung zu Arbeitszeitkonten, ist diese die Grundlage für den Abbau eines Zeitguthabens. In Betrieben ohne Betriebsrat richtet sich der Abbau eines Arbeitszeitkontos in erster Linie nach der Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Gibt es zum Abbau des Zeitguthabens jedoch keine vertragliche Regelung, ist der Arbeitgeber berechtigt, die Arbeitszeit nach billigem Ermessen festzulegen und einseitig den Abbau des Überstundenkontos anzuordnen.
Anordnung von Mehrarbeit zur kurzfristigen Überbrückung des Arbeitskräftebedarfs
Führt die Pandemie in einem Betrieb hingegen nicht zu einem geringeren Arbeitsanfall, sondern zu einem erhöhten Arbeitskräftebedarf, kommt Mehrarbeit in Betracht. Dies setzt jedoch eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zu zusätzlicher Arbeit nach Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Individualvertrag voraus. Anderenfalls kann der Arbeitgeber grundsätzlich keine Mehrarbeit verlangen. Eine Ausnahme ist nur möglich, wenn sich der Arbeitgeber in einer Notlage befindet.
Arbeit auf Abruf
Um Fallstricke bei der Arbeit auf Abruf zu vermeiden, sollten Arbeitgeber vor allem die relevanten Grenzen beachten: Ist eine Mindestarbeitszeit vereinbart, darf der Arbeitgeber nur bis zu 25 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit zusätzlich abrufen. Ist hingegen eine Höchstarbeitszeit vereinbart, darf der Arbeitgeber nur bis zu 20 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit weniger abrufen.
Arbeitszeitgesetz
In Betrieben mit und ohne Betriebsrat sind bei jedem Arbeitszeitmodell die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes zu beachten und Abweichungen nur in Ausnahmefällen möglich. Insbesondere folgende Möglichkeiten können Arbeitgebern und Arbeitnehmern mehr Flexibilität geben:
Während grundsätzlich eine Ruhezeit von 11 Stunden gilt, bieten die für einige Branchen bestehenden Tarifverträge die Möglichkeit, die Ruhezeit durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung unter bestimmten Voraussetzungen um bis zu 2 Stunden zu kürzen (z.B. Tarifvertrag Mobiles Arbeiten für die private Versicherungswirtschaft vom 27.5.2019, Tarifvertrag Mobiles Arbeiten für die bayerische Metall- und Elektroindustrie vom 8.2.2018). Um die Ruhezeit wirksam verkürzen zu können, sollten Arbeitgeber prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein für sie ggf. geltender Tarifvertrag eine entsprechende Öffnungsklausel enthält. Erforderlich ist dann der Abschluss einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung nach den Vorgaben der tarifvertraglichen Regelungen.
Ferner kommt eine Abweichung insbesondere von Höchstarbeitszeiten, Ruhepausen und Ruhezeit sowie den Vorgaben für Sonn- und Feiertagsbeschäftigung in Betracht, wenn ein Notfall oder ein außergewöhnlicher Fall vorliegen. Zwar kann eine Pandemie, beispielsweise aufgrund des Coronavirus, als Notfall gelten. Zu beachten ist jedoch, dass Arbeitnehmer auch in Notfällen und außergewöhnlichen Fällen nur mit vorübergehenden Arbeiten beschäftigt werden dürfen. Zudem müssen diese Arbeiten auf das zur Beseitigung des Notfalls oder des außergewöhnlichen Falls erforderliche Maß beschränkt werden. Insoweit ist daher immer eine Einzelfallprüfung erforderlich.
Über die gesetzlich geregelten Ausnahmen hinaus haben Mitte März 2020 viele Regierungspräsidien in verschiedenen Bundesländern durch befristete Allgemeinverfügung weitere Ausnahmen von den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes zugelassen (insbesondere zur Produktion von existentiellen Gütern und für Dienstleistungen). Die Einzelheiten ergeben sich aus der Allgemeinverfügung, die von der Aufsichtsbehörde erlassen wurde, in deren Bezirk der Arbeitgeber seinen Sitz hat.
Fazit
Welche Instrumente zur Arbeitszeitgestaltung am besten geeignet sind, richtet sich nach Branche, Größe des Unternehmens, Aufgabenbereich der Arbeitnehmer und Einsatzort. Die bestehenden Regelungen in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträgen sollten geprüft und, wenn erforderlich, die geltenden Regelungen zur Arbeitszeit im Betrieb ggf. angepasst werden, um eine möglichst große Flexibilität für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erreichen.