Werden
in Matrix-Strukturen Weisungsbefugnisse erteilt, die über Betriebs- und
Unternehmensgrenzen hinweg reichen, wirft dies auch
betriebsverfassungsrechtliche Fragen auf: Löst dies auch Beteiligungsrechte
aus? Wessen Beteiligungsrechte sind das? Welchen Einfluss haben solche
Strukturen auf Wahlberechtigung, Wählbarkeit und das Erreichen von
Schwellenwerten?
Zu
einigen dieser Fragen hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinen Entscheidungen
vom 12. Juni 2019 (Az. 1 ABR 5/18) und 22. Oktober 2019 (Az. 1 ABR 13/18) nun erstmals
ausdrücklich Stellung genommen. Zuvor gab es nur Rechtsprechung verschiedener
Instanzgerichte.
Beförderung zu
Führungskraft in Matrix-Struktur
Der
Entscheidung des BAG aus Juni 2019 lag die Beförderung eines Mitarbeiters innerhalb
einer solchen Matrix-Struktur zugrunde.
Der
Arbeitgeber – ein Telekommunikationsunternehmen – verfügte neben seinem Betrieb
„Zentrale“ am Firmensitz über einen Betrieb in der „Region West“. Für beide im
Inland gelegenen Betriebe war jeweils ein Betriebsrat gebildet.
Als
der Arbeitgeber einen Mitarbeiter der Zentrale zum Bereichsleiter beförderte,
wurde dieser auch zum Vorgesetzten eines Abteilungsleiters, der seinerseits im
Betrieb der „Region West“ arbeitete und dort 35 Mitarbeiter führte. Der Vorgesetzte
sollte weiter von der Zentrale aus arbeiten, das Weisungsrecht über den
Abteilungsleiter ausüben und nur gelegentlich den Betrieb in der „Region West“
besuchen. Der Abteilungsleiter sollte an den Vorgesetzten berichten.
Der
Betriebsrat „Zentrale“ stimmte der Beförderung zu. Der Betriebsrat „Region
West“ verweigerte jedoch die vorsorglich beantragte Zustimmung.
BAG: Beförderung führte
zu Einstellung
Auf
den Antrag des Arbeitgebers hin ersetzte das BAG die Zustimmung zwar, weil
letztlich kein Grund für eine Zustimmungsverweigerung vorlag. Es gab dem
Betriebsrat „Region West“ aber insoweit Recht, als die Übertragung der
Führungsaufgaben auf den Vorgesetzten zu einer Einstellung im Betrieb der
„Region West“ nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG geführt habe.
Für
die Einstellung komme es auf eine Eingliederung in den Einsatzbetrieb an, um
zusammen mit den dort schon beschäftigten Arbeitnehmern dessen
arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen.
Dies
erfordere nicht, dass der Arbeitnehmer seine Arbeiten auf dem Gelände oder in
den Räumen dieses Betriebs verrichte. Als Vorgesetzter des Abteilungsleiters
sei der Vorgesetzte außerdem in die Arbeitsprozesse der Abteilung eingebunden
und er verwirkliche durch die Wahrnehmung der Führungsaufgaben den
arbeitstechnischen Zweck des Betriebs. Unerheblich sei dabei, wie häufig die
zur Verwirklichung des Betriebszwecks durchgeführten Aufgaben erfolgen oder
wieviel Zeit sie in Anspruch nehmen – qualitative oder quantitative Vorgaben
für eine Eingliederung stellt das Gesetz nämlich nicht auf. Eine gleichzeitige
Eingliederung und damit Einstellung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn in
mehrere Betriebe (hier in die Zentrale und den Betrieb der „Region West“) sei daher
nicht ausgeschlossen.
Aber: Zumindest
teilweise Personalhoheit erforderlich
Für Matrix-Strukturen traf das BAG unter Bezugnahme auf eine Entscheidung aus dem Jahr 2005 jedoch eine wesentliche Unterscheidung danach, ob es sich bei dem Vorgesetzten um einen Angestellten des Arbeitgebers oder den eines anderen Unternehmens handelt. Bei einem unternehmensfremden Vorgesetzten (Drittpersonal) führe allein die Bestellung zum Vorgesetzten nicht zur Eingliederung. Dann fehle es nämlich an dem für die Eingliederung erforderlichen Arbeitgeberweisungsrecht des einsetzenden Unternehmens gegenüber dem Matrix-Vorgesetzten, das bei einer rein unternehmensinternen betriebsübergreifenden Vorgesetztenfunktion stets bestehe. Wichtig ist dies für konzernübergreifende Matrix-Strukturen. Dort muss zur Bestellung als Vorgesetzter demnach auch eine Delegation des Weisungsrechts hinsichtlich Ort und Zeit der Arbeitsleistung gegenüber dem eingesetzten Arbeitnehmer vom Vertragsarbeitgeber auf den einsetzenden Unternehmer und Inhaber des Betriebs hinzukommen.
Erste Festigung der
Rechtsprechung
In
seinem Beschluss vom Oktober 2019 hat das BAG seine Rechtsprechung zur
betriebsübergreifenden Eingliederung von Vorgesetzten bereits bestätigt und
anhand weiterer tatsächlicher Merkmale verfestigt. Wie schon das Urteil vom
Juni betraf der Beschluss die Übertragung von Personalverantwortung auf einen
Vorgesetzten, der diese Funktion im Wesentlichen von einem anderen Betrieb aus
wahrnahm. Das BAG entschied unter Verweis auf sein vorheriges Urteil, dass es
bei einem unternehmensinternen Sachverhalt nicht darauf ankomme, ob der
Einzugliedernde an Weisungen einer in dem Betrieb tätigen Führungskraft
gebunden sei. Außerdem komme es auch nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer seine
Arbeiten zu bestimmten Zeiten im Betrieb verrichten müsse oder dort über ein
eigenes Büro verfüge.
Folgen für die Praxis
Die neue BAG-Rechtsprechung hat weitreichende Auswirkungen für Arbeitgeber, die auf Matrix-Strukturen oder aber auch Filialstrukturen setzen. Schon eine Änderung der Berichtslinien wirft nämlich die Fragen auf,
- ob
darin eine Versetzung für die Führungskraft liegt (sodass ggf. der „eigene“
Betriebsrat angehört werden muss) und
- ob
darin eine Einstellung der Führungskraft in den Betrieben liegt, in denen
nachgeordnete Mitarbeiter beschäftigt sind (sodass ggf. der Betriebsrat all
dieser Betriebe angehört werden muss).
Darüber
hinaus kann es sich im Einsatzbetrieb und aus Sicht des unterstellten
Mitarbeiters auch um eine Versetzung handeln, wenn er einen neuen Vorgesetzten
bekommt und dieser mit maßgeblichen Personalbefugnissen wie der Kompetenz zur
Ausübung von Disziplinaraufgaben oder zur Leistungsbeurteilung ausgestattet
wird. Auch aus diesem Grund kann daher der Betriebsrat des Einsatzbetriebs
anzuhören sein.
Bei
unternehmensinternen Maßnahmen mit Bezug zu Matrix- oder Filialstrukturen gibt
es also viele Anknüpfungspunkte, die eine Betriebsratsanhörung auslösen können.
Über diesen immensen Prüfungs- und Umsetzungsaufwand einer potentiell multiplen Betriebszugehörigkeit hinaus bleiben erhebliche Rechtsunsicherheiten bestehen, denn zahlreiche Fragen sind in diesem Zusammenhang bislang ungeklärt. So hat das BAG im Juni ausdrücklich offen gelassen, ob die Eingliederung auch dazu führt, dass der Arbeitnehmer im Einsatzbetrieb wahlberechtigt oder wählbar ist und ob er bei der Bemessung von den inzwischen zahlreichen, diversen Schwellenwerten mitzuzählen ist. Ungeklärt ist letztlich auch, welche ggf. kumulativen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte in personellen, sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten gelten, was im Falle kollidierender Betriebsvereinbarungen passiert, etc. Müssen bei einer Kündigung eines Managers zukünftig gar verschiedene Betriebsräte angehört werden oder besteht hier plötzlich eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates? All diese Fragen sind ungeklärt und führen zu erheblichen Risiken für Arbeitgeber.