1. Ausgangslage
Weder Arbeitgeber noch
Arbeitnehmer wollen bis zum Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfristen bangen
müssen, bevor sie endgültig wissen, dass keine Forderungen mehr geltend gemacht
werden. Um diesen Zeitraum zu verkürzen, sind (tarif-)vertragliche
Ausschlussfristen daher seit Jahrzehnten „best practice“. Für
arbeitsvertragliche Ausschlussfristen wurde nach der Reform des AGB-Rechts im
Jahr 2002 rasch geklärt, dass mindestens 3 Monate für die (außer-)gerichtliche
Geltendmachung einzuhalten sind und die Klausel sichtbar und zutreffend im
Vertrag platziert sein muss. Seit Oktober 2016 steht fest, dass in neuen
Arbeitsverträgen für die außergerichtliche Geltendmachung durch den
Arbeitnehmer nicht mehr die Schriftform, sondern nur noch die Textform verlangt
werden kann (vgl. § 309 Nr. 13b BGB). Soweit ist und bleibt die Ausgangslage
klar.
2. Mögliche Unwirksamkeitsgründe für Ausschlussfristen
Bis zuletzt streitig war allerdings,
inwieweit Ausschlussfristen unwirksam sind, wenn sie Ansprüche nicht
ausdrücklich ausnehmen, die aus rechtlichen Gründen nicht ausgeschlossen werden
dürfen (z.B. Vorsatzhaftung). Bislang war das BAG hier auch bei
arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen immer recht großzügig zugunsten der
Arbeitgeber. Es nahm in ständiger Rechtsprechung an, dass die
Arbeitsvertragsparteien mit einer Ausschlussfrist regelmäßig nur die für
regelungsbedürftig gehaltenen Fälle erfassen wollen und Fälle, die durch
zwingende gesetzliche Verbote oder Gebote geregelt sind, regelmäßig gerade
nicht erfasst werden sollen. So „rettete“ das BAG bislang viele
Ausschlussfristen, die keinerlei Ausnahmen enthielten.
3. Entwicklungen in der neuere Rechtsprechung
3.1 LAG Nürnberg vom 9. Mai 2017– 7 Sa 560/16
Nach einer neueren Entscheidung
des LAG Nürnberg stellen sich folgende Fragen: Ist eine Ausschlussfrist, die
vor Inkrafttreten des MiLoG abgeschlossen wurde, wegen Verstoßes gegen die Unabdingbarkeitsregelung
des § 3 S. 1 MiLoG unwirksam?
In dem Fall des LAG Nürnberg (LAG
Nürnberg vom 9. Mai 2017 – 7 Sa 560/16) enthielt die vertragliche
Ausschlussfrist keinerlei inhaltliche Ausnahmen vom Anwendungsbereich. Streitig
waren Ansprüche auf Überstundenvergütung und Urlaubsabgeltung, die erst nach
Ablauf der zweistufigen, jeweils 3-monatigen Ausschlussfrist klageweise geltend
gemacht worden waren. Zuvor war allerdings nach rechtzeitiger
außergerichtlicher Geltendmachung für einige Zeit mit dem Willen zur Einigung verhandelt
worden, bevor diese dann scheiterte.
Das LAG Nürnberg hielt die vertragliche
Ausschlussfrist jedenfalls für die in Rede stehenden Ansprüche für wirksam. Es betonte zwar, dass die Ausschlussfrist
nicht zwischen dem wegen § 3 S. 1 MiLoG unbeschränkbaren Mindestlohnanspruch
und sonstigen Ansprüchen unterscheide. Gleichwohl sei die Klausel deshalb nicht
insgesamt gemäß §3 S. 1 MiLoG i.V.m. § 134 BGB unwirksam, sondern nur soweit
sie Ansprüche auf Mindestlohn erfasse. Das LAG leitete dieses Ergebnis aus dem Ziel
des Gesetzgebers ab, Arbeitnehmer vor unangemessen niedrigen Löhnen zu schützen
und hierfür § 3 MiLoG als Sicherungsinstrument bereitzustellen. Generell unterbunden
habe der Gesetzgeber (arbeitsvertragliche) Ausschlussklauseln aber nicht, was der
in § 3 S. 1 MiLoG gewählte Begriff „insoweit“ zeige. Eine Auslegung, die zu
einer darüber hinausgehenden Wirkung auf die Ausschlussfrist insgesamt komme,
verstoße gegen das Prinzip der Gewaltenteilung.
Auch in AGB-rechtlicher Hinsicht sei
die Ausschlussfrist wirksam. Das AGB-rechtliche Transparenzgebot des § 307
Absatz 1 Satz 2 BGB sei in diesem Fall nicht verletzt. Dieses verletze eine
Ausschlussfrist nur, wenn sie vermeidbare Unklarheiten enthalte und Spielräume
eröffne. Eine Klausel, deren Wortlaut ein gesetzliches Verbot nicht wiedergebe,
sei nicht intransparent, sondern allenfalls insoweit unwirksam. Gesetzliche
Verbote entfalteten ersichtlich für jedermann Geltung und seien insbesondere
auch Arbeitnehmern zugänglich. Damit entschied das LAG zugunsten des
Arbeitgebers.
3.2 BAG vom 20. Juni 2018– 5 AZR 262/17
Das mit Spannung erwartete Revisions-Urteil
des 5. Senats des BAG vom 20. Juni 2018 brachte dann aber überraschend
keinerlei Aufklärung zu den in der Praxis wohl wichtigsten Fragestellungen.
Wegen der Vergleichsverhandlungen, die die Parteien nach der außergerichtlichen
Geltendmachung geführt hatten, kam das BAG zu dem Ergebnis, dass der Kläger die
dreimonatige Ausschlussfrist zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche
gewahrt hatte. Die Frist sei nämlich für die Dauer der Vergleichsverhandlungen
entsprechend § 203 Satz 1 BGB gehemmt gewesen. Das BAG stellte daher selbst
fest, dass es deshalb nicht darüber entscheiden musste, ob die Ausschlussklausel
insgesamt unwirksam ist, weil sie den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn
nicht ausdrücklich aus ihrem Anwendungsbereich ausnimmt (BAG vom 20. Juni 2018
– 5 AZR 262/17).
3.3 LAG vom 20. Februar 2018 – 4 Sa 69/17
Genauso ungeklärt ist die
Wirksamkeit einer Ausschlussklausel, wenn diese zu einem Zeitpunkt nach
(Kenntnis von dem) Inkrafttreten des MiLoG vereinbart wurde. Diese Gestaltung
lag jüngst dem LAG Hamburg vor, das in diesem Fall zur Unwirksamkeit der
Ausschlussfrist insgesamt kam (LAG Hamburg vom 20. Februar 2018 – 4 Sa 69/17).
Hier sei jedenfalls das AGB-rechtliche Transparenzgebot des § 307 Absatz 1
Satz 2 BGB verletzt, wenn die Klausel nicht den Anspruch auf den Mindestlohn
ausdrücklich ausnehme, weil solche Ausschlussklauseln die Rechtslage nach
Inkrafttreten des MiLoG nicht mehr zutreffend abbildeten. Die Revision ließ das
LAG Hamburg gleichwohl mit knapper Begründung nicht zu, weil es – wohl zu
Unrecht – die Angelegenheit in der höchstrichterlichen Rechtsprechung für
abschließend geklärt hielt. Allerdings lässt sich diese Auffassung des
Arbeitsgerichts Hamburg weder mit Blick auf das BAG-Urteil zum Mindestlohn nach
der PflegeArbbV (BAG vom 24.08.2016 – 5 AZR 703/15) stützen noch auf ein Urteil
des BAG, das Ansprüche betraf, die bereits vor Inkrafttreten des MiLoG fällig
geworden waren (BAG vom 17.10.2017 – 9 AZR 80/17).
3.4 BAG vom 20. Juni 2018 –und Hessisches LAG vom 4. Mai 2017 – 19 Sa 1172/16
In einer zweiten Entscheidung des
5. Senats vom 20. Juni 2018 hat das BAG
darüber entschieden, inwieweit § 3 S. 1 MiLoG die Wirkung
tarifvertraglicher Ausschlussfristen
begrenze. In dem Fall hatte der Kläger seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung
nicht innerhalb der 2-monatigen Ausschlussfrist des für allgemeinverbindlich
erklärten Tarifvertrages geltend gemacht. Diese sah keine Ausnahme für den
Mindestlohn vor. Das Hessische LAG hatte zuvor die erstinstanzliche Entscheidung
bestätigt, wonach die Klage (nur) im Umfang des Mindestlohns Erfolg hatte (Hessisches
LAG vom 4. Mai 2017 – 19 Sa 1172/16). Das LAG stellte fest, dass – anders als
etwa § 9 S. 3 AentG – das MiLoG keine abweichenden tariflichen
(Ausschlussfristen)Regelungen, ggf. mit weiteren Einschränkungen, zulasse. Auch
nach dem Sinn und Zweck des MiLoG – effektive Sicherung des Mindestlohns – könne
eine tarifliche Ausschlussfrist den Mindestlohn nicht erfassen. Jedenfalls in
diesem Umfang musste der Kläger daher Erfolg haben.
Das BAG hat dies in der
Entscheidung vom 20. Juni 2018 bestätigt (5 AZR 377/17). Zentral stellt
das BAG fest, dass § 3 S. 1 MiLoG für tarifvertragliche
Ausschlussfristen ebenso wie für vertragliche
verhindere, dass Mindestlohnansprüche verfallen. Allerdings ging das BAG noch
einen Schritt weiter. Auch der hier streitige Entgeltfortzahlungsanspruch wurde
vom BAG nämlich in den Schutzbereich des § 3 S. 1 MiLoG einbezogen.
Zwar folge der Anspruch nicht unmittelbar aus § 1 MiLoG, weil danach der
Mindestlohn nur für tatsächlich geleistete Arbeit zu entrichten sei. Da der
Arbeitnehmer im Falle der Arbeitsunfähigkeit jedoch so zu stellen sei, als
hätte er gearbeitet, müsse ihm auch der Mindestlohn als untere Grenze des
fortzuzahlenden Entgelts erhalten bleiben. Der Schutzzweck des § 3 Satz 1
MiLoG gebiete es, auch den Entgeltfortzahlungsanspruch in Höhe des gesetzlichen
Mindestlohns zu sichern. Die tarifvertragliche Ausschlussfrist sei daher
„insoweit“ unwirksam.
4. Bewertung der Rechtslage aufgrund dieser Entscheidungen – Hinweise für die Praxis
Für tarifvertragliche Ausschlussfristen steht fest, dass diese den
Mindestlohn nicht erfassen (können), auch wenn dies nicht ausdrücklich geregelt
ist. Auch wird man davon ausgehen können, dass nicht nur der
Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall, sondern auch sonstige nach dem
Entgeltausfallprinzip berechnete Fortzahlungsansprüche nicht erfasst sein
werden (z. B. Annahmeverzugslohn).
Das Urteil des BAG vom 20. Juni
2018 – 5 AZR 377/17 gibt möglicherweise auch einen Hinweis darauf, wie das
BAG zukünftig im Fall der arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen entscheiden
könnte: So stellte es im Zusammenhang mit der nur „insoweit“ gegebenen
Unwirksamkeit der tarifvertraglichen Ausschlussfrist fest, dass Tarifregelungen
– anders als arbeitsvertragliche Ausschlussfristen in AGB – gemäß § 310 Abs. 4
Satz 1 BGB keiner Transparenzkontrolle unterliegen. Bislang liegt nur die
Pressemitteilung vor. Doch die Platzierung dieser Feststellung könnte durchaus
als „Wink mit dem Zaunpfahl“ zu verstehen sein.
Es ist daher weiterhin anzuraten,
bei der Gestaltung arbeitsvertraglicher Ausschlussfristen in Ausschlussfristen
ausdrücklich Mindestlohnansprüche auszunehmen und Altverträge – wenn möglich – entsprechend
anzupassen.
Ebenso sollte erwogen werden,
Ansprüche auszunehmen, die nur mit Zustimmung Dritter (z.B. des Betriebsrats
gem. § 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG, der Tarifvertragsparteien gem. § 4 Abs. 4 S. 2TVG)
beschränkt werden können. Erstaunlicherweise hat es diese Frage bislang nicht
in vertiefte Erörterungen oder gar Gerichtsurteile geschafft, dabei handelt es
sich hierbei um den wohl häufigsten Anwendungsfall.
Das Kapitel der Ausschlussfristen
ist in der Rechtsprechung noch lange nicht geschlossen.