Laut einer aktuellen Pressemitteilung von EY vom 07. Juni 2025 sind 100.000 Industriejobs binnen eines Jahres in Deutschland verloren gegangen (100.000 Industriejobs binnen eines Jahres verloren gegangen | EY – Deutschland). Ein Abbau, wie sich aus der dieser Zahl zugrunde liegenden Studie von EY ergibt, der die Konsequenz der anhaltenden Industrierezession und sinkenden Umsatzzahlen ist. Dem will die neu gewählte Bundesregierung mit ihrem Sofortprogramm entgegen wirken, das neues Wirtschaftswachstum zu einem der Ziele der Investitionsoffensive erklärt. Wenn dieses Programm Wirkung zeigt, was sicherlich im Interesse des Wohlstandes am Standort Deutschland wünschenswert wäre, sind zügig verfügbare Personalressourcen ein wesentlicher Vorteil, wenn es um die Bearbeitung des gestiegenen Auftragsvolumens geht. Will man einzelnen Stimmen aus der Wirtschaft Gehör schenken, sind erste Lichtblicke bereits zu vermelden.
Es steht damit gleich die nächste Herausforderung für Unternehmen an. Neben den generellen Kosten- und Liquiditätsthemen, die Wachstum immer mit sich bringen, ist schnell ein weiteres Thema identifiziert: Personelle Ressourcen müssen (wieder) gewonnen werden. Der Druck auf HR erhöht sich, schneller im Recruiting voranzugehen, wobei ggf. mangels Optimismus für einen dauerhaften Aufschwung bevorzugt befristete Einstellungen vorgeben werden. Personaldienstleister, die ihrerseits ihren Personalbestand angepasst hatten, können ebenfalls nur bedingt Ressourcen zur Verfügung stellen, noch dazu wenn es um speziell qualifizierte Beschäftigte geht, die bestenfalls sogar das jeweilige Produkt oder einen speziellen Fertigungsprozess kennen.
Neben den üblichen Personalressourcen lohnt sich der Blick über den Tellerrand zu anderen Konzernunternehmen im Ausland. Dort finden sich häufig genau die Ressourcen, die vor Ort nicht zu finden sind. Es geht um Beschäftigte ausländischer Konzerngesellschaften, die bereit sind, für einen überschaubaren Zeitraum in der deutschen Konzerngesellschaft tätig zu werden. Der Vorteil des Einsatzes dieser Fachkräfte besteht in vielerlei Hinsicht: es handelt sich um Personen, die eingearbeitet und mit den Produkten, den Fertigungsprozessen und nicht zuletzt der Unternehmenskultur vertraut sind. Die Qualifikationen und Qualität der Arbeit ist erfahrungsgemäß hoch und die Akzeptanz bei den Kollegen und Kolleginnen im deutschen Unternehmen in der Regel deutlich höher. Diese wertvollen Ressourcen sollten daher unbedingt in die Gesamtstrategie eingebaut werden. Aber Vorsicht: der internationale Mitarbeitertransfer ist zwar in vielen Fällen arbeitnehmerüberlassungsrechtlich privilegiert (Konzernleihe) nicht aber aufenthaltsrechtlich! Jede Person, die sich in Deutschland zu Erwerbszecken aufhalten will, benötigt einen Aufenthaltstitel, es sei denn es handelt sich um Unionsbürger.
Neben aufenthaltsrechtlichen Fragen sind auch bei einem Mitarbeitertransfer innerhalb des Konzerns arbeits- und sozialversicherungsrechtliche sowie steuerrechtliche Themen zu berücksichtigen (vgl. dazu Eva Wißler/Anna Franziska Hauer, Der Konzern, 2025, 97ff – Owlit – Inhaltsverzeichnis und Internationale Personalstrategien im Konzernverbund).
Um sich als Unternehmen frühzeitig „in Stellung zu bringen“, wenn sich die ersten Auftragszuwächse abzeichnen, bedeutet eine durchdachte Strategie für ein personelles ramp-up nicht nur einen Wettbewerbsvorteil, sondern kann auch gleich die nächste Krise abfedern. Aufträge nicht anzunehmen, weil die personellen Ressourcen fehlen, ist keine echte Option. Aufträge nicht oder nicht fristgerecht zu bearbeiten, führt zu verärgerten Kunden und – gerade in der Zulieferindustrie – zu massiven Risiken für mindestens erhöhte Logistikkosten, weil Sondertransporte, teure Zukäufe von Teilen etc. durchgeführt werden müssen, um noch rechtzeitig lieferfähig zu sein; schlimmstenfalls drohen empfindliche Vertragsstrafen.
Was also macht diese clevere Strategie aus?
1. Ressourcen identifizieren: Die erste Wahl sind immer Unionsbürger, da sie Freizügigkeit genießen und der administrative Aufwand für einen Einsatz dieser Personen in Deutschland ist damit deutlich einfacher. Da Arbeitsrecht sehr stark unionsrechtlich geprägt ist, sind ohnehin bereits viele vergleichbare Bedingungen für die Arbeitsverhältnisse prägend.
2. Wege ebnen: Es muss für Verständnis innerhalb des Konzerns geworben werden, dass die Stammbelegschaft eines Konzernunternehmens für ein anderes Konzernunternehmen tätig werden darf. Auf den ersten Blick selbstverständlich, in der Praxis aber oft nicht selbstverständlich, denn der Transfer von eigenen Beschäftigten in ein anderes Unternehmen verursacht durchaus keinen unerheblichen administrativen Aufwand. Das abgebende Unternehmen selbst nimmt daher zunächst die eigene zusätzliche Belastung wahr, ohne einen direkten Vorteil dadurch zu haben, so dass die Zusammenarbeit kein Selbstläufer ist. Das Verständnis für das übergeordnete Ziel, der konzernweite Erfolg mag es erfordern, der in Deutschland ansässigen Gesellschaft in einer Krisensituation durch personelle Unterstützung unter die Arme zu greifen. Das Werben für dieses Verständnis geschieht nicht durch anonyme Konzernstrukturen, sondern durch Personen, die sich dafür einsetzen.
3. Erwartungsmanagement: In machen Fallkonstellationen lässt sich der internationale Mitarbeitertransfer realisieren, in anderen aber nicht. Einer der Hauptgründe in der Praxis ist in der Tat die fehlende Möglichkeit, insbesondere im sog. „blue collar Bereich“ einen Aufenthaltstitel mit einem legalen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu realisieren. Eine frühzeitige realistische Einschätzung zu in Betracht kommenden Aufenthaltstitel spart daher enorm Zeit und Ressourcen, weil eine Fokussierung auf die wirklich erfolgversprechenden Szenarien gezielt erfolgen kann.
4. Leuchttürme: Ein internationaler Mitarbeitertransfer erfordert eine gut strukturierte Steuerung. Je besser die zentralen Ansprechpartner in Fragen rund um Aufenthaltserlaubnis, Sozialversicherung, Konzernleihe etc. geschult sind, desto besser funktioniert die Steuerung. Im Ergebnis müssen sowohl im Inland als auch in der ausländischen Konzerngesellschaft die Rädchen ineinandergreifen, damit der Transfer gelingen kann. Während der in Betracht kommende Aufenthaltstitel einerseits von Qualifikationen der Antragsteller abhängen, muss im Ausland beispielsweise genau geprüft werden, ob diese Qualifikationen in der Stammbelegschaft überhaupt vorhanden sind. Es gibt Fälle, in denen müssen erst Lebensläufe und Abschlusszeugnisse von den lokalen Beschäftigten angefordert werden. Auch die Form der Zusammenarbeit zwischen den Gesellschaften können von der Frage nach dem Aufenthaltstitel abhängen. Bei praktischen Fragen ist die Situation vergleichbar. Während im Ausland Hilfestellungen bei der Beantragung des Visums vonnöten sind, geht es im Inland um zunächst banal wirkende Fragen nach Wohnraum, Verpflegung oder Hausarztterminen bei einer Erkrankung. Aus diesem Grund ist es essenziell für Projekte dieser Art, dass sich jeweils zentrale Ansprechpartner/innen in den Konzerngesellschaften dadurch auszeichnen, dass die Steuerung übernommen und zugleich der Counterpart in der anderen Konzerngesellschaft auf demselben Informationsstand ist. Dabei sollten typische Mechanismen eines professionellen Projektmanagements zum Einsatz kommen.
Fazit
Die Nutzung von internationalen Personalressourcen kann einen entscheidenden Vorteil bieten, der in der Praxis noch viel zu selten realisiert wird. Aus Sicht einer einzelnen Gesellschaft vielleicht nicht der naheliegendste Weg, auch Konzernsicht aber schon.